7. KAPITEL

Fröstelnd und wie gelähmt vor Schreck und Enttäuschung stand Tina am Fuß der Treppe. Nun wusste sie, wie Mag sich damals gefühlt haben musste.

Immer wieder hörte sie im Geist Richards Stimme, als er ihr versicherte, seine Gefühle und Absichten seien alles andere als unverbindlich. Und sie war so dumm gewesen, ihm zu glauben!

Oder plante er etwa, die Affäre mit ihr nach seiner Hochzeit fortzuführen? „Ohne mich“, dachte sie empört.

Als sie sich wieder gesammelt hatte, war ihr erster Impuls, so schnell wie möglich aus seinem Haus zu verschwinden und ihn nie wiederzusehen. Doch um ein Taxi zu rufen, musste sie zuerst einmal ein Telefon finden. Bis auf den Apparat im Arbeitszimmer hatte sie hier noch keins entdeckt. Vielleicht sind sie alle versteckt, dachte sie. Wie der Fernsehapparat.

Wenn sie ihr Handy zurückhaben wollte, musste sie Richard ohnehin noch einmal gegenübertreten.

Mit zitternden Knien durchquerte sie die Eingangshalle. Als sie am Wohnzimmer vorbeiging, drang laut seine Stimme durch die angelehnte Tür. Zögernd blieb sie stehen. Es klang, als führe er wieder einmal eines seiner rätselhaften Telefonate.

„Die Zeit läuft mir davon“, sagte Richard gerade eindringlich. „Ich kann nicht länger warten.“

Dass es sich nicht um ein Telefonat, sondern um ein persönliches Gespräch handelte, wurde Tina klar, als eine Frauenstimme erwiderte: „Aber ist es nicht längst zu spät? Wie willst du das anstellen?“

„Es ist bereits alles arrangiert“, lautete seine Antwort.

Wie versteinert stand Tina da und lauschte.

„Es muss doch eine andere Lösung geben“, beharrte die Frau. „Du hast Geld genug. Könntest du nicht …“

„Das hatte ich vor, aber ich fürchte, mit Geld ist da nichts zu machen. Ich darf kein Risiko eingehen.“

„Aber, Richard …“ Das klang flehend.

„Vergiss es, Helen. Ich muss es tun.“

Helen! Es war Helen O’Connell, seine zukünftige Frau, mit der er sprach.

„Es ist ein Unding, was du da vorhast“, warf sie ihm jetzt vor. „Was glaubst du, was passiert, wenn …?“

„Damit befasse ich mich, wenn es so weit ist“, unterbrach er sie schroff.

„Ich fürchte, du machst einen großen Fehler“, erklärte die Frau. Dann sagte sie, mit einem letzten Rest Hoffnung in der Stimme: „Du könntest die Sache doch vor Gericht austragen.“

„Das würde Jahre dauern, und es ist nicht gesagt, dass ich gewinne.“

„Aber hast du denn gar keine moralischen Skrupel?“, rief Helen empört.

„Du meinst, aus zweifachem Unrecht wird kein Recht?“, entgegnete er bitter. „Ja, ich weiß. Doch in diesem Fall heiligt der Zweck die Mittel. Ich kann es mir nicht leisten, den edlen Ritter zu spielen. Dafür habe ich zu viel zu verlieren.“

Sein harter, unnachgiebiger Ton machte Tina Angst. Von dieser Seite hatte sie ihn noch nicht kennengelernt. Vielleicht braucht ein Großunternehmer wie er eine gewisse Härte, um sich im Geschäftsleben durchzusetzen, sagte sie sich.

Seine zukünftige Ehefrau allerdings schien kein Verständnis für ihn zu haben. „Ich sage dir, du machst einen Fehler!“, rief sie verzweifelt. „Es muss doch eine andere Lösung geben. Es sei denn …“, fügte sie giftig hinzu, „du willst es nicht anders.“

Die Türklinke des Wohnzimmers klapperte, als jemand von innen danach griff. In panischer Angst, beim Lauschen ertappt zu werden, flüchtete Tina in die nahegelegene Bibliothek – kurz bevor die Wohnzimmertür aufgerissen wurde.

Vom Fenster aus sah sie einen leuchtend roten Sportwagen mit offenem Verdeck im Hof stehen. Die polierte Motorhaube glänzte in der Sonne.

Sekunden später flog die Haustür auf. Eine große, schlanke, dunkelhaarige Frau stürmte heraus, gefolgt von Richard. Helen O’Connell schien die Diskussion sehr mitgenommen zu haben. Tränen liefen ihr über das Gesicht.

Er redete auf sie ein und ergriff ihren Arm, doch sie riss sich los. Als er es erneut versuchte, fuhr sie wütend zu ihm herum und verpasste ihm eine Ohrfeige.

Dann hastete sie in den Sportwagen, ließ den Motor aufheulen und raste in halsbrecherischem Tempo über den gepflasterten Hof und durch das Tor.

Richard, eine Hand an seiner Wange, sah ihr nach.

Als er sich wieder dem Eingang zuwandte, wich Tina vom Fenster zurück, damit er sie nicht sah.

Sie war schon auf dem Weg zur Tür, blieb dann aber abrupt stehen. Wenn sie ihm jetzt in der Halle in die Arme lief, wüsste er sofort, dass sie alles mit angehört hatte.

Andererseits war es gut möglich, dass er geradewegs in die Bibliothek zurückkam. Auf dem Schreibtisch lag ein achtlos hingeworfener Stapel Akten, bei deren Bearbeitung Helen ihn offenbar unterbrochen hatte. Sie saß in der Falle.

Nach einigen bangen Minuten, in denen Tina angestrengt auf seine Schritte lauschte, atmete sie erleichtert auf. Er kehrte offenbar nicht direkt an seinen Schreibtisch zurück.

Wenn sie jetzt von seinem Apparat aus ein Taxi bestellte – zur Einfahrt, nicht direkt vor die Haustür –, hatte sie vielleicht noch eine Chance, unbemerkt zu verschwinden. Zwar müsste sie ihr Handy zurücklassen, aber das erschien ihr momentan als das kleinere Übel.

Gerade als sie nach dem Telefon griff, ging die Tür auf. Tina schrak zusammen.

Keine Sekunde später betrat Richard den Raum, lässig-elegant gekleidet in brauner Leinenhose und einem olivgrünen, am Kragen offenen Hemd.

„Ach, hier bist du.“ Seine Miene entspannte sich. „Ich habe mich schon gefragt, wo du steckst, als ich dich oben nicht fand. Was macht dein Knöchel? Sieht aus, als sei die Schwellung zurückgegangen.“

Scheinbar gelassen schlenderte er auf sie zu und hob ihr Kinn, um sie zu küssen. Leidenschaftlich zu küssen.

Für den Bruchteil einer Sekunde stand Tina stocksteif da, dann drehte sie ruckartig den Kopf weg.

Seine dunklen Brauen zogen sich zusammen. „Was ist los?“

Schweigend schüttelte sie den Kopf.

„Sag mir, was los ist!“, wiederholte er scharf.

„Ich … ich will mir ein Taxi bestellen und kann mein Handy nicht finden.“

„Ein Taxi?“ Die grünen Augen glitzerten gefährlich. „Wozu?“

„Ich denke, es ist Zeit für mich zu gehen“, sagte sie mühsam beherrscht. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt gern …“

„Und ob ich etwas dagegen habe! Glaubst du, ich lasse dich nach allem, was zwischen uns geschehen ist, ohne jede Erklärung gehen?“

„Ich bin dir keine Erklärung schuldig“, erwiderte sie trotzig. „Es genügt, dass ich gehen möchte. Könnte ich jetzt bitte mein Handy wiederhaben?“

„Dein Handy? Ich schätze, das ist noch in meiner Jackentasche …“

„Nein, da ist es nicht.“

Seine Augenbrauen fuhren in die Höhe. „Du hast meine Taschen durchwühlt?“

„Ja, tut mir leid. Ich dachte …“ Schamröte schoss ihr ins Gesicht.

„Hast du wenigstens etwas Interessantes gefunden?“, fragte er spöttisch.

„Ja, eine funktionierende Taschenlampe“, trumpfte sie auf.

„Ach, tatsächlich? Muss wohl einen Wackelkontakt gehabt haben“, meinte er nur.

Mit zusammengebissenen Zähnen ging sie darüber hinweg. „Bitte, gib mir mein Handy zurück.“

„Nun, wenn es nicht in meiner Jacke ist …“ Er hob bedauernd die Arme.

„Ich glaube, dass du weißt, wo es ist.“

„Und ich glaube, dass du das Schloss nicht ohne Grund verlassen willst.“

„Was immer du glaubst, du kannst mich nicht gegen meinen Willen hier festhalten!“

„Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher.“

Verzweifelt drängte sie sich an ihm vorbei. Dabei riss sie versehentlich den Aktenstapel vom Schreibtisch, und die Papiere flatterten zu Boden. Während sie darüber hinweg stieg, registrierte sie flüchtig das Firmenlogo, das auf einigen von ihnen prangte, dachte jedoch nicht weiter darüber nach.

Als sie die Tür erreichte, packte Richard sie am Arm, schloss die Tür ab und steckte den Schlüssel in die Hosentasche. Dann bückte er sich, um die Papiere aufzusammeln.

„Du kannst mich nicht zwingen, hier zu bleiben!“, rief Tina aufgebracht.

„Vielleicht nicht für immer, aber zunächst schon.“

„Lass mich sofort gehen!“

„Und wie willst du ohne Auto hier wegkommen?“, erwiderte er ungerührt. „Sag die Wahrheit. Was ist der Grund für deinen überstürzten Aufbruch?“

Sie presste die Lippen zusammen.

„Ich schätze, es hängt mit Helens Besuch zusammen“, vermutete er und stieß einen ungeduldigen Laut aus, als er auch darauf keine Antwort erhielt.

„Zu dumm, dass du keine Daumenschrauben zur Hand hast“, versetzte Tina.

Seine grünen Augen wurden schmal wie die einer Raubkatze. „Es gibt andere Möglichkeiten.“

„Und die wären?“, fragte sie tapfer, obwohl ihr ein Schauer über den Rücken lief.

Er lächelte kühl. „Deiner Reaktion nach zu schließen, wäre es dir lieber, ich würde dich nicht anfassen, oder?“

Trotzig reckte sie ihm das Kinn entgegen. „Allerdings.“

„Gestern Nacht schienst du anderer Ansicht zu sein.“

„Heute nicht mehr.“

Ein listiges kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel, während er bedächtig sein Hemd aufzuknöpfen begann.

„Was tust du da?“, fragte Tina entsetzt.

„Ich ziehe mich aus. Willst du dich auch ausziehen, oder soll ich es für dich tun? Sich in voller Bekleidung zu lieben ist doch etwas für Teenager …“

„Wir werden uns nicht lieben“, stieß sie mit halb erstickter Stimme hervor. „Ich will nicht, dass du mich anfasst!“

„Das sagtest du bereits. Dann verrate mir endlich, weshalb du Hals über Kopf von hier verschwinden willst.“ Als sie beharrlich schwieg, zog er sie blitzschnell an sich und brachte sie mit einer geschickten Bewegung zu Fall.

Von seinen starken Armen sanft aufgefangen, landete sie rücklings auf dem weichen Teppichboden. Als sie wild zappelte, ergriff Richard ihre Handgelenke und hielt sie fest.

Seine nackte Brust vor sich zu sehen, seine Wärme zu spüren und den vertrauten Duft einzuatmen machte sie schwindelig.

„Lass mich los!“, sagte sie so ruhig wie möglich.

Statt zu antworten, berührte er sanft mit den Lippen die heftig pulsierende Stelle an ihrem Hals.

Heiser vor Anspannung wiederholte sie: „Lass mich los, oder ich schreie!“

„Es wird dich niemand hören. Sie sind alle in der Kapelle.“

Mit einer Hand hielt er weiter ihre schmalen Handgelenke fest, mit der anderen knöpfte er ihre Bluse auf und fuhr mit den Fingerspitzen sanft am Rand des tief ausgeschnittenen BHs entlang. Tinas Atem ging schneller. Seine Finger glitten tiefer, und zufrieden beobachtete er, wie sich die Knospen ihrer Brüste unter dem seidigen Material aufrichteten.

Noch gab sie nicht nach, und er senkte den Kopf.

Als sie den warmen Druck seines Mundes durch den spitzenbesetzten Satin spürte, erbebte sie. „Nicht“, flüsterte sie flehentlich. „Bitte, nicht …“

„Warum nicht? Gestern Nacht gefiel es dir.“

„Das war, bevor ich …“

„Bevor du?“

Sie gab sich geschlagen. „Bevor ich wusste, dass du heiraten wirst.“

„Oh, ich verstehe. Wie hast du davon erfahren?“

„Hannah erwähnte es. Willst du es etwa abstreiten?“

„Ich denke gar nicht daran.“

„Aha …“ Bis zuletzt hatte sie sich verzweifelt an die Hoffnung geklammert, das Ganze wäre nur ein Missverständnis.

„Da du so gut über meine bevorstehende Hochzeit informiert bist, weißt du auch, wer die Braut ist?“, fragte er ironisch.

„Natürlich, Helen O’Connell.“

Überrascht sah er sie an. „Wie kommst du darauf? Nur weil sie hier war?“

„Es ging aus Hannahs Worten hervor“, erwiderte sie verwirrt und wiederholte, was Hannah gesagt hatte. „Sie schien sich darüber zu freuen“, schloss sie mit einem bitteren Unterton.

„Ganz im Gegensatz zu dir, wie mir scheint.“

„Werde doch glücklich mit deiner Helen“, sagte sie zornig.

„Höre ich da Eifersucht heraus?“

„Nein.“

„Und warum klingst du dann so verärgert?“, wollte er wissen.

Allmählich platzte ihr der Kragen. „Weil du ein brutaler, unsensibler Kerl bist! Wie konntest du mich hierher bringen? Was wird deine Verlobte dazu sagen? Ich will hier weg, und zwar so sofort. Ich will dich nie wieder sehen!“

Bedauernd schüttelte er den Kopf. „Ich fürchte, da sind wir unterschiedlicher Auffassung. Ich habe nämlich nicht die Absicht, dich gehen zu lassen, ganz im Gegenteil. Ich möchte dich ganz nah bei mir behalten.“

Diese Absicht besiegelte er mit einem Kuss.

Allein Richards haarsträubende Arroganz verlieh Tina die Kraft, sich gegen die verlockenden Zärtlichkeiten zur Wehr zu setzen. Sie begann wild um sich zu schlagen und zu strampeln, doch er war stärker.

„Lieg still, bevor du dir noch wehtust!“, befahl er.

Als sie erschöpft aufgab, sagte er sanft: „So ist es besser.“

„Bitte, Richard, lass mich los“, bat sie, den Tränen nahe.

Er spürte ihre Verzweiflung und kam ihrer Bitte sofort nach. Fürsorglich half er ihr beim Aufstehen, knöpfte ihr die Bluse zu und führte sie zum nächsten Sessel. Nachdem er auch seine eigene Kleidung in Ordnung gebracht hatte, sah er sie nachdenklich an.

Jede Spur von Ironie war aus seiner Stimme gewichen, als er sagte: „Bitte, hör mir jetzt gut zu. Es stimmt, dass ich vorhabe zu heiraten. Aber die Frau, die ich heiraten will, ist nicht Helen O’Connell.“

„Nein?“, fragte sie kläglich.

„Hannah mag das eine Zeit gehofft haben, aber als sie dir sagte, Reverend Peters Wunsch werde in Erfüllung gehen, bezog sich das nicht auf Helen.“

Niedergeschlagen sah Tina auf ihre im Schoß gefalteten Hände.

Ruhig und sachlich fuhr Richard fort: „Ich habe Hannah in meine Pläne eingeweiht, weil sie praktisch zur Familie gehört. Allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass sie es ausplaudern würde, bevor ich Gelegenheit hatte, mit meiner Auserwählten darüber zu sprechen.“

Als Tina den Blick gesenkt hielt, ohne etwas zu erwidern, fragte er: „Willst du nicht wissen, wer sie ist?“

Sie schüttelte den Kopf. Es spielte keine Rolle, wen er heiraten wollte. Allein die Tatsache, dass er sein Leben mit einer anderen teilen wollte, zerstörte all ihre Zukunftsträume.

„Nun?“ Sanft hob er ihr Kinn und sah ihr ins Gesicht. „Ich sagte, ich hätte einen Job für dich, als ich dich mit hierher nahm. Du hast ihn ausgeschlagen, weil es dir unangenehm ist, für einen Mann zu arbeiten, mit dem du geschlafen hast. Damit hast du ein seltenes Feingefühl bewiesen. Viele Frauen hätten eine kleine Affäre mit ihrem Arbeitgeber als zusätzlichen Anreiz empfunden.“

Er räusperte sich. „Ich biete dir einen neuen Job an. Einen, bei dem Sex und gegenseitige Anziehungskraft eine tragende Rolle spielen …“

Als sie ihn aus großen Augen verblüfft ansah, erklärte er: „Ich möchte, dass du meine Frau wirst.“

„Was?“, flüsterte sie. Sie glaubte, sich verhört zu haben.

„Ich möchte dich heiraten, Valentina. Ich weiß, es kommt überraschend, aber deshalb brauchst du nicht gleich so ein entsetztes Gesicht zu machen! Ich sagte doch, dass ich ernste Absichten hege.“

„Ja, aber ich … ich hätte nie damit gerechnet, dass du …“ Die Angst, es könnte sich um einen grausamen Scherz handeln, schnürte ihr die Kehle zu. „Du willst mich wirklich heiraten?“, fragte sie mit dünner Stimme.

„Ja“, versicherte er leicht amüsiert. „Wie oft soll ich es denn noch sagen?“

„Sei mir nicht böse, aber ich glaube das einfach nicht.“

„Ich hoffe, du bist nicht abgeneigt?“ Zärtlich strich er mit dem Finger über ihre Wange. „Was hast du dir eigentlich beim Anblick des Abendsterns gewünscht?“, fragte er unvermittelt.

Als er sah, wie sie errötete, lächelte er und sagte: „Und ich habe mir dich gewünscht.“ Er küsste sie zart, aber verführerisch. „Wenn du mich heiratest, geht mein Wunsch in Erfüllung.“

Tina glaubte, auf einer rosaroten Wolke zu schweben. Richard liebte sie und wollte sie heiraten! Allein zu wissen, dass er ihre Gefühle erwiderte, machte sie überglücklich. Dass er sie zur Frau haben wollte, war mehr, als sie je zu hoffen gewagt hatte.

Ihr verklärter Gesichtsausdruck sagte ihm, dass er sein Ziel erreicht hatte, doch damit gab er sich nicht zufrieden. Er musste es aus ihrem eigenen Mund hören.

Als sie weiterhin nur dasaß und verträumt vor sich hinsah, fasste er sie bei den Schultern, zog sie zu sich hoch und fragte: „Wie lautet deine Antwort? Willst du mich heiraten?“

Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ja“, sagte sie nur.

Und plötzlich kam er sich wie ein Schuft vor.

Nur nicht schwach werden, ermahnte er sich und versuchte, sein Herz gegen ihre rührende Aufrichtigkeit abzuschotten.

Die kaum merkliche Veränderung in seinem Blick veranlasste Tina, vorsichtig zu fragen: „Oder sollen wir noch einmal in Ruhe darüber nachdenken?“

„Brauchst du Bedenkzeit?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich nicht, aber du vielleicht. Was weißt du schon über mich?“

„Ich weiß alles, was ich wissen muss.“

Obwohl er sehr überzeugt klang, räumte das ihre Zweifel nicht aus. „Auf der Fahrt hierher hast du mir erzählt, dass du einmal mit deiner Frau und deinen Kindern auf dem Schloss leben willst. Wenn ich Kinder nun nicht mag? Wenn ich keine haben will?“

„Willst du denn keine?“

„Doch, natürlich. Kinder gehören für mich dazu, aber …“

Er brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. „Dann weiß ich alles, was ich wissen muss. Vom ersten Moment an wusste ich, dass du die Frau meiner Träume bist.“

So liebevoll und romantisch seine Worte auch klangen, ganz überzeugt war Tina immer noch nicht. „Es geht alles so schnell.“

Lächelnd legte er einen Finger an ihre Lippen. „Hast du noch nie von Liebe auf den ersten Blick gehört?“

„Schon, aber …“

„Ich hatte gehofft, dieses Gefühl beruhe auf Gegenseitigkeit.“

„So ist es auch“, gab sie leise zu.

Nun unterdrückte er seine Gefühle nicht mehr, sondern nahm sie in die Arme und küsste sie lange und zärtlich auf den Mund.

Eng umschlungen standen sie da, ein Liebespaar, in seine eigene Welt versunken.

Erst der Gedanke, wie viel noch zu erledigen war, welche Hürde er noch zu überwinden hatte, brachte Richard zur Besinnung. Widerstrebend löste er sich aus Tinas Armen.

„Es ist herrlich draußen“, meinte er. „Wollen wir nach dem Frühstück ausreiten?“

„Gern“, erwiderte sie, strahlend vor Glück.

Diesmal verließen sie das Schloss durch eine schwere Eichentür im hinteren Teil des Anwesens, in dem die Angestellten wohnten.

„Der Lieferanteneingang“, erklärte er augenzwinkernd.

Sie traten auf einen großen Vorplatz, an den sich eine wuchtige alte Holzbrücke anschloss. Über dem Wasser des Burggrabens lag ein zarter Dunstschleier, als sie Hand in Hand auf die andere Seite gingen.

Es war ein schöner milder Herbstmorgen. Der herbe Duft von frisch geschnittenem Pinienholz, Wildkräutern, verwelktem Laub und Holzfeuer erfüllte die Luft.

Jenseits der Brücke gabelte sich der gepflasterte Kutschweg, rechts führte er zu den Gärten und Gewächshäusern, links über sanft abfallende Wiesen hinunter zu den altmodischen, solide gemauerten Stallungen.

Unten im Hof vor den Ställen striegelte ein kleiner drahtiger Mann in Flanellhemd und Reithosen einen stattlichen schwarzen Hengst, dessen Fell nur so glänzte.

„Guten Morgen, Josh“, meinte Richard. „Ich möchte Ihnen Ms. Dunbar vorstellen.“

„Guten Morgen, Miss … Morgen, Mr. Richard.“ Der Pferdepfleger begrüßte sie mit einer rührend altmodischen Geste der Ehrerbietung.

Richard deutete auf eine kastanienbraune Stute mit sanften Augen, die die Neuankömmlinge aufmerksam aus der Stalltür beobachtete. „Das ist Juno.“

„Hallo, du!“ Tina streichelte den Kopf des Pferdes und wurde mit einem sanften Stupsen der weichen Nüstern belohnt.

„Und dies, wie könnte es anders sein, ist Jupiter.“ Richard klopfte dem gutmütig wirkenden schwarzen Hengst den Hals.

„Wenn Sie ihn reiten wollen, habe ich ihn in fünf Minuten aufgezäumt“, bot Josh an. „Juno braucht erst ein neues Eisen. Tom Ferris erledigt das später.“

Richard, der Tinas Enttäuschung spürte, versicherte ihr: „Jupiter trägt uns beide, wenn du möchtest.“

Als der Hengst gesattelt war, verschwand Josh und kehrte gleich darauf mit zwei Reitkappen zurück. „Ihre, Mr. Richard, und die von Lady Anderson für Ms. Dunbar.“

Tina bestieg den zweistufigen Bock und saß im Handumdrehen auf dem breiten Pferderücken. Richard schwang sich hinter ihr in den Sattel, nahm die Zügel in die rechte Hand und legte den linken Arm fest um Tinas Taille.

So trabten sie eine Weile lang gemächlich durch die idyllische, leicht hügelige Parklandschaft, die das Schloss umgab.

Schließlich gab Richard dem ungestümen Drängen des Hengstes nach und ließ die Zügel locker. Jupiter, der das Gewicht der beiden Reiter kaum zu spüren schien, fiel in einen leichten Galopp.

Tina lachte vor Vergnügen laut auf. Ihre spontane Freude wirkte so ansteckend auf Richard, dass er sie fester in den Arm nahm.

Als sie an einen Bach kamen, lenkte er das Pferd zum Ufer. An einer schönen grasbewachsenen Stelle im Schatten eines Baumes sprang er ab, half Tina von Jupiters Rücken und schlang die Zügel um einen niedrig hängenden Ast.

Während der Hengst friedlich zu grasen begann, nahmen sie ihre Reitkappen ab und setzten sich auf einen am Boden liegenden Baumstamm.

In Richards Arm geschmiegt, beobachtete Tina, wie das glitzernde Wasser sich sprudelnd und gurgelnd seinen Weg durch das steinige Bachbett bahnte. Endlich wusste sie, was es hieß, wirklich glücklich zu sein.

Nachdem sie eine Weile einträchtig schweigend nebeneinander gesessen hatten, bemerkte Richard: „Ich möchte, dass wir so schnell wie möglich heiraten.“

„Ich weiß, das klingt ungeduldig“, fügte er rau hinzu, als sie ihn erstaunt ansah, „aber ich kann es einfach nicht erwarten, dich zu meiner Frau zu machen.“

Ihr Herz schlug schneller vor Rührung und Glück.

„Wenn du eine große Feier mit vielen Gästen und allem Drumherum möchtest, können wir das jederzeit nachholen.“

Zärtlich rieb sie ihre Wange an seiner Schulter. „Kein Bedarf“, sagte sie lächelnd und hörte ihn erleichtert aufatmen.

„Wie wäre es dann mit morgen?“

In dem Glauben, es handle sich um einen Scherz, erwiderte sie lachend: „Klar, warum nicht? Aber ich glaube kaum, dass es sich so schnell einrichten lässt.“

„Wir haben eine Kapelle und einen Geistlichen. Wir müssen nur Reverend Peter Bescheid sagen und zwei Trauzeugen auftreiben.“

„Aber …“ Verwirrt registrierte sie, dass er es vollkommen ernst meinte. „Brauchen wir denn keine amtliche Genehmigung?“

„Die habe ich bereits besorgt.“

Ernüchtert sagte sie: „Dann musst du jemand anderen im Sinn gehabt haben.“

„Du bist die einzige Frau, die ich je heiraten wollte.“ Goldene Fünkchen tanzten in seinen grünen Augen, als er Tina liebevoll ansah. „Wie gesagt – ich wusste vom ersten Moment an, dass du die Richtige für mich bist.“

Sie schüttelte abwehrend den Kopf. „Ich weiß, ein Mann in deiner Position hat Beziehungen. Aber selbst du kannst in so kurzer Zeit keine Heiratslizenz auftreiben. Du hast mich Freitag zum ersten Mal gesehen …“

„In diesem Punkt irrst du dich“, erwiderte er ruhig.