Kapitel Dreizehn

* * * * *

 

Nervös tippte ich mit dem Fuß auf den Boden und nippte an meiner Tasse Kaffee. Ein Blick auf die Wanduhr beruhigte keineswegs meine Nerven. Am liebsten hätte ich mir eine Zigarette angezündet, doch ich hatte mir absolutes Rauchverbot in meinem neuen Büro und im Club aufgelegt. Das galt künftig für jeden Angestellten. Geraucht wurde draußen. Dafür gab es eigens eine überdachte Raucherecke am Hinterausgang.

»Das ist jetzt die sechste Tasse innerhalb von drei Stunden«, stellte Jamie mit verschränkten Armen fest und setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl. Über den Schreibtisch hinweg sah er mich mit einem lasziven Grinsen an. »Brauchst du Beruhigungssex?«

Ich starrte ihn mit weit aufgerissen Augen an. Wir waren nicht allein. Tyler lümmelte auf dem alten Ohrensessel, das einzige Möbelstück meines Vaters, das ich behalten hatte, und verschluckte sich vor Lachen.

»Bisher hat er ihn immer entspannt«, gab Jamie augenzwinkernd zu verstehen.

»Ja, so ein Fick zwischendurch hat schon etwas. Räume stehen genug zur Verfügung. Wäre eine gute Gelegenheit das eine oder andere Spielzeug ausprobieren«, bestätigte mein missratener Bruder pragmatisch.

»Halt mal die Luft an!«, fauchte ich.

»Was denn?« Tyler fixierte mich mit seinem dümmlichen Grinsen. »Sean ... du eröffnest bald einen Puff. Natürlich muss der Chef das angebotene Programm genaustens unter die Lupe nehmen.«

»Und was, wenn keiner kommt?«

Jamie grinste breit von einem Ohr zum anderen. »Du hast noch keinen Blick nach draußen geworfen, oder?«

Tyler schielte zur Tür. »Die Jungs stehen seit einer Stunde Schlange. Ein paar sind ziemlich heiß. Da ist bestimmt auch etwas für dich dabei, Bruderherz.«

»Du erwartest jetzt aber nicht, dass ich jeden einzelnen teste?«, fragte ich mit zynischem Unterton.

»Bei Bedarf kann ich dir gerne die Hälfte abnehmen. Jamie springt garantiert auch ein.«

»Da gibt es schon ein paar echte Leckerbissen.« In dem Moment prusteten die beiden auch schon los. Tyler beugte sich zu meinem zukünftigen Geschäftsführer herüber und klatschte sich mit ihm ab. Am liebsten hätte ich sie in einen Sack gesteckt und ordentlich darauf herum geklopft, um meiner wachsenden Anspannung ein Ventil zu geben.

»Das kommt gar nicht Frage«, meinte ich so ernst, wie es nur ging. »Wer weiß, ob ihr nicht bei einem hängen bleibt und ich ihn am Ende an euch verliere.«

Jamie schüttelte amüsiert den Kopf.

Grummelnd fuhr ich mir mit den Fingern durch die Haare. Das Casting würde in Kürze prekär genug für mich werden, auch ohne der Sticheleien der beiden. Ich konnte mich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen, Jungs auszuwählen, die künftig mit ihren Körpern für mich Geld verdienen würden.

»Ihr beiden seid so selten dämlich!« Schweigend widmete ich mich wieder meinem Kaffee. Die Fleischbeschau sollte um zwei Uhr beginnen. Es blieb also noch eine halbe Stunde, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Dreißig Minuten, die mir den Verstand zu rauben drohten. Doch die Blödelei hatte mir gutgetan. Ich fühlte mich etwas lockerer. Dafür liebte ich die beiden wiederum, denn sie wussten genau, wie ich tickte.

Räuspernd stellte ich die Tasse neben dem Laptop ab und erhob mich. Wie ein eingesperrtes Tier im Käfig marschierte ich fahrig durchs Büro und blieb am Ende am Fenster zum Hinterhof stehen.

»Willst du das Konzept so wirklich durchziehen?«, erkundigte sich Jamie.

»Ich bin mir da ehrlich gesagt auch nicht sicher, ob die Jungs dazu bereit sind, im Club zu wohnen, solange sie hier arbeiten. Und was das andere betrifft ...«, sprach Tyler seine Bedenken zu meines sorgfältig ausgearbeiteten Plans aus.

»Wer nicht bereit ist, muss gehen. Das werde ich jedem Einzelnen deutlich machen«, antwortete ich mit ernstem Tonfall und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust.

»Warum pochst du so sehr darauf`?« Tyler musterte mich neugierig und leerte seine Tasse in einem Zug.

»Ist das nicht offensichtlich?«, stellte ich die Gegenfrage und beide schüttelten den Kopf. »Ich möchte, dass sie sich dem Club verbunden fühlen und sich bei Schwierigkeiten an uns wenden oder sich gegenseitig unter die Armen greifen. Jeder achtet auf den anderen. Nur so können sie sich auch respektieren. Niemand wird höher oder niedriger eingestuft. Ich habe keinen Bock auf Konkurrenzdenken oder irgendwelche Eifersuchtsdramen. Wen das stört, fliegt im hohen Bogen raus. Die Regeln sind genau ausgearbeitet und unmissverständlich. Wer die Bedienungen einhält, verdient nicht nur gutes Geld bei freier Kost und Logis, sondern bekommt auch die Chance neue Freundschaften zu knüpfen und sein Leben vollständig umzukrempeln. Nur so können wir zu einer großen Familie werden.«

Einen Moment herrschte absolute Stille im Raum. Jamie und Tyler dachten über meine Worte nach und nickten mir anschließend befürwortend zu.

»So habe ich das noch nie gesehen«, bedeutete Jamie. »Aber du hast recht. Auf der Straße geht es rau zu und jeder will sich den vielversprechendsten Fisch angeln. Auf diese Weise lernen sie sich kennen und können sich eine gegenseitig eine Stütze sein.«

Ich schenkte beiden ein zufriedenes Lächeln. »Ich glaube kaum, dass viele von ihnen bisher ein behütetes Leben geführt haben. Die meisten denken wohl nur ans große Geld ... doch es gibt bestimmt auch den einen oder anderen, der sein Leben wirklich verändern will. Genau diese Perlen suchen wir. Denn wer vorausschauend an seine Zukunft denkt, ist auch bereit, mehr in seinen Job zu investieren. Und hier biete ich ihnen eine Möglichkeit dazu.«

»Daher der Gedanke mit der Ausbildung«, warf Tyler ein. »Aber verrennst du dich da nicht etwas? Es ist ja schön und gut, dass du deinen künftigen VIP-Jungs eine ordentliche Bildung finanzieren willst, in der Zeit, in der sie hier arbeiten. Selbst wenn sie sich dafür bereiterklären und es durchziehen, glaubst du, dass sie dann einfach einen Job finden werden?«

»Zumal es im Lebenslauf kein gutes Licht auf sie wirft, wenn dort Puff steht«, fügte Jamie hinzu.

Lachend setzte ich mich wieder auf meinen Bürosessel und verschränkte die Arme im Nacken. »Schon vergessen, womit ich eigentlich meine Brötchen verdiene? Mein Kundenstamm ist nicht gerade klein und es sind Unternehmen, die sich in allen möglichen Bereichen der Wirtschaft bewegen. Als ich mir das Konzept ausgedacht habe, hatte ich mich schon mit ein paar der großen Firmenchefs unterhalten. Sie sind nicht nur bereit Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, sondern würden auch ... vorausgesetzt die Leistungen stimmen ... den ein oder anderen übernehmen oder ihm ein Empfehlungsschreiben ausstellen. Damit haben sie einen seriösen Nachweis für ihre Zeit nach dem Club. Egal, wie lange sie bleiben werden. Das ist ihre Entscheidung. Ich denke, allen ist klar, dass sie das Geschäft mit dem Escort nicht ewig machen können. Ab einem gewissen Alter ist leider nun mal Schluss für jeden.« Ich machte eine kurze Pause und lehnte mich wieder nach vorne. »Der Ausbildungsfond meinerseits steht und einige der Unternehmen haben sich ebenfalls bereit erklärt, ihn zu unterstützen. Jetzt muss das Projekt nur noch laufen.«

Jamies erstauntes Gesicht heiterte mich sogleich auf. »Ist nicht dein Ernst? Du hast echt wen gefunden, der das unterstützt?«

»Es ist mein voller Ernst. Firmenbosse sind auch nur Menschen. Glaubst du, sie würden so eine Chance vorbeiziehen lassen? Damit wächst auch ihr Ansehen. Und immerhin verdanken sie es meinem Köpfchen, das ihre Geschäfte wieder laufen.«

Tyler grinste. »Cool! Sieh mal einer an ... mein Bruderherz ist ein ganz gerissenes Kerlchen.«

»Blödmann! Tyler, lass das Süßholzraspeln. Du bekommst trotzdem nicht mehr Gehalt an der Bar.«

 

*

 

Die letzten drei Tage hatten an meiner Substanz gezehrt. Ich war froh, dass das Casting endlich ein Ende fand. In der Zeit hatte ich alle möglichen jungen Männer kennengelernt, die mit unterschiedlichen Vorstellungen ins Black Desire gekommen waren. Ich musste meinem Bruder und Jamie zustimmen. In puncto Sex-Appeal war auch ich voll und ganz auf meine Kosten gekommen. Heute war es endlich so weit. Die Endkandidaten standen fest, wobei die Liste der Nachrückenden über drei Seiten umfasste. Es kam mir fast so vor, als wollte die halbe männliche Bevölkerung Londons bei mir arbeiten.

Seufzend griff ich nach der Mappe mit den vorbereiteten Arbeitsverträgen und erhob mich aus dem Bürosessel. Ich hatte sie bis ins kleinste Detail ausgefeilt. Wer letztendlich unterschrieb, hatte wahrlich das große Los gezogen. Dennoch ich erwartete in den ersten Wochen keine Wunder und stellte mich auf einige Probleme ein.

Wie schon oft zuvor blitzte das zufriedene Grinsen Edwards vor meinem inneren Auge auf. Mit seinem Geld hatte ich nicht nur den Club gerettet, sondern aus dem alten Gebäude ein Etablissement der nobleren Klasse entstehen lassen. Das Black Desire würde in drei Wochen eröffnen und das künftige Angebot umfasste weitaus mehr als bloße sexuelle Befriedung der Kundschaft. Der Bar- und Discobereich war ab sofort für beide Geschlechter zugänglich. Auch Paare, ob männlich, weiblich oder gemischt, hatten nun die Möglichkeit, sich hier zu amüsieren. Der ehemalige Speiseraum des einstigen Hotels hatte auch wieder eine Verwendung gefunden. Er war zu einem schicken Restaurant umgebaut worden, in dem die VIP-Kunden nach Lust und Laune essen gehen konnten. Für den Bar Bereich gab es zusätzlich ein kleines Angebot an Snacks. Dafür war die Großküche mit den neusten Geräten ausgestattet worden.

Ein Klopfen an der Tür riss mich aus den Gedanken. Jamie öffnete die Tür und spähte herein.

»Können wir loslegen? Die Jungs warten in der Bar. Die Armbänder habe ich auch schon.« Er hielt einen schwarzen Samtbeutel in die Luft.

»Okay. Ich bin bereit.« Eilig richtete ich mir das dunkle Sakko und schnappte mir die Aktenmappe.

Aufgeregt folgte ich Jamie den Flur entlang und versuchte meinen schneller schlagenden Puls zu ignorieren. Schließlich betrat ich die Bar und wurde sofort von neugierigen Gesichtern gemustert.

Mit einem freundlichen Lächeln räusperte ich mich. »Herzlich willkommen im Black Desire. Ich bin Sean, wie ihr bereits wisst. Das ist Jamie, der Geschäftsführer. Wir beide sind eure zukünftigen Ansprechpartner. Einer von uns wird immer hier sein, zumal ich mit meinem Bruder ins Loft über dem Club einziehen werde. Falls euch irgendwelche Fragen oder Probleme unter den Nägeln brennen, könnt ihr euch jederzeit an uns wenden.«

Ich erhielt zustimmendes Gemurmel, das mir gleich ein wenig von meiner Nervosität nahm.

»Hier habe ich eure künftigen Verträge«, fuhr ich fort und hielt die Mappe kurz in die Luft. »Ihr alle wisst, worauf ihr euch einlasst. Jetzt habt ihr noch die Möglichkeit es euch zu überlegen und könnt einen Rückzieher machen, bevor ihr unterschrieben habt. Doch vorher zeigen wir euch zuerst einmal die Unterkünfte. Nehmt eure Sachen gleich mit.«

»Gut gemacht«, flüsterte mir Jamie ins Ohr und klopfte mir anerkennend auf die Schulter.

»Ich habe noch nicht einmal angefangen«, murmelte ich schmunzelnd. Meine anfängliche Unsicherheit war wie weggeblasen.

Gemeinsam führten wir die zwanzig Jungs in den privaten Bereich hinter der Bar. An den zwei Aufzügen blieben wir stehen. Jamie drückte mir wortlos eines der Armbänder in die Hand. Sie bestanden aus schwarzem und mattiertem Stahl und wirkten allein beim Ansehen besonders edel. Der eingravierte Schriftzug mit dem Logo des Clubs und des jeweiligen Vornamens des Trägers verliehen ihnen etwas Einzigartiges. Wir hatten sie extra anfertigen lassen.

»Jeder von euch bekommt so ein Armband, das sowohl als Schlüssel für den Aufzug, als auch für euer Zimmer dient. Damit könnt ihr in den vierten und fünften Stock fahren. Dafür ist auch nur einer der Aufzüge nutzbar, und zwar genau dieser, vor dem ich gerade stehe. Der andere ist den Kunden vorbehalten und endet im dritten Stock.« Ich hielt das Armband vor den Sensor und die Türen glitten auf. Jamie stieg mit der ersten Hälfte der Jungs ein und fuhr nach oben, während ich mit dem Rest auf die Rückkehr des Aufzugs wartete.

Nun spürte ich doch wieder einen leichten Anflug von Lampenfieber. Denn ich hatte klare Vorstellungen, was das baldige Miteinander aller betraf, und war unsicher, wie meine Idee ankommen würde. Als sich alle in der fünften Etage versammelt hatten, führte ich die Jungs in einen großen Raum. Dort konnten sie fürs Erste ihre Sachen abstellen. Auf den Gemeinschaftsraum war ich besonders stolz, den ich persönlich und mit größter Sorgfalt selbst eingerichtet hatte.

»Das ist der Aufenthaltsraum mit Küche. Hier könnt ihr nach Belieben eure Freizeit verbringen und euch beim Kochen austoben«, sagte ich und ließ meinen Blick schweifen.

Die jungen Männer trauten kaum ihren Augen und einige saßen sofort auf der einladenden schwarzen Ledercouch und den dazu passenden Sesseln Probe.

»Die ist ja voll mein Ding!«, kommentierte ein hochgewachsener Blonder Typ mit einladendem Lächeln.

»Boah! Wie breit ist der denn? Das ist ja schon fast Kinoformat!«, staunte ein anderer über den riesigen Plasmafernseher an der Wand.

»Er empfängt alle Programme. Es gibt kostenloses W-LAN und mehrere Abos von Video on Demand Anbietern«, sagte ich laut.

»Seht euch das mal an! Das ist eine nigelnagelneue Xbox und Spiele. Wie geil ist das denn!«, rief ein Schwarzhaariger, der in dem Wandschrank die Spielekonsole entdeckte. Sie war Tylers Idee gewesen.

»Cool! Horrorromane!«, kam es aus der anderen Ecke, in der ich ein Bücherregal aufgestellt und mit gängiger Literatur aus allen Genres bestückt hatte.

»Ich stehe ja eher auf Mangas.«, kommentierte ein anderer.

»Gibt es auch!«

»Was wollt ihr mit Lesen? Schaut mal da raus. Da gibt es eine riesige Dachterrasse«, antwortete einer der Jungs und schob die Tür des Panomarafensters auf. Rasch drängten sie wie ein Schwarm aufgescheuchter Spatzen nach draußen ins Freie. Dort erwarteten sie zwei Tischtennisplatten, eine große gemütliche Sitzlounge mit ausreichend Platz und ein aus Bodenplatten gestaltetes Schachbrett. Dazu mehrere Strandkörbe zum Verweilen. Die Terrasse eignete sich somit nicht nur für den alltäglichen Gebrauch, sondern auch um hier die ein oder andere Party zu feiern. Die überraschten Gesichter der Jungs waren für mich Antwort genug. Diesen Luxus hatte niemand erwartet.

Ich schenkte Jamie ein dankbares Lächeln und nutzte die Zeit, um mich an dem großen Gemeinschaftstisch zu positionieren. Er hatte mich erst auf die Idee mit der Terrasse gebracht, als ich mit dem Architekten das Loft entwarf, das als Aufbau nur ein Stockwerk über dem, der Jungs lag. Meine persönliche Dachterrasse erstreckte sich in entgegengesetzter Richtung. Sie war allerdings doppelt so groß und besaß sogar einen kleinen Pool.

Nachdem alle sich wieder im Gemeinschaftsraum versammelten hatten, sahen mich manche immer noch sprachlos an. Ich nahm kurz von der vorbereiteten provisorischen Lostrommel Notiz, die für die spätere Zimmerverteilung bestimmt war. Es handelte sich lediglich um eine Schlüssel mit zusammengefalteten Zetteln. Daneben legte ich die Mappe mit den Verträgen ab.

»Der Kühlschrank ist voll und die Vorratsschränke sind aufgefüllt«, setzte ich meine Erklärungen fort. »Jamie hat eine Lebensmittelliste ausgearbeitet, auf der ihr vermerken könnt, was gerade ausgegangen ist. Es wird zwei bis dreimal in der Woche nachgefüllt. Ich bitte also darum, sie aktuell zu halten. Was nicht vermerkt wird, wird auch nicht eingekauft und muss von euch selbst besorgt werden. Ihr seid dafür selbst verantwortlich. Genauso wie fürs Kochen. Nicht alkoholische Getränke werden vom Club übernommen. Bier, Wein oder Ähnliches müsst ihr euch auf eigene Kosten zulegen. Dazu gilt allerdings eine Regel ... wer sich hier oben sinnlos besäuft, hat nichts im Club zu suchen. Im Club selbst gilt für euch absolutes Alkoholverbot. Wenn euch ein Kunde einen Drink ausgibt, dann ist das etwas anderes. So weit alles verstanden?«

»Und was ist mit härterem Stoff?«, kam es aus der Runde und er hielt zustimmendes Gemurmel.

Ich holte tief Luft. »Ihr könnt euch auch gerne mal einen Scotch genehmigen ... aber wie ich eben schon sagte ... wer hier jeden Abend eine rauschende Party mit Alkohol feiern will, der fliegt. Ausnahmen gibt es natürlich, wenn jemand Geburtstag hat. Aber bitte beachtet eure Dienstpläne.«

»Etwas enger sehen wir das bei Drogen«, fügte Jamie mit ernstem Tonfall hinzu und stellte sich an meine Seite. »Ihr alle habt den Drogentest bestanden und das wird nicht eurer letzter sein. Also fangt mit dem Scheiß gar nicht erst an.«

Der Reihe nach beäugten sich die Jungs und wirkten plötzlich ziemlich kleinlaut. Ich dagegen war froh, dass mich Lian in dieser Sache ärztlich voll und ganz unterstützte. Er würde künftig den Jungs einmal im Monat Blut abzapfen, um sie zudem auf HIV zu testen.

»Ist irgendjemand dabei, dem die bisherigen Regeln nicht zusagen?«

Keiner rührte sich und ich nickte zufrieden. »Dann kommen wir jetzt zu euren Unterkünften. In dieser Lostrommel befinden sich Zettel mit Zimmernummern. Wer später den Vertrag unterschreibt, wird einen ziehen und erhält gleichzeitig auch ein Armband für den Aufzug.«

Jamie ging voraus in den Flur und ich folgte ihm.

»Es stehen euch insgesamt zehn Zimmer zur Verfügung«, sagte ich und öffnete die Tür zu einem der geräumigen Schlafräume mit dazugehörigem Badezimmer.

»Wir müssen uns einen Raum teilen?«, kam es von einem dunkelhaarigen Typen mit breiten Schultern direkt neben mir. An seinen Namen konnte ich mich leider nicht erinnern.

Auf diese Frage war ich vorbereitet und hatte sie auch erwartet. Mit lässig hängenden Schultern sah ich ihn an und dann wanderte mein Blick über die restlichen jungen Männer. Ein paar wirkten unzufrieden. »Die meisten von euch kennen das frühere Black Desire«, bedeutete ich ruhig und begann vor ihnen mit verschränkten Armen auf dem Rücken auf und ab zu gehen. »Einigen von euch wurde hier sogar ein Schlafplatz zur Verfügung gestellt ... ganz ohne Gegenleistung«, dabei schielte ich flüchtig zu Jamie. »Ich habe vor, dieses Konzept fortzuführen. Doch die Umstände haben sich verändert. Das künftige Black Desire steht und fällt mit euch allen. Sprich ... ihr seid das Gesicht des Clubs. Ihr seid die VIP-Jungs. Nicht Jamie oder ich. Nicht einmal das tollste Ambiente kann euch ersetzen. Denn das, was die Kundschaft sich wünscht, das seid ihr! Niemand wird bevorzugt. Alle sind gleichgestellt. Egal, ob jemand oft oder gar nicht gebucht wird. Das spielt keine Rolle. Auf einen Haufen streitender Jungs kann ich liebend gerne verzichten. Ich möchte, dass ihr zu einer familiären Einheit verschmelzt. Dass ihr euch gegenseitig akzeptiert und respektiert. Natürlich weiß ich, dass so etwas nicht von jetzt auf gleich passiert. Deswegen habt ihr nun drei Wochen bis zur Eröffnung, um euch kennenzulernen. Insbesondere sollt ihr lernen, euch künftig einzuschätzen und Rücksicht aufeinander zu nehmen. Ihr alle sitzt in einem Boot. Wer nicht ins kalte Wasser fallen will, muss mit jedem hier klarkommen. Wem das nicht gefällt, der hat jetzt die Gelegenheit zu gehen.« Mit der Hand deutete ich zum Aufzug.

»Schöne Ansprache«, kam es von einem der anderen Jungs und er trat nach vorne. »Aber woher soll ich wissen, dass ich mit jedem hier auskomme? Und was ist, wenn ich meinen Zimmernachbarn überhaupt nicht ausstehen kann?«

Ich fixierte ihn mit einem strengen Blick. »Da hast du dir selbst die Antwort gegeben. Du bist nicht bereit, zu teilen oder wenigstens den Versuch zu starten, dich mit deinen Kollegen zu verstehen. Überlege es dir gut. Die Warteliste ist lang.«

Der junge Mann senkte den Blick und sah verstohlen zu Boden, während er sich nervös auf die Unterlippe biss. Sodann meldeten sich zwei weitere zu Wort.

»Sollen wir dann auch noch die Kohle mit denen da teilen?«, erkundigte er sich der Erste patzig.

»Ich zieh nur mit meinem Kumpel in ein Zimmer«, sagte der Zweite motzig und die beiden klatschten sich ab.

»Habt ihr eigentlich beim Casting zugehört?«, übernahm nun Jamie seine Rolle als leitender Geschäftsführer und baute sich vor ihnen auf. »Offensichtlich nicht. Jeder erhält ein Grundgehalt. Die Trinkgelder dürft ihr behalten. Ihr teilt eure Kohle also mit niemandem. Und das Leben ist übrigens kein Ponyhof. Was du willst und was du bekommst, sind zwei unterschiedliche paar Schuhe. Wobei ihr schon jetzt mehr habt, als die Jungs auf der Straße je haben werden. Sean bietet jedem von euch nicht nur einen Job, sondern auch eine mögliche Zukunft.«

»Ach ja, woher willst du wissen, dass er nicht nur Müll redet?«

»Weil Jamie mit mir im gleichen Viertel anschaffen war. Er ist cool und weiß, was er sagt«, warf ein besonders hübscher Typ ein. Sein Name war Kyle. An ihn konnte ich mich erinnern, weil Jamie ihn mir empfohlen hatte.

»Und ich kenne ihn auch«, kam es vom Nächsten. »Red keinen Scheiß! Jamie ist kein Lügner!«

»Wenn es euch nicht passt, dann haut doch ab. Ich bin auf jeden Fall bereit, mein Glück zu versuchen.«, sagte ein Dritter.

»Ich mach das jetzt schon drei Jahre. Und ich kannte auch Eddi. Er war ein cooler Kerl. So eine Chance bekommt man nur einmal«, meinte ein Weiterer.

»Ihr seid doch Schlappschwänze! Komm Steve, wir gehen.«

Die beiden Typen drehten sich um, schnappten sich ihre Rucksäcke und blickten mich dabei eiskalt an. Ich reagierte nicht darauf, sondern öffnete für sie den Aufzug, mit dem sie schließlich nach unten fuhren. Nun würden zwei auf der Warteliste nachrücken. Wenigstens hatten mir die Jungs gerade ihren wahren Charakter gezeigt. Die Übriggebliebenen waren tatsächlich bereit, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben.

»Die beiden haben ihre Wahl getroffen«, übernahm ich wieder das Wort. »Wenn es noch Einwände gibt, dann redet bitte offen. Noch habt ihr nicht unterschrieben.«

Plötzlich war alles still und ich schmunzelte in mich hinein.

»Ich habe noch eine Frage«, meinte Kyle etwas unsicher aber mit sichtlicher Neugier. Irgendwie erinnerte mich sein Gesichtsausdruck ein wenig an Tyler. »Ist das mit der Ausbildung wirklich ernst gemeint? Wir arbeiten ja im Club, wie soll das dann funktionieren? Das habe ich noch nicht ganz verstanden.«

Jamie grinste breit von einem Ohr zum anderen. »Kein Thema. Je nach dem, in welchem Bereich eure Stärken und Schwächen liegen und welche Schulbildung ihr vorzuweisen habt, könnt ihr aus dem baldigen Angebot eine für euch passende Ausbildung wählen. Dazu wird Sean mit jedem Einzelnen ein Gespräch führen. Tagsüber könnt ihr die Zeit zum Lernen nutzen und abends arbeitet ihr im Club. Zwischendrin wird es auch immer wieder Praktikas geben, währendessen ihr hier freigestellt seid. Das wird bei mir nicht anders sein. Mein erster Onlinekurs fängt in einem Monat an.« Er legte eine kurze Pause ein und blickte jeden der Reihe nach an. »Mit eurer Unterschrift erhaltet ihr die einzigartige Möglichkeit nach der Zeit als Callboy einen neuen Weg einschlagen zu können. Denkt gut darüber nach.«

Es folgte erneut zustimmendes Gemurmel. Ich beugte mich zu Jamie hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Tolle Ansprache. Darüber müssen wir nachher auch noch reden.«

Jamie nickte, ohne mich anzusehen, aber seine Reaktion verwunderte mich nicht. Ich hatte ihn zwar für die Onlinekurse bereits angemeldet, doch die Universität verlangte von mir vor Beginn noch einige wichtige Unterlagen. Das wusste er und doch ging er mir bislang geschickt aus dem Weg.

»Morgen werde ich anfangen, mit euch über die Ausbildung zu reden«, nahm ich wieder den Faden auf. »Heute könnt ihr euch erst einmal einleben und die Sachen verstauen. Aber bevor es so weit ist, möchte ich euch noch den privaten Fitnessbereich im vierten Stock zeigen. Ihr erreicht ihn ebenfalls mit den Armbändern.« Plötzlich stockte ich, denn es gab noch eine Sache, die mir ganz besonders am Herzen lag. Ich hob die Hand, um von jedem die volle Aufmerksamkeit zu bekommen. »Es gibt noch eine Regel, die ihr euch merken müsst. Ihr dürft euch frei im Club bewegen. Doch wer Besuch erwartet, muss ihn bei Jamie und mir anmelden. Familie und Freunde sind immer herzlich willkommen. Kundschaft hat in euren privaten Räumen nichts zu suchen. Das gilt vorrangig für sexuelle Gefälligkeiten. Dazu dienen die Zimmer von der ersten bis zur dritten Etage.«

Geistig hakte ich die Punkte ab, die unbedingt gesagt werden mussten. Ich war sehr zufrieden, dass augenscheinlich der Rest der Jungs mit meinem Konzept einverstanden war. Umso mehr genoss ich ihre teils verdatterten Mienen, als sie den Fitnessraum betraten, in dem es an nichts mangelte. Wenn der Statiker mir bald sein Okay geben würde, würde der bislang ungenutzte Bereich der vierten Etage auch seine Verwendung finden, doch das war noch Zukunftsmusik.

Schließlich unterschrieben alle achtzehn jungen Männer den Vertrag, zogen ihre Zimmernummern und erhielten ihre Armbänder. Danach ließen Jamie und ich sie allein. Seufzend nahm ich auf meinem Bürosessel Platz und legte die Aktenmappe auf den Schreibtisch zurück. Der größte Schritt lang nun endlich hinter mir und ich hatte das Gefühl, dass mir eine riesige Last von den Schultern genommen worden war.

»Soll ich die ersten beiden auf der Warteliste informieren?«, erkundigte sich Jamie, der mir gefolgt war.

»Kannst du gleich machen, aber erst gibt es etwas viel Wichtigeres. Du weißt, worauf ich hinaus will?«, ergriff ich auch sogleich das Wort, ehe Jamie unter irgendeinem Vorwand aus meinem Sichtfeld verschwand.

Mit hängendem Kopf blieb er am Fenster stehen und starrte mich zähneknirschend an. »Kannst du das nicht anders regeln?«

»Soll ich für dich Urkunden fälschen? Kommt nicht infrage! Es führt kein Weg daran vorbei. Wir brauchen die Originaldokumente.«

Jamie ballte die Fäuste. »Du kannst vieles von mir verlangen. Ich würde mich sogar von der gesamten Kundschaft durchficken lassen ... aber niemals wieder setze ich auch nur einen Fuß in das Haus. Der alte Saftsack kann mich kreuzweise!«

»Jamie ...«, begann ich mit ruhigem Tonfall auf ihn einzuwirken. »Ich weiß. Aber du musst auch mich verstehen. Die Schule braucht Nachweise über deinen bisherigen Schulverlauf und dein Abiturzeugnis.«

Ich schloss für einen Moment die Augen. Es war nicht das erste Mal in den letzten Wochen, dass wir darüber sprachen. Und es war nicht das erste Mal, dass sich Jamie querstellte. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schwierig es war, bis sich mein früherer BWL-Professor auf die Sonderreglung eingelassen hat? Du bist so verdammt clever und könntest jetzt schon ohne Studium den Laden führen. Ich will doch nur das Beste. Von mir aus ruf vorher deine Eltern an, die können alles zusammensuchen und du holst die Sachen nur ab.«

»Vorher stürze ich mich von der Spitze des Shards , ehe ich meinem Dad unter die Augen trete! Schon vergessen, mein ach so lieber Erzeuger hat mich mit einem Arschtritt vor die Tür gesetzt, weil ich in seinen Augen ein perverser Homo bin!« Jamies wunderschönes Gesicht verfinsterte sich schlagartig.

Ich nickte traurig, denn das hatte ich keinesfalls vergessen. »Aber du hast doch Geschwister. Können die nicht helfen?«, keimte jäh ein Hoffnungsschimmer auf.

Jamie starrte mich schockiert an. »Du ... du meinst ... Mia?«, stammelte er.

»Ja. Du telefonierst doch dauernd mit ihr? Ich würde sie wirklich gerne kennenlernen.«

Jamie schüttelte den Kopf. »Glaub mir, das willst du nicht.«

»Wenn sie nur halb so süß ist wie du, ist das kein Problem.«

»Es geht nicht um ihr Aussehen, ihr Problem liegt ganz woanders. Außerdem will ich meine Schwester nicht in die Schusslinie bringen«, wiegelte Jamie ab und wollte bereits zur Tür hinaus in den Flur stürmen.

»Wenn du es nicht tust, dann gib mir wenigstens ihre Telefonnummer und ich übernehme das. Du musst nicht mit deinen Eltern reden.«

Jamie blieb im Türrahmen stehen und drehte sich zu mir um. Sein Zorn schien ein wenig verraucht zu sein. »Du würdest das wirklich tun?«

»Komm mal her, mein Kleiner«, bat ich ihn mit einem Lächeln. Er schloss die Tür und trottete mit hängendem Kopf zu mir. Als er vor mir stand, zog ich ihn auf meinen Schoss. Ich legte ihm locker eine Hand um die Taille und drückte ihn an mich heran. Sanft hauchte ich ihm einen Kuss auf die Lippen und blickte ihm anschließend tief in seine dunklen Augen. »Seit du mich kennst, hat dich Daddy jemals im Stich gelassen? Wir sind Freunde, oder? Warum sollte ich dich ausgerechnet jetzt hängen lassen?«

Jamie senkte beschämt den Blick. Ich wusste, dass das Thema Familie ein rotes Tuch für ihn war. Er hatte zwar Kontakt zu seiner Schwester, aber auch mit ihr telefonierte er nur, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Doch dieses Mal konnte ich ihn nicht einfach gehen lassen.

»Dein Schweigen ist Antwort genug«, sprach ich weiter und stupste seine Nasenspitze mit meinem Zeigefinger an. »Du freust dich doch aufs Studium. Gib mir einfach Mias Nummer und den Rest erledige ich.«