Kapitel Acht

* * * * *

 

»Riley? Bist du so weit?«, rief ich vom Büro in Richtung des Geheimzimmers nach meinem Bruder. Ich erhielt keine Antwort. »Riley?«, hakte ich nach und klappte den Ordner zu. Erneut blieb es still. Seufzend stand ich auf, um nachzusehen.

»Bin noch nicht fertig«, entgegnete er und sah deprimiert zu mir hoch. Er saß auf dem Boden vor einer geöffneten Holzkiste.

Ich ging neben ihm in die Hocke und schaute neugierig hinein. »Was ist das? Darf ich es mir einmal ansehen?«

Riley bejahte mit einer äußerst bedrückten Miene. Die Truhe war mit Kinderbüchern verschiedener Altersstufen gefüllt, und einigen anderen, die eher für einen Teenie geeignet waren.

»Das ist ja eine ganze Menge. Hast du sie auch alle gelesen? Hat Edward sie dir geschenkt?«

»Ja, die sind von Dad«, meinte er mit leicht zitternder Stimme.

»Und warum bist so traurig? Freust du dich nicht auf den Umzug?«

Riley wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Mitfühlend ergriff ich seine Hand. Dass ich ihn inzwischen anfassen durfte, ohne dass er vor Angst zitterte, war drei harten und kalten Tagen im Black Desire geschuldet. Doch ich war glücklich, diese Strapazen auf mich genommen zu haben. Es war ein großer Fortschritt, der sich zusammen mit vielen weiteren kleinen Dingen mehr und mehr zu einer vertrauensvollen und liebevollen Beziehung zwischen uns entwickelt hatte.

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich Edward dankbar. Er hatte Riley sorgfältig auf den Tag vorbereitet, an dem ich die Stellung als sein großer Bruder einnehmen würde. Das hatte es um einiges erleichtert, einen Zugang zu ihm zu finden. Nachdem Riley ausreichend über den Verlust seines Vaters getrauert und ich ihm eindringlich erklärt hatte, dass ich mich künftig um ihn kümmern würde, war es mir gelungen ihn endlich für mich zu gewinnen. Mittlerweile hatte er auch Tyler und Jamie kennengelernt. Ihre freche und einnehmende Art hatte Riley schnell dazu gebracht, sich auch ihnen gegenüber zu öffnen. Er wusste inzwischen, dass ihm niemand von uns etwas antun oder ihn gar verstoßen würde. Zu meiner Freude hatte er Tyler, ohne zu zögern, als seinen zweiten größerer Bruder angenommen, obwohl er wusste, dass wir eigentlich nicht blutsverwandt waren.

»Ich kann meine Bücher nicht mitnehmen, oder?«, flüsterte er mir geknickt zu.

»Warum denn nicht?«, fragte ich überrascht. »Wir packen die komplette Kiste ein. Deine Schulsachen und Klamotten sind ja schon im Auto. Wenn du willst, können wir sogar dein Bett mitnehmen. Du musst mir nur sagen, auf was du nicht verzichten kannst, und schwups verfrachte ich es für dich in meine Wohnung.«

Riley bekam große Augen. »Echt? Meinst du das wirklich ehrlich?«

Ich lächelte zufrieden. Für mich gab es nichts, was ich nicht für ihn tun würde, denn ich hatte meinen jüngsten Bruder bereits tief in mein Herz geschlossen. »Na klar! Und solltest du etwas vergessen, dann holen wir es einfach später ab. Kein Problem.«

Ein leises Räuspern erklang. Ich drehte meinen Kopf ein wenig zur Seite und entdeckte Tyler und Jamie schmunzelnd im Türrahmen stehen.

»Genau! Papa Sean macht das.«

Tyler kicherte und ich warf ihm einen bösen Blick zu. Riley bekam es glücklicherweise nicht mit.

»Ich kann verstehen, dass du ein wenig Angst vor dem Unbekannten hast. Ich ziehe auch nicht gerne um. Aber das neue Bett in deinem neuen Zimmer ist echt toll. Darin schläft man sehr gut. Willst du es dir nicht erst einmal ansehen?«, kam es von Jamie und er erhielt sogleich die gesamte Aufmerksamkeit meines jüngeren Halbbruders.

Plötzlich war alle Traurigkeit vergessen und Riley sprang aufgeregt auf. »Schläfst du dann bei Sean im Bett, wenn ich in deinem Zimmer wohnen darf?«

»Oh glaub mir, mein Kleiner, darauf freut sich Sean schon lange«, antwortete Tyler mit einem breiten Grinsen.

Jamie boxte ihm lachend in die Seite, während ich überlegte, ob ich ihn langsam oder schnell rösten sollte.

»Dann lasst uns mal fahren«, überspielte ich die Situation und nahm die Holzkiste an mich. Allmählich verspürte ich das dringende Bedürfnis, in meine warme Wohnung heimzukehren. Am meisten freute ich mich auf eine ausgiebige heiße Dusche. Tyler und Jamie hatten zwar nach der Heizung gesehen, aber auch sie konnten sie ohne Öl nicht zum Laufen bringen. Aufgrund der Schließung hatte mein Vater wohl darauf verzichtet die Tanks auffüllen zu lassen.

»Wartet! Mein Handy!«, rief Riley und rannte zum Schreibtisch. Dort schnappte er sich das Smartphone, das ihm Edward erst vor kurzem gekauft hatte.

»Bist du soweit?«, erkundigte ich mich.

Riley nickte und trat nervös von einem Bein aufs andere. Gemeinsam verließen wir den Raum durch das Büro. Im Flur blieb er stehen und blickte zurück. Tyler legte ihm liebevoll einen Arm um die Schultern. »Dein neues Zimmer wird dir gefallen, kleiner Bruder«, raunte er ihm zu. »Es ist groß und gehört dir ganz allein. Wir richten es zusammen ein. Okay?«

»Du kannst von dort aus sogar rüber in einen Park sehen«, ergänzte Jamie und er und ich tauschten einen wissenden Blick aus. Uns allen war klar, dass Riley das Black Desire seit über zwei Jahren nicht verlassen hatte. Der Club, insbesondere das Zimmer war sein Zuhause gewesen, in dem er bis heute sicher und abgeschirmt gelebt hatte.

Wir setzten unseren Weg durch die Bar bis zum Ausgang fort. Dort blieb Riley ein zweites Mal stehen und fing an, am ganzen Körper zu zittern. Tyler zog seine Kapuzenweste aus und streifte sie unserem jüngsten Bruder über, wobei er ihm die Kopfbedeckung tief ins Gesicht zog.

»So ist es gleich viel wärmer«, erklärte Tyler, obwohl Riley eine Jacke trug. Aber ich verstand seine Absicht dahinter. »Jetzt sieht dich niemand mehr. Und wenn du willst, darfst du sie auch behalten.« Schmunzelnd rubbelte er ihm mit der Hand über den bedeckten Kopf.

Riley schielte überrascht unter der Kapuze hervor. Dann grinste er verlegen.

»Das Auto parkt direkt vor dem Eingang. Bist du bereit?«, fügte ich hinzu.

Seufzend packte Riley Tyler am Ärmel seines dünnen Langarmshirts. Schließlich sah er sich ein letztes Mal um und gab uns mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er den nächsten Schritt in seinem Leben wagen würde. Aufmunternd legte ich ihm eine Hand auf die Schulter.

»Keine Sorge, ich bin immer in deiner Nähe. Außerdem ist es ja nicht so, als würdest du nie mehr hierher zurückkommen«, flüsterte ich ihm zu, dann traten wir schweigend auf den Bürgersteig. Augenblicklich drängte sich Riley dicht an Tyler heran und blickte sich zu allen Seiten verstohlen um. Ich verstaute eilig die Holzkiste im bereits übervollen Kofferraum, während die anderen schon mal einstiegen. Als der Motor lief und ich losfuhr, erhaschte im Rückspiegel einen Blick auf Riley, der sich eingeschüchtert an Tylers Arm festklammerte. Ich wusste genau, worauf seine Angst basierte. Er kannte weder London, noch hatte er jemals so viele Autos und Menschen gesehen. Für Riley war es eine fremde Welt, die er erst nach und nach kennenlernen musste.

Nach der zwanzigminütigen Fahrt vom Club durch den regen Verkehr bis zur Tiefgarage meiner Wohnung, hatte sich Rileys Ängstlichkeit bereits in Neugierde verwandelt. Auf den letzten Kilometern hatte er voller Wissbegier aus dem Fenster gelinst, ohne jedoch auch nur einen Zentimeter von Tyler abzurücken. Als ich den Sportwagen parkte, wirkte er aufgekratzt, suchte jedoch weiterhin Sicherheit bei seinem Bruder. Bei diesem Anblick klopfte mein Herz vor Freude. Riley hatte verstanden, dass es mehr gab, als das Zimmer und er sich in unserer Nähe nicht zu fürchten brauchte. Das war ein guter Anfang, denn bald sollte Edwards Beerdigung stattfinden.

Jamie warf mir einen eindeutigen Blick zu und wandte sich an Riley. Er wusste ebenso wie Tyler, dass dies erst der Beginn war. »Jetzt geht es mit dem Fahrstuhl nach oben und schon siehst du dein neues Zimmer. Es wird dir gefallen. Tyler und ich haben alles blitzblank geputzt. Stimmt’s?«

»Ich war vorhin sogar beim Bäcker und habe dir Hefegebäck gekauft«, fügte Tyler mit einem breiten Lächeln hinzu.

Mit der Holzkiste, einem kleinen Koffer mit Rileys Klamotten und einem Rucksack mit den Schulsachen bewaffnet fuhren wir nach oben. Mein jüngster Bruder staunte wie ein zweijähriger, scheinbar war er noch nie mit einem Aufzug gefahren. Als wir endlich die warme Wohnung betraten, erfreute ich mich an der kindlichen Faszination und Entdeckerfreude, die Riley plötzlich an den Tag legte. Mit Tyler an der Hand stürmte er zum Panoramafenster im Wohnzimmer und sah mit einem glückseligen Lächeln hinaus.

»Gefällt es dir?«, fragte ich zufrieden.

Riley nickte eifrig.

»Dann sehen wir uns jetzt dein neues Zimmer an. Freust du dich?«

»Werde ich hier wirklich wohnen? ... Zusammen mit euch?«

»Aber klar doch. Wir haben doch darüber gesprochen, dass es hier besser ist als im Club. Ich muss kommende Woche wieder arbeiten und Tyler hat einen neuen Job. Jamie bleibt bei dir und passt auf dich auf. Erinnerst du dich?«

»Ja, aber der Club wird mir fehlen«, kam es kleinlaut zurück.

»Verständlich. Du musst dich erst einmal einleben«, sprach Jamie ihm Mut zu und legte eine Hand an seinen Oberarm. »Aber wir zwei schaukeln das schon.«

»Und langweilig wird es auch nicht. Du kannst fernsehen, ein Buch lesen oder mit Jamie Spiele spielen. Er hat auch versprochen dir beim Lernen zu helfen. In Mathe ist er ein kluges Köpfchen.« Ich zwinkerte Jamie zu, der mir ein verwegenes Lächeln schenkte. »Und jetzt komm! Schauen wir, ob dir dein Zimmer gefällt.«

Riley ließ Tylers Hand los und folgte mir in sein neues Reich. Erstaunlicherweise hatten mein Bruder und Jamie meine Anweisungen tatsächlich erfüllt. Alles war aufgeräumt und sogar das Bett war frisch bezogen.

»Siehst du. Hier steht Tylers alter Schreibtisch und du hast deinen eigenen Schrank, Fernseher und DVD-Player. Ganz wie im Club.« Ich stellte die Holzkiste auf dem Boden ab und entdeckte überrascht Rileys niedergeschlagenes Gesicht. »Was ist los? Gefällt es dir nicht?«

»Hier gibt es keine Toilette«, antwortete er mit leiser Stimme und senkte den Kopf.

»Oh ... Das ist kein Grund, gleich traurig zu sein. Komm mal mit.« Ich führte Riley hinaus in den Flur und zum gegenüber liegenden Badezimmer. »Hier ist alles, was du brauchst. Sogar eine Badewanne und nicht nur eine Dusche. Und dort ist mein Schlafzimmer.« Ich deutete mit der Hand auf eine weitere Tür und öffnete sie. Wieder war ich konsterniert, denn auch mein Bett war frisch bezogen und es roch angenehm nach Zitrone.

»An eurer Stelle würde ich heute Nacht die Tür abschließen«, flüsterte Tyler und doch laut genug, dass alle ihn hören konnten. Riley sah in verständnislos an.

Frustriert schluckte ich einen bissigen Kommentar herunter, während Jamie lachte.

»Was ist?« Tyler zeigte eine Unschuldsmiene und grinste dümmlich.

»Du kannst es wohl kaum erwarten«, meinte Jamie schließlich mit genüsslichem Unterton und richtete sein Blick jedoch auf mich. Seine Augen blitzten verräterisch. Er zeigte mir deutlich, dass er bereit war dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten. Dass ich ihm angeboten hatte, bei mir im Doppelbett zu schlafen anstatt mit dem Sofa vorliebzunehmen, war mein Entgegenkommen an ihn, dass ich bislang nicht bereute.

»Ich bezweifle stark, dass ihr zwei brav bleiben werdet«, platzte Tyler heraus und ging augenblicklich zwei Schritte zurück und in Sicherheit.

»Du kannst von Glück reden, dass ich mich zusammenreiße. Wie wäre es, wenn du deine große Klappe anderweitig einsetzt und uns etwas Warmes zum Essen besorgst?«, konterte ich. »Nimm Jamie mit. Ich würde gerne mit Riley in Ruhe seine Sachen verstauen. Und diesmal zahlst du.«

Schmollend seufzte er. »Na schön. Was wünscht der Herr?«

»Was magst du denn?«, wandte ich mich an Riley.

»Pizza! Mit ganz viel Käse«, kam es freudig zurück.

»Du hast deinen jüngeren Bruder gehört. Schieb deinen Hintern ins Freie.«

»Ja, Papa Sean«, entgegnete er grinsend und zog sich vorsichtshalber weitere Schritte zurück. Er wusste aber, dass ich ihm vor unserem Bruder keinen Klaps verpassen würde, was ich dennoch gerne getan hätte. Manchmal trieb er mich wirklich zur Weißglut und er beherrschte es, seit ich denken kann, in Perfektion.

»Ich geb dir gleich Papa«, presste ich durch zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Seien wir doch mal ehrlich ... die Rolle steht dir ausgezeichnet. Hättest du schon viel früher anstreben sollen.« Tyler streckte mir frech die Zunge heraus. Dann schnappte er sich Jamie am Arm und eilte mit ihm in Richtung Wohnungstür.

Kopfschüttelnd holte ich tief Luft und stieß sie langsam wieder aus.

»Dad hatte recht«, sagte Riley amüsiert.

Mit gerunzelter Stirn sah ich ihn an. »Mit was?«

»Du und Tyler ... ihr seid lustig.«

»Das hat er gesagt?« Leicht geschockt lehnte ich mich am Türrahmen an.

»Immer wieder, wenn er nach Hause kam. Er hat mir erzählt, wo er euch gesehen hat und was für einen Blödsinn ihr gemacht habt.«

Sprachlos schluckte ich einen Kloß herunter. Für Riley gab es keinen Grund zu lügen. Das hieß, unser Vater hatte nicht nur mich heimlich beobachtet. Doch wann und wo? Darauf würde ich wohl niemals eine Antwort bekommen. Edward wurde zunehmend zu einem Mann mit vielen Geheimnissen. Zugleich fragte ich mich, was er Riley noch alles erzählt hatte, von dem ich keine Ahnung besaß.

 

*

 

Zufrieden blickte ich von der Tür zu meinem jüngsten Bruder hinüber. Er war eben mit einem glücklichen Lächeln eingeschlafen. Für mich war er immer noch ein kleiner Junge und kein fünfzehnjähriger Teenager. Ich fühlte mich in der Tat wie ein Vater, der seinen Sohn zu Bett gebracht hatte. Mit einem Schmunzeln ließ ich den Tag Revue passieren. Nachdem ich mit ihm das Zimmer häuslich eingerichtet und wir alle gemeinsam Pizza gegessen hatten, war Riley sichtlich erschöpft gewesen. Ich hatte ihm warmes Wasser in der Badewanne eingelassen und reichlich Schaumbad benutzt. Als ich ihn wusch, waren mir schweren Herzens weitere Vernarbungen an seinem Körper aufgefallen. Sie waren nicht nur über den gesamten Rücken verteilt, sondern bedeckten auch einen Teil seiner Oberschenkel. Ich hatte jegliche Fragen, die mir auf der Zunge brannten, hinuntergeschluckt und hoffte, dass er mir irgendwann von sich aus sagen würde, wer dafür verantwortlich war. Leise schloss ich die Tür.

»Schläft der Kleine endlich?«, hörte ich Jamies angenehm weiche Stimme. Als ich mich umdrehte, stand er am Küchentisch über dem Bauplan des Black Desires gebeugt. Er blickte mich über seine Schulter hinweg flüchtig an.

»Wie ein Murmeltier.« Ich ging zu ihm und stützte mich mit den Händen an der Tischkante ab. Das Gebäude und das restliche unbebaute Grundstück waren vielversprechend und boten eine Menge Möglichkeiten. Bislang gefiel mir, was der Architekt für Edward geplant hatte, dennoch wusste ich nicht, ob ich es wirklich in Angriff nehmen sollte. Ich konnte es mir zurzeit nicht vorstellen, meine Zukunft darin zu investieren.

»Riley kann sich glücklich schätzen, dich und auch Tyler als Brüder zu haben. Auch wenn Tyler nicht mit ihm blutsverwandt ist.«

Ich seufzte. »Tyler wird immer zur Familie gehören. Nur manchmal würde ich ihn am liebsten übers Knie legen.«

Jamie kicherte. »So sind kleine Brüder eben. Und jetzt hast du zwei davon. Du tust mir schrecklich leid.«

»Nicht lustig«, protestierte ich. Dennoch schmunzelte ich in mich hinein. Tyler nahm kein Blatt vor den Mund und sprach immer laut aus, was wir ohnehin längst alle wussten. So kannte und liebte ich ihn, obwohl er mir hin und wieder damit gehörig auf den Keks ging.

»Wann ist die Nervensäge eigentlich gegangen?«, erkundigte ich mich, denn ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass er sich verabschiedet hatte. Natürlich hätte ich gerne noch mehr Zeit mit ihm verbracht. Zugleich war ich froh, endlich mit Jamie allein zu sein.

»Als du mit Riley im Bad warst. Er hat sich übrigens den letzten Rest der Pizza mitgenommen.«

Das war ja so typisch. »So ein Fresssack! Und? Seid ihr schon fertig, euren Fantasieclub zu erschaffen? Wie viele Luftschlösser habt ihr denn gebaut?«

»Wieso Luftschlösser?« Jamie deutete mit den Fingern auf eine bestimmte Stelle im Plan und streifte nebenbei meine Hand. »Wenn dieser Bereich saniert werden würde, wäre eine Menge Platz für eine Bar mit separiertem Discobereich.«

Plötzlich hatte ich keine Augen mehr für den Plan, sondern sah nur noch auf Jamies schmale Finger. Sie bewegten sich sachte über die Zeichnung und ich wünschte mir, er würde nicht das Papier, sondern mich zärtlich berühren. In Gedanken kehrte ich ins Büro zurück. Er hatte mir die Hände in den Nacken gelegt und mich an sich herangezogen. Seine Augen hatten diesen heißblütigen Glanz besessen, mit dem er mich jedes Mal in den Bann zog.

»... findest du nicht?«, drangen Jamies Worte überraschend an mein Ohr und ich kam mir vor, als wäre ich gerade aus einem Traum erwacht.

»Sorry, ich habe nicht aufgepasst«, stammelte ich.

»Ich sagte, es wäre eine reine Verschwendung, wenn du den Club nicht mit neuem Konzept eröffnen würdest.« Abschätzend musterte Jamie mich von oben bis unten. Aus seinen sanften Gesichtszügen konnte ich entnehmen, dass er wusste, wohin meine Gedanken abgewandert waren.

»Mir scheint, du bist heute nicht mehr in der Lage, dich auf geschäftliche Dinge zu konzentrieren. Warum trinken wir nicht ein kühles Bier und entspannen uns etwas?«

»Gute Idee«, flüsterte ich heißer und wandte mich rascher als gewollt von ihm ab. Während ich zum Kühlschrank ging, spürte ich mein schneller schlagendes Herz. Sollte ich es heute tatsächlich wagen, mich bei Jamie fallen zu lassen?

Selbst als ich kurz darauf neben ihm auf der Couch saß und ihm zuprostete, war ich zu keinem Ergebnis gekommen. Um meine Nerven zu beruhigen, leerte ich die Dose fast in einem Zug und stellte sie ab.

»Du warst wohl kurz vorm Verdursten?«, raunte mir Jamie aufreizend zu.

Er beugte sich betont langsam zu mir herüber und mein Atem beschleunigte sich. Seine dunkelbraunen Iriden leuchteten verräterisch auf. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem ungenierten allwissenden Lächeln. Alles um mich herum verschwamm zu undefinierbaren Silhouetten, nur Jamies wunderschönes Gesicht nahm ich klar und deutlich vor mir wahr. Er hob die Hand und seine Finger berührten behutsam meine Lippen. Sie waren warm und zärtlich und in mir flackerte diese innere Begierde auf, die ich ihm gegenüber schon einmal mehr als deutlich verspürt hatte. Intuitiv schloss ich die Lider und fühlte im nächsten Augenblick seinen Mund auf meinem. Voller Vorfreude öffnete ich die Lippen und gewährte seiner Zunge Einlass. Hingebungsvoll ließ ich mich treiben, ohne darüber nachzudenken, dass ich gerade einen Mann und keine Frau küsste. Das betörende Gefühl, dass er in mir auslöste, ergriff mehr und mehr von mir Besitz.

Ich wusste nicht, wie lange unser Zungenspiel angedauert hatte, bis ich mich stöhnend von ihm löste und ihn erregt anstarrte. »Wa... warum so plötzlich?«, stotterte ich und und knetete nervös die Hände. Ich war zweigeteilt zwischen dem Wunsch nach mehr und der Angst, dass plötzlich alles so schnell ging und zerstören könnte, was sich zwischen uns entwickelt hatte.

Jamies freches Grinsen verriet mir jedoch, dass er es in vollen Zügen genossen hatte. »Du hast eben so enttäuscht ausgesehen, als ich dir den Vorschlag machte, bei einem Bierchen zu entspannen.«

Peinlich berührt blickte ich auf meinen Schoß und schmunzelte.

»Du weißt aber schon, dass du umso süßer wirst, je verlegener du bist.« Jamie rückte noch näher heran und hob mit dem Zeigefinger mein Kinn an. Mit Bedacht hauchte er mir ein Küsschen auf die Lippen.

»Gefällt es dir?«, hörte ich ihn fragen.

Ich nickte wortlos und versuchte meinen Atem zu beruhigen.

»Soll ich weitermachen?«

Erneut bejahte ich schweigend und legte ihm als Antwort meine Hände in den Nacken. Ein weiteres Mal schloss ich die Augen und nahm schließlich nur noch seine Lippen und Zunge wahr, die mich heiß und innig liebkosten. Je mehr ich mich ihm hingab, desto deutlicher verspürte ich ein verräterisches Ziehen in der Leistengegend. Die Scheu war spurlos verschwunden und meine Finger wanderten unter seinen Pullover, wo ich zum ersten Mal seine warme, glatte Haut ertastete. Plötzlich hielt ich abrupt inne.

»Lass uns lieber den Ort wechseln«, hauchte ich ihm zu und schon verlor ich mich wieder in einem glühenden Kuss. Er war stürmisch und trotzdem liebevoll. Eine Mischung, die ich bisher nicht kannte, die mir aber gefiel. Endlich war ich mir auch sicher genug, einen großen Schritt weiterzugehen.

Küssend fanden wir uns in meinem Schlafzimmer wieder, wobei ich sorgfältig darauf achtete, die Tür abzuschließen. Was passieren würde, sollte unter uns bleiben. Erst danach konnte ich mich wieder fallen lassen.

Jamie entledigte sich seines Pullovers und T-Shirts und meiner Oberbekleidung gleich mit. Sofort stach mir das Tribaltattoo auf seiner linken Brust ins Auge. Ich wollte mit den Fingerspitzen die Konturen nachfahren, als er mich am Hosenbund dicht zu sich ans Bett zog und mir mit der Hand über den Schritt streichelte. Obwohl noch viel Stoff dazwischen lag, nahm das vielsagende Ziehen in der Leistenregion zu. Allmählich sammelte sich das Blut in meiner Körpermitte. Zugleich fühlte ich mich ein wenig unbeholfen. Jamie schien es zu spüren, denn er übernahm wortlos die Führung, die ich ihm bereitwillig übergab.

Jamie streifte sich seine Jeans ab. Nur noch mit Boxershorts bekleidet schubste er mich aufs Bett. Mit einem vielsagenden Blick in meine Augen setzte er sich auf meine Oberschenkel und seine Finger wanderten zu den Knöpfen meiner Hose. Mit tiefen Atemzügen beobachtete ich, wie er langsam einen nach dem anderen öffnete. Unwillkürlich leckte ich mir über die Lippen. In diesem Augenblick war es unbestreitbar, dass ich bei seinem Tun eine unmissverständliche Erregung empfand. Ich griff ins Laken und krallte mich darin fest.

Stöhnend schloss ich die Lider, während Jamies Hand langsam in meinen Schritt glitt und mich durch sanftes Streicheln stimulierte. Kurz darauf spürte ich ein leichtes Zerren an meiner Hose. Ich hob mein Becken an und der störende Stoff wurde komplett entfernt. Anschließend spürte ich Jamies Lippen an Stellen, die bislang nur Frauen heißblütig berührt hatten, während seine Finger über meinen Bauch hinauf zur Brust glitten, wo sie anfingen, mit meinen Brustwarzen zu spielen. Er war dabei so zärtlich und gleichzeitig intensiv, dass ich kaum noch klar denken konnte. Mehr und mehr verwöhnte er mich.

Tief seufzend ließ ich mich fallen und streichelte ihm einfühlsam durch die Haare, um überhaupt irgendwo Halt zu finden. Seine Zunge war geschickt darin keinen Zentimeter Haut meiner Körpermitte auszulassen, wobei mich immer stärker das verzehrende Begehren überkam, ihn spüren zu wollen. Schließlich war es nicht mehr sein Mund, der mich liebkoste, sondern seine Hand. Seine Lippen küssten sich eine heiße Spur hinterlassend hinauf zu meiner Brust. Mit feurigem Eifer brachten mich seine Zungenschläge zum Aufbäumen.

Stöhnend sank ich zurück ins Laken und öffnete die Lider. Jamie sah mich mit verschleiertem Blick an.

»Bereit?«, raunte er mir heißer zu.

Mit schwerem Atem nickte ich und beobachtete ihn, wie er sich die Boxershorts auszog und dann in die Nachttischschublade griff. Von dort holte er ein Kondom und eine Tube Gleitgel hervor. Beides gehörte nicht mir, denn mit Amy hatte ich ohne Schutz geschlafen. In meinem benebelten Gehirn blitzte für einen Sekundenbruchteil Tyler mit einem kecken Grinsen vor mir auf.

Plötzlich wurde ich von einer leichten Unruhe erfasst und wollte mich aufsetzen. Doch Jamie legte mir sanft die Hand auf die Brust und drückte mich zurück aufs Bett.

»Keine Sorge, mein Süßer«, säuselte er mit einem verführerischen Lächeln. »Dein Arsch bleibt Jungfrau.«

Augenblicklich fiel die Anspannung von mir ab. Mit geschickten Fingern streifte er mir den Gummi über, wobei er drauf achtete, dass bei jeder seiner Bewegungen meine innerliche Erregung wieder kontinuierlich aufwallte. Dazu bedurfte es nicht viel. Ich war ausgehungert und konnte es kaum verbergen. Umso erregter biss ich mir auf die Unterlippe, als Jamie das Gel großzügig mit der Hand auf dem Kondom verteilte und mich dadurch zusätzlich in Stimmung versetzte.

Sodann saß er rittlings über mich gebeugt. Er schenkte mir ein verwegenes Schmunzeln und ließ sich langsam auf mir nieder. Augenblicklich empfing mich die ungewohnte Enge. Jamies unmissverständliches Gesicht zeigte mir, dass er mich tief in sich spürte und es mit voller Lust genoss. Mit einem lauten Seufzen zog er sich zurück, um mich dann erneut mit seiner warmen Enge aufzunehmen. Mein Puls raste vor freudige Erregung. Ich hatte noch nie einen so starken und ungestümen sexuellen Rausch empfunden, wie in diesem Moment.