Mackenzie hatte Glück und fiel hinter einen Polizeiwagen auf dem Weg zum Turm.
Mit den Windungen und Drehungen der Landstraßen hätte sie es niemals so einfach gefunden, nahm sie an. Sie folgte dem Streifenwagen auf der Straße, die der sehr ähnlich war, die zur Miller Moon Brücke führte, nur dass anstatt Kiesel, sich diese in eine Schotterpiste verwandelte. Ein paar Meter weiter fuhren sie durch einen Zaun hindurch, dessen Absperrungskette bereits geöffnet worden war.
Sie fuhr durch den Staub, den das Auto vor ihr aufwirbelte, ehe es anhielt. Der Wasserturm ragte aus der Dunkelheit der Vordämmerung hervor, als ob er sie willkommen hieß.
Als sie aus dem Auto stieg, sah sie, dass der Streifenwagen dem sie gefolgt war, von Beamte Roberts gefahren worden war. Er nickte ihr zu, als sie zusammen an zwei weiteren Polizeiautos vorbeigingen.
Die einzigen anderen Polizeibeamten am Tatort waren Sheriff Tate und sein Stellvertreter Andrews. Sie standen bei einem Mann mit einem Polo Shirt und einem Paar zerknitterter Kakis. Der einsame Pickup Truck parkte bei den Streifenwagen und trug ein Instandhaltungsaufkleber des Landkreises an seiner Tür. Mackenzie nahm an, er war ein Gemeinde Angestellter, der wahrscheinlich dafür verantwortlich war, das Tor zu öffnen, durch das sie gefahren waren.
Mackenzie konnte bereits den Umriss des Körpers sehen, der direkt unter dem Wasserturm lag. Der Tatort war weniger formal als der Tatort von Kenny Skinner unter der Brücke, die einzigen Lichter die genutzt wurden, waren die Fernlichter des Instandhaltungswagens und vom Auto des Sheriffs.
„Haben wir schon eine Identität?“, fragte Mackenzie.
„Ihr Name ist Maureen Hanks. Zweiunddreißig. Wir haben es bis jetzt niemanden gesagt, nicht einmal der Familie. Sie hat eine dreijährige Tochter.“
Das zu sagen schien Tate schwerzufallen. Vorsichtig näherte Mackenzie sich der Leiche. Sie war nicht in so einem schlimmen Zustand, wie die Leiche von Kenny. So wie es aussah, war die einzige sichtbare Verletzung das gebrochene Genick. Es gab ein wenig Blut um den Kopf. Mackenzie nahm an, dass es noch ein wenig mehr Blut sein würde, sobald die Leiche bewegt wurde.
„Wie wurde sie entdeckt?“
Sheriff Tate zuckte nur zusammen als Antwort und überließ dem Stellvertreter Andrews die Antwort. „Ihr Ehemann hat sie gegen ein Uhr morgens als vermisst gemeldet“, sagte sie. „Wir haben einen Beamten losgeschickt, um nach ihr zu suchen … ehrlich gesagt, nichts zu Verbindliches. Es gibt Gerüchte über sie und einen anderen Mann, obwohl ich nicht weiß, ob die ihren Mann erreicht haben. Der Beamte ist also in der Stadt herumgefahren und hat an den Stellen gesucht, wo wir schon Teenager erwischt haben die dort parken und rummachen. Er hat ihre Leiche ein wenig nach vier Uhr morgens gefunden … ein bisschen vor über einer Stunde.“
„Und haben Sie eine Ahnung, wer der Liebhaber sein kann?“, fragte Mackenzie.
“Naja, das sind alles Spekulationen”, sagte Andrews, “aber alle Zeichen deuten auf einen Mann namens Bob Tully hin. Er hat eine saubere Weste, ein recht guter Mann, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen. Naja, wenn man mal davon absieht, dass er mit der Frau eines anderen Mannes Sex hat, nehme ich an.“
Mackenzie schaute von Maureen Hanks Leiche weg und begann langsam um den Wasserturm herumzugehen. Sie war sich nicht sicher, wonach sie suchte, abgesehen von einem möglichen Weg zu dem kleinen Laufgang zu kommen, der die Spitze des Turms umgab.
Sie fand den Zugangspunkt an der Rückseite des Turms. Es war eine dünne Leiter, die aus Metallschienen bestand. Es schien fest genug, wenn auch ein bisschen schmal. Der Gedanke schon wieder für eine Aufgabe klettern zu müssen, ließ ihren Magen sich ein wenig zusammenziehen. Sie hörte, wie Tate sich näherte und die Taschenlampe in ihre Richtung scheinen ließ. Der Instandhaltungsmann ging hinter ihm, hielt Abstand, als wenn er wirklich nichts damit zu tun haben wollte.
“Die Leiter, steht die immer hier?”, fragte sie.
“Ja”, sagte der Instandhaltungsmann. “Sie ist an der Seite der Stützen festgemacht, die den Turm halten. Sie endet oben auf der Plattform.“
„Wissen Sie, ob es jemals Probleme mit Menschen gab, die dort hochgestiegen sind, um sich herunterzustürzen?“
„Nein, nicht das ich wüsste“, erwiderte er. „Das Tor, durch das Sie gekommen sind, ist immer versperrt. Aber wenn wir ehrlich sind, gibt es noch eine andere Zufahrt.“ Er deutete nach links, wo die Nacht einen Baumstreifen umhüllte. „Ungefähr fünfzig Meter hinter diesem Wäldchen aus Bäumen und Büschen liegt ein altes Feld. Es war glaube ich einmal ein Heufeld. Dort gibt es eine Reihe von alten Jagdwegen und Abfuhrstraßen, die sich auf Wegen winden, bis Sie zurück zur Hauptstraße kommen. Wenn jemand wirklich zu dem Turm kommen will, dann könnte er auch den Weg durch diese Bäume nehmen.“
Mackenzie ging unter den Turm. Sie konnte die riesige Größe und das Gewicht davon über ihrem Kopf spüren. Als sie nach oben schaute, folgte Tate ihrem Blick mit seiner Taschenlampe. Als das Licht die dicken Stützen erreichte, zeigte Mackenzie darauf.
„Da“, sagte sie. „Das Graffiti. Sehen Sie das?“
Tate ließ das Licht weiter nach unten scheinen und hielt da inne, wo jemand einige Zeichen mit Sprühfarbe hingekritzelt hatte. Sie gingen näher heran und sahen, dass es noch andere Zeichnungen gab. Einige waren mit einem Messer eingeritzt worden, andere mit einem Stift hingekritzelt. Dennis liebt Amy. Ruf 555-2356 an für eine gute Zeit und frage nach Pauls MOM. NIN für immer! ANARCHIE!
Es gab noch mehr, aber es war alles dasselbe – fast schon kopiert von den anderen Graffitis. Geschmacklose Zeichnungen von Genitalien, spontane Bemerkungen über Frauen.
„Haben Sie jemals jemanden wegen den Graffitis festgenommen?“, fragte Mackenzie Tate.
“Ja, tatsächlich”, erwiderte Tate. “Da war dieser zweiundzwanzigjährige Mann, der vor einem Jahr oder so einen der alten Heusilos auf der anderen Seite der Stadt bemalt hat. Er ist auch ein kleiner Zündler. Macht Feuer auf offenen Feldern setzt alte Müllcontainer hinter Läden in Brand, solche Dinge.“
„Naja, der Graffiti ist Beweis, dass mindestens ein paar Menschen durch das Tor an der Straße oder von hinten kommen. Und wenn jemand hier hergekommen ist, um die Frau hier abzuwerfen, dann ist er wahrscheinlich von hinten gekommen.“
„Glauben Sie es war Selbstmord?“, fragte Tate.
„Nein. Nicht basierend auf dem, was ich aus den Einzelheiten erfahren habe, die in den Fällen von Malory Thomas und Kenny Skinner aufgetreten sind.“
„Aber warum der Wasserturm?“, fragte der Instandhaltungsmann.
„Weil der Mörder wahrscheinlich gesehen hat, dass Ihre Männer die Miller Moon Brücke sorgsam überwachen. Er musste woanders hingehen.“
„Aber das wirft eine neue Frage auf“, meinte Tate.
“Das stimmt”, sagte Mackenzie. “Warum braucht er einen hohen Ort? Wenn er diese Menschen töten will, warum macht er das nicht viel einfacher? Warum nimmt er sich die Zeit, sie zur Brücke zu bringen oder sie dazu zu zwingen die Leiter hochzuklettern?“, fragte sie und nickte in Richtung der Leiter, die zu der Plattform führte, die den Wasserturm umgab.
Mit einem leicht mulmigen Gefühl in ihrem Bauch stieg sie die Leiter hoch. Sie schaute hoch und versuchte sich vorzustellen, wie jemand gezwungen wurde, dort hochzuklettern. Was würde es dazu brauchen? Eine Pistole im Nacken? Androhungen von körperlichen Verletzungen?
“Sheriff, haben Sie ein Set in Ihrem Auto, um dieses Ding hier nach Fingerabdrücken zu untersuchen?”
„Haben wir. Eine Sekunde.“
Während Tate zurück zu seinem Auto ging und kurz mit dem Stellvertreter Andrews sprach, ging Mackenzie zurück zu der Leiche von Maureen Hanks. Sie war vollständig angezogen und abgesehen von den Verfärbungen und Schwellungen um ihren offensichtlich gebrochenen Nacken, sah sie keine Anzeichen von irgendeiner Art Kampf. Sie erkannte wieder einmal, dass sie geduldig sein und die Ergebnisse der Autopsie abwarten musste. Noch mehr warten, noch mehr hin und zurück mit DC und versuchen einen Weg zu finden.
Oder ich könnte einfach eine Weile hier bleiben, dachte sie sich. Ich habe einen Mann, mit dem sie geschlafen hat und mit dem ich sprechen muss und dann gibt es den einheimischen Brandstifter, den Tate erwähnt hatte. Es gibt hier viel zu tun – viele Gründe von DC wegzubleiben, während diese Sache mit Ellington sich beruhigt.
Tate und Andrews kamen mit einem Spurensicherungsset zurück, während Roberts und der Instandhaltungsmann in ihren Autos blieben. Mackenzie trat zur Seite und ließ den Beamten seinen Job machen. Sie sah zu, wie Andrews professionell nach Abdrücken suchte. Andrews machte die Arbeit, testete die ersten vier Sprossen der Leiter nach Abdrücken. Als er fünf Minuten später fertig war, zuckte er die Schultern.
“Wir werden diese überprüfen, aber ich habe nicht viel Hoffnung. Wir wissen, dass Maureens Abdrücke darauf sein werden und wahrscheinlich mindestens ein oder zwei der Gemeinde Angestellten.“
„Das ist immerhin etwas“, erwiderte Mackenzie und sah wieder die Leiter hoch. Dann schaute sie auf Tate und fragte: „Kann ich mir Ihre Taschenlampe ausleihen?“
Er gab sie ihr und schaute sofort an der Leiter hoch. Anscheinend wusste er, was sie vorhatte. „Wollen Sie ein zweites Augenpaar?“
„Danke, aber ich denke, das ist okay. Wie hoch ist es?“
„Ich glaube ungefähr neun Meter“, antwortete Andrews.
Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn jemand anderes sie begleitet hätte. Aber der Gedanke daran, dort oben auf der engen Fläche noch mit einer anderen Person zu sein schreckte sie ab.
Mackenzie steckte sich die Lampe in ihre Jackentasche. Es war größer als ihre Maglite, das Ende stand aus ihrer Tasche hervor. Langsam begann sie hochzusteigen. Die ersten Sprossen waren okay, aber als sie sah, wie der Boden langsam aus ihrem Blickfeld verschwand, begann sie zittrig zu werden. Ihre Höhenangst war nicht so stark, aber es war schlimm genug, um sie anhalten zu lassen.
Sie konzentriere sich darauf, nach vorne zu sehen und schaute auf ihre Hände, die sich von einer Sprosse zur nächsten bewegten. Die Beine und Stützen des nahe gelegenen Wasserturms zu spüren, half ihr dabei, sich zu erden, aber sie fühlte sich dennoch hilflos, während sie hochkletterte.
Endlich schaffte sie es auf die Plattform und musste sich an den Metallgriffen die die Plattform umgaben, entlang der Ränder des Sicherheitsgeländers hochziehen. Sie trat so nah wie möglich an den Wassertank und zwang sich, nicht herunterzusehen. Sie ließ das Licht über die Plattform scheinen. Es war dreckig und abgewetzt, aber unversperrt. Sie ging hinter die Pumpe und den Ventilen an der Rückwand entlang und ging einmal um die ganze Plattform herum.
Sie war sich nicht sicher, wonach sie suchte. Vielleicht nach nichts … vielleicht wollte sie einfach nur ein Gefühl dafür bekommen, wie es sein musste, auf dieser engen Plattform zu stehen, wissend, dass derjenige der bei dir war, dir Schaden zufügen will.
Aber noch wichtiger als das, dachte sie, in welcher Art von Zustand muss man sein, um das Bedürfnis zu haben jemanden dort oben hinzubringen, mit der ausdrücklichen Absicht sie hinunter zu schubsen?
Zum Schluss erlaubte sie sich, selbst über das rippenhohe Sicherheitsgeländer zu schauen. Sie sah die Autos, die ihre Fernlichter nach vorne warfen. Die Schatten von Tate und Andrews, die sich in der Dunkelheit ausstreckten. Der Instandhaltungsmann und Beamte Roberts, die wie kleine Aktionsfiguren aussahen, zusammengestapelt von den Autos.
Und da war natürlich Maureen Hanks. Ihr Körper sah schon fast wie ein Teil der Landschaft aus. Wenn nicht die Winkel ihrer Knie und Ellbogen wären, könnte man denken, jemand hätte aus dieser Höhe Müll heruntergeworfen.
Vielleicht ist das ein Motiv des Mörders. Von hier oben sieht alles so klein aus. Klein und unbedeutend.
Es war ein unheimliches Gefühl während man auf diesen dünnen Eisen- und Metallstreifen stand, in vierzig Metern Höhe. Aber gleichzeitig konnte sie nicht das Gefühl unterdrücken, dass sie sich irgendwie erhoben über das fühlte, was sie unten sah. Es war, dachte sie, genau die Art von Gefühl, die der Mörder vielleicht brauchte, um einen Sinn an Selbstbewusstsein zu finden.
Es war diese leichte Radierung eines Profils, das sie mutig genug sein ließ, langsam wieder zurück zur Leiter zu gehen. Aber in dem Moment, als ihr Fuß in die offene Fläche auf der Suche nach der ersten Sprosse trat, dachte sie an ihren Traum, wie die Schwerelosigkeit nur eine glitschige Stufe entfernt war.