Und ihrer ist das Himmelreich

Ich liebe Sie, ich liebe Sie, ich liebe Sie,

ich liebe Sie und hoffe, sie sind auch so.

Harry

 

PHILADELPHIA

hast du hündchen gegessen liebste

träume engel mit schnupfen

empfehle seele hat

mädchen geboren gesicht stutzflügel

sicherer tod.

HARRY LANGDON

(Rafael Alberti: Telegramm von Harry Langdon an Ben Turpin)

Daß ein armer Tropf wie Harry Langdon es nie zu etwas bringt und stets abgerissen herumläuft, versteht sich von selbst; ihm fehlt dazu die primitivste Voraussetzung: das notwendige gesellschaftliche Bewußtsein. Zu materiellen Dingen hat er ein recht unamerikanisches Verhältnis. Wenn sein Vater, ein ruinierter Schuhmacher, 25000 Dollar braucht, verspricht er ihm »I’ll get it in three months if it takes a year« (TRAMP TRAMP TRAMP). Und wie will er ihm helfen? Indem er sich an einer Werbeveranstaltung eines großen Schuhfabrikanten beteiligt und dessen Tochter den Hof macht. Unterwegs auf dem großen Wettlauf über den Kontinent passieren ihm seltsame Dinge. Einmal kommt er an einen Zaun mit der warnenden Aufschrift: Privatbesitz. Aber Harry hält nichts ab, er steigt über den Zaun – und schon hängt er über einer Klippe, denn nichts anderes war hinter diesem Zaun eingezäunt. Als er schließlich die Gefahren der großen Welt überwunden hat, deren Funktionieren ihm ein Rätsel ist, heiratet er – um das Märchen vollständig zu machen – die Tochter des Schuhfabrikanten. Und dann, genialer Schlußtrick, die Szene, wo Harry im Kinderwagen liegt und sich allem entzieht. Einer, der auszog, um ein ruiniertes Handwerk zu retten.

So viele Anspielungen auf die Märchenwelt und die Bibel wie bei Harry Langdon gibt es nur noch bei Chaplin; manche Handlungsanschlüsse streifen in ihrem traumhaften Charakter auch den Surrealismus. In THREE’S A CROWD setzt er in einer wunderschönen poetischen Szene eine Taube über die Gedankenverknüpfung »Brieftaube« als postillon d’amour ein. Im selben Film bringt er ein Pferd über eine Holzstiege in seine Behausung. Einmal läßt er verlauten: »Kannst du denn nicht begreifen, Papa, daß, wenn die Frau, die ich liebe, in Schwierigkeiten steckt, ich nicht herumlaufen und andere Frauen heiraten kann?« Derselbe Harry, der in THE STRONG MAN Sodom und Gomorrha vernichtet, bedarf zum Schluß des Films des Geleits einer Blinden, um sicher nach Hause zu finden.

Harry Langdon in THREE’S A CROWD/1927 verm./1924. Die Welt in Harry Langdons Filmen ist immer wie im Märchen oder Mythos, die Stadt wird zu Sodom und Gomorrha, die Straße zum Augiasstall und Chinatown zu einem verwunschenen Ort.

Der Gipfel von Harrys Unfähigkeit ist seine Ahnungslosigkeit gegenüber der Bedeutung des Geldes. Noch deutlicher als in TRAMP TRAMP TRAMP wird dies in THE STRONG MAN formuliert. Sein Verhängnis ist der Umstand, daß eine Geldrolle in seinem Gewand versteckt ist, was er nicht einmal bemerkt, obwohl er aus allen Taschen Popcorn futtert. Wenn ihn die geldgierige Lily deshalb attackiert, bemerkt er nur, daß es kitzelt. Daß vor allen Dingen dieser Welt ein wundersames Ding steht, ist außerhalb von Harrys Bewußtsein. Und wer so ein armer Tropf ist und bleibt, für den bleibt immer noch das Himmelreich: eine winzige Bruchbude, zu der eine elendlange Himmelsleiter hinaufführt und in der die Vorstellung über die widrigen Gesetze der Welt triumphiert (in THREE’S A CROWD).

So vorbewußt die von ihm verkörperte Figur ist, so bewußt war sich Langdon dessen, was er machte: »Die meisten äußerlich wunderbar komischen Momente sind voll von traurigen Merkmalen für den, der den düsteren Gehalt der Situation realisiert.«

Wahrscheinlich wurden deshalb seine Filme auch immer weniger komisch. »Christliche Unschuld« nannte er seinen Clown, und THREE’S A CROWD ist die direkteste Umsetzung dieses Mottos. Oder wie Grierson sagt: »Er überlebte Abgründe, Tornados und Frauen auf eine Art, die man mehr erwartete, als daß man darüber erstaunt gewesen wäre, und die Leuten wie ihm sogar in der Heiligen Schrift versprochen worden ist.«