Mackenzie erlaubte Sheriff Tate mitzufahren, als sie zur Adresse von Lawrence King fuhren. King war der Zwanzigjährige, den sie als einer der einheimischen Brandstifter erwähnt hatten. Auf dem Weg zu Kings Wohnwagen gab Tate sich große Mühe den Verdächtigen zu beschreiben, ohne zu abwertend zu sein.
„Er ist nicht geistig krank oder so“, erklärte Tate. „Aber er ist einfach … langsam. Ich weiß nicht, wie ich es sonst erklären soll. Man spricht mit ihm und er ist nicht ganz da.“
Mackenzie nickte, weil sie solche Typen schon vorher gesehen hatte. Normalerweise hatten Menschen die zur Zerstörung von kleinen Dingen neigten (anstelle von massiver Zerstörung die einem in den Sinn kam, wenn man an Terroristen dachte), einen leeren Blick in den Augen. Sie sprachen, als wenn sie jedes Wort kalkulierten, vielleicht um sicherzugehen, dass sie nichts preisgaben – und um sicherzugehen, dass sie nicht verletzbar wurden.
Sie kamen um 6:12 Uhr morgens am Trailer Park an, in dem King lebte. Der Ort war ruhig außer einem einzelnen Lastwagen, der aus dem Eingang des Parks auf die Hauptstraße fuhr. Tate fuhr und Mackenzie bemerkte, dass er keine Daten abrief oder nach einer Adresse fragte, er wusste, wo Lawrence King lebte, vielleicht wegen seines Rufs.
Tate parkte das Auto vor dem Wohnwagen, welcher der Inbegriff eines fahrbaren Zuhauses war. Es gab eine leicht schiefe Veranda, welche die erste Hälfte des Wohnwagens bedeckte. Eine Glastür war leicht angelehnt und bedeckte eine Vordertür, die aussah, als wenn sie aus Karton gemacht war. Als sie die wackeligen Verandastufen hochstieg, bemerkte Mackenzie zwei weggeworfene Sprühdosen, die in einer Ecke der Veranda standen. Sie sah auch ein paar leere Sodadosen, der Boden war herausgenommen worden und mit offensichtlichen Brandmarken verziert.
Tate klopfte scharf an die Tür. Der ganze Wohnwagen schien von der Kraft darin zu wackeln.
„Gibt es die Möglichkeit, dass es brenzlig wird?“, fragte Mackenzie.
„Sehr unwahrscheinlich“, erwiderte Tate. “Ich wüsste nicht, dass er in der Lage ist, wirklich jemanden anzugreifen. Aber ehrlich … jetzt, wo ich darüber nachdenke, Leute von hohen Stellen zu schubsen, kann das sein was er machen würde. Sie werden verstehen, was ich meine, wenn Sie mit ihm reden.“
Es gab keine Antwort, also klopfte Tate noch einmal. Sie konnte sehen, dass er verärgert war. Seine Haltung und sein Verhalten – zusätzlich zu der Tatsache, dass er sofort wusste, wo King lebte – ließ Mackenzie sich fragen, ob Tate hier in der Vergangenheit schon öfter gewesen war. Es machte Sinn, wenn King eine Brandstifter Vergangenheit hatte.
Nach weiteren dreißig Sekunden kam Lawrence King an die Tür. Er war ein schlanker Mann mit dünnem schwarzem Haar und sah aus wie Anfang zwanzig. Er war nur in Jogginghosen gekleidet, wahrscheinlich hatte er sie schnell angezogen, als er von dem Klopfen an seiner Tür geweckt wurde. Es war klar, dass er noch nicht ganz wach war, er zwinkerte sie aus engen Augen an, auch wenn die Sonne noch gar nicht ganz am morgendlichen Himmel schien.
„Was?“, fragte King, anscheinend schien er nicht allzu besorgt von der Tatsache, dass dort so früh am Morgen ein Polizist vor seiner Tür stand.
„Lawrence es tut mir leid, dass ich Sie so früh störe, aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.“
„Okay.“
Es war klar, dass sie nicht hereingebeten werden würden. Es war ebenso klar für Mackenzie, dass Lawrence King kein Mann vieler Worte war. Und basierend auf der Art, wie er die Situation handhabte, glaubte sie nicht, dass er irgendetwas aus einer Art Respektlosigkeit machte. Er stand dort noch halb verschlafen und schien die Situation überhaupt nicht merkwürdig zu finden.
„Wo waren Sie letzte Nacht?“, fragte Tate.
„Nach der Arbeit bin ich hier hergekommen und habe ein wenig was gegessen. Danach bin ich bei Mike Tharpes gewesen und habe Poker gespielt.“
„Wie lange waren Sie da?“
King zuckte die Achseln. Er schien sich zu sammeln. Die Fragen schienen auch ein wenig Alarm in seinen Ausdruck zu bringen. „Vielleicht zwei oder drei Stunden. Es war gegen elf oder so, als ich nach Hause gekommen bin.“
„Sind Sie direkt schlafen gegangen, als Sie nach Hause gekommen sind?“
„Nein. Ich war noch eine Weile auf und habe mir Sachen im Internet angesehen.”
Mackenzie schaute die ganze Zeit Kings Gesicht an und versuchte ihn zu lesen. Als er antwortete, dass er irgendwas im Internet angesehen hatte, war sie sicher, dass er ehrlich war. Er sah sie flüchtig an und dann auf die Bretter der Veranda. Er schien peinlich berührt dabei, das zuzugeben, was hieß, dass er wirklich etwas im Internet angesehen hatte. Wahrscheinlich Pornos, wenn sein schuldiger Ausdruck irgendein Hinweis war.
Tate schaute zurück zu ihr, als wenn er sie fragen wollte, ob sie ihn knacken wollte. Sie wartete darauf, dass Kings Blick wieder hochkam und den ihren traf. Als er das tat, fragte sie: „Wie viele Menschen haben gestern Nacht Poker gespielt?“
King nahm sich einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken. Wir haben mit sechs angefangen. Dann hat Jimmy Hudson fünfzig Dollar bei einer Hand verloren und er wurde sauer. Er hat jeden beschimpft und ist dann gegangen. Der Rest von uns hat es ausgesessen.“
“Haben Sie Glück gehabt?”, fragte sie.
„Ja. Nur zehn Dollar. Aber das ist besser als nichts.“
“Wer hat noch mit Ihnen Poker gespielt?”
King gab ihnen ohne zu zögern die Namen. Es war offensichtlich, dass er verstand, dass sie ihn wegen irgendetwas beschuldigten. Er wechselte schnell von schläfrigen ein Wort Antworten hin zu längeren Erklärungen.
„Herr King“, begann Mackenzie, „kennen Sie eine Frau mit dem Namen Maureen Hanks?“
„Ich weiß, wer sie ist, aber ich kenne sie nicht so gut. Sie ist ein wenig älter als ich, glaube ich. Sie hat drei oder vier Jahre vor mir die Schule abgeschlossen.“
„Was ist mit ihrem Ehemann? Kennen Sie ihn?“
„Kannte ich aus der High School. Netter Mann. Warum? Ist etwas passiert?”
“Nein, überhaupt nicht”, erwiderte Tate. “Wir haben nur heute Morgen etwas ermittelt. Danke für Ihre Zeit, Lawrence. Und hören Sie … Ich möchte, dass Sie mir Ihr Wort geben, dass dieses Gespräch unter uns bleibt. Okay?“
King nickte. “Machen Sie es gut, Sheriff.”
Damit ging Tate die Veranda herunter. Mackenzie war überrascht von dem schnellen Abgang, aber das war in Ordnung für sie. Sie hatte keine weiteren Fragen und hatte sich sowieso schon ihre Meinung gebildet.
Wieder im Auto drehte Tate den Schlüssel und fuhr aus der dreckigen Einfahrt. „Gedanken?“, fragte er.
„Ich denke, er ist unschuldig. Ich denke auch, was immer er gestern Nacht gesehen hat, es war ihm peinlich.“
“Das Gleiche denke ich auch”, sagte Tate. „Sein Gesicht ist ein wenig rot geworden, oder? Naja … die Namen der Männer, mit denen er Poker gespielt hat … ich kenne alle. Sie sind alle ganz in Ordnung, nehm ich an. Ich werde das überprüfen und sichergehen, dass Lawrence wirklich da war, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er die Wahrheit sagt. Sie müssen daran denken, ich habe ihn mindestens drei Mal über kleine Brandstiftungen und Beschmieren von öffentlichem Eigentum befragt. Er ist ein verdammter Lügner. Und was ich heute Morgen gesehen habe … er hat nicht gelogen.
Mackenzie nickte. Sie war sich sicher, dass Lawrence King nicht ihr Mann war. Und selbst wenn sie falsch lag, würden sie das innerhalb von einer Stunde wissen, sobald Tate die anderen Poker Spieler überprüft hatte.
Es war schwer, dies als eine Sackgasse zu sehen, da es überhaupt keinen wirklich klaren Weg in Sichtweite gab. Mackenzie spürte, wenn sie irgendwelche Art von wertvollen Informationen erhalten würde, würde es von Bob Tully kommen, der Mann mit dem Maureen geschlafen hatte.
Obwohl sie bei der Entwicklung des Kingsville Polizei-Plans keine Rolle gespielt hatte, dachte sie, dass sie einen guten Job machten. Während ihres Besuchs bei Lawrence King, waren zwei Beamten auf dem Weg zur Hanks Wohnung, um den Ehemann zu informieren, dass Maureens Leiche gefunden worden war. Aus Gründen der Anständigkeit und der Gefahr, Maureens Charakter noch weiter zu verleumden, hatten sie beschlossen, ein paar Stunden zu warten, bevor sie Bob Tully anriefen. Natürlich wollte sie mit ihm sprechen, ehe sich die Nachrichten wie ein Lauffeuer durch die Stadt verbreiteten.
Sie hörte sich die sporadischen Gespräche zwischen Tate und seinen Männern im CB-Radio und durch das Handy an, während sie vom Wohnwagenpark zur Polizeistation fuhren. Sie konnte das Kleinstadtfeeling ihrer Abteilung in diesen Gesprächen fühlen, besonders von der Frau am Abfertigungstisch.
Als sie über das CB-Radio sprach, konnte Mackenzie den Schmerz in ihrer Stimme hören, der davon kam die Gefühle zurückzuhalten, wenn es um die Tatsache ging, dass eine Frau, die sie mit Vornamen kannte, tot war – und das sie wahrscheinlich ermordet worden war.
Und während sie zuhörte, erinnerte Mackenzie sich an den Moment, an dem sie auf der Plattform des Wasserturms gestanden hatte. Sie versuchte sich wieder in das Gefühl zu versetzen, über allem zu stehen, an einem der höchsten Punkte in Kingsville zu sein und das Gefühl zu haben, alles unter sich zu zerquetschen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, eins das sie fast nie hatte. Aber gleichzeitig fühlte sie, als wenn etwas da wäre … vielleicht etwas, was sie vermisste.
Das Gefühl ließ sie nicht los und nagte immer noch in ihren Hintergedanken, als Tate auf den Parkplatz der Kingsville Polizeistation fuhr. Und obwohl die Sonne endlich ihren Platz am Himmel gefunden hatte, konnte sie dennoch nicht anders, als die Dunkelheit von der Dämmerung unter sich zu sehen, die darauf wartete darauf, sie im freien Fall herunterzuziehen.