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ICH HABE EINE SCHUBKARRE GEKAUFT. Rot. Sie quillt über von all den Gerätschaften, die ich heute Morgen in den Kofferraum meines Wagens gepackt habe: einen Rechen, mehrere Eimer, Schaufeln, Gartenhandschuhe, Essig, Salz (für den natürlichen Unkrautvernichter nach Madame Hugues’ Rezept), einen biologischen Dünger speziell für Gemüse und einen anderen für Blumen. Der Rasenmäher wird morgen geliefert. Sie hatten ihn nicht mehr vorrätig, aber der Verkäufer hat mir versichert, dass sie ihn aus einem Lager in Lyon kommen lassen und er morgen vor sechzehn Uhr bei mir sein wird. Dabei habe ich es gar nicht so eilig.

Es ist Mittag, das verrät mir die diesige Sonne hoch oben am Himmel. Der Tau ist nicht getrocknet, und es ist beißend kalt. Ich habe meinen Wollmantel angezogen und Benjamins alte peruanische Mütze aufgesetzt. Ich wusste gar nicht, dass ich sie mitgebracht hatte …

Dank der aufmerksamen Lektüre von Madame Hugues’ Aufzeichnungen weiß ich, dass der erste Schritt darin besteht, das Gelände von Unkraut zu befreien. Die wild wuchernden Pflanzen sorgsam mitsamt ihren Wurzeln auszureißen und den Boden anschließend mit der Mischung aus Essig, Salz und Wasser einzusprühen.

Auf einer Seite hat Madame Hugues notiert: Löwenzahn, Brennnesseln und Klee locken Honigbienen an, die nicht schädlich sind, ganz im Gegenteil. Einige dieser Pflanzen am Beetrand stehen lassen. Das habe ich mir gemerkt.

Für einen Moment steht mir das vergnügte Gesicht vor Augen, das Benjamin gemacht hätte, wenn er mich in diesem Aufzug sehen könnte: Gummistiefel, peruanische Mütze, zu große Gartenhandschuhe. Bereit für den Ackerboden. Ist das wirklich dein Ernst, Poupette? Ich lächle vor mich hin. Ja, das ist mein Ernst … Glaubst du mir etwa nicht?

Ich gehe auf die Knie und packe mit beiden Händen eine erste pelzige Distel. Ihre Wurzel reicht nicht sehr tief, sie gibt mühelos nach, und ich werfe sie ein Stück weit in Richtung meiner Schubkarre. Das räume ich nachher alles weg. In dem Moment kann ich seine Stimme beinahe hören: Ich schaue dir zu, Poupette …

Der feine Regen, der im Laufe des Nachmittags einsetzt, hält mich nicht auf. Ich habe fast die Hälfte der Parzelle geschafft, und nachdem ich schon so weit gekommen bin, kann ich nicht einfach aufgeben. Doch als die Sonne untergeht, bleibt mir nichts anderes übrig, als aufzuhören. Ich sammle das herumliegende Unkraut in meiner Schubkarre. Wenn ich alles ausgerissen habe, baue ich einen kleinen Komposter und werfe es hinein. Ich decke die Schubkarre mit einem alten Laken ab, lehne mein Werkzeug unter dem Dachvorsprung an den in die Jahre gekommenen Putz und ziehe im Flur meine Stiefel aus.

Ich bin durchgefroren und fühle mich wie zerschlagen, aber ich bin zufrieden. Gerade will ich ins Badezimmer gehen, um mir ein heißes Bad zu gönnen, als ich vor der Tür ein klagendes Miauen höre. Ich erstarre. Seit ich der Katze die erste Schale rausgestellt habe, hat sie sich nicht mehr blicken lassen. Ich war sogar zu dem Schluss gekommen, dass sie krank geworden sein müsse oder noch Schlimmeres … Aber heute Abend ist sie wieder da und verlangt nach etwas Thunfisch oder was weiß ich.

»Ich gebe dir eine Büchse Sardinen, aber danach verschwindest du!«

Ich rede durch die geschlossene Tür mit ihr, während ich die Kleider, die ich auf den Boden habe fallen lassen, wieder anziehe. In der Küche, wo es mittlerweile warm ist, seit ich die Heizung eingeschaltet habe, öffne ich eine Sardinenbüchse und lege die Haut des gegrillten Hähnchens dazu, das ich am Tag zuvor gegessen habe.

»Ich komme ja schon!«

Ihr verzweifeltes Miauen hält an. Mit größter Vorsicht öffne ich die Tür, denn ich habe Angst, die Katze könnte mir ins Gesicht springen oder versuchen, ins Haus einzudringen … Daher mache ich nur einen Spalt auf, gerade weit genug, dass meine Hand und die karge Futterration hindurchpassen. Die Katze sieht nicht gut aus. Das graue, vom Regen durchnässte Fell klebt ihr am Körper. Ihre Augen sind gerötet.

»Hier, nimm das und geh zurück unter die Kiefern, da ist es trockener!«

Ich werfe ihr das Futter hin, weit vor meine Tür, damit sie nur ja nicht auf den Stufen sitzen bleibt, so dicht bei meinen Beinen, die sie womöglich zerkratzen könnte. Aber sie rührt sich nicht, sieht mich bloß weiter an und miaut.

»Was willst du denn? Milch? Du bist doch kein Baby mehr …«

Trotzdem schließe ich die Tür, gehe in die Küche und fülle für meinen unzufriedenen Gast eine Schale mit Milch.

»So, jetzt lass mich zufrieden.«

Ich lasse die Schale eher auf die Fußmatte fallen, als dass ich sie hinstelle, und schlage die Tür zu, bevor es dem Tier in den Sinn kommt, mich anzugreifen. Ich weiß nicht, ob es Milch war, was sie von mir erwartete, aber das ist mir jetzt auch egal. Ich gehe zurück ins Bad, und diesmal verschließe ich die Ohren vor ihrem Miauen, das bald darauf erstirbt.

Sie hat die Nacht auf der Türmatte verbracht. Das sehe ich, als ich am nächsten Morgen in meinen Gärtnerklamotten nach draußen komme, um weiter Unkraut zu jäten. Zu einer Kugel zusammengerollt, liegt sie vor der Tür, und ich unterdrücke gerade noch rechtzeitig einen Aufschrei.

»Verschwinde! Los, fort mit dir!«

Sie rührt sich nicht. Hebt lediglich ihren mageren Kopf in meine Richtung. Ich zögere ein paar Sekunden. Sie scheint nicht gesund zu sein. Ich kann es wagen, über sie hinwegzusteigen, ohne eine meiner Waden zu verlieren … Und tatsächlich zuckt die Katze nicht einmal, als ich das Hindernis mit einem großen Schritt überwinde. Mir fällt auf, dass sie den Fisch nicht gefressen hat, dass die Hähnchenhaut unangetastet daliegt und die Milch über die Fußmatte verschüttet wurde. Was wollte sie denn, wenn sie keinen Hunger hatte?

Ich denke nicht weiter darüber nach und gehe in den Garten. Heute ist es heller als gestern, durch eine hübsche Wolkenlücke fallen im Laufe des Vormittags sogar warme Sonnenstrahlen auf meinen Rücken. Als ich zum Mittagessen ins Haus zurückkehre, ist die graue Katze verschwunden.

Später reißen mich Motorengeräusche und das Knirschen von Reifen auf dem Kies aus meinen Gedanken und der harten Arbeit. Ich erkenne das Auto noch vor dem Gesicht hinter der Windschutzscheibe. Der blaue Twingo. Ich lege die Schaufel hin, streife die Handschuhe ab und gehe ihr entgegen.

Heute trägt Julie Hugues ein elegantes braunes Kleid, dazu Stiefeletten mit Absatz. Ihr Haar ist zu einem äußerst professionellen Knoten geschlungen. Die perfekte Vertreterin.

»Es tut mir leid, dass ich immer unangekündigt hereinplatze«, sagt sie lachend.

Wir reichen einander die Hand, doch noch während wir sie schütteln, kommt uns die Geste albern vor.

»Ich habe Ihre Nachricht wegen der Äpfel erhalten«, fügt sie hinzu.

»Ach, ja! Die Äpfel.«

»Entschuldigen Sie, ich hatte keine Zeit, Ihnen zu antworten oder früher vorbeizukommen.«

»Das macht doch nichts.«

»Ich hatte einige Probleme mit Tristan wegen der Wohnung. Aber das ist jetzt vorbei. Wir verkaufen.«

Sie lässt den Blick über meine Kleidung gleiten – noch annähernd feminin – und richtet ihn dann auf das Grundstück hinter mir. Ihre Augen werden groß, und ein glückliches Lächeln erstrahlt auf ihrem Gesicht.

»Sie bringen Mamans Garten wieder in Ordnung?«

Ich nicke, wobei mir die peruanische Mütze gefährlich weit in die Stirn rutscht.

»Ja. Das heißt, ich versuche es … Ich habe noch nie zuvor in meinem Leben gegärtnert.«

»Haben Sie sich Bücher zu dem Thema gekauft?«

»Nein«, bekenne ich notgedrungen und ein wenig verlegen. »Ich … ich habe mir erlaubt, die Aufzeichnungen Ihrer Mutter zu lesen. Sie hat alles ganz genau aufgeschrieben.«

Sichtlich erfreut über mein Geständnis, lacht Julie schallend auf.

»Ja, das stimmt, mit Maman als Lehrmeisterin brauchen Sie keine Bücher mehr!«

Sie deutet auf den freigerupften Bereich, vor dem ich meine diversen Gerätschaften ausgebreitet habe.

»Darf ich mal sehen?«

»Natürlich.«

Gemeinsam gehen wir zu meinem zukünftigen Garten, ich in meinen Gummistiefeln, sie in ihren hochhackigen Stiefeletten.

»Was wollen Sie denn pflanzen?«

»Um diese Jahreszeit nur Wintergemüse … Kohl, Rüben, Zwiebeln, ein bisschen Feldsalat. Und ein paar Blumenzwiebeln für den Frühling.«

Julie nickt, ihr Lächeln strahlt immer heller.

»Ach ja, und Ihre Mutter empfiehlt, jetzt die Erdbeeren auszusetzen. Sie schreibt, dass in der Erde noch ein wenig von der Wärme gespeichert ist, die sie im Sommer getankt hat.«

»Ich sehe, Sie haben fleißig gebüffelt.«

Mit der Miene eines jungen Mädchens, das nach langen Jahren den Garten seiner Mutter wiederentdeckt, umrundet sie das große Beet.

»Reißen Sie gerade das Unkraut raus?«

»Ja.«

»Und was kommt danach?«

»Dann lockere ich den Boden auf. Ich habe mir einen Grelinette-Spaten gekauft.«

»Du meine Güte!«, ruft Julie beeindruckt. »Das könnte länger dauern.«

»Ich habe alle Zeit der Welt.«

Sie weiß nicht, was sie darauf antworten soll, und ich nutze die Gelegenheit, um ihr die Apfelbäume und den noch reichlich mit Äpfeln gefüllten Wäschekorb zu zeigen.

»Bedienen Sie sich, nehmen Sie so viele mit, wie Sie wollen.«

»Das ist nett.«

Sie geht zu ihrem Wagen und kommt mit einer Lattenkiste zurück.

»Sind Sie sicher, dass ich sie vollmachen kann?«

»Natürlich!«

Während sie sich ans Apfelpflücken macht, ziehe ich meine Handschuhe an und wende mich erneut dem Unkraut zu. Morgen wird alles fertig sein. Dann brauche ich den Boden nur noch mit dem Essig-Hausmittel einzusprühen und eine Weile zu warten, bevor ich die Erde auflockere.

»Funktioniert Ihre Heizung?«

Julies Frage lässt mich zusammenzucken. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie zurückgekommen war.

»Die Heizung? O ja. Einwandfrei.«

Mit der Lattenkiste voller Äpfel in den Händen steht sie wie angewurzelt vor mir. Mir wird klar, dass sie nicht vorhat, gleich wieder zu fahren, sondern ein wenig plaudern möchte.

»Hätten Sie Lust auf ein Stück Tarte Tatin?«, frage ich daher, ohne daran zu glauben, dass sie die Einladung tatsächlich annehmen könnte. »Ich habe am Mittwoch welche gebacken, aber mich bei der Menge ein wenig verschätzt.«

Ihre Antwort folgt prompt.

»Sehr gerne! Ich liebe Tarte Tatin!«, sagt sie begeistert.

Also wärme ich den Rest Kaffee in der Mikrowelle auf und erhitze eine halbe Tarte im Ofen. Julie sitzt am Küchentisch und blättert amüsiert durch die Aufzeichnungen ihrer Mutter, die ich ständig in Griffweite habe.

»Ist sie etwa zu Ihrer Inspirationsquelle geworden?«

»Das könnte man so sagen.«

Julie lächelt, ich ebenfalls, wenn auch etwas schüchterner.

»Es würde sie freuen, das zu hören!«

Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll, und so beobachte ich stattdessen die Tassen, die sich in der Mikrowelle im Kreis drehen.

»Haben Sie eine Stelle in Clermont-Ferrand gefunden?«

»Ja, vielleicht … Ich hatte gestern ein Vorstellungsgespräch und warte noch auf das Ergebnis. Aber ich bin recht zuversichtlich.«

»Das ist eine gute Nachricht.«

»Ja.«

»Und was ist mit einer Wohnung? Haben Sie da schon etwas in Aussicht?«

»Ja, ich warte nur noch auf das Ergebnis meines Bewerbungsgesprächs, dann kann ich unterschreiben.«

»Schön. Sie sind also auf einem guten Weg.«

Die Mikrowelle piept, und ich bringe die Tassen zum Tisch. Der Duft der warmen Tarte erfüllt bereits die Küche. Ich hole sie aus dem Ofen.

»Sie hatten am Mittwoch also Gäste?«

»Ja. Ein paar Teenager. Zu Limo und Kuchen.«

Sie sieht mich an, während ich mit der Tarteform zwischen den Küchenhandschuhen zu ihr zurückkomme.

»Verwandte? Haben Sie etwa schon Nichten und Neffen?«

Ich versuche, die Messerklinge aufzuhalten, die beim Gedanken an Cassandras Baby, an ihren runden Bauch in meine Kehle dringt.

»Nein. Ein paar Jugendliche aus der MJC in Lyon.«

Ich habe zu viel verraten oder nicht genug. Julie mustert mich interessiert.

»Haben Sie da gearbeitet?«

»Nein.«

Das von Fragen erfüllte Schweigen dehnt sich in die Länge, während ich die Form auf den Tisch stelle.

»Mein Mann.«

Ich weiß, dass ihr Blick jetzt nach einem Trauring an meinem Finger oder dem Mantel eines Mannes in der Zimmerecke Ausschau hält. Aber meine Hände sind in den Küchenhandschuhen verborgen, und in diesem Haus gibt es keinen einzigen Herrenmantel.

»Entschuldigen Sie, wenn ich indiskret bin …« Sie zögert, räuspert sich und springt ins kalte Wasser: »Haben Sie sich getrennt?«

In ihren Augen erkenne ich keine Spur von krankhafter Neugier, lediglich höfliches Interesse.

»Er ist vor vier Monaten gestorben.«

Diesmal komme ich einem erneuten Schweigen zuvor.

»Trinken Sie Ihren Kaffee«, fordere ich sie hastig auf. »Er wird kalt.«

Und mit diesen Worten gehe ich zurück zur Anrichte und hole einen Tortenheber, Teller und Besteck. Als ich wieder an den Tisch trete, sitzt Julie Hugues reglos da. Sie hat ihren Kaffee nicht angerührt.

»Es tut mir leid, dass ich gefragt habe.«

»Das braucht es nicht.«

»Es war indiskret.«

»Überhaupt nicht.«

Wir reden schnell und wagen einander dabei nicht anzusehen.

»Ein großes Stück oder lieber ein kleines?«, frage ich, um das Thema zu beenden.

»Ein großes.«

Sie lächelt. In ihren Zügen spiegelt sich immer noch leise Traurigkeit, aber immerhin – ein Lächeln.

»Das schmeckt köstlich«, sagt sie ein paar Sekunden später.

Während wir unsere Tarte verspeisen, plaudern wir über das angekündigte schlechte Wetter und die Immobilienpreise in Clermont-Ferrand. Keine heiklen Themen mehr, keine Fettnäpfchen.

Julie sitzt schon hinter dem Steuer und will gerade losfahren, als ihr noch etwas einfällt.

»Sagen Sie … Könnte ich vielleicht noch einmal herkommen und mir den Garten anschauen, wenn Sie mit Ihrer Arbeit weitergekommen sind?«

Unwillkürlich muss ich lächeln.

»Natürlich.«

»Dann halten Sie mich auf dem Laufenden …«

Während ich dem kleinen blauen Auto nachschaue, kann ich es kaum erwarten, wieder zu meinem Beet zurückzukehren.

Letzte Nacht hat sie einen neuen Angriff gestartet. Ich habe sie vor meinem Schlafzimmerfenster miauen hören, als wüsste sie genau, wo ich gerade bin. Ich hatte eine Gänsehaut. Was kann diese Katze bloß von mir wollen?

Heute Morgen will ich einen kleinen Komposter bauen. Dazu muss ich vier Bretter ein kleines Stück in den Boden eingraben, sodass sie ohne Zuhilfenahme von Nägeln oder einer Bohrmaschine halten, die ich ohnehin nicht besitze. Der Raureif auf dem Gras verheißt eisige Temperaturen.

Kurz bevor ich das Haus verlasse, wärme ich auf dem Herd noch einen kleinen Topf mit Milch, in den ich ein paar Haferflocken und einen Spritzer Honig gebe. Wenn sie noch auf meiner Fußmatte liegt, bekommt sie ein schönes, warmes Porridge.

Sie ist noch da. Diesmal kein erschrecktes Zusammenzucken, ich hatte sie fast schon dort erwartet. Nicht mehr ganz so ängstlich wie beim letzten Mal stelle ich ihr die Schale hin und sehe zu, wie sie den Kopf hebt, an dem Gebräu schnuppert und die Schnauze hineintaucht. Sie beginnt zu lecken, und ich nutze die Gelegenheit, um über sie hinwegzusteigen und in den Garten zu flüchten.

Der Anblick meines von Unkraut befreiten, frisch umgegrabenen Beetes erfüllt mich immer noch mit dem gleichen Stolz. Bald – vielleicht schon morgen – kann ich mit dem Pflanzen beginnen. Aber erst muss ich meine Lektion wiederholen und noch einmal Madame Hugues’ Aufzeichnungen zu diesem Thema durchlesen. Und danach beim Gemüsegärtner vorbeifahren und das entsprechende Saatgut kaufen. Eines nach dem anderen.

Als ich gerade mit der Schaufel die Furchen für die Bretter aushebe, höre ich das Klingeln meines Handys. Es ist schon eine Weile her, seit mich zum letzten Mal jemand angerufen hat. Richard hat die Lust an unseren Gesprächen verloren, die stets mit »Komm uns doch mal besuchen. – Ja, mal sehen« endeten, Anne ist in ihrer Klinik immer noch so schlecht zu erreichen, und meine Mutter hat begriffen, dass sie mich in Ruhe lassen soll. Ein wenig verwundert lege ich also die Schaufel zur Seite, ziehe Handschuhe und Stiefel aus und gehe ins Haus, wozu ich erst über die graue Katze steigen muss, die auf der Türmatte eingeschlafen ist.

Ich habe eine SMS. Haben sie ihren rasenmäer gekauft? Mika. Lächelnd nehme ich mir die Zeit, ihm kurz zu antworten. Ja, er erwartet dich schon sehnsüchtig. Was hältst du von Samstag?

In der Nacht wecken mich das Heulen des Windes in den Kiefern und das Prasseln des Regens auf dem Dach. Durch den ohrenbetäubenden Lärm hindurch kann ich es hören. Ein schwaches, klagendes Miauen. Am liebsten würde ich es einfach ignorieren. Mir die Decke bis unters Kinn ziehen, mich vom Fenster wegdrehen und wieder einschlafen. Aber der Wind ist so stark, der Regen rauscht vom Himmel, und die Katze ist ganz allein da draußen. Ich könnte mich damit begnügen, ihr eine Dose Thunfisch zu geben, aber ich bin mir fast sicher, dass sie weiter miauen würde. Das ist es nicht, was sie erreichen will, indem sie tagsüber meine Haustür belagert und nachts vor meinem Schlafzimmerfenster hockt. Ich kann es nicht länger leugnen.

Ich glaube, ich bin wieder eingeschlafen. Als ich kurz darauf wieder erwache, ist draußen alles still. Kein Wind mehr, kein Regen, kein Miauen. Trotzdem stehe ich auf und hole eine Dose Thunfisch aus dem Schrank unter dem Spülbecken.

»Katze? Katze?«

Rufend stehe ich in der nächtlichen Kühle auf den Stufen vor der Haustür und versuche, sie im Dunkeln zu erspähen. Ich schwenke die Thunfischdose und hoffe, sie durch den Geruch anzulocken. Denn ich mache mir beinahe Sorgen um sie. Hat sie irgendwo einen trockenen Unterschlupf gefunden? Angestrengt suche ich den Waldrand ab. Nichts. Ich warte noch ein paar Sekunden, doch dann muss ich mich den Tatsachen beugen. Die Katze ist verschwunden. Ich lasse den Thunfisch auf der Türmatte stehen und gehe zurück ins Bett.

Welch ein Glück! Am Samstag herrscht strahlender Sonnenschein, und der Himmel ist blau. Mika kommt um zwanzig vor zwölf am Bahnhof von Clermont an. Ich habe eine Lasagne vorbereitet, die wir essen werden, bevor wir uns an unsere jeweiligen Aufgaben machen. Ich will das schöne Wetter nutzen, um die ersten Blumenzwiebeln einzupflanzen. Tulpen, Hyazinthen, Krokusse und Narzissen. Was das Gemüse angeht, so habe ich in der Gärtnerei nur ein paar Knoblauchzehen und ein Tütchen mit Feldsalatsamen ergattert. Für den Anfang gar nicht mal schlecht. Na, Poupette, amüsierst du dich? Benjamins belustigte Stimme klingt mir im Ohr. Ja, ich amüsiere mich. Nachdem ich dreißig Jahre lang keinen Finger in frische Erde gesteckt habe, muss ich wohl oder übel zugeben, dass es mir großen Spaß macht, den Boden umzugraben, Furchen zu ziehen, mich mit Leib und Seele in diese Arbeit zu stürzen, von der ich am Abend so erschöpft bin, dass mein Geist zur Ruhe kommt. Beim Graben denke ich oft an Madame Hugues, daran, wie viel Energie es sie gekostet haben muss, die Leere zu füllen, die Paul hinterlassen hat. Und ich denke an Benjamin, der mir so oft gesagt hat, dass mir das Leben auf dem Land gefallen würde. Woher hat er das gewusst?

»Was glauben Sie denn, wie viel ich essen kann?«, ruft Mika, als ich nach der gewaltigen Lasagne, die wir nicht geschafft haben, auch noch eine Schüssel Mousse au Chocolat aus dem Kühlschrank hole.

»Du musst Kräfte sammeln, bevor du mit dem Mähen anfängst.«

»Ja, schon … Aber wenn Sie so weitermachen, kann ich mich gleich nicht mehr bewegen.«

Trotzdem schlägt er seine Portion Mousse au Chocolat nicht aus und leckt sogar die letzten Reste aus dem Schälchen, wovon braune Spuren auf seiner Nase zurückbleiben.

»Ist das Ihre Katze?«, fragt er, als ich gerade dabei bin, das Geschirr im Spülbecken einzuweichen.

Ich drehe mich um. Mika ist aufgestanden und deutet auf die klapperdürre Katze, die draußen auf dem Fenstersims hockt.

»Nein. Das ist eine Streunerkatze. Ab und zu kommt sie her und bettelt um Futter.«

Mika schnalzt belustigt.

»Sie können ja gern behaupten, es wär nicht Ihre Katze, aber für mich sieht das so aus, als hätte sie Sie nicht nach Ihrer Meinung gefragt.«

»Was meinst du damit?«

»Na, dass die Katze das für Sie entschieden hat. Sie hat Sie adoptiert!«

Unwillkürlich muss ich über meinem Spülbecken lächeln. Vor allem, da sich auch noch Benjamins Stimme einmischt: Tja, Poupette, ich glaube, Mika hat recht …

Der Motor des Rasenmähers schnurrt, und der Geruch von Benzin und frisch gemähtem Gras weht zu mir herüber. Ich pflanze hingebungsvoll meine Blumenzwiebeln. Ein Loch graben, das dreimal so tief ist wie die Zwiebel selbst. Madame Hugues rät, zum Ausstechen des Lochs keinen Blumenzwiebelpflanzer zu benutzen, wie man sie im Laden kaufen kann, sondern lieber eine Plastikflasche. Die Flasche wieder aus der Erde ziehen. Die Zwiebel mit den Wurzeln nach unten in das Loch setzen. Mit etwas natürlichem Dünger bestreuen. Das Loch mit Erde auffüllen. Weiter.

Hin und wieder durchquert Mika, konzentriert über den Rasenmäher gebeugt, mein Blickfeld.

»Alles klar, Mika?«

»Was?«

Ich wiederhole die Frage lauter, um den Motorenlärm zu übertönen: »Alles klar, Mika?«

»Alles klar, Madame Luzin. Läuft.«

Er grinst voller Stolz und reckt einen Daumen in die Höhe.

Wir haben beide viel geschafft. Meine Fingernägel sind schwarz und meine Hände mit Erde verkrustet. Mikas Haar ist voller Gras. Ich schenke ihm eine Tasse grünen Tee mit Pfefferminze ein.

»Limo ist keine mehr da, tut mir leid …«

»Das macht nichts. Bei Issam trinken wir auch immer Pfefferminztee.«

»Möchtest du Zucker?«

»Nein. Gucken Sie mal, was ich für Sie mitgebracht habe.«

Ich drehe mich um und sehe, wie er mir am ausgestreckten Arm ein Päckchen Spielkarten mit dem Logo einer Tankstellenkette entgegenhält.

»Ich hatte doch gesagt, dass ich Ihnen beim nächsten Mal Karten mitbringe, Madame Luzin.«

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin gerührt, und zwar sehr viel mehr, als es der Anblick eines Päckchens Spielkarten rechtfertigen würde.

»Kennen Sie Korsische Schlacht?«

»Bitte?«

Es kostet mich etwas Mühe, wieder klar zu denken.

»Korsische Schlacht. Das spielt man zu zweit. Soll ich es Ihnen beibringen.«

»Ja … Ja, gerne.«

Er nickt zufrieden, holt die Karten aus dem Päckchen und beginnt zu mischen.

»Möchtest du noch ein bisschen Mousse au Chocolat, Mika?«

»O ja, so langsam krieg ich wieder Hunger«, antwortet der Junge, der noch vor zwei Stunden bestritten hat, verfressen zu sein.

Wir spielen Korsische Schlacht, bis die Sonne hinter den Kiefern verschwindet. Mika besiegt mich haushoch in allen fünf Partien, trotzdem gibt er die Hoffnung nicht auf, mich irgendwann doch einmal gewinnen zu sehen.

»Sie müssen schneller sein, wenn Sie auf den Stapel in der Mitte hauen, Madame Luzin.«

»Ich bin ja schnell, Mika, aber du bist trotzdem immer zwei Sekunden schneller als ich.«

Während der Fahrt zurück zum Bahnhof reißt Mika verdutzt die Augen auf, als ich ihm zum Dank fürs Rasenmähen einen Schein zustecke.

»Sie haben sie wohl nicht mehr alle, Madame Luzin! Das ist viel zu viel!«

»Das Zugticket nach Clermont hat dich bestimmt das Taschengeld für eine ganze Woche gekostet.«

»Nein, Madame Luzin, das waren meine Eltern …«

»Mag sein, aber du hast mir einen riesigen Gefallen getan.«

»Trotzdem …«

Er beendet den Satz nicht. Ich sehe, wie er den Schein zögerlich in seine Manteltasche steckt.

Am Bahnhof vergisst er für einen Moment seine gewohnte Zurückhaltung und verabschiedet sich mit zwei Wangenküssen, während er sich noch einmal für das Essen, den Tee und das alles bedankt … Er erwähnt auch den Schein, der sicher verstaut in seiner Tasche steckt.

»Vergiss nicht deine Äpfel im Kofferraum.«

Gehorsam holt er die Tüte, die ich für ihn gefüllt habe.

»Hoffentlich kriegen wir bei so vielen Äpfeln nicht die Scheißerei, Madame Luzin!«

Und mit diesen poetischen Worten wendet sich der kräftige, groß gewachsene Sechzehnjährige ab und verschwindet im belebten Bahnhof.

Als ich zu meinem abgelegenen Häuschen zurückkehre, erwartet mich die Katze auf dem Türvorleger. Sie miaut, als sie mich näher kommen sieht, steht auf und macht einen Buckel.

»Lass mich durch, Katze!«

Als verstünde sie, was ich gesagt habe, geht die Katze zur Seite, miaut aber umso lauter weiter. Ich beobachte sie furchtsam, während ich die Schlüssel aus der Manteltasche ziehe. Meine eisigen Finger haben Mühe, die Tür zu entriegeln. Es hat höchstens noch vier oder fünf Grad.

»Bleib hier, ich hole dir ein Stück Lasagne.«

Ich bin einfach davon ausgegangen, dass sie gehorchen würde. Als ich ihr vor ein paar Sekunden gesagt habe, sie solle mich durchlassen, hat sie das ja schließlich auch getan. Mein Fehler. Kaum habe ich die Tür geöffnet, huscht die Katze blitzschnell durch den Spalt.

Wie soll ich sie jetzt wieder rausbekommen? Soll ich sie erschrecken? Sie anschreien? Ich habe es doch noch nicht einmal geschafft, den Schmetterling wieder ins Freie zu befördern.

»Raus mit dir, los! Ich habe dich nicht hereingebeten! Hey, Katze! Hallo? Hörst du mich?«

Ängstlich bewege ich mich durch den Flur. Die Türen zum Schlafzimmer und ins Bad sind geschlossen. Dort konnte sie nicht hinein. Es ist schlimmer, als ich dachte … Sie muss bereits das Wohnzimmer mit Beschlag belegt haben.

»Raus da, Katze!«

Ich schalte das Wohnzimmerlicht ein. Auf dem Tisch steht die Schüssel mit der halb aufgegessenen Mousse au Chocolat. Auf der Anrichte der Rest Lasagne und ein Wasserkrug. Nichts davon interessiert die Katze.

»Wo versteckst du dich?«

Aber sie versteckt sich gar nicht. Zu einer Kugel zusammengerollt, liegt sie im alten grauen Sessel von Madame Hugues. Furchtsam, fast schon zitternd schaut sie mich aus grünen Augen an. In dem Moment begreife ich, dass Mika recht hatte, die Katze hat mich ausgewählt, und ich bin von uns beiden nicht diejenige mit der größten Angst …

An diesem Abend bewege ich mich mit äußerster Vorsicht durch meine Küche. Penibel achte ich darauf, dass jeder von uns in seiner Hälfte des Raums bleibt: sie im Wohnbereich, in den ich ein Stück Lasagne und eine Schale mit Wasser gestellt habe, und ich im Küchenbereich.

»Das hier ist mein Zuhause. Lass mir Zeit, mich an dich zu gewöhnen, einverstanden?«

Sie scheint gewillt, auf mich zu hören. Sie bleibt auf ihrem grauen Sessel und fährt sich wieder und wieder mit der langen Zunge über das struppige, räudige Fell.

Ich muss gestehen, dass ich immer noch leise zittere, als ich an diesem Abend ins Bett gehe. Ich lege der Katze eine moltonierte Decke vor den Sessel. Falls ihr kalt werden sollte … Um unbesorgt schlafen zu können, schließe ich die Schlafzimmertür hinter mir ab. Ich horche auf Geräusche hinter der Zwischenwand. Einen Attentatsversuch der grauen Katze … Aber kein Laut dringt zu mir herein. Nur der Wind in den Bäumen vor dem Fenster.

Du fürchtest dich doch nicht allen Ernstes vor einer Katze, die nur aus Fell und Knochen besteht, Poupette?

Heute Abend habe ich eine graue Katze in mein Haus gelassen …