Ehe sie die Familie von Kenny Skinner besuchte, holte Mackenzie sich die Erlaubnis von McGrath. Seine Antwort war kurz, klar und auf den Punkt gewesen: Es ist mir egal, ob Sie mit jemandem aus dem Scheiß Kleine Liga Baseball Team sprechen, finden Sie es einfach heraus.
Die Bestätigung drängte sie in die Richtung des Hauses von Pam und Vincent Skinner. So wie McGrath es erklärte hatte, hieß Pam Skinner früher Pam Wilmoth. Eine ältere Schwester des stellvertretenden Direktor Wilmoth, die von zu Hause aus als Angebotsspezialistin für eine Umweltagentur arbeitete.
Vincent Skinner war der Besitzer von Kingsville Reifen und Traktor Zubehör und hatte seinem Sohn Kenny einen Job angeboten, als er fünfzehn war.
Als Mackenzie an die Tür klopfte, kam niemand von den Skinners, um sie zu begrüßen. Stattdessen war es der Pastor der Kingsville Presbyterianischen Kirche. Als Mackenzie ihm ihren Ausweis zeigte und ihm sagte, warum sie hier war, ließ er sie hinein und bat sie im Foyer zu warten. Die Skinner Familie lebte in einem netten Haus in einer Ecke, von der sie annahm, dass man sie als Kingsville Downtown bezeichnete. Sie konnte riechen, dass jemand kochte, der Duft zog über den Flur. Irgendwo im Haus konnte sie ein Handy klingeln hören. Sie hörte auch die gedämpfte Stimme des Pastors, die Pam und Vincent Skinner wissen ließ, dass dort eine Dame vom FBI war, die ihnen ein paar Fragen über Kenny stellen wollte.
Es dauerte ein paar Minuten, ehe Pam Skinner kam, um sie zu treffen. Die Frau war ganz rot im Gesicht vom Weinen und sah aus, als wenn sie die Nacht zuvor nicht geschlafen hätte. „Sind Sie Agentin White?“, fragte sie.
“Das bin ich.”
“Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, mein Bruder hat mir gesagt, dass Sie irgendwann kommen werden.“
„Wenn es zu früh ist, kann ich auch –“
„Nein, nein ich möchte dass gerne hinter mich bringen“, sagte sie.
„Ist Ihr Mann zu Hause?“
„Er soll im Wohnzimmer mit unserem Pastor bleiben. Vincent hat das unglaublich schwer genommen. Er ist letzte Nacht zwei Mal umgekippt und hat diese kleinen Momente, in denen er sich weigert zu glauben, was passiert ist und –“
Wie aus dem nichts entwich Pam ein lautes Schluchzen und sie lehnte sich gegen die Wand. Sie hielt den Atem an und schluckte es herunter, Mackenzie nahm an, dass es Trauer war, die herauskam.“
“Frau Skinner … ich kann auch später wiederkommen.“
„Nein, jetzt Bitte. Ich musste die ganze Nacht für Vincent stark bleiben. Ich kann ein paar weitere Minuten für Sie schaffen. Kommen Sie einfach in die Küche.“
Mackenzie folgte Pam Skinner in den Flur und in Richtung Küche, wo Mackenzie den Geruch wieder erkannte, den sie schon vorhin bemerkt hatte. Anscheinend hatte Pam ein paar Zimtrollen in den Ofen getan, vielleicht in einer Bemühung, ein wenig ihre Sorgen um ihren Mann zu vergessen. Pam überprüfte sie halbherzig, während Mackenzie sich auf einen Stuhl an der Küchentheke setzte.
„Ich habe heute Morgen mit Dr. Haggerty gesprochen“, sagte Mackenzie. „Sie hat sich dafür ausgesprochen, die Miller Moon Brücke abzureißen. Der Name Ihres Sohnes kam dabei auf. Sie sagte, sie findet es schwer zu glauben, dass Kenny sich selbst das Leben genommen hat.“
Pam nickte empathisch. „Sie hat recht. Kenny würde sich niemals selbst töten. Der Gedanke ist total verrückt.“
“Haben Sie irgendwelche starken und glaubhaften Gründe anzunehmen, dass jemand Ihrem Sohn Schaden zufügen wollte?“
Pam schüttelte ihren Kopf, genauso wütend, wie sie ihn vorhin geschüttelt habe. „Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht. Und es hatte einige harte Wahrheiten über Kenny hervorgebracht, das ist sicher. Es gab einige Männer, die vielleicht nicht allzu gut auf ihn zu sprechen waren, weil Kenny dazu neigte, Frauen ihren Freunden auszuspannen. Aber es ist nie irgendwas Ernstes daraus geworden.“
„Und in den letzten Wochen haben Sie nicht gehört, wie Kenny irgendetwas sagte oder auf bestimmte Art reagiert hat, die andeuten könnte, dass er irgendwelche Gedanken darüber hatte, sich selbst zu verletzten?“
“Nein. Nichts dergleichen. Sogar wenn Kenny schlechte Laune hatte, hat er es geschafft, den Raum zu erhellen. Er wurde fast nie wütend über irgendwas. Er war kein perfektes Kind bei Weitem nicht, aber ich glaube nicht, dass es eine einzige Unze Wut oder Hass in ihm gab. Für mich ist es absolut unverständlich, dass er sich selbst hätte töten wollen.“
Ein weiteres Schluchzen kam in ihr hoch zwischen den Worten töten und sich selbst.
„Wissen Sie, ob er irgendwelche Verbindungen zu der Brücke hatte?“, fragte Mackenzie.
„Nicht mehr als die anderen Teenager und jungen Erwachsenen in der Stadt. Ich bin mir sicher, dass er dort getrunken oder geflirtet hat, aber nichts Außergewöhnliches.“
Mackenzie konnte spüren, wie der Damm in Pam Skinner brach. Eine weitere Minute oder zwei und sie würde zusammenbrechen.
„Eine weitere Frage und bitte, ich muss das fragen. Aber wie sicher sind Sie, dass Sie ihren Sohn gut kannten? Glauben Sie, dass er vielleicht heimlich ein zweites Leben geführt hat, dass er vor Ihnen und Ihrem Ehemann versteckt hat?“
Sie dachte einen Moment nach, während Tränen aus ihren Augen traten. Langsam sagte sie, „Ich nehme an, alles ist möglich. Aber wenn Kenny irgendeine Art zweites Leben vor uns versteckt hat, dann hat er das mit der Kunst eines Spions getan. Und obwohl er ein tolles Kind war, war er nicht sehr engagiert bei den Dingen. Und so etwas zu verstecken wäre für ihn …“
„Ich verstehe“, sagte Mackenzie. „Ich werde Sie jetzt alleine lassen. Aber bitte, wenn Ihnen noch irgendwas in den folgenden Tagen einfällt, rufen Sie mich sofort an.“
Damit stand Mackenzie auf und legte ihre Visitenkarte auf die Theke. „Es tut mir so leid für Ihren Verlust, Frau Skinner.“
Mackenzie ging schnell, aber nicht auf unhöfliche Art. Sie konnte das Gewicht des Verlustes der Familie auf sich spüren, bis sie draußen war und die Tür hinter sich schloss. Und selbst dann auf dem Weg zu ihrem Auto konnte sie die Geräusche von Pam Skinner hören, die endlich ihre Trauer herausließ. Es war mehr als bewegend und brach Mackenzies Herz ein wenig.
Sogar als sie auf der Einfahrt war, war ihr das Geräusch von Pam Skinners Schluchzen noch im Kopf, wie eine fallende Brise, die tote Blätter über eine verlassene Straße fegte.