Kapitel Zwei

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Laute Musik beschallte die stilvolle Bar. Bisher war ich nur zwei Mal hier gewesen, stets in Begleitung von Tyler. Den Gefallen hatte ich ihm jedoch nur widerstrebend getan. Heute saß ich partnerlos, aber freiwillig an der Theke der angesagten Schwulenlocation. Von einer inneren Unruhe erfasst, lauschte ich der Stimme der Sängerin aus den Lautsprechern, die zu allem Überfluss von ihrer verflossenen Liebe sang. Gedankenverloren nippte ich an meinem Singapore Sling und spielte mit dem Stückchen Ananas, das als Dekoration am Glasrand diente.

Inzwischen war es der zweite Cocktail. Zu meinem Bedauern hatte der Alkohol meine Kühnheit eher sinken lassen, anstatt das Gegenteil zu bewirken. Um meine miese Laune noch anzufeuern, entdeckte ich im Wandspiegel ein knutschendes Paar. Sie saßen nicht weit von mir an einem Tisch und schienen sich förmlich aufzufressen. Tief steckten sie sich gegenseitig ihre Zungen in den Hals und scherten sich keinen Deut darum, dass sie von den anderen Gästen dabei beobachtet wurden. Angewidert schloss ich die Augen. Mein Gewissen meldete sich zurück und flüsterte mir zu, dass es unnatürlich war, wenn Mann und Mann sich leidenschaftlich küssten.

»Vollidiot! Was hast du dir nur dabei gedacht?«, nuschelte ich seufzend. Meine Gemütsverfassung war auf den Nullpunkt gesunken.

Warum war ich bloß auf die bescheuerte Idee gekommen, in eine Schwulenbar zu gehen? Vor zwei Stunden hatte sich mein Vorhaben noch richtig angefühlt. Mittlerweile überwog der Fluchtgedanke und ich suchte unbewusst nach einem Loch, in dem ich mich verkriechen konnte. Daher beschloss ich, das Glas auszutrinken und abzuhauen.

Ich kippte den Rest in einem Zug hinunter und griff nach dem Geldbeutel in der Gesäßtasche, als mich jemand von hinten streifte und zur Seite schubste. Im letzten Moment fing ich mich am Tresen ab und schüttelte den Kopf.

»Hey Arschloch! Bleib stehen!«, ertönte es plötzlich lautstark durch die Bar.

Ich entdeckte den Sprecher in der Nähe des Ausgangs. Ein junger dunkelhaariger Typ packte einen Rotschopf grob am Arm, der gerade ins Freie stürmen wollte.

»Du Wichser, lass mich los!«, brüllte der andere zurück und versuchte sich freizukämpfen.

»Erst, wenn du den Geldbeutel zurückgibst, den du eben gestohlen hast!« Der dunkelhaarige Kerl nickte mir kurz zu, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Rothaarigen.

Abwesend griff ich an meine Hosentasche und bemerkte, dass mein Portemonnaie fehlte. Rasch zählte ich eins und eins zusammen und näherte mich ihnen mit schnellen Schritten. Die schaulustigen Blicke blendete ich aus.

»Los, gib schon her!« Der junge Mann entriss dem Dieb die schwarze Lederbörse und hielt sie mir unter die Nase. »Vermisst du die hier?«

Augenblicklich kochte Wut in mir hoch und ich riss sie ihm förmlich aus der Hand. »Ja, sie gehört mir.«

»Was ist hier los?«, fragte eine weitere Stimme und der Barkeeper tauchte auf.

»Dieser Mistkerl hat deine Kundschaft beklaut, Pete«, antwortete der Dunkelhaarige und zwinkerte mir zu.

Um seine Aussage zu bekräftigen, öffnete ich den Geldbeutel und zeigte ihnen meinen Führerschein. An der Situation ärgerte mich am meisten, dass ich es nicht mitbekommen hatte. Nicht nur der Verlust des Bargeldes wäre unerfreulich gewesen. Hinzu wäre gekommen, dass ich meine Karten hätte sperren lassen müssen. Zum Glück war mir der Aufwand erspart geblieben.

»Tut mir schrecklich leid. Soll ich die Polizei rufen?« Der Barkeeper war sichtlich verlegen und nickte meinem Retter nebenbei dankbar zu.

»Nicht deswegen. Ich wollte sowieso zahlen und gehen«, bedeutete ich erstaunt gelassen und steckte den Geldbeutel eilig ein.

»Bleiben Sie wenigstens auf einen Cocktail. Der geht aufs Haus.« Um mich am Gehen zu hindern, legte er mir eine Hand auf den Rücken und verstellte mir den Weg ins Freie.

»Ähm ... da... danke.« Beschämt senkte ich den Kopf. Er musste denken, er stehe einem Volltrottel gegenüber. Die Aufmerksamkeit behagte mir überhaupt nicht, dennoch bejahte ich mit einem leichten Kopfnicken. Dann atmete ich tief durch und schüttelte meine Befangenheit ab. »Okay. Dann möchte ich dem jungen Mann zumindest mit einem Drink für seine Courage danken«, ergänzte ich und blickte ihn auffordernd an.

»Da sag ich nicht Nein. Ich bin Jamie.« Mit einem verschmitzten Lächeln streckte er mir seine freie Hand entgegen, die ich höflich annahm. »Pete, ich hätte gerne einen Caipi.«

»Ist gebongt. Nehmt doch bitte Platz. Ich bringe euch gleich die Getränke. Vorher habe ich aber mit dem da noch ein Hühnchen zu rupfen.« Der Barkeeper schnappte sich den Rotschopf am Kragen und verschwand mit ihm vor die Tür.

Jamie ging voraus und setzte sich an einen Tisch im Raucherbereich.

»Macht dir doch nichts aus, oder?« Er deutete mit der Hand auf den dort stehenden Aschenbecher.

Schmunzelnd setzte ich mich. »Nur zu, ich genehmige mir auf den Schock auch eine. Bist du Stammgast? Ich frage nur, weil du den Barkeeper mit Vornamen angesprochen hast«, erkundigte ich mich und musterte den jungen Mann eindringlicher.

Ich schätzte Jamie auf Anfang zwanzig, wenn überhaupt. Aufgrund seiner Aufmachung war es schwer für mich, ihn als normalen Barbesucher anzusehen. Sein auffälliges Äußere sprach eine eindeutige Sprache. Er hatte seine Augen mit Lidstrichen betont und auf den schmalen Lippen entdeckte ich den Hauch von Lipgloss. Der eng anliegende schwarze Pullover präsentierte einen wohlgeformten Oberkörper und ließ mich schlucken. Aus einem mir unerfindlichen Grund beschleunigte sich mein Herzschlag und ich spürte die Hitze in die Wangen aufsteigen. Nervös biss ich mir auf die Zunge. Von Tyler wusste ich inzwischen genug, dass ich mir ziemlich sicher war: Jamie ging dem wohl ältesten Gewerbe der Menschheit nach und suchte hier nach einem Freier.

»Ich kenne Pete schon seit zwei Jahren«, antwortete mein Gegenüber und riss mich aus meinen Gedanken. Er schenkte mir ein fesselndes Lächeln. Es passte zu ihm und ließ ihn umso verführerischer wirken. Obwohl ich es mir nur widerwillig eingestand, fand ich ihn äußerst anziehend. Er gehörte zu der Sorte Männern, denen ich auf der Straße heimlich hinterhergeschaut hätte. Krampfhaft versuchte ich mir, nichts von meinem Interesse anmerken zu lassen. Ich saß hier lediglich mit ihm, weil ich mich für sein Engagement bedanken wollte. Nicht mehr und nicht weniger. Ich schätzte, nicht jeder hätte wie er reagiert. Dementsprechend nahm ich mir vor, völlig voreingenommen mit ihm zu reden und anschließend nach Hause zu gehen.

»Ich ... ich ... danke dir auf jeden Fall«, stammelte ich und schimpfte mich selbst einen Dummkopf. Ich musste mich zusammenreißen.

»Bist du neu in der Stadt? Ich habe dich hier noch nie gesehen?«

Überrumpelt von der Frage schluckte ich einen Kloß im Hals herunter.

»Nicht so schüchtern. Ich beiße grundsätzlich niemanden, außer er bezahlt dafür.«

Ich zündete mir eine Zigarette an und beobachtete dabei Jamie, der sich eine dunkle Haarsträhne aus seinem bezaubernden Gesicht strich. Aufgewühlt senkte ich den Blick ein weiteres Mal. Keine Ahnung, was er von mir dachte oder erwartete, aber sicherlich hielt er mich jetzt für einen eingeschüchterten Schwachkopf.

»Ich fürchte, da habe ich einen wunden Punkt getroffen. Keine Sorge. Ich tue dir nichts und will auch nichts von dir, außer den Drink, den du mir spendierst.«

»Ich bin nicht besorgt«, sprudelte es aus mir heraus, dennoch wich ich einem direkten Blickkontakt weiterhin aus.

»Aber du fühlst dich unwohl, das spüre ich. Ist es wegen mir?«

Gerade, als ich mit einem Nein antworten wollte, kam der Barkeeper zu uns an den Tisch und stellte vor mir einen Mai Tai und vor Jamie einen Caipirinha ab. »Lasst sie euch schmecken. Die Drinks gehen übrigens auch aufs Haus. Entschuldigung noch einmal für die Unannehmlichkeit. Der Typ hat ab sofort Hausverbot.«

»Vergessen wir die Sache einfach.« Ich winkte ab und war dankbar für die kurze Unterbrechung.

»Danke. Euch noch einen schönen Abend.« Nach diesen Worten waren wir wieder allein.

Ich zog kräftig an der Zigarette und genehmigte mir einen ausgiebigen Schluck von meinem Cocktail. Er schmeckte herrlich. Da der junge Mann vor mir keinerlei Anstalten machte, mit mir zu flirten, entspannte ich mich allmählich. Ich saß zwar mit Jamie an einem Tisch, aber wir führten lediglich ein zwangloses Gespräch. Für Nervosität gab es keinen Grund. Dennoch hämmerte mein Herz wild in der Brust. Ich schob es der ungewöhnlichen Situation zu, musste jedoch unweigerlich an mein Vorhaben denken. Heute würde ich meine Dämonen definitiv nicht loswerden.

»Bleib cool. Alles ist gut«, sagte Jamie überraschend und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. »Ich will dir nicht an die Wäsche, falls du das denkst.«

»Wie kommst du denn da rauf?« Verwirrt über seine lockere Art spannte ich unbewusst die Schultern an.

»Ich habe ein Auge für so etwas.« Jamie nahm einen Schluck aus seinem Glas und lehnte sich dann lässig auf dem Stuhl zurück. »Nur zur Info ... ich kenne den Typ von eben. Er zieht öfter solche Sachen ab. Der Idiot hat schon fast überall Hausverbot.«

»Wie? Du kennst den?«

»Na ja, er ist auf der Straße bekannt und lernt es einfach nicht. Ständig lungert er in meinem Revier herum. Die anderen Jungs können ihn auch nicht ausstehen. Aber vergiss ihn. Ich würde viel lieber mit dir über etwas anderes plaudern.«

»Und über was zum Beispiel?« Es gefiel mir nicht, was er mir mit seinen Worten zu verstehen gegeben hatte. Sofort dachte ich an meinen Vater und seinen Club.

»Wie wäre es damit, wenn du mir dein Herz ausschüttest? Dich beschäftigt etwas. Das sehe ich dir an der Nasenspitze an.«

Skeptisch runzelte ich die Stirn. »Ach ja? Und was, denkst du, beschäftigt mich?«

Jamie grinste forsch. »Vielleicht behagt dir meine Gesellschaft nicht, weil ich ein Stricher bin?«

Verwirrt sah ich ihm tief in die dunklen Augen. Sie leuchteten im dämmrigen Licht der Bar erwartungsvoll auf. Einen Moment lang rang ich mit mir, mich zu entschuldigen und abzuhauen. Doch bereits im nächsten wuchs meine Neugierde. Jamie wirkte nicht wie jemand, der sein Geld auf der Straße verdiente. Außerdem fühlte ich mich zum ersten Mal an diesem Abend in der Nähe eines Mannes ein wenig unbefangener. Wahrscheinlich lag es an seiner direkten Art, die mir Mut verlieh, mich auf ihn einzulassen. Ehrlich gesagt wollte ich mehr über ihn erfahren.

»Das verstehst du wohl falsch.«

»Erzähl es mir, wenn du willst. Liegt es daran, dass du bi bist und es vorher noch nie mit einem Typen getrieben hast?«

Vor Schreck wäre ich beinahe mit dem Stuhl nach hinten gekippt. Ich konnte mich gerade noch so am Tischrand festhalten. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. Mein Puls raste.

»Du bist doch bi, oder?« Jamie freute sich sichtlich über seine Scharfsinnigkeit. »Sorry. Bin nur neugierig. Du machst den Eindruck, als wärst du nicht oft in der Szene unterwegs. Ist nicht böse gemeint.«

Ganz neben der Spur schnappte ich mir das Glas und trank einen großen Schluck.

»Wo ... woher?« Mehr brachte ich nicht über die Lippen.

Jamie zwinkerte. »Intuition. Anders ausgedrückt siehst du nicht wie der typische Mann aus, der auf der Suche nach einer geilen Nacht ist.«

»Sieht man mir das an?« Ich schämte mich in Grund und Boden und meine innere Anspannung nahm wieder von mir Besitz.

»Hey. Komm. Alles easy.« Jamie griff nach meiner Hand und schenkte mir ein ehrliches Lächeln. Ich konnte es deutlich wahrnehmen. Daher ließ ich die Berührung zu, denn seltsamerweise beruhigte sie mich, obwohl ich einen Anflug von Panik verspürte. Stand mir tatsächlich ins Gesicht geschrieben, dass ich keinerlei Erfahrung vorzuweisen hatte?

»Ich habe dir eben schon gesagt, ich habe ein Auge für so etwas. Also mach dir keine Sorgen. Ich schätze eher mal, du hattest noch nicht viel mit schwulen Typen zu tun.«

»Mein Bruder ist schwul« antwortete ich, ohne nachzudenken.

»Oh. Interessant.«

»So würde ich das nicht nennen.« Langsam zog ich die Hand zurück und zündete mir eine neue Zigarette an. Ich konnte noch immer seine warmen Finger auf meiner Haut spüren und sog dieses abklingende Gefühl förmlich in mich auf. Überrascht von mir selbst, sträubte ich mich nicht einmal dagegen. Dieser Kerl besaß etwas, das mich faszinierte. Plötzlich verschwand der Drang, Hals über Kopf davonzulaufen.

Jamie taxierte mich aufmerksam. »Sondern? Hast du vielleicht Angst, weil du nicht weißt, was du wirklich willst? Oder hast du Angst, weil du glaubst, dass du nicht auf Männer stehst und du es trotzdem tust.« In diesem Moment schien er weder mich noch meine innere Zerrissenheit zu verurteilen. Ich gewann eher den Eindruck, als würde mein Gegenüber meinen tiefsitzenden Konflikt verstehen.

»Sagen wir mal, es ist kompliziert und ich möchte nicht darüber reden«, wiegelte ich das Thema ab.

»Okay. Aber deinen Namen verrätst du mir, oder? Meinen kennst du ja schon.«

Ich nickte und war froh, dass er so schnell nachgegeben hatte. »Ich bin Sean. Sean Ashton«, antwortete ich und lächelte dankbar.

Jamie sah mich für einen Augenblick irritiert an, dann nickte er.

»Schöner Name. Ich bin Jamie, wie du schon weißt. Jamie Harris. Und siehst du, jetzt kennst du schon zwei schwule Typen.«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, lachte ich erheitert auf. Jamies schneidige Art erinnerte mich an meinen Bruder. Tyler sagte auch immer das, was ihm gerade in den Sinn kam.

»Was ist denn so lustig?« Sein neugieriger Blick nahm mich gefangen.

»Du und mein Bruder scheint euch ziemlich ähnlich zu sein. Er ist genauso vorwitzig und direkt.«

»Danke fürs Kompliment.« Jamie zwinkerte mir ein weiteres Mal zu und sein unbeschwertes Grinsen brachte meinen Puls erneut in Aufruhr. Als er die Lippen leicht öffnete, erwischte ich mich bei dem Gedanken, sie mit den meinen berühren zu wollen. Augenblicklich schüttelte ich die Vorstellung ab und verbannte sie aus meinem Kopf. Ich musste mich konzentrieren. Obwohl er laut eigener Aussage sein Geld auf dem Strich verdiente, wirkte er auf mich scharfsinnig und sympathisch zugleich. Beides waren Eigenschaften, die so gar nicht zu dem Klischee passten. Aber genau das weckte mein Interesse an ihm.

»Wie kommt es eigentlich, dass du ... also du weißt schon«, platzte die Frage aus mir heraus.

Plötzlich verfinsterten sich seine Gesichtszüge. »Eine längere Geschichte.«

»Du musst nicht antworten«, lenkte ich ein und mein Gewissen meldete sich.

»Schon gut. Ich mache das Ganze auch nicht, weil es mir gefällt. Mit irgendetwas muss man ja über die Runden kommen.«

»Da gibt es doch noch so viele andere Möglichkeiten«, warf ich ein.

Jamie seufzte und leerte sein Glas. »Das gilt für andere, aber nicht für jemanden, der von zu Hause keinerlei Unterstützung bekommt. Ich habe kaum Kohle, um überhaupt über die Runde zu kommen. Das verdanke ich meinem Vater. Er war der Meinung seinen Sohn nach seinem Coming-out mittellos vor die Tür setzen zu müssen. Er wollte nichts mit einem Perversen wie mir zu tun haben. Tja und deshalb schlage ich mich eben so durch.«

»Das hat er nicht wirklich getan, oder?« Überrascht von seiner Aussage musste ich an meinen Vater denken. Er hatte mich zwar nicht rausgeworfen, aber ich war gerade wegen ihm mehr oder weniger freiwillig gegangen. Aufgehalten hatte er mich nicht.

Jamie nickte geknickt, als plötzlich eine leise Melodie ertönte. Er griff in die Gesäßtasche und holte sein Smartphone hervor. Verärgert starrte er auf das Display. »Oh, shit! Da muss ich ran.«

»Mach nur.« Ich zündete mir eine neue Zigarette an und sah in Richtung Fenster nach draußen.

Jamie drehte sich zur Seite, konnte dennoch nicht verhindern, dass ich die brüllende Stimme des Anrufers hörte.

»Du Scheißkerl wolltest schon von einer Stunde hier sein! Wo bist du? Wo ist meine verdammte Kohle?«

»Halt den Rand, Jake! Ich bin gerade beschäftigt«, antwortete Jamie unbeeindruckt.

»Heißt im Klartext: Du hast die Kohle nicht. Wenn du nicht innerhalb einer halben Stunde aufkreuzt, findest du deinen Kram vor der Tür. Verstanden?«

»Spinnst du? Ich habe deine blöden Scheine. Jetzt lass mich in Ruhe. Ich bring dir das Geld später.« Jamie versuchte, seine Stimme zu dämpfen, doch die aufsteigende Verärgerung verunstaltete sein hübsches Gesicht.

»Ich weiß eine bessere Lösung. Such dir eine neue Bleibe und am besten einen vernünftigen Job dazu!«

»Arschloch!«, schimpfte Jamie und beendete das Telefongespräch. Wutschnaubend knallte er das Handy auf den Tisch und ballte die Hände zu Fäusten.

»Alles in Ordnung?« Mit einer Spur Unbehagen sah ich ihn an. Er tat mir leid.

»Nein. Aber egal.« Jamie knirschte mit den Zähnen.

»So egal hat es nicht geklungen. Sorry, der Typ war nicht zu überhören«, sagte ich verlegen, da ich nicht vorgehabt hatte zu lauschen.

»Das war nur der Idiot von Vermieter. Ex-Vermieter ...«, korrigierte er sich. »Sein Kakerlaken verseuchtes Rattenloch kann er sich sonst wo hinschieben. Genauso wie seine achtzig Piepen in der Woche. Muss mir jetzt nur eine neue Bude suchen. Scheiße!«

Seine Worte hinterließen bei mir einen schalen Beigeschmack. Dieser Abend war uns beiden nicht wohlgesonnen. Zuerst hatte ich erfolglos versucht, meinen Frust zu ertränken. Dann wurde ich bestohlen und nun, als ich gerade anfing, mich für Jamie zu öffnen, kippte die Stimmung in eine völlig falsche Richtung.

»Vielleicht hätte ich eine Idee«, sagte ich, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. »Wenn du willst, bei mir wäre heute Nacht eine Couch frei. Morgen kannst du dir dann in Ruhe etwas Neues suchen. Wie wär’s?«

Jamie starrte mich an, als hätte ich mir einen schlechten Scherz erlaubt.

»Okay. Ich gebe zu, dass ich das gerade zum ersten Mal mache und ich bin selbst überrascht von mir. Aber der Gedanke, dass du keinen Platz zum Schlafen hast, gefällt mir nicht. Wir haben Ende Oktober und die Nächte werden immer kälter. Mich stört es nicht, womit du dein Geld verdienst, solange du es nicht bei mir versuchst«, ergänzte ich und verdrängte vehement die Vorstellung, dass wir beide uns auf ein sexuelles Abenteuer einlassen könnten.

Noch immer blickte mich Jamie fassungslos an.

»Sieh es einfach als Dankeschön. Ich hege jetzt auch keinerlei Hintergedanken oder so. Ehrlich gesagt, fange ich an, dich zu mögen, und habe nicht das Gefühl, dass du mich beklauen wirst.«

Jamie strahlte übers ganze Gesicht. »Echt jetzt? Du meinst das wirklich ernst? Es kommt eigentlich nie vor, dass mich irgendjemand sprachlos macht, aber dir ist es gerade gelungen.«

Mein Herz hämmerte wild in der Brust. Nervös holte ich mein Handy hervor und schaute auf das Display. Es war acht Uhr vorbei. »Dann nimmst du mein Angebot an?«

»Ja klar. Wenn ich bei dir duschen dürfte?«

»Natürlich. Ich koche uns auch etwas, oder wir nutzen einfach den Lieferdienst. Allmählich könnte ich etwas vertragen.«