Mackenzie kam um 10:08 abends in Kingsville an. Sie fühlte sich einsamer, als die anderen Male, als sie in diese Stadt gefahren war. Vielleicht war es der pechschwarze Himmel, der Mond, der nur ein Fingernagelbreiter Steifen am Himmel war, Wolken, die die Sterne bedeckten. Oder vielleicht war es, weil sie ein großes Risiko hierbei einging. Sogar wenn ihre Vermutung korrekt war und sie den Mörder stoppen könnte, wäre McGrath trotzdem sauer. Und wenn sie falsch lag – naja dann könnten Sie und Ellington die restlichen Monate ihrer Verlobung zusammen mit ihren Suspendierungen verbringen.
Sie konnte sich nicht erinnern, wo Tate gesagt hatte, dass die Getreidesilos lagen, wenn er sie überhaupt erwähnt hatte. Sie musste das Ausschlussverfahren nutzen, eine riskante Wahl, wenn man bedachte, dass der Großteil von Kingville aus Wald und Hinterstraßen bestand. Dennoch gab sie sich Mühe. Sie wusste, dass es der westliche Teil der Stadt war, wo die Kornfelder fast das ganze Land einnahmen. Sie wusste auch, dass die Kornfelder nicht in der Nähe des Stadtzentrums lagen.
Sie nutzte die Karte auf ihrem GPS, um herauszufinden, ob die Felder entweder auf der östlichen Seite oder im Süden der Stadt lagen. Laut der Karte war alles andere mit Wald bedeckt, mit keiner offenen Fläche für sichtbares Land.
Sie fuhr die Hinterstraßen entlang und nahm an, dass die Kornfelder im Süden liegen würden, wo die Stadt Kingsville zu einem abrupten Ende kam und nichts weiter übrig ließen, als offene Fläche und Wald, bis die angrenzende Stadt übernahm. Hier schien die Karte am meisten offene Fläche zu zeigen, perfekt für Kornfelder.
Sie fuhr die Nebenstraßen in hoher Geschwindigkeit entlang, die Reifen quietschten unter ihr. Sie dachte darüber nach, Tate anzurufen und ihm zu sagen, dass er ihr besser zuhören sollte, weil sie sowieso schon in der Stadt war. Sie entschied sich dagegen, sie wollte nicht zu widerspenstig Ihrem Vorgesetzten gegenüber sein, ehe sie nicht wusste, ob sie recht hatte.
Fünf Minuten später fiel das Vordach des Walds links weg und gab ein Kornfeld frei. Es war in schlechtem Zustand und schlecht gepflegt, aber das machte nichts. Oben sah sie eine Abbiegung, die direkt entlang des Feldrandes zu führen schien. Sie fuhr auf die Straße - Baxterstraße und erhöhte die Geschwindigkeit. Während sie fuhr, erschienen zwei Objekte in der Dunkelheit weiter hinten auf dem Feld – schon fast auf die gleiche Art, wie auf Jimmys Zeichnungen.
Schon von der Form in der Dunkelheit konnte sie sehen, dass sie alt waren – schon wirkliche Relikte.
Sie wusste, dass die neueren Silos normalerweise breiter und kleiner waren als diese, oftmals aus einer Art glänzendem Material gemacht. Aber diese stammten noch aus einer anderen Zeit, wahrscheinlich aus den Fünfzigern oder so.
Sie waren hoch und relativ dünn und endeten in einer stumpfen Kuppelform. Wenn sie wie die älteren Silos waren, die sie aus Nebraska kannte, dann wären sie aus einer merkwürdigen Art Aluminium und Beton gebaut. Auch wenn es unmöglich war, ihre Hohe zu schätzen, nahm sie an, dass sie fast genauso hoch wie der Wasserturm waren. Vielleicht sogar ein wenig größer.
Sie fuhr weiter und suchte nach einer Zugangsstraße. Es dauerte nicht lange, bis sie den Streifen eines Trampelpfads erkannte, der aus dem Nichts zu kommen schien. Sie bog in die Straße ein, ein wenig zu schnell, sodass das Untere ihres Wagens Dreck aufwirbelte. Sie fuhr ein wenig langsamer die Straße herunter. Sie folgte einfach ihrem Instinkt, machte die Scheinwerfer aus und fuhr weiter. Ihre Augen brauchte eine Weile, um sich an die absolute Dunkelheit vor ihr zu gewöhnen, aber sie schaffte es trotzdem weiterzufahren.
Ca. einen halben Kilometer die Straße weiter hinunter, kam sie zu einem geparkten Auto. Es gab zwei alte Pfähle auf jeder Seite des Trampelpfads und eine Kette hing zwischen beiden. Ein altes Schild baumelte von der Kette auf dem kaum noch lesbar Kein Betreten stand, es war voll mit Einschusslöchern.
Sie parkte ihr Auto hinter dem anderen und wünschte sie könnte die Zulassungsstelle anrufen, um zu sehen, wem es gehörte. Aber ehrlich gesagt, war die Tatsache, dass hier überhaupt ein geparktes Auto stand, genug Grund für Mackenzie auszusteigen und instinktiv ihre Glock zu ziehen.
Die Nacht war so still um sie herum, dass sie leicht das abkühlende Ticken ihres Automotors hören konnte. Sie stieg über die Kette in der Mitte des Trampelpfads und begann zu gehen, in eine Dunkelheit, die sie nur zu eifrig umfasste.
***
Jimmy schlug Dr. Haggerty das erste Mal, als sie das zweite Getreidesilo erreichten. Er war direkt am Ersten vorbeigegangen und gleich auf das Zweite zu. Er hatte ihr befohlen stehen zu bleiben und dann unprovoziert und anscheinend aus dem Nichts heraus, zog er die Hand mit der Waffe zurück und schlug sie damit auf den Hinterkopf.
Die Welt verschwamm für einen Moment, als sie auf den Boden fiel. Der Schmerz war nicht so schlimm wie der Schwindel und die plötzliche Übelkeit in ihrem Magen. Als sie versuchte aufzustehen, war sie sich wage bewusst, dass Jimmy wieder in Richtung der Dichte des Korns ging. Er kniete sich hin, um etwas aufzunehmen und sie schaute zu, als er eine versteckte Leiter aus dem Getreide zog. Während er sie aufstellte, schaute er zu ihr herüber, um sicherzugehen, dass sie immer noch außer Gefecht war.
Und das war sie. Sogar in der starken Dunkelheit in der Nacht konnte sie noch kleine schwarze Sterne in ihrem Blick sehen. Der Hinterkopf tat ihr ebenfalls furchtbar weh.
Ehe sie sich versah, fühlte sie Jimmys Hand auf ihrem Arm. Er hielt sie fest und zog sie wieder auf die Beine. Er schubste sie, sodass sie beinahe wieder hinfiel. Wimmernd vor Schmerz am Hinterkopf, schaute sie nach vorne und sah, dass sie in ihrem Schmerz und ihrem Schwindel übersehen hatte, dass er eine Leiter gegen das Silo gelehnt hatte. Es waren alte Eisenhandgriffe in der Mitte, die Sprossen bildeten, aber ein paar von ihnen sahen aus, als wenn sie mit der Zeit lose geworden waren.
„Hoch“, sagte Jimmy und presste ihr die Waffe an ihren Rücken.
Für einen Moment dachte sie daran, sich zu weigern. Da Schlimmste was er tun könnte, wäre sie zu erschießen und sie nahm an, dass sie sowieso sterben würde. Aber das war eine pessimistische Haltung, so zu denken. Sie vermutete, es gab immer noch die kleinste Chance, dass die Polizei kommen könnte oder das Jimmy vielleicht sogar seine Einstellung änderte, wenn sie oben waren.
Mit dem letzten Rest Hoffnung in ihrem Herz ging Dr. Haggerty in Richtung Leiter. Mit einem letzten Anstupser von der Waffe in ihrem Rücken, setzte sie einen Fuß auf die erste Sprosse und stieg hoch.
***
Mackenzie erreichte das Ende des dünnen Trampelpfads im Getreidefeld. Sofort sah sie, das leicht nieder getrampelte Getreide vor sich, das zeigte, dass hier erst kürzlich jemand hindurchgegangen war. Sie folgte dem unterbrochenen Pfad dennoch nicht; sie ging daneben und versuchte so viele Hinweise aus dem Pfad zu ziehen, wie sie konnte. Es sah hauptsächlich wie ein einzelner Pfad aus, aber an ein paar Stellen, sah sie, dass er ein wenig breiter wurde. Sie nahm ihre Taschenlampe heraus und ließ sie nach unten scheinen und versteckte sich selbst in dem überwuchernden Getreidefeld.
Sie sah den Durchgang von zwei Menschen – einer vorne und einer hinten. Und gerade als sie das herausgefunden hatte, hörte sie etwas in der Entfernung vor sich. Ein knarrendes Geräusch, wie Metall auf Metall aber gedämpft.
Und dann hörte sie ein Ächzen.
Sie schaute in Richtung des Getreidesilos, jetzt nur noch 90 Meter von ihr entfernt. Sie lief schnell und versuchte sich so versteckt wie möglich zu halten. Wenn sie die Silos erreichen konnte, ohne gesehen zu werden, dann wäre sie in guter Position. Sie lief halb gebückt, sodass das meiste ihres Körpers versteckt war, aber ihr durchlaufen durch das Getreide, wäre für jeden sichtbar der dort hinschaute.
Sie hörte wieder das Geräusch, quietschendes Metall auf Metall. Sie spähte nach vorne in die Dunkelheit und konnte nichts Außergewöhnliches sehen. Jetzt war sie näher an den Silos und sie bekam eine bessere Vorstellung von ihrer Form und Größe. Sie hatten beide dieselbe Größe und sahen leicht größer als der Wasserturm aus. Die Dunkelheit und die Entfernung machten es schwer, aber sie wäre überrascht, wenn sie mehr als 30 Meter hoch wären.
Als sie näherkam und die Seiten der Silos sah, sah sie eine dünne Struktur, die von der Seite eines der Silos zu kommen schien. Es ging schräg nach unten und schien in seiner Mitte eine Reihe von Sprossen zu haben.
Eine Leiter, dachte Mackenzie. Sie erinnerte sich daran, dass Tate gesagt hatte, es wäre beinahe unmöglich die Spitze der Silos zu erreichen, also nahm sie an, wäre eine Leiter die Lösung. Natürlich waren die Silos zu hoch für die Leiter, um bis zur Spitze zu reichen.
Sie war noch nie ein Mensch gewesen, der sich mit Spekulationen zufriedengab, also rannte Mackenzie ein wenig schneller und holte schnell auf. Nach ein paar weiteren Sekunden oder so war das Feld zu Ende. Es wurde von einem Bereich überwucherndem Gras abgelöst, das hauptsächlich aus Unkraut bestand. Sie hatte ihre Taschenlampe dabei, aber sah keinen Sinn darin, sich jetzt schon zu erkennen zu geben. Sie ignorierte den ersten Silo, an dem sie vorbeikam und ging direkt zum Zweiten, an dem die Leiter gelehnt war.
Sie schaute hoch und sah zwei Menschen auf der Seite des Silos. Es war unmöglich klar zu sehen, was in der Dunkelheit passierte, aber es sah aus, als wenn die Leiter sie zu den Eisensprossen entlang der Seite des Silos geführt hatte. Mackenzie sah dieselben Sprossen direkt vor sich, aber sie sah auch, das diese kaputt waren oder lose von einem Ende hingen.
Er war hier, um das hier zu überprüfen, eher er heute Nacht hier herkommt, dachte sie.
Schnell nahm sie ihr Handy heraus. Sie suchte Tates Nummer und schickte ihm eine Nachricht. Sie nahm an, er würde einen hereinkommenden Text eher lesen, anstatt sich gezwungen sehen mit ihr am Handy zu sprechen.
Zweiter Silo. Zwei Menschen sind oben, gehe jetzt hoch. Schicken Sie Hilfe.
Und damit machte Mackenzie sich bereit und stieg die Leiter hoch.