Kapitel 5

Mi casa, su casa

 

 

Zwei Tage später teilte der Arzt ihnen mit, dass David am nächsten Tag entlassen würde. Dusty war begeistert und David ging es genauso, allerdings hielt seine Euphorie höchstens fünf Minuten an.

»Hey, D, was ist los?«, fragte Dusty, während er beobachtete, wie Davids Gesichtsausdruck von überglücklich hin zu am Boden zerstört wechselte.

»Ich weiß nicht, wo ich hinsoll«, flüsterte er.

Dusty lachte, woraufhin ihm David einen Blick zuwarf, der ihn fragte, ob er verrückt geworden war. »Natürlich weißt du das. Du kommst mit zu mir.« Das Lächeln, mit dem er dafür belohnt wurde, war so strahlend, dass es das ganze Krankenhaus erhellen könnte, wenn der Strom ausfiele.

»Bist du dir sicher? Ich meine, ich störe dich nicht?«, fragte David begeistert.

»Natürlich nicht, D«, versicherte Dusty ihm.

In dieser Nacht ging Dusty nach dem Abendessen, einer Dusche und Davids üblichen Medikamenten nach Hause, um sein Apartment für seinen Gast vorzubereiten, während David schlief. Er rief William an, um ihn zu fragen, wann er nach Hause kommen würde. Dabei erfuhr er, dass er für mindestens eine Woche draußen im Haus in Mamaroneck war, um mehrere Filme zu drehen.

»Alles klar. Ein Freund von mir steckt in der Klemme, deshalb habe ich ihm angeboten, für eine Weile auf der Couch zu schlafen, bis er wieder auf die Beine kommt.« Dusty wusste, dass er William früher oder später sagen musste, wer David wirklich war, doch für den Moment war es besser, so viel wie möglich für sich zu behalten.

»Sei kein Idiot, Dusty. Dein Freund kann erst mal mein Zimmer haben. Die Bettwäsche ist gewechselt und ich sag dir Bescheid, wenn ich zurückkomme, damit ihr zwei euch umorganisieren könnt. Der Junge soll es sich um Himmels willen bequem machen.« William war vermutlich der selbstloseste Mensch, den Dusty kannte. Sie waren schon Freunde gewesen, bevor Kory vor Kurzem bei Jon eingezogen war und Dusty jemanden gebraucht hatte, der die andere Hälfte der Mietkosten übernahm. Als Williams altes Apartment renoviert und die Miete erhöht worden war, hatte Dusty ihm Korys altes Zimmer angeboten, als er herausgefunden hatte, dass sein Freund und Kollege sich nach etwas Preiswerterem umgesehen hatte. Das Abstruse daran war, dass sie beide einander noch seltener sahen, seit sie nicht mehr nur Kollegen waren. Jedenfalls kam es Dusty so vor. Er machte sich eine gedankliche Notiz, sich in Zukunft besser um seine Freunde zu kümmern, einschließlich Kory, der in den letzten Wochen häufiger mit der Mailbox gesprochen hatte als mit Dusty.

Als hätte er gespürt, dass jemand an ihn dachte, begann Dustys Handy just in diesem Moment zu klingeln und zeigte Korys Namen auf dem Display an.

»Jo!«, meldete sich Dusty.

»Das ist ja toll, dass du zur Abwechslung auch mal ans Telefon gehst. Wo hast du gesteckt? Jon und ich wollten dich zum Abendessen einladen, aber das ist ziemlich schwierig, wenn man ständig nur auf der Mailbox landet«, knurrte Kory.

»Sorry, Kory, ich war beschäftigt.« Dusty dachte darüber nach, was er sagen könnte, ohne noch mehr Fragen aufzuwerfen.

»Ach ja? Sag, D, wie sieht dieser Beschäftigt aus und wann stellst du ihn mir vor?« Korys Stimme klang heiter und beschwingt.

Dusty lachte und entschied sich, das Thema zu wechseln in der Hoffnung, Kory abzulenken. »Erzähl mal, was macht das Liebesleben?«

»Ach, fick dich, D. Es gibt Höhen und Tiefen.«

»Das kann ich mir vorstellen«, neckte Dusty ihn. »Hoch und runter, rein und raus …«

Kory lachte. »Es ist verdammt großartig, D. Und das sage ich , der ewige Junggeselle, der geschworen hat, sich nie zu verlieben.« Daraufhin wurde die Stimme seines besten Freundes wieder ernst. »Gott, D, als ich dachte, ich würde ihn verlieren … hat sich alles verändert. Ich kann einfach nicht glauben, wie sehr ich diesen Mann liebe, wie glücklich er mich macht.«

»Wieso klingt das bei dir, als sei das etwas Schlechtes, Kory? Ich freue mich, dass du jemanden gefunden hast, der dir hilft, der Welt eine Seite von dir zu zeigen, die mehr als ein Draufgänger ist.« Als sein bester Freund hatte Dusty das Recht, Kory die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Und er war sich sicher, dass Jon genau dasselbe tun würde.

»Ha, ja, sehr lustig, D«, gab Kory zurück. Dann hörte Dusty ein Rascheln. »Komm, runter mit dir!«, rief Kory, doch er klang nicht wütend, eher amüsiert.

»Ja, ich wette, das ist genau das, was er gerade versucht, Kory, nämlich zu kommen.« Dusty lachte.

»Fick dich!«, witzelte Kory.

»Nein, Babe, fick mich!«, hörte Dusty Jons gedämpfte Stimme und lachte noch lauter.

»Ich leg jetzt auf Kory. Kümmere dich um deinen Mann.«

»Warte, D. Sehen wir uns bald zum Abendessen?«, fragte Kory, bevor er quietschte und Jon zurief, dass er aufhören sollte.

»Klar, sag mir einfach Bescheid, wann es passt.« Dusty lächelte, als er das Gespräch beendete, legte sein Handy auf der Küchentheke ab und sprach ein stummes Gebet als Dank dafür, dass er es geschafft hatte, Kory abzulenken. Für den Moment jedenfalls. Allerdings war Kory wie ein Hund, der einem Knochen nachlief. Wenn er erst einmal gewittert hatte, dass Dusty mit jemandem zusammen war, würde er seinen besten Freund so lange jagen, bis er es geschafft hatte, ihn zu treffen.

Dusty begann in der Küche und arbeitete sich dann Raum für Raum durch das Apartment vor, um dafür zu sorgen, dass alles aufgeräumt und bereit für Davids Ankunft morgen war. Es war nach Mitternacht, als er nach seinem Putzmarathon und einem Ausflug in den Laden an der Ecke ins Bett kam, aber immerhin war der Kühlschrank nun aufgefüllt und er hatte ein Sweatshirt, ein preiswertes Paar Schuhe und einige Waschsachen für David gekauft.

Als er am nächsten Morgen ins Krankenhaus kam, war Dusty überrascht, David auf dem Stuhl sitzen zu sehen, der sonst immer sein Platz gewesen war, komplett angezogen, abgesehen von einem Schuh. Der erste Gips, klobig und unbequem, war in der letzten Woche durch einen kleineren ersetzt worden, der nur Davids Schienbein bedeckte. Sein Bein brauchte lange, um zu heilen, da es nicht eine Trümmerfraktur, sondern auch noch an drei verschiedenen Stellen gebrochen war. Der Arzt hatte gesagt, dass jemand mehrmals auf Davids Bein gesprungen sein musste, um ihm so eine Verletzung zuzufügen. Der Gedanke brachte Dustys Blut zum Kochen.

Dusty fragte sich kurz, woher David die Kleidung hatte, bis er Tristan auf der anderen Seite des Bettes bemerkte. Er hatte den Kopf gesenkt, einen Stift gezückt und schrieb etwas in Davids Patientenakte. Dusty und er hatten am Abend zuvor darüber gesprochen, Kleidung und andere wichtige Dinge für David zu besorgen, und Dusty konnte schwören, dass er Tristan gesagt hatte, er würde etwas besorgen, wenn er zum Einkaufen ging. Da es gestern ziemlich spät geworden war, könnte es aber auch nur ein stummer Gedanke gewesen sein, den er nie ausgesprochen hatte. Aber gut, es war schließlich nicht so, dass David nicht früher oder später ohnehin alles brauchen würde, was sie für ihn besorgt hatten.

Kurz nachdem David aus dem Koma erwacht war, hatte er nach persönlichen Gegenständen gefragt, die er bei sich gehabt hatte, als er ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Sheila verriet ihnen nun, dass diese Dinge in einer Tüte im Schwesternzimmer aufbewahrt wurden. Sie bat Dusty, sie zu begleiten, um die Tüte zu holen, und er fragte sich nach dem Grund dafür, bis er die Tüte schließlich in den Händen hielt. Darin lagen ein blutverschmiertes Shirt, eine zerrissene und blutige Jeans, ein Paar Turnschuhe und ein Portemonnaie.

Na großartig , dachte Dusty und nahm das Portemonnaie heraus, bevor er die Tüte mitsamt der Kleidung in den nächsten Mülleimer warf. Im Portemonnaie fehlte nichts, aber das war wenig überraschend. Es enthielt ein bisschen Bargeld, Davids Führerschein, seinen Studentenausweis und eine Bankkarte. Außerdem fand Dusty ein Foto von einer auffällig blonden Frau und einem hochgewachsenen, schlaksigen Jungen mit blondem Haar und blauen Augen, der hinter ihr stand. Alles an dem Bild drehte Dusty den Magen um, abgesehen von dem niedlichen, pausbäckigen kleinen Jungen mit den strahlend blauen Augen und dem verstrubbelten Haar, der auf dem Schoß seiner Mutter saß und mit einem breiten Grinsen zwei Zähne zeigte.

Als Dusty zurück ins Zimmer kam, hellte sich Davids Miene auf. »Hey«, flüsterte er und streckte die Arme nach ihm aus, sobald er in Reichweite war. Dieses bedingungslose und absolute Vertrauen, das aus Davids Augen sprach … Jetzt wusste Dusty genau, was Kory gemeint hatte, als er davon gesprochen hatte, Jon mehr als das Leben selbst zu lieben.

Oh Fuck, ich bin wirklich dabei, mich in ihn zu verlieben , dachte Dusty.

Sein erster Impuls war, den Gedanken zu vertreiben, aber dann erinnerte er sich wieder daran, was Tristan zu ihm gesagt hatte: Es war nichts dabei, sich zu David hingezogen zu fühlen. Trotzdem würde er alles, was Davids Gefühle betraf, vorsichtig und langsam angehen lassen. Offensichtlich hatte niemand je zuvor die Gefühle des unruhigen 21-jährigen an oberste Stelle gestellt, also würde Dusty diesen Job mit Freude übernehmen.

Tristan klatschte in die Hände und David schreckte zusammen. Er verbarg es allerdings gut, denn wenn Dusty ihn nicht direkt angesehen hätte, wäre ihm die kaum merkliche Reaktion vermutlich nicht aufgefallen. »Alles klar ihr zwei, lasst uns die Kurve kratzen«, sagte Tristan mit einem schiefen Grinsen.

Es dauerte fast eine geschlagene Stunde, David nach unten zu bringen, ihn in den Pick-up zu setzen und zu Dustys Apartment zu fahren, das nur zehn Minuten vom Krankenhaus entfernt lag. Tristan folgte ihnen und blieb lange genug, um sich zu vergewissern, dass sie es nach oben ins Apartment schafften. Er gab ihnen die Tüte mit Kleidung und Waschsachen, die er für David besorgt hatte, und schrieb noch eine Notiz an das Memo-Board, das Dusty am Kühlschrank befestigt hatte, um ihn an Davids Termin bei ihm am kommenden Freitag zu erinnern, bevor er ging.

Zum Abendessen bestellten sie Pizza und sahen sich Dancing with the Stars an, während sie aßen.

»Das war immer eine meiner Lieblingsendungen. Dale hasst sie und nervt immer, wenn ich sie sehe«, erzählte David ihm. Zum Glück war David so mit der Sendung und dem Essen beschäftigt, dass er den entsetzten Blick auf Dustys Gesicht nicht bemerkte, als Dale Thompsons Name fiel. Er unterdrückte den Drang, David zu korrigieren und ihn daran zu erinnern, dass Dale tot war. David hatte das Schädel-Hirn-Trauma überwunden, und den CT-Bildern nach zu urteilen, hatte sich die Schwellung seines Gehirns vollständig zurückgebildet, doch die Erinnerungen an den Vorfall und die Wochen davor lagen immer noch irgendwo tief am Grund von Davids Bewusstsein vergraben.

Als die Sendung zu Ende war, griff Dusty nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. »Ich glaube, wir sollten für heute Schluss machen, D. Wir sind beide erschöpft.« Sie hatten die letzten Stunden damit verbracht, sich regelmäßig beim Gähnen abzuwechseln.

»Warte, D, könnten wir nicht noch ein bisschen reden?«, fragte David ihn.

»Okay, aber lass mich das erst noch aufräumen.« Dusty griff nach den Tellern, den leeren Pizzakartons und den Getränkedosen. Er stellte alles in der Küche ab und schnappte sich eine neue Limo für David und ein Bier für sich selbst, ehe er langsam zurück ins Wohnzimmer ging. »Worüber willst du reden, D?«, fragte Dusty und ließ sich auf die Couch fallen.

David hatte sich auf dem Zweisitzer zurückgelehnt, das gegipste Bein ausgestreckt auf dem Couchtisch. Er warf Dusty einen kurzen Blick zu, die Wangen leicht gerötet, während er antwortete: »Das ist ein wirklich tolles Apartment. Ich weiß, dass du einen Mitbewohner hast, aber … Was genau macht ihr? Ich meine, womit verdient ihr euer Geld, du und dein Mitbewohner?«

Dusty lächelte, beugte sich vor und stellte sein Bier auf dem Couchtisch ab. Er hatte nicht vor, zu lügen oder David zu verheimlichen, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Er schämte sich nicht dafür, ein Pornodarsteller zu sein. »Hast du schon mal was von All Cocks gehört?«, fragte Dusty.

David hustete und seine Wangen färbten sich purpurrot. Er räusperte sich und nahm einen Schluck Limo, bevor er auf Dustys Frage antwortete. »N-Nein, ich glaube, nicht.«

Diese Reaktion war für Dusty wenig überraschend, genauso wenig wie die Tatsache, dass David nicht wusste, was All Cocks war. Die meisten schwulen Männer zwischen fünfzehn und fünfzig kannten All Cocks, aber David war nicht wie die meisten schwulen Männer. Er war noch ein halbes Kind und unter der Fuchtel eines handgreiflichen großen Bruders und einer super religiösen Mutter aufgewachsen, deren Waffe vermutlich die Bibel war. »Das ist eine Schwulenpornoseite.« Dusty gab David einige Minuten, um seine Worte zu verarbeiten, während er beobachtete, wie die Verwirrung auf Davids hübschem, gerötetem Gesicht sich in Erkenntnis wandelte. »Ich arbeite bei All Cocks INC. Das ist eine Webseite für Schwulenpornos. Mein Mitbewohner William arbeitet auch da.« Er ließ die Worte einen Augenblick lang in der Luft hängen und presste die Lippen zusammen, um ein Grinsen zu verbergen, als sich Davids Augen weiteten und die Farbe seiner Wangen von einem hellen in ein dunkles Rot überging.

»Ähm, wow, ich … Okay«, brachte David hervor.

Dusty setzte sich auf und lehnte sich weiter zu David herüber. »Du bist hier sicher, D. Was auch immer deine Familie dir angetan oder zu dir gesagt hat, bei mir musst du dich nicht dafür schämen, wer du bist«, versuchte Dusty ihn zu beruhigen.

Die Unsicherheit in Davids Blick verschwand und wurde durch ein schüchternes Lächeln ersetzt. Dann hob David langsam den Kopf und begegnete Dustys Blick. »Bei dir habe ich mich immer sicher gefühlt, D.«

»Gut.« Dusty klopfte ihm auf sein Knie. »Ich bin total am Ende. Komm, wir bringen dich rüber in Williams Zimmer.« Dusty stand auf und reichte David die Hand, doch dieser schüttelte den Kopf.

»Ich möchte lieber hierbleiben und noch ein bisschen fernsehen, wenn das okay ist«, sagte er.

Dusty setzte sich ihm gegenüber auf den Couchtisch. »Du brauchst mich nicht erst zu fragen, D. Wenn du aufbleiben und die ganze Nacht irgendwelche Serien rauf und runter sehen willst, ist das kein Problem für mich. Okay?«

Dusty wartete und lächelte, als David schließlich nickte.

Er unterdrückte den Drang, bei David zu bleiben und wie ein Helikopter über ihm zu kreisen, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. Stattdessen wünschte er ihm eine gute Nacht und zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen und langsam in sein Zimmer zu gehen.

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, hielt er kurz inne, griff nach dem Türknauf, öffnete sie wieder und ließ sie einen Spalt offen, nur für alle Fälle. Er lag noch eine Weile wach und lauschte den Geräuschen des Fernsehers, gelegentlich durchbrochen von einem Kichern, wenn David über irgendetwas lachte. Bald darauf war Dusty tief und fest eingeschlafen. Er träumte davon, ins Wohnzimmer zu gehen und den kleineren Mann in die Arme zu nehmen, und von seinem blonden Haar, den blauen Augen und seinen rosafarbenen, frechen und verführerischen Lippen.