Sie begann an der Miller Moon Brücke. Während sie über die Kieselstraße fuhr, kam sie an einem Streifenwagen am Rand des Ortes vorbei, wo die Straße nicht länger asphaltiert war. Sie fuhr langsam genug, um dem Polizisten ihren Ausweis und ihr Abzeichen zu zeigen und fuhr dann weiter die Straße herunter. Als sie zur alten Eisenbrücke kam, ließ sie den Motor laufen, die Scheinwerfer schienen auf die Brücke.
Sie nahm ihre kleine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und stieg aus. Sie kam leicht auf die Brücke, obwohl sie alt war, war die Brücke fest und stabil und resolut unter ihren Füßen.
Als sie die Hälfte überquert hatte, ließ sie die Taschenlampe vor sich scheinen. Das barrikadierte Ende saß dort wie eine Masse Dunkelheit in der Nacht. Sie stellte sich näher an das Sicherheitsgeländer und sie schaute von der Stelle, an der sie sich sicher war, dass Malory Thomas hier vor einer Woche gehangen hatte.
Mackenzie ließ das Licht auf das Wasser scheinen und fühlte den ersten echten Schmerz der Angst. Sie versuchte sich zu erinnern, wann sie ihre Höhenangst entdeckt hatte. Es war nie wirklich schlimm gewesen, auch nicht, nachdem sie als Kind vom Baum gefallen war. Es gab kein Trauma in ihrer Vergangenheit, keinen schlimmen Unfall; sie hatte sich einfach immer unwohl an hohen Stellen gefühlt.
Weil sie das Wasser nicht sehen konnte, fühlte Mackenzie jetzt die Angst. Ohne das Wasser in Sicht konnte der Boden Hunderte von Metern weit weg sein. Nach allem, was sie wusste, könnte es dort unten eine endlose Schlucht geben.
Die Tatsache, dass sie tatsächlich schon gesehen hatte, was da unten war, half ein wenig – aber der Fakt, dass nur ein schmerzvoller Tod auf den Steinen durch das getrocknete Flussbett wartete, brachte die Angst sofort zurück.
Hätte der Mörder diese Brücke gewählt, wenn Wasser darunter gewesen wäre?
Die Frage war interessant. Sie fragte sich einen Moment, ob vielleicht die Höhe dieser Orte den Mörder nicht auf angstvolle Weise berührte. Vielleicht war er jemand, der den Nervenkitzel brauchte, die Art von Mann, der es liebte, an hohen Orten zu sein. Aber wenn das stimmte, warum eine Quelle des Genusses mit dem Genuss des Tötens beschmutzen?
Vielleicht ist das alles Teil des Rausches, dachte sie.
Sie blieb dort eine Weile stehen, bis die Angst sich in nichts weiter als Unbehagen auflöste. Sie ging zurück zu ihrem Auto und verließ die Miller Moon Brücke, winkte dem Beamten am Ende der Straße zu, als sie an ihm vorbeifuhr.
Sie fragte sich, ob auch Autos an der staatlich erhaltenen Straße standen, die zum Wasserturm führte. Es kam zu einem Katz- und Mausspiel. Wenn es Polizisten gab, die die Straße patrouillierten, die zur Brücke führte, warum nicht auch den Wasserturm? Der Mörder würde wahrscheinlich annehmen, dass das der Fall war, oder? Also machte es keinen Sinn ein Auto an der Straße zum Wasserturm zu positionieren. Es wäre reine Glückssache, da der Wasserturm durch den Wald zugänglich war.
Dennoch sah Mackenzie, als sie sich der Hinterstraße näherte, die zum Wasserturm führte, wirklich ein Polizeiauto. Sie grüßte höflich, wie an der Brücke, fuhr an das Auto heran, und zeigte ihren Ausweis.
Der Polizist im Auto kurbelte sein Fenster hinunter und bat Mackenzie dasselbe zu tun.
„Es war ruhig“, sagte er. „Nur ein Truck ist hier durchgefahren und das waren zwei Teenager, die einfach herumgefahren sind. Wahrscheinlich haben sie einen Platz zum Herummachen gesucht.“
„Gibt es irgendwelche Autos auf dem Trampelpfad, der zum Zugang in die Wälder führt?“
„Nein. Ich bin zwischen beiden hin und hergefahren.“
“Okay. Rufen Sie die Station an und sagen Sie ihnen, dass ich von hier reingefahren bin.”
„Mache ich. Alles Okay?“
“Ja”, sagte Mackenzie. “Ich mache nur eine Routine Überprüfung.”
Der Polizist nickte, winkte danke und kurbelte das Fenster wieder hoch. Mackenzie fuhr weiter, fuhr auf dem Trampelpfad, der zu dem Feld führte, auf dem Maureen Hanks und Bob Tully häufig ihre Verabredungen ausgeführt hatten. Sie parkte ihr Auto am Rande des Felds, holte wieder ihre Taschenlampe hervor und ging in die Wälder.
Sie ging so leise, wie sie konnte, dachte, dass sie den Mörder nicht auf sich aufmerksam machen wollte, falls er sich entschlossen hatte, den Tatort durch den Weg durch den Wald erneut zu besuchen. Sie lief durch die Bäume und kam an der Lichtung an. Der Wasserturm stand vor ihr und in der Dunkelheit schien er größer, als sie in Erinnerung hatte.
Sie kam zur Leiter an der Rückseite des Turms und schaute hoch. Mit einem schweren Seufzen steckte sie die Taschenlampe ein, mit dem Schein nach oben blickend und begann die Leiter hochzuklettern. Sie stieg hoch, während um sie herum alles ruhig war. Die Geräusche der Nacht begleiteten sie, Baumfrösche und Schwarzkehl-Nachtschwalbe sangen. Während diese Geräusche normalerweise willkommen waren und sie sogar erfreuten, schienen sie unheildrohend, während sie zur Plattform hochstieg.
Es war die letzte Sprosse, die Panik in ihr aufsteigen ließ – ein Moment, wo sie die Ränder des Stützgeländers greifen musste und den letzten Schritt auf die Plattform machen musste, wo ihr Fuß für einen einzelnen Moment in der freien Luft baumelte.
Als sie endlich auf der Plattform stand, mit beiden Beinen sicher auf dem Boden, beruhigte sich ihr Herz ein wenig, aber dann schien es sich daran zu erinnern, dass sie immer noch ziemlich hoch oben war. Wie hoch hatte der Stellvertreter Andrews ihr gesagt?
Über vierzig Meter...
Sie nahm einen tiefen Atemzug. Es war schwerer dass zu handhaben, ohne das jemand bei ihr war. In der anderen Nacht waren Andrews und Tate da gewesen. Ehe der Gedanke an Ellington sie überwältigen konnte, begann Mackenzie zu gehen. Sie ging nach vorne zum Wasserturm, wo Maureen Hanks hinuntergefallen war.
Ihre Beine waren überraschend sicher, als sie um die Vorderseite lief. Sie hielt sich mit einer Hand an der glatten Oberfläche des Turms fest und mit der anderen am Geländer zu ihre rechten. Gerade als sie langsam über das Geländer schaute, zog eine plötzliche Bewegung vor ihr ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust und aus irgendeinem merkwürdigen Grund, dachte sie, die Bewegung wäre der Wasserturm – sie fürchtete irgendwie, dass sie fiel.
Aber dann hatte sie eine Faust im Gesicht und sie erkannte, die Bewegung als einen Angriff.
Aber warum zum Teufel ist er hier oben? Fragte sie sich, als sie von dem Schlag nach links schwankte.
Sie fühlte den Angreifer auf sich, er versuchte, sie auf den Boden des Turms zu drücken. Ehe er sie fest greifen konnte, glitt Mackenzie nach unten und rutschte hinter ihm, teilweise trat sie ihn dabei. Als sie nach vorne schwankte, warf sie ihre Schulter in seinen Rücken. Er krachte in den Turm und ein hohles dumpfes Geräusch erklang in der Nacht, als sie ihr Gewicht und ihre Statur gegen seinen Rücken drückte.
Mackenzie suchte nach ihren Handschellen und diesen Moment nutzte der Angreifer, um sie mit einer sehr primitiven Bewegung zu überraschen. Er hob seinen linken Fuß, und gerade als Mackenzie sich vorbeugte, um einem schlecht gezielten Tritt auszuweichen, brachte er ihn stattdessen hart auf ihren linken Fuß.
Überrascht (und fürchtend, dass mindestens zwei ihrer Fußzehen gebrochen waren) ließ Mackenzie ihr Gewicht frei vom Angreifer kommen. Er nutzte den Moment, um sich zu drehen und streifte sie mit seinem Ellbogen in der Brust.
Sie stolperte zurück, und als ihr zierlicher Rücken das Sicherheitsgeländer streifte, schien ihr Herz schon fast aus ihrer Brust zu springen. Sie nutzte das Sicherheitsgeländer, um sich abzustützen und lieferte einen Tritt, der direkt auf der Hüfte des Mannes landete.
„Wer bist du?“, rief er, als er zurückschwankte.
Die Frage an sich und wie er fragte, machte Mackenzie sich bewusst, dass dies der Mörder war. Nicht nur griff er sie ohne Grund an, sondern auch die Art, wie er seine Frage stellte, ließ sie spüren, als wenn sie etwas sehr privates unterbrochen hatte. Vielleicht war er zurückgekommen, um den Tatort zu besuchen – um seine Angst zu testen oder wahrscheinlicher, um sich den Tod von Maureen Hanks noch einmal in Erinnerung zu rufen.
Sie machte sich nicht die Mühe ihm zu antworten. Sie zweifelte stark daran, dass er aufhören würde sie anzugreifen, wenn er hörte, dass sie vom FBI war. Er kam schon wieder auf sie zu, während sie noch versuchte von seiner letzten Attacke wieder zu Atem zu kommen. Er lieferte einen Schlag, den sie leicht abwehrte, aber dennoch kämpfte sie gegen das Geländer mit nichts weiter als offener Fläche und vierzig Meter bis zum Boden dahinter.
Er sah es und kam nach vorne mit seinen Händen in ihre Richtung geöffnet. Es war das erste Mal, dass sie sein Gesicht klar sehen konnte und sie gab sich Mühe, das in ihrer Erinnerung zu speichern. Er trug ein Kapuzenshirt, die Kapuze bedeckte fast die ganze obere Hälfte seines Gesichts, seine Augen waren fast ganz bedeckt.
Sie reagierte impulsiv und schlug eine harte rechte Hand in seine Richtung. Es landete direkt in seiner Kehle. Er begann sofort zu würgen, aber seine ausgebreiteten Arme trafen sie dennoch. Mackenzie fühlte, wie ihr Rücken sich bog, ihre Beine verloren den Kampf mit seiner Kraft. Als er endlich zurückwich, hatte sie Angst, dass es zu spät war. Sie fiel nach hinten und begann über den Rand des Geländers zu schwanken, als ihre Füße hochkamen.
Sie schlang schnell ihren linken Arm um das Geländer in der Beuge ihres Ellenbogens. Das stoppte ihren Schwung, als die obere Hälfte ihres Körpers unsicher über das Geländer im offenen Raum baumelte.
Mit ihrer rechten Hand griff sie nach ihrer Seitenwaffe. Der Angreifer, der sich immer noch den Hals hielt, als er sich gegen den Turm lehnte, sah es. Er ließ einen verwirrten Fluch durch sein Würgen hören und lief zurück zur Leiter.
Mackenzie schaffte es endlich sich selbst wieder hinzustellen, ihre Füße standen endlich wieder sicher auf der Plattform. Sie zog ihre Waffe und versuchte hinterher zulaufen, aber ihre Beine waren wackelig und ihr Herz fühlte sich an, als wenn es explodieren würde. Adrenalin durchfuhr sie, ließ sie leicht schwindelig werden, als sie versuchte ihm nachzugehen.
„FBI“, schrie sie, als sie die Leiter reichte. Als sie herunterschaute, sah sie, dass der Verdächtige bereits fast unten war.
Sie dachte daran zu schießen, vielleicht in den Arm, aber es war so dunkel und das letzte was sie wollte, war dem Mann das Gehirn wegzupusten. Sie ließ das Licht irgendwo nach unten scheinen und konnte ihn nicht sehen.
Mit der Glock immer noch in ihrer Hand begann sie die Leiter hinunterzusteigen. Sie war immer noch ein wenig erschrocken davon, fast vom Wasserturm geschubst worden zu sein, sodass sie sich wirklich auf jede Stufe konzentrieren musste. Ihr war für einen Moment schwindelig, das machte den Akt des Herunterkletterns gefährlich. Sie zog sich in Richtung Leiter, spannte sich an und zwang ihre Nerven und den Schmerz dazu endlich Ruhe zu geben.
Sie begann wieder abzusteigen, dieses Mal von der reinen Entschlossenheit getrieben, als alles andere. Als ihre Füße den Boden berührten, verübelte sie die Art, wie sie sich die letzten zwanzig Sekunden verhalten hatte. Ihr Gesicht schmerzte von dem Schlag und sie war sich sicher, dass sie morgen eine Prellung direkt über ihren Brüsten von dem Ellbogenschlag haben würde. Noch mehr sie fühlte sich wie ein verängstigtes kleines Mädchen, das gerade aus dem Darkroom gekommen war.
Sie lief langsam mit der Glock vor sich haltend über das Feld. Sie hörte genau hin, ob der Verdächtige einen Zweig oder Ast zerbrach, irgendwas, was sein Versteck verriet. Das Schlimme war, dass sie keine Ahnung hatte, wo er hingeflohen war. Sie war so besorgt gewesen, von der Leiter zu fallen, dass sie ihn verloren hatte.
Sie hielt inne, sie hielt sogar ihren Atem an. Sie schloss ihre Augen und lauschte so intensiv, wie sie konnte.
Etwas bewegte sich rechts von ihr weit entfernt in der entgegengesetzten Richtung, wo sie ihr Auto geparkt hatte. Sie drehte ihren Kopf in die Richtung und sah nichts außer die raue Baumgrenze. Dennoch rannte sie so leise sie konnte, in die Richtung. Sie hielt an, als sie den Rand des Waldes erreicht hatte, wieder konzentrierte sie sich aufs Hören.
Dieses Mal hörte sie nichts.
Und mit jeder Sekunde, die vorbeiging, wusste sie, dass der Mörder mehr und mehr Vorsprung gewann. Damit wusste sie, was sie zu tun hatte. Und das fraß ihr Inneres wie Säure.
Sie würde Tate anrufen müssen, um Hilfe zu bekommen. Sie hatte den Mörder wahrscheinlich direkt vor sich gehabt, an die Seite des Wasserturms gequetscht und nun war er geflohen.
Sie schluckte den bittersten Kloß herunter, den sie je geschmeckt hatte und zog ihr Handy heraus, um anzurufen.