Ein Datum für die Hochzeit zu finden war einfach. Keiner von ihnen wollte eine große Hochzeit, noch wollten sie, dass ihre Familien dabei waren. Sie wollten aber auch nicht einfach zur Gemeinde gehen und eine Lizenz bekommen. Am Ende hatten sie sich auf eine einfache Zeremonie in einem öffentlichen Park in der Nähe des nationalen Arboretums geeinigt. Und obwohl die Zeremonie noch zwei Monate weit weg lag, gab es in dieser Zeit viel zu erledigen.
Zuerst einmal wurden, zwei Wochen nachdem Mackenzie aus Kingsville zurück war, alle Anschuldigungen gegen Ellington fallen gelassen. Es hatte sich herausgestellt, dass in dem Zeitraum in dem Beweise gegen ihn gesammelt werden sollten, ein paar skandalöse Gerüchte über die Anklagende an die Oberfläche gekommen waren. Die Anschuldigung wurde fallen gelassen, es wurde kein Fall daraus gemacht und Ellington wurde ziemlich schnell wieder auf der Arbeit eingesetzt.
In den Monaten bis zur Hochzeit litt Mackenzie unter Albträumen, obwohl sie sich nicht länger um ihren Vater drehten oder irgendwas was mit Kornfeldern zu tun hatten. Stattdessen fand sie sich nackt von der Miller Moon Brücke hängend und in einen endlosen Abgrund fallend. Das schlimmste an den Albträumen war, dass sie immer losließ und sich selbst in die Dunkelheit beförderte. Und wenn sie das tat, gab es immer eine große Erleichterung dabei.
Sie wachte immer mit dem fast klischeehaften Gefühl des Fallens auf. Sie ging deswegen zum büroeigenen Psychiater und es war zu vertraut für sie und brachte die Momente zurück, in denen sie versucht hatte, ein besseres Verständnis für Höhenangst zu bekommen, während sie einem Mörder in Kingsville nachging. Es hatte größtenteils geholfen, aber Mackenzie spürte, dass sie den Rest ihres Lebens mit einer gewissen Angst vor Höhe würde leben müssen.
Auf der Arbeit hatte McGrath sie nur ein wenig niedergemacht für ihre Aktion am Ende des Kingsville Falls. Anstatt sie zu suspendieren, hatte er eine andere Art Bestrafung gewählt. Er hatte sie und Ellington getrennt und sie neuen Partnern für die absehbare Zukunft zugeteilt. Es war schon fast logisch, als er ihre neue Zuteilung bekannt gab: Sie würde mit Yardley arbeiten, während Ellington Harrison zugeteilt wurde.
Auch wenn es sie schmerzte, auf der Arbeit mit jemand anderem außer Ellington zusammenzuarbeiten, sah sie es als einen weiteren Schritt in ihrer Zukunft voranzukommen – eine Karriere, ein Leben aufzubauen, wo sie erfolgreich ihre Vergangenheit hinter sich lassen konnte.
Außerdem … sogar mit einem neuen Partner, waren sie und Ellington immer in ihrer Wohnung vereint. Da war ein Ring an ihrem Finger, sie musste Blumen und ein Lied für den ersten Tanz auswählen – was sich zu einem Streit zwischen ihnen entwickelte. Sie wollte etwas von Liz Phair und er wollte einen neu aufgelegten Rolling Stones Song.
Es wurde schnell zu einem Scherz zwischen ihnen … wenn sie den Musik Geschmack des anderen besseren gekannt hätten, dann hätten sie sich besser nie verlobt. Und es waren solche Witze, an denen Mackenzie erkannte, was passierte. Sie würde diesen Mann heiraten und sie würden zusammen in eine unbekannte Zukunft gehen.
Sie dachte wieder an die Erleichterung in diesen Albträumen, wenn sie sich von der Miller Moon Brücke fallen ließ und einfach fiel.
Anscheinend fühlte es sich wirklich manchmal gut an, loszulassen.
***
Drei Wochen vor der Hochzeit stand Mackenzie im Badezimmer eines Condos, dass sie gemietet hatten. Sie konnte die Wellen am Strand entlang der Küste brechen hören. Sie hatten eine Wohnung in Sandy Point, Maryland gemietet, eine ihrer seltenen Wochenenden, an denen sie beide nicht arbeiten mussten.
Sie stand vor der Toilette und schaute auf den Schwangerschaftstest auf dem Waschbecken. Sie hatte keine Ahnung, was sie als Ergebnis wollte. Alles, was sie wusste, war, dass sie Angst hatte.
Sie wartete, die zwei Minuten nach dem Test zogen sich ihn. Sie konnte nur ahnen, was Ellington draußen fühlte, wo er auf der Bettkante saß und wartete.
Als das Ergebnis erschien, ging sie langsam zum Waschbecken. Sie sammelte sich einen Moment, ehe sie ihn nahm und aus dem Badezimmer ging. Ellington stand wie ein Springteufel auf und seine Augen gingen direkt zu dem Test.
Sie übergab es ihm und beobachtete seine Augen. Sie konnte sie nicht lesen. Trotz ihrer Zeit zusammen, war sie immer noch überrascht, dass er seine Emotionen so gut bei sich behalten konnte. Berufsrisiko sagte er immer.
“Negativ”, sagte er.
“Ja, negativ”, erwiderte sie.
Er gab ihr den Test zurück, als wenn er keine Ahnung hatte, was er hielt. „Wie geht es dir damit?“, fragte er.
„Gut“, sagte sie. “Aber ich denke, es wäre auch gut gewesen, wenn er positiv gewesen wäre.”
„Ja?“
Sie nickte. „Ich will jetzt kein Kind, aber … naja irgendwann.“
Ellington setzte sich wieder aufs Bett und zog sie zu sich. „Ich glaube, ich auch. Es ist nur schwer das zu begreifen, mit all dem, was wir täglich sehen.”
„Vielleicht sollten wir mit einem Hund anfangen“, sagte sie. „Aber nichts Kleines oder frou-frou.“
„Das ist doch mal ein Wort“, sagte Ellington.
Er zog sie aufs Bett und sie verbrachten die nächste Stunde dort.
Als sie fertig waren, döste Mackenzie. Und während ihres Schläfchens träumte sie.
Sie stand wieder vor dem Haus ihrer Kindheit. Sie wusste, dass sie in dem Traum ein kleines Mädchen war. Sie wusste das, weil ihr Vater da war und nicht tot und auch nicht in einer dieser grotesken Posen wie sonst in ihren vorherigen Träumen. Stattdessen stand er auf der Veranda, und sah zu, wie sie in den Garten ging. Sie trug die kleine Luftpistole, die er für sie bei einem Hinterhofverkauf gekauft hatte. Im Garten waren eine Reihe von Dosen, die er für sie aufgestellt hatte.
Es war ihr erster Schießstand. Im Traum lud sie die Luftpistole und war stolz darauf.
“Sei vorsichtig”, sagte ihr Vater. „Schieß dir nicht ins Auge. Oder ins Fenster. Deine Mutter bringt mich um. Man .. sie würde mich schon umbringen, weil ich das für dich gekauft habe.”
„Wie soll ich sicher sein, dass ich da hinschieße, wo ich hinschießen will?“, fragte Mackenzie.
„Das Visier“, sagte er. Er kam von der Veranda und stellte sich hinter sie. Er half ihr die Waffe korrekt zu halten und zielte dann auf das Ende des Fasses. „Du stellst die Dosen mit diesem kleinen Tab hier am Ende des Fasses auf. Und wenn alles aufgereiht ist, schießt du.“
Sie tat wie angewiesen, und als sie den Auslöser zog, verging eine halbe Sekunde und dann rollte eine leere Bohnendose auf den Boden.
„Guter Schuss“, sagte er und legte einen Arm um sie.
Sie wurde rot und sonnte sich in den Lobesworten ihres Vaters. Sie stellte ihren nächsten Schuss ein und schoss eine weitere Dose. Und dann noch eine und noch eine.
„Sieht so aus, als wenn ich mir keine Sorgen um dich mehr machen müsste, wenn du älter bist“, sagte er. „Du kannst dich selbst verteidigen!“
Mackenzie White wachte mit dem Kommentar von ihrem Vater auf, der ihr im Kopf herumging. Sie schaute Ellington an und war froh, dass er ebenfalls eingeschlafen war. Es war nicht, weil sie es peinlich fand, dass sie mitten am Tag eingeschlafen war, sondern die Unschuldigkeit in ihrem Traum. Sie weinte und sie konnte sich nicht recht erklären, warum.
Sie stand auf und ging zu dem Balkonfenster und stellte sich vor die Schiebetür. Sie schaute auf den Strand und sah die Menschen dort auf und abgehen. Ein Mädchen ließ einen Drachen steigen. Eine Familie spielte ein Sackloch Spiel.
Draußen fand das Leben statt, Menschen, die sie nicht kannte, die Träume hatten, die sie sich nicht vorstellen konnte.
Aber sie schaute über all das hinweg und auf die unendliche Weite des Ozeans. Der Horizont war unscharf, von dort, wo sie stand und etwas daran beruhigte sie. Sogar etwas so solides wie der Horizont konnte unscharf sein. Und egal wie nah man daran kam, es kam immer mit, immer in demselben Abstand.
Es gab Dinge, die trotz aller Umstände immer konstant blieben.
Und mit einem Ring an ihrem Finger, einem Mann, der ihr Herz hielt und den Dämonen ihrer Vergangenheit endlich beseitig und hinter sich liegend, war sie bereit für ein wenig Beständigkeit.