Karlstadt/Valentin: das tragikomische Ehepaar

Die streitlustigen Eheleute des Welttheaters: Nicht Strindberg hat sie erfunden, nicht Albee, sondern Karl Valentin.

(Benjamin Henrichs)

Um eine Vorstellung von Valentins Aufführungswirklichkeit zu vermitteln, sei im folgenden der Versuch gemacht, eine authentisch ergänzte Inhaltsangabe eines seiner Ehe- und Kleinbürgerdramen, des »Christbaumbrettls« (1922), zu geben. Die Szene ist eine armselige Stube, deren einziger »Luxus« in Kitschgegenständen besteht, durchs Fenster sieht man eine Frühlingslandschaft. Die Karlstadt wartet auf ihren guten Mann, den langweiligen Uhu, der einen Weihnachtsbaum bringen soll für das Fest, das ein Grammophon mit jubilierenden Weihnachtsliedern ankündigt. »Die Weihnachtsglocken läuten; o hätte ich nie diesen Tag erlebt. Ich kann keine Freude mehr haben. Mein Sohn, mein Alfred, er ist ja nicht mehr bei uns … Die alten Augen sind müde vom Weinen, und das Bild ist so verstaubt, ich kann ihn gar nicht mehr sehen! Pfui!« Spuckt auf das Bild und wischt es mit dem Ärmel ab. »So, jetzt ist es besser, jetzt schaut er wieder so frisch in die Welt, daß man seine Freude daran haben kann …« Dann greift sie zum Telefon: »Sebastian, wo bist du denn augenblicklich? So, am Viktualienmarkt …« Ermahnung, sich von keiner Frau mit einem Kinderwagl überfahren zu lassen … Da klopft’s und Sebastian (Valentin) tritt auf, gewaltige Wattebäusche auf Schulter und Hut verteilt. Großes Aha. »Ja, i hab glei einghängt und bin glei herg’laufen.« Preist seinen Baum an, ganz billig hat er ihn bei einer Christbaumfabrik erstanden, gebraucht, aber noch wenig besungen.

Nun hat der Baum kein Christbaumbrettl, obwohl er eins haben sollte. Langer Disput, er könne den Baum auch halten, habe eh nichts zu tun, sei ja arbeitslos … Endlich: »Holst einfach so ein kleines Brettl rein, das machen wir hin.« – »So ein Stück Brettl halt.« – »Hier zieh dich zuerst aus.« – »Ganz?« – »Dein Mantel und dein Hut – aber leg mir an Hut nicht aufs Bett nauf, sonst zerlauft der ganze Schnee.« – »Der zlauft nicht, das ist ja ein Christbaumschnee.« – »Jetzt geh nur.« – »Ich trag jetzt mein Raglan naus und hol die Bretter.« Der Raglan ist ein alter Havelock, und das Lachen sticht er ab mit dem Hinweis, er habe ihn eben erst beim Isartor Bach (Isidor Bach) erstanden. Dazwischen Kindergeschrei. »Ja, wer hat denn das Kind verkehrt herg’legt, da steigt ja’s ganze Blut in den Kopf.« Sie legt das Kind mit einem Tintenlöscher trocken. Keine Ruhe. Ein Wiegenlied wird versprochen, sie nimmt eine Posaune von der Wand und bläst: Schlaf, Kindlein, schlaf (Variante: disparates Lied). Beim letzten Ton schläft’s. – Valentin kommt mit Riesenbrettern, sofort ein verzweifeltes Durcheinander von Fliegenfänger, Hängelampe und sonstigem Mobiliar. Wer meinen sollte, daß nach diesem Ansturm der Hausrat vernichtet ist, wird durch die noch folgenden Wellen der Zerstörung eines Besseren belehrt. (Aus dramaturgischen Gründen überleben ein großer Schaumkuchen und das weihnachtsliederschmetternde Grammophon besonders lang.) Beim Absägen und Durchbohren wird noch Diverses zersägt, zerschlagen und zerbohrt. Zwischendurch landen die handwerklichen Aktivitäten unter dem Rock der Karlstadt. Als zum Schluß der Tisch durchbohrt wird: »Das hättest glei tun können, da hätten wir überhaupt kein Brettl braucht.«

Beim Einheizen stellt sich unterdessen heraus, daß der Ofen raucht, der Kaminkehrer wird bestellt, über das ominöse Telefon, falls er gelegentlich zufällig Zeit hätte … Die Kinder hinter der Szene werden häufiger und heftiger ungeduldig: »Mama, Mama, wann is soweit?« – »Seids doch stad – ihr Hundsbankerten, ihr miserabligen!« – »Hundsbankerten brauchst net sagn zu dene Saukrippi« (Saukrüppel/Plural). Beim Schmücken werden Tisch, Baum und Baumschmuck umgeworfen, die Kerzenhalter zwickt sich Valentin an seine Steckerlfinger. Heult auf. »Seids stad, Kinder, der Vater is narrisch worn.« – Endlich: »So, du zündest jetzt amal den Baum an, und ich bring derweil die Kinder.« Zündet den Baum an, der brennt lichterloh. Schließlich doch noch Bescherung. »Ah, ah, der is schön!« Familiengesang: »Ein Prosit, ein Prosit, der Ge-müt-lich-keit! Oans-zwoa-drei-Gsuffa!« Gedicht des einen Kindes: »Sankt Niklas durch die Wälder schritt, manch Tannenbäumchen nimmt er mit.« Das andere Kind hat eine Haube für die Mutter. »Ja hast du die Haube selbst gestrickt?« Als sich herausstellt, daß die Haube beim Oberpollinger geklaut ist, sind die Eltern ganz gerührt über soviel Kindesliebe. Lob und Ermunterung für das brave Kind und große Verwunderung, daß es beim Oberpollinger, diesem Ramschladen, so schöne Hauben gibt. Die Karlstadt bekommt einen Papierdrachen: »Da schau her, du bekommst deine Fotografie, die hab ich vergrößern lassen.« Valentin erhält ein »Cockorell-Montorrad« (ein Kinderdreirad): »Heuer mußt noch treten, s’nächste Jahr kriegst dann an Hilfsmontor dazu.«

Nach der Bescherung Familiengesang: »Fuchs, du hast die Gans gestohlen …« Da bricht der Kaminkehrer in voller Montur und Ausrüstung herein, er hat zufällig gerade sofort Zeit, der Ofen wird zerlegt, die Bude eingeschwärzt. Allgemeines Tohuwabohu, die Kinder tanzen mit Ziehharmonika und Springseil (den Geschenken) um den Schaumkuchen herum, Valentin kurvt mit dem Dreirad herum und wirft alles um (was noch steht), die Deckenlampe bricht ganz herunter; Beschwerde, daß der Kaminkehrer das Fest stört, worauf sich dieser in den Schaumkuchen setzt. »Mama, Mama …« Der Kaminkehrer: »Jessas Maria! Daß mir das grad auf Johanni passieren muß.« – »Ja, wia komma denn Sie auf Johanni?« – »Was wolln S’ denn, heut ist doch der 24. Juni!« – »Himmikreuzsapprament! Da geht nacha mei Abreißkalender nach!«

Karl Valentin (Geiger) und Liesl Karlstadt (Kapellmeister) in SO EIN THEATER/1934. Die als Mann verkleidete Frau kehrt männliche Herrschaftsattitüden gegen den renitenten Orchestermusiker. »In der Identifikation mit ihm (dem Dirigenten) toben Machtphantasien sich aus … Man traut dem Histrionen auf dem Pult zu, daß er wie der Diktator nach Belieben Schaum vor dem Mund produziert … Die Dialektik von Herr und Knecht wiederholt sich en miniature … Die Verhaltensweise des Orchestermusikers zu beschreiben, liefe auf eine Phänomenologie der Renitenz hinaus … Wenn die Orchestermusiker, anstatt wie Kulturkonsumenten sich zu begeistern, knurrig und übellaunig in Viertel und Sechzehntel sich verbeißen, so tun sie wiederum auch der Musik selbst Ehre an, in der kein Geist objektiv gilt, der nicht Konfiguration von Noten geworden wäre … Orchestermusiker haben etwas vom Kafkaschen Hungerkünstler … Auch als brüchige Totalität ist das Orchester Mikrokosmos der Gesellschaft« (Adorno).

Das Paar Valentin/Karlstadt ist nicht nur der seltene Fall eines Komikerpaars Mann/Frau, es ist vermutlich sogar der einzige Fall, in dem die beiden gleichgewichtige Partner sind. Valentin reservierte sich manchmal die besseren Lacher, aber wir wissen heute, daß die künstlerische Zusammenarbeit der beiden so gut war, daß ein Teil von Valentins Werk eigentlich auf ihr Konto geht. »Nicht vergessen sei dabei Valentins ebenbürtige Partnerin, die Liesl Karlstadt, ohne die er, und sie ohne ihn nicht zu denken ist. Denn seine Szenen sind im eigentlichen Sinn Duodramen. Eine so ideale künstlerische Konstellation ereignet sich selten, so daß man hier von Fügung sprechen darf« (Ernst Penzoldt).

Sehr viel weniger harmonisch war freilich ihr persönliches Verhältnis, bedingt durch Valentins Launen und Ängste, aber womöglich auch dadurch, daß sie immer etwas im Windschatten von Valentins Erfolg stand. Die Strindbergschen Verhältnisse herrschten vor und hinter der Bühne. Die Selbstzerfleischung von Ehepaaren, meist nur in der verharmlosenden Boulevardform bühnengängig, ist hier ins Zentrum gerückt. Aber neben den Duodramen gibt es einen anderen, nicht minder wichtigen Aspekt der Geschlechterbeziehung. Während wir bei Komikern und Komikerpaaren als Normalfall registrieren können, daß komische Frauenrollen vom transvestierenden Mann gestaltet werden, stellt Liesl Karlstadt auch in dieser Hinsicht einen Sonderfall dar: Sie spielt häufig Männerrollen. Es scheint mir besonders kennzeichnend für die formale Radikalität des Valentinesken, daß hier der männliche Habitus vorgesetzter Personen häufig durch weibliche Körperkomik reflektiert wird.