Wider den Mißbrauch. Valentins Ideologiekritik und ihre Freunde

SOHN:

Wird dann das Volk auch gefragt, ob wir an Krieg wolln oder nicht?

VATER:

Nein! ’s Volk wird nicht gefragt, denn das Volk sind ja die Parteien …

SOHN:

Ja, Vata wennst du und deine Arbeitskameraden nie in einer Rüstungsfabrik arbeiten tatn, dann gab es doch keine Waffen …

VATER:

Viele Millionen Arbeiter … machen die Teile für fünf Millionen Nähmaschinen … in Wirklichkeit werden es lauter Maschinengewehre …

SOHN:

Hast du auch den Schwindel geglaubt?

VATER:

Ha ha – ich hab sofort gemerkt, daß das Waffen werden für den Krieg.

SOHN:

Warum hast du dann nicht gestreikt?

VATER:

Ich allein kann doch nicht streiken – wenn schon, dann müssen alle Arbeiter der ganzen Welt sofort in den Streik treten und keine Waffen mehr machen, dann wäre gleich Schluß …

SOHN:

Warum tun das dann die Arbeiter nicht?

VATER:

Mei, Bua, redst du dumm daher. Wenn i damals nach der großen Arbeitslosigkeit net in der Rüstungsfabrik gearbeitet hätt, wären wir, ich, die Mutter und du verhungert und die anderen Arbeiter auch.

SOHN:

Ja, du hast ja doch gearbeitet, und trotzdem müssen wir heute auch bald verhungern …

VATER:

Solange es Menschen gibt, gibt es Kriege.

SOHN: MENSCHEN? NEIN, VATA – IN DEM FALL MÜSSTE ES HEISSEN:

Solange es Arbeiter gibt, gibt es Kriege … Wenn sich aber die ganzen Arbeiter auf der Welt einig wären, gäbs dann auch noch an Krieg?

VATER:

Nein – dann nicht mehr – das wäre der ewige Friede.

SOHN:

Aber gell Vata – die werden nie einig.

VATER:

Nie!

(aus: Vater und Sohn über den Krieg/1947)

Ich habe eingangs schon Valentin in Schutz genommen vor dem Versuch, ihn umstandslos der dichterischen Avantgarde der 20er Jahre zuzuordnen. An Strömungen wie Dadaismus oder Futurismus interessiert ihn offensichtlich, wie hier kaputte Sprache thematisiert und Irrationales scheinrational bespiegelt wird. Sein eigenes Interesse an der Sprache nimmt vor allem den instrumentellen Umgang mit der Sprache aufs Korn. Valentin ist zweifellos der Ideologiekritiker unter den Komikern. Zugleich wirkt sein Werk aber auf die Pseudokritiker aller Couleur anziehend wie das Licht auf Motten. Wenn Valentin sich in dem Hörspiel »Buchbinder Wanninger« in der Sprache verirrt, dann eben deswegen, weil seiner Strategie, durch Höflichkeit Schaden zu vermeiden, die Heuchelei der Geschäftssprache zugrunde liegt. Daß gerade solche und ähnliche Texte von Helmut Schwimmer zum Gegenstand der Kommunikationswissenschaft gemacht werden, also gerade einer Wissenschaft, die in ihren austauschbaren Modellen den sozialen Charakter des Textes verschleiert, ist ein besonderer Hohn.

Ein recht typischer Artikel dieser Art lautet: »Das Spiel mit der Sprache bei James Joyce und Karl Valentin« (Schwimmer/1961). Wir erfahren aus diesem Artikel keineswegs, was Joyce oder was Valentin ausmacht. Die beiden dienen nur als Exempel für eine interessierte Kette angeklatschter Schlüsse. Aus der Kränklichkeit der beiden Herren wird darauf geschlossen, daß sie mit der Wirklichkeit auf kritischem Fuße stehen. Von dieser Wirklichkeitskritik werden sie dazu verleitet, Dinge einfach in Frage zu stellen, wie, was, warum, der konkrete Bedeutungszusammenhang jeglicher Kritik spielt jetzt schon keine Rolle mehr. Nun wird ein Zwischenargument ins Feld geführt: Die beiden Herren sind musikalisch. Wenn ein musikalischer Mensch in Frage stellt, braucht man sich nicht mehr zu wundern, wenn Sprache zum Klang wird. Nur noch klingende Sprache aber ist multivalent. Mit diesem Vermittlungsargument kommt Schwimmer endlich dahin, wo er will: Bei solchen Leuten sind Fehlleistungen unvermeidlich. Die Fehlleistungen dieser Herren sind aber nur die Vergröberung unserer eigenen. Somit ist eigentlich das Publikum zu kritisieren: Die Leute hören und sprechen nicht richtig, was wieder ein schönes Plädoyer für Semantik abgibt. Schwimmer schließt mit dem warnenden Hinweis, wie gefährlich es ist, wenn man sich ein falsches Bild von der Wirklichkeit macht.

Eng mit der sprachwissenschaftlichen Nutzbarmachung Valentins für die bürgerliche Wissenschaft ist die philosophische Variante verwandt. »Platon und Karl Valentin« heißt so ein Text (Karl-Heinz Ludwig/1977). Hier erfahren wir, daß sich die beiden Herren eigentlich unterscheiden, weil der eine mit der Begründung logischer Systeme zu tun hatte, der andere aber an Vernunft und Logik verzweifelt sei. Nach dieser Exposition geht es nur noch darum, überall, wo Valentin den zweckrationalen Mißbrauch von Vernunft und Logik aufzeigt, Valentin obiges Problem anzudichten. Weil es Valentin dabei aber um ganz konkrete Zusammenhänge geht, geht dies nicht ohne akademische Holzhackerei ab. Die Konvention wird so flugs zum abstrakten Denken, die Sprache wird der Inkonsequenz geziehen, und schließlich die Pointe: Die Erkenntnis wird, weil subjektiv, zur Unmöglichkeit. Mit der Popperschen Nutzanwendung versucht hier die positivistische Wissenschaftsfeindlichkeit auf Valentins Kosten ihr affirmatives Süppchen zu kochen: Wenn Erkenntnis immer von neuem verifiziert werden muß, leitet Erkenntnis nicht praktische Konsequenzen an, sondern unterwirft die Erkenntnis der Praxis.

Natürlich fehlt es auch nicht an Versuchen, Valentin für die heile Welt des sozialistischen Realismus zu funktionalisieren, wie etwa »Die einverständigen Katastrophen des Karl Valentin« (Axel Hauff/1976). Hauff ernennt Valentin zum Kleinbürger im ökonomischen Sinn (was nicht stimmt, da Valentin arme Leute verschiedenster Klassenlage gespielt hat), um ihn im Konflikt mit dem Großkapital zu porträtieren. Aus dem »Bittsteller« wird dann »Die Kraftprobe des kleinen Warenproduzenten mit dem Zins- und Wucherkapital« (man beachte die Kollision einer Person mit einer Kategorie). Daß weiterhin Valentins Konzentrationsunfähigkeit und Gedankenlosigkeit kennzeichnend für den Kleinbürger sei, ist ein Witz, den wohl der Autor selbst nicht glaubt. Er braucht ihn aber, um zu dem Schluß zu kommen, daß die Kleinbürgerrevolten perspektivlos sind, um Valentin anschließend seine eigene moralische Perspektive anzudichten. So fällt ihm bei Valentins entlarvenden Bemerkungen über das Krankenkassenwesen in einer Gesellschaft, die den Ruin der menschlichen Gesundheit schon einplant, die humanistische Phrase ein, es wäre der Zweck des Krankenkassenwesens, den Menschen zu dienen. Erwartungsgemäß steuert Hauff auch den Dialog »Vater und Sohn über den Krieg« an, nicht deshalb, weil in diesem Text (wenn man einmal von der Aussage zur Weltwirtschaftskrise absieht) ein Dutzend bitterer Wahrheiten stehen, sondern weil er darin einen Aufruf zur Einheit von SPD und KPD sieht. Seine Schlußbemerkung beweist, daß er sogar aus Tragikomik eine moralisch-perspektivische Phrase zu machen versteht: »… so sind Valentins Helden Gestalten des Übergangs von einer sozialökonomischen Formation zu einer anderen, indem – und darin liegt der Ansatz für ihre tragische Komik – das Alte nicht mehr ist und das Neue noch nicht.« Tragikomisch sind Valentins Gestalten, indem sie in das Elend und die Armut eben dieser Gesellschaft verwickelt sind und dabei die Ursache all ihrer praktischen Schwierigkeiten gleichzeitig zum interessierten Gegenstand ihrer Aktivitäten machen! – »Oh Jahrhundert, oh Wissenschaft!« (Ulrich v.Hutten).

Zum Schluß gibt es noch ein Gerücht zu erwähnen: Valentin sei ein Hypochonder gewesen, und deshalb sei sein Werk auch gar nicht so ernst zu nehmen, der traurige Blödsinn habe einen ganz harmlosen privaten Kern, und indem so der Tiefsinn des Blödsinns dingfest gemacht ist, steht dem ungenierten Konsum (theoretisch) nichts mehr im Wege. – Valentins Hypochondrie dahingestellt, dies ist wirklich einer der albernsten Höhepunkte psychologischer Rezeptionstechnik, die das Werk aus den privaten Mucken erklärt und damit leugnet. Aber wenn man schon glaubt, über den Autor eines Werks etwas zu wissen, so muß man erst einmal Rede und Antwort stehen, was den Autor zu dem gemacht hat, was er ist, bevor man irgendwelche unzulässigen weiteren Schlüsse zieht. Also, was ist Hypochondrie? Im letzten Abschnitt von Kants Anthropologie, dessen Lektüre Valentin sehr beeindruckt hat, heißt es über Hypochondrie: »… Verzagtheit, über Übel, welche Menschen zustoßen könnten, zu brüten, oder wenn sie kämen, ihnen widerstehen zu können …«

Das ist freilich eine Aussage, aus der man den ganzen Valentin herauslocken kann. Zunächst fällt auf, daß Kant vorsichtigerweise von »Übel« spricht und damit eingesteht, daß die Vorstellung sich nicht auf körperliche Grenzen fixieren läßt. Damit hat sich’s eigentlich schon aushypochondriert. Aber da’s schon mal angekündigt ist, weiter. Also 1. Brüten über Übel, welche Menschen zustoßen könnten: Das ist der Valentin, der an scheinbar sicheren Verhältnissen die darin enthaltenen Kollisionen sieht. Dabei ist er noch ein bescheidener Katastrophentheoretiker, den die Wirklichkeit bei weitem übertrifft; es kracht andauernd. Wer davor die Augen verschließt, leidet allerdings an einer gefährlichen »Krankheit«: Gedankenlosigkeit. 2. Verzagtheit über Übel, denen man nicht widerstehen kann, wenn sie kommen: Das, so muß man allen idealistischen Abstraktionen entgegenhalten, gilt freilich individuell immer. Bei Valentin zugleich mit der Katastrophenphantasie Verzagtheit über den Aberwitz und Irrwitz hinter der Fassade des rationalen Scheins. Ohnmächtiges Bewußtsein der Entfremdung, das ist Valentins Verfremdung. Valentin in seiner alltäglichen Abstraktheit ist der Mensch, der selbst ein blutiger Witz ist. Wenn aber ein Mensch wie Valentin die Widersprüche einer falschen Welt an sich selbst praktiziert, dann ist es kein Wunder, wenn dabei die Kunst und die Bretter, die die Welt bedeuten, in Brüche gehen. »Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören« (Hegel).