Vielleicht waren es der Stress und der Frust darüber, was mit Ellington los war oder vielleicht hatte es mit dem Gefühl zu tun, dass der Fall ihr zu entgleiten schien, aber als Mackenzie wieder ins Motel kam, wünschte sie sich, dass sie noch ein paar mehr Biere im Road Runner’s getrunken hätte. Wenn schon nichts anderes, hätte ihr das geholfen, einfacher einzuschlafen.
Sie fuhr ihren Laptop hoch und wusste, dass es wenig gab, was sie tun konnte. Sie hatte ein paar Mitarbeiter in DC, die ein wenig Hintergrund Ermittlung betrieben und versuchten, Verbindungen zwischen all den Selbstmordopfern zu finden, und die sich dabei auf Kenny Skinner und Malory Thomas konzentrierten. Sie konnte nicht viel tun, bis zum Morgen, wenn sie sich mit Sheriff Tate und seinem Stellvertreter Andrews traf.
Sie ging nach elf ins Bett, aber sie wusste gleich, dass sie nicht so schnell einschlafen würde. Ihre Gedanken gingen immer wieder zu Ellington und zu dem, was er durchmachte. Noch mehr, sie begann zu verstehen, dass sie damit begann, sich zu sehr auf ihn zu verlassen. Sie war sich nicht sicher, wie es ihr damit ging; es war eine Sache zuzugeben, dass man in jemanden verliebt war, aber es war was ganz anderes, zuzugeben, das von einer bestimmten Person getrennt zu sein, dich noch einsamer fühlen ließ, als jemals zuvor. Und wenn sie ehrlich mit sich selbst war, das war es, worauf es hinauslief– wenn sie nicht schon da war.
Das würde zumindest erklären, warum sie sich so merkwürdig… so anders fühlte …bei beiden Gelegenheiten, als sie nach Kingsville gekommen war. Es war ihr erster Fall ohne ihn an ihrer Seite, seit sie eine Beziehung hatten und um ehrlich zu sein, es fühlte sich anders an. Sie war nicht traurig, nicht unbedingt, aber sie fühlte sich unvollständig.
Das ist erbärmlich, dachte sie, während sie im Bett lag und sich wünschte, sie würde schnell einschlafen. Ich höre mich wie das Ende von Jerry Maguire an und ich beginne, mich selbst ein wenig zu hassen. Vielleicht war ich so wütend über die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung. Nicht weil ich von ihm enttäuscht war, sondern weil ich wütend war, dass so etwas Dummes aus seiner Vergangenheit so schwer beeinflussen kann, was er und ich jetzt haben.
Und das machte ihr am meisten Angst. Das ließ ein kleiner Teil von ihr sich fragen, ob sie die Dinge mit ihm beenden sollte. Er ließ sie sich sicher, geborgen und geliebt fühlen. Aber so abhängig von ihm zu sein ließ sie sich fragen, wie das ihre Beurteilung in der Zukunft aussehen ließ und als Ergebnis ihre Karriere. Während sie sich nie selbst als Feministin bezeichnet hatte, hatte sie sich nie selbst als die Art von Frau gesehen, die jemals einen Mann brauchen würde, um ihr Leben als vollständig zu bezeichnen.
Dennoch war sie hier …
Die Gedanken lasteten schwer wie Steine auf ihrer Brust. Aber dieselben Steine halfen ihr endlich in einen Schlaf zu sinken, auch wenn sie sich die Abwesenheit von Ellington auf der anderen Seite des Bettes nur zu bewusst war.
***
Die Kornfelder waren so ein Grundpfeiler ihrer Träume, dass es sich anfühlte, wie in einen Themenpark zu gehen. Sie wusste, was sie an den Ecken und Hauptgehwegen zu erwarten hatte, aber es waren die Dinge, die innerhalb des Feldes existierten, von denen sie wusste, dass sie sie ruinieren könnten. Als sie zum zweiten Mal begann von diesen Kornfeldern in Nebraska zu träumen, seit sie den Mörder ihres Vaters vor Gericht gebracht hatte, tat sie das mit unwilliger Vertrautheit.
Sie stand inmitten einer dieser Reihen, schaute in Richtung eines Horizonts, der mit Rot und Gold vom Sonnenuntergang gemalt war. Da war Blut auf den Stängeln und schwache Fußabdrücke entlang der Reihen. Sie folgte den Fußschritten, fühlte fast sofort ein drohendes Gefühl an Gefahr. Sie suchte nach ihrer Glock, aber bemerkte, dass diese nicht da war. Tatsächlich war weder das Holster da – noch waren es ihre Hosen.
Sie stand nackt auf dem Kornfeld, eine Tatsache, die Malory Thomas in ihre schläfrigen Gedanken brachte. Der Dreck war warm unter ihren nackten Füßen, erinnerte sie an den Sand am Strand. Sie ging die Reihe entlang, drehte ihren Kopf in das schwache Licht des Sonnenuntergangs das durch die Stängel schien. Sie nahm zwei Schritte, dann drei – und der Boden veränderte sich.
Abgestandener Dreck verwandelte sich in Wälder, die Holzbretter in eine Art Gehweg. Die Kornfelder um sie herum waren dieselben mit dieser einen Ausnahme. Sie lief weiter und die Maisstängel stupsten sie an, als sie vorbeiging. Das Holz war weich vom Alter unter ihren Füßen, und während sie sich umsah, bemerkte sie, dass es jenseits der Holzbretter keinen Dreck gab, nur Maisstängel, die aus den Bohlen zu wachsen schienen. Mackenzie hielt an und zog vorsichtig ein paar Blätter von den Stängeln zur Seite und schaute hindurch.
An der anderen Seite der zwei Reihen von Stängel war freie Sicht. Es gab einen Abhang. Und am Grunde war das trockene Flussbett unter der Miller Moon Bridge.
Sie stand auf der Brücke. Keine Schienen, nur Maisstängel aus einem anderen schrecklichen Moment in ihrem Leben, als wenn alle Erinnerungen, die sie hatte, sich irgendwie zusammenfanden, um sie zu jagen.
Erschrocken schrie sie auf und machte ein paar Schritte zurück. Sie fühlte kurz die Stängel auf der anderen Seite der Brücke an ihrem Rücken, aber es war zu spät. Ihr zurückziehender Fuß trat ins Leere, als sie zurückwich. Sie kämpfte um ihr Gleichgewicht, aber hatte den Kampf mit der Schwerelosigkeit schon verloren.
Sie fiel. Beide ihre Füße baumelten in der Luft, und als sie fiel, wurden die Brücke und die Maisstängel immer schwächer und sie sah die baumelnde Gestalt von Malory Thomas an der Seite der Brücke. Malory schrie um Hilfe, aber alles was Mackenzie tun konnte, war als Antwort zurückzuschreien.
Sie schrie, wartete auf den Einschlag, wartete darauf aufzuschlagen und den letzten Schmerzschlag von den Steinen unten auf dem Grund der Brücke zu spüren.
In ihren Ohren klingelte es, ein rhythmisches Geräusch von weit weg, etwas was ihr bekannt vor kam.
Sie zuckte zusammen und erkannte, dass es das Klingeln ihres Handys war. Sie griff nach ihrem Handy und überprüfte den Anruf und die Zeit gleichzeitig. Es war 4:50 Uhr morgens und der Anruf kam von Sheriff Tate.
„Hier ist Agentin White“, antwortete sie.
„Sind Sie wieder in der Stadt?“, fragte er.
„Ja, im Motel. Was ist los?“
“Wir haben eine weitere Leiche. Glauben Sie, Sie können kommen und sich das anschauen?“
Sie sah die merkwürdige Hybridenbrücke aus ihrem Traum und der Gedanke, von dort herunter zu schauen, erschütterte sie. Sie versuchte sich selbst zu sagen, dass es einfach war, weil sie noch nicht ganz wach war.
„Ja. Sind Sie schon da unten an der Brücke?“
„Naja, nein. Das hier war an keiner Brücke. Kennen Sie den Wasserturm?“
„Ja.“ Sie hatte ihn beide Male auf dem Weg in die Stadt gesehen und sie vereinbarten, dass sie so schnell wie möglich dort sein würde. Sie spritzte sich ein wenig kaltes Wasser in ihr Gesicht und zog sich so schnell an, wie sie konnte. Und auch als sie ihr Auto fünf Minuten später aus der Parklücke des Motels fuhr, konnte sie das Gefühl aus ihrem Traum nicht abschütteln – ein intensives Gefühl des Fallens.