S ally bediente am nächsten Morgen eine Kundin, die einen silbernen Armreif suchte. Es waren jedoch nur noch zwei übrig, und die junge Frau machte ein enttäuschtes Gesicht, als ihr nur diese beiden gezeigt wurden.

»Ich wollte einen etwas breiteren«, beklagte sie sich. »Und ich bin mir sicher, dass Sie eine viel größere Auswahl hatten, als ich sie mir das erste Mal ansah.«

»Es gab einen regelrechten Ansturm auf diese Armreife«, sagte Sally. »Mir wurde versprochen, dass wir bald wieder mehr auf Lager haben werden – aber diese beiden hier sind viel preiswerter als die breiteren, und zusammen getragen sehen sie auch sehr schick aus. Warum probieren Sie sie nicht einfach mal an?«

Die Kundin zögerte, doch dann streifte sie beide über ihre Hand und hielt sie hoch, um die schmalen Silberreifen zu bewundern, von denen einer ganz schlicht und der andere mit Türkisen besetzt war.

»Ja, das sieht hübsch aus – und ist mal etwas anderes«, sagte sie, als sie die Armreife betrachtete. »Das etwas breitere Armband, das ich wollte, sollte ein Geschenk für meine Schwester sein …«

»Es könnte der Grundstein für eine kleine Sammlung von Armreifen werden«, schlug Sally vor, »und außerdem würden Sie diese beiden für den gleichen Preis erhalten wie ein breiteres Armband.«

»Ja, da haben Sie natürlich recht.« Die Kundin strahlte sie an und nickte. »Ich werde also einfach beide nehmen, und Amie werden sie bestimmt gefallen.«

Sally legte die Armreife in eine Schachtel und packte sie in Seidenpapier ein. Das Geld schickte sie nach oben an die Kasse und schob die Schachtel dann in eine der unverwechselbaren schwarz-goldenen Einkaufstüten.

»Diese Tüten sehen so edel aus, als kämen sie aus einem der Juwelierläden auf der Bond Street«, bemerkte ihre Kundin, als sie sie entgegennahm. »Ich denke, meine Schwester wird begeistert sein.«

»Das hoffe ich«, antwortete Sally. »Übrigens müssten wir bald schon neuen Schmuck hereinbekommen … vielleicht würden Sie Ihrer Schwester zu Weihnachten ja gern etwas Passendes zu den Armreifen kaufen?«

»Ja, das ist eine gute Idee«, sagte die Kundin. »Und da ich auch schon ein paar Stücke im Auge habe, die ich selbst gern hätte, werde ich nächsten Monat noch einmal vorbeischauen und sehen, was es Neues gibt.« Sie lächelte Sally an. »Es gefällt mir übrigens sehr, wie Ihre Schaufensterdekorationen auf das eingehen, was gerade aktuell ist, wie den Frühling, Ostern und so weiter, und das Fenster mit all den Päckchen und dem Geburtstagskuchen war einfach wunderbar.«

»Ja, Mr. Marco ist sehr kreativ«, stimmte Beth ihr zu. »Dieses Fenster hat auch mir sehr gut gefallen …«

Ein Klingeln verriet Sally, dass ihr Wechselgeld da war, und sie nahm es aus dem Behälter und zählte es ihrer Kundin in die Hand. Die Frau nickte lächelnd und wünschte ihr einen guten Morgen, bevor sie ging. Erst jetzt bemerkte Sally die sehr modisch und elegant gekleidete junge Frau, die sie aus schmalen dunklen Augen nachdenklich beobachtete.

»Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie warten ließ, Madam.«

»Ach was«, erwiderte die junge Dame lächelnd. »Ich bin keine Kundin, und es hat mir Spaß gemacht, Ihnen beim Bedienen zuzusehen, Sally. Denn Sie sind doch Sally Ross, nicht wahr?«

»Ja …« Sally zögerte einen Moment. »Und Sie sind Miss Harper, nicht? Mr. Harpers Schwester?«

»Ja, das bin ich.« Jenni trat vor und begrüßte sie mit einem festen Händedruck. »Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Sally, und nun, da ich Sie in Aktion gesehen habe, glaube ich, dass mein Bruder recht hatte.«

Sally runzelte die Stirn. »Entschuldigen Sie bitte, aber ich bin mir nicht ganz sicher, was Sie meinen …«

Jenni Harper lachte. »Ja, das glaube ich Ihnen gern, Miss Ross, weil ich meinen Bruder kenne und weiß, dass er sich erst mit mir beraten wollte, bevor er etwas erzählen würde. Er ist fünf Jahre jünger als ich, und ich habe mehr Erfahrung mit den Waren – aber ich habe von Ben gehört, dass Sie und einige andere Mitarbeiter sehr entschiedene Ansichten zu meiner Auswahl unserer Ware haben?«

»Ich bin Ihnen damit hoffentlich nicht zu nahegetreten, Miss Harper«, sagte Sally und warf einen Blick zu ihrer Vorgesetzten hinüber, die gerade einer Kundin Hüte zeigte. »Es ist nur so, dass wir von einigen Artikeln mehr benötigen – und die Mitarbeiter in der Herrenabteilung die kostspieligen Anzüge für den durchschnittlichen britischen Kunden und seinen Geldbeutel für ungeeignet halten.«

»Sie meinen, sie wollen nicht so viel Geld für einen guten Anzug ausgeben«, sagte Jenni und nickte. »Ja, das verstehe ich, Miss Ross. Ich war noch nie an diesem Ende der Oxford Street, bis ich meinem Onkel beim Einkauf der Waren half. Ich habe hier in England qualitativ sehr gute Ware für unsere New Yorker Läden eingekauft und dachte, sie würde sich auch hier verkaufen. Daheim in Amerika verkaufen wir an Männer, die das Beste wollen und auch bereit sind, unsere Preise für gute Schnitte und Stoffe zu bezahlen. Ich habe jedoch schon mit dem Leiter der hiesigen Herrenabteilung gesprochen und Waren in einer niedrigeren Preisklasse für sie bestellt. Darüber hinaus habe ich beschlossen, die sehr teuren Anzüge nach New York zurückschicken zu lassen und sie in unserem Winterschlussverkauf anzubieten.«

»Das ist eine gute Entscheidung«, sagte Sally, der das Lächeln nun schon leichter fiel. Denn abgesehen von einem leichten Akzent wies nichts darauf hin, dass Miss Harper Amerikanerin war, aber sie war eindeutig sehr freundlich und aufgeschlossen. »Wir haben hier die Möglichkeit, die weniger teure Ware zu verkaufen, und der Großteil des Umsatzes wird sicher im mittleren Bereich liegen. Gute Sportjacken und -hosen könnten ein Verkaufsschlager für den Sommer sein, glaube ich.«

»Sprechen Sie aus Erfahrung?« Ihre Worte schienen auf aufrichtiges Interesse zu stoßen, was Sally vor Freude erröten ließ.

»Ich habe ein paar Monate bei Selfridges gearbeitet. Dort kannte ich einen der Mitarbeiter aus der Herrenabteilung, der mir sagte, diese Dinge seien ihr größter Kassenschlager. Britische Männer neigen dazu, sich einen Anzug zu kaufen, der dann jahrelang herhalten muss, und tragen viel häufiger ein Sakko und eine Hose – es sei denn, sie müssten zu ihrer Arbeit einen Anzug tragen. Deshalb ist das untere Preissegment das beste, denn wer will schon ein Vermögen für einen Anzug fürs Büro ausgeben?«

»Gut gedacht!«, lobte Jenni. »Ein guter Anzug ist ein Zeichen von Wohlstand, und Männer geben sich gern den Anschein, sie hätten es bis ganz nach oben geschafft.«

»Ja, und ich bin mir sicher, dass diejenigen, die es sich leisten können, das auch hier in England tun«, stimmte Sally ihr zu. »Aber dann gehen sie nach Knightsbridge oder zu einem guten Schneider, um sich einen Maßanzug anfertigen zu lassen – und entscheiden sich für etwas Unauffälligeres, Dezenteres.«

Jenni nickte, als stimmte sie ihr zu, und sagte dann: »Mein Onkel hätte besser seine Hausaufgaben machen sollen, bevor er Ware einkaufte, nicht wahr? Was für Fehler haben wir noch gemacht?« Sie schien es wirklich wissen zu wollen und war weder wütend noch entrüstet, weil sie auf mögliche Fehler hingewiesen worden war.

»Nun ja, ich dachte, einige der Taschen aus Krokodilleder und dergleichen würden sich nie verkaufen«, berichtete Sally ihr. »Inzwischen ist es mir doch gelungen, zwei zu verkaufen – sie waren für einen ganz besonderen Anlass gedacht –, aber dennoch glaube ich, dass die preisgünstigeren Taschen schneller weggehen und wir daher eine größere Menge davon benötigen werden. Momentan haben wir noch genügend auf Lager, aber ich denke, in etwa einem Monat brauchen wir auf jeden Fall Nachschub.«

»Sehr gut, das sind genau die Informationen, die ich brauche«, sagte Jenni. »Mein Bruder hat auch einige Ideen, die er gern mit Ihnen besprechen würde, Miss Ross. Würden Sie heute Abend mit uns essen gehen? Es wird ein ruhiges Essen in einem malerischen kleinen Pub am Fluss sein, sodass Sie sich also nicht extra für den Anlass umzuziehen brauchen.«

Sallys Nervenenden kribbelten vor freudiger Erregung. Sie hatte gedacht, Mr. Harper hätte sie nach ihrem kurzen Gespräch vergessen, doch anscheinend hatte er sogar mit seiner Schwester über sie gesprochen. Jetzt konnte Sally es kaum erwarten zu erfahren, worüber die Geschwister mit ihr sprechen wollten …

»Ist alles in Ordnung, Miss Ross?«

Mrs. Craven hatte ihre Kundin bedient und kam nun mit einer etwas unsicheren Miene auf sie zu.

»Mrs. Craven?« Jenni Harper reichte ihr die Hand. »Ich bin Mr. Harpers Schwester und die Einkäuferin für unsere englische Filiale hier – vorläufig jedenfalls noch. Als mein Onkel noch lebte, hat er mir dabei geholfen, aber es ist eine zu große Aufgabe für eine einzige Person, und deshalb werden wir sie in Zukunft delegieren. Ich habe mich mit Miss Ross beraten, und was sie zu sagen hat, klingt interessant. Ich würde aber auch gerne hören, was Sie zu unseren Waren zu sagen haben …«

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Miss Harper«, sagte Mrs. Craven lächelnd. »Ich war schon ein bisschen besorgt – Miss Ross ist doch hoffentlich nicht in Schwierigkeiten?«

»Weit gefehlt«, sagte Jenni und lachte Sally an. »Ich denke, Sie werden schon bald erfahren, dass ihr eine Beförderung angeboten wurde. Und nun sagen Sie mir, was Sie von den Hüten, Tüchern und anderen Accessoires hier halten?«

Mrs. Craven ging mit ihrer Besucherin davon, und Sally wandte sich einer neuen Kundin zu. Innerlich zitterte sie vor Aufregung, auch wenn sie noch nicht ganz glauben konnte, richtig gehört zu haben. Hatte Miss Harper tatsächlich gemeint, dass sie daran dachten, ihr einen besseren Job zu geben?

Sie nahm sich jedoch zusammen und konzentrierte sich auf ihre Kundin, eine junge Frau, die eine Ledertasche suchte. Sally zeigte ihr einige Modelle, und schließlich kaufte die Kundin eine hellbraune Tasche mit Lasche und einer schlichten Messingschnalle. Dann fragte sie nach silbernen Ohrringen und kaufte auch von diesen ein Paar, worüber so viel Zeit verging, dass Jenni Harper inzwischen die Abteilung verlassen hatte, und Sally sich erst jetzt erinnerte, dass sie ihr noch keine Antwort auf die Frage gegeben hatte, ob sie heute Abend mit ihnen essen gehen würde.

Allerdings kam Mrs. Craven ein paar Minuten später zu ihr, um ihr auszurichten, dass Miss Harper sie nach Geschäftsschluss oben im Büro erwarten würde. »Sie wird dort auf Sie warten und sagte, da sie sich für den Abend nicht umziehen wird, könnten auch Sie sich diese Mühe sparen.«

Sally wäre gern nach Hause gegangen, um sich umzuziehen, aber vielleicht war das ja auch nicht so wichtig. Sie war schließlich nur eine Angestellte, und es handelte sich wohl auch mehr um eine geschäftliche Besprechung und nicht um eine richtige Einladung zum Essen.

»Mir scheint, dass Sie uns bald verlassen werden«, sagte Mrs. Craven. »Das tut mir leid, Miss Ross – aber wenn es eine Verbesserung für sie darstellt, freue ich mich natürlich für Sie.«

»Was für eine Arbeit?«, fragte Sally, die sich nicht sicher war, ob sie sich Sorgen machen oder sich freuen sollte. »Hat sie etwas Genaueres gesagt?«

»Das nicht, aber sie sagte, da sie die meiste Zeit in New York verbringen müsse, wolle sie zunächst einmal noch etwas länger hierbleiben, um Sie für die neue Aufgabe auszubilden, für die sie Sie vorgesehen haben … Es klang alles sehr geheimnisvoll, Miss Ross.«

»Miss Harper kauft für die New Yorker Häuser ein. Sie hat mich nach meiner Meinung zu unserem Bestand gefragt, und ich habe ihr ehrlich gesagt, was ich davon halte. Aber ich habe keine Ahnung, woher ich bekommen soll, was unser Laden braucht. Ich bin doch bloß eine Verkäuferin.«

»Na ja, sie hat angedeutet, dass Sie den Einkauf übernehmen sollen«, erwiderte Mrs. Craven. »Und falls Sie das Gefühl haben, die Ihnen angebotene Aufgaben wäre zu viel für Sie, können Sie sie ja auch immer noch ablehnen.«

Sally nickte. Ihr Magen rebellierte vor Nervosität, sie war aufgewühlt und unruhig. Vielleicht hätte sie ihre Ansichten besser für sich behalten sollen. Sie war schon immer sehr freimütig gewesen, aber jetzt hatte sie sich offenbar zu sehr eingemischt!

***

Sally kaufte sich einen neuen Spitzenkragen, um nach dem langen Arbeitstag einen sauberen tragen zu können. In der Personaltoilette wusch sie sich Hände und Gesicht und tupfte ein Tröpfchen Lavendelwasser hinter ihre Ohren. Bei der Arbeit war es zwar verboten, aber abends durfte sie doch wohl ein bisschen Parfüm benutzen, wenn sie wollte?

Miss Harper öffnete sofort, als Sally an die Bürotür klopfte. Sie hatte ihren schicken Mantel an, trug eine große Ledertasche in der Hand und ein Bündel Akten unter dem Arm und lächelte, als sie Sally sah. Nun, da sie nicht mehr ganz so nervös war, hatte Sally Zeit, den Unterschied in ihrem Kleidungsstil zu registrieren. Engländerinnen neigten zu hübscheren, weicheren Stilrichtungen, die ebenso feminin wie schick waren, während Miss Harpers Kleidung von Klarheit und Strenge in den Linien geprägt war.

»Schön, dass Sie so pünktlich sind, denn unser Wagen wartet schon. Mein Bruder wird erst nach seiner Besprechung kommen, was mir jedoch die Gelegenheit geben wird, noch einige Dinge mit Ihnen durchzugehen, bevor er kommt.«

»Werden Sie schon bald nach Amerika zurückkehren, Miss Harper?«, fragte Sally, als sie gemeinsam die Treppe hinuntergingen.

»Ich hatte eigentlich vorgehabt, mit auf der Titanic zu reisen«, sagte Jenni und seufzte dann. »Es wäre sehr aufregend geworden, es ist schließlich die Jungfernfahrt des Schiffs, aber ich konnte mein Ticket noch an jemanden verkaufen, der unbedingt eine Luxuskabine wollte, und werde also noch ein paar Wochen in London bleiben. Wenn Sie meine Aufgabe übernehmen sollen, brauchen Sie zunächst noch Unterstützung …«

»Sie meinen, ich soll Ihre Aufgabe als Einkäuferin für das Kaufhaus übernehmen?« Sally schnappte nach Luft und verspürte ein eigenartiges Kribbeln in der Wirbelsäule. Sie hatten die Vorderseite des Kaufhauses erreicht, wo ein teures Auto am Straßenrand parkte. Es war glänzend poliert und gelb und schwarz lackiert, und am Steuer saß ein in nüchternes Grau bekleideter Chauffeur. »Damit fahren wir?« Sally lachte. »So ein Auto habe ich noch nie gesehen.«

»Es gibt für alles ein erstes Mal.« Jenni lächelte. »Glauben Sie nur ja nicht, dass wir schon immer reich waren, Sally – ich darf Sie doch Sally nennen, hoffe ich? Und Sie müssen mich Jenni nennen. Schließlich werden wir eng zusammenarbeiten und Freundinnen werden …«

»Sie sind einfach unglaublich, Jenni …«

»Bin ich das?« Jennis Augen funkelten verschmitzt. »Das war auch meine Absicht, weil ich etwas Gutes zu erkennen weiß, wenn ich es sehe, und nicht will, dass Sie Bens Angebot ablehnen.«

»Ich habe keinerlei Erfahrung im Einkauf«, sagte Sally wahrheitsgemäß. »Ich habe zwar meine Meinung dazu gesagt, aber nur aus dem Gefühl heraus, denn leider verstehe ich rein gar nichts von der Beschaffung von Waren …«

»Das werden Sie, wenn mein Bruder und ich Sie eingearbeitet haben«, sagte Jenni. »Mein Onkel hat mich buchstäblich ins kalte Wasser geworfen, als ich sechzehn war, Sally. Ich sollte die Ware für seinen neuesten Laden einkaufen und dafür sorgen, dass es gute Ware war, und dann musste ich zusehen, wie ich damit zurechtkam. Aber keine Bange, das werde ich Ihnen nicht zumuten.«

Sally ließ sich auf dem Rücksitz des imposanten Fahrzeugs nieder und nahm sogleich den unverwechselbaren Geruch von Leder und einem kostspieligen Parfüm wahr.

»Oh, was für ein wundervolles Parfüm!«, rief Sally aus. »So unaufdringlich und dennoch faszinierend!«

»Es war ein Geschenk von jemandem namens Elizabeth Arden«, sagte Jenni. »Sie hatte es aus Paris mitgebracht, wo sie sich eine Zeitlang aufhielt, um mehr über Kosmetik für Frauen zu lernen. Sie ist jemand, von dem Sie noch viel hören werden, wenn ihre Produkte bekannter sind. Für unsere amerikanischen Kaufhäuser habe ich bereits einige ihrer Gesichtscremes eingekauft. Hier in England haben wir sie zwar noch nicht, aber ich verlasse mich darauf, dass Sie mir Bescheid geben werden, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Wenn Mrs. Arden ihre Produkte für jedermann zugänglich macht und nicht nur für die Besucherinnen ihres Schönheitssalons, werden auch wir sie führen können.«

»Diese Elizabeth Arden … ist sie Amerikanerin?«

»Nein, Kanadierin, aber sie wird ihr Geschäft auch auf Amerika ausweiten, und ich bin mir sicher, dass es ein großer Erfolg werden wird, sobald sie ihre Produktpalette ausreichend vergrößert hat.«

»Es muss aufregend sein, neue Produkte zu entwickeln und sie einzuführen«, sagte Sally, die innerlich schon wieder ganz nervös war, wenn auch mehr aus Freude als aus Besorgnis. »Vor allem solch wundervolle Parfums und schöne Kleidung.«

»Dann mögen Sie also hübsche Kleidung.« Jenni nickte und lächelte. »Auch ich liebe Mode, aber ein Einkäufer für ein Geschäft wie Harpers muss über alle möglichen Produkte auf dem Laufenden sein. Ich möchte nach und nach nämlich noch mehr Abteilungen eröffnen, so auch eine für Kosmetik, eine Kinderabteilung und noch andere. Wir werden mehr Personal benötigen, aber wir tasten uns ja zunächst noch langsam vor. Es ist harte Arbeit, für einen Laden dieser Größenordnung einzukaufen, Sally, und manchmal machen wir Fehler und man gibt uns die Schuld, wenn der Umsatz schlecht ist. Aber Sie haben ein gutes Auge, und wenn Sie lernen, auf die zu hören, die die Waren verkaufen müssen, werden Sie es schon bald lernen.«

»Ich würde es gern versuchen«, sagte Sally, obwohl ihr Magen sich wieder einmal verkrampfte. Aber es würde Spaß machen, neue Waren ausfindig zu machen – und zu reisen. »Ich nehme an, dass diese neue Aufgabe auch Reisen innerhalb des Landes einschließt, um sich Waren anzusehen, bevor man sie bestellt?«

»Oh ja – allerdings werden Sie vorerst mit dem Zug reisen müssen. Ich werde meinen Bruder bitten, Ihnen das Fahren beizubringen, und dann besorgen wir Ihnen ein Auto oder vielleicht auch einen kleinen Lieferwagen. Es ist immer gut, ein paar neue Waren mitzubringen, wenn es möglich ist.«

Das luxuriöse Auto hatte sie sanft durch die Dämmerung zum Fluss hinabgefahren. Als Sally das altmodische Gasthaus erblickte, war sie entzückt. Vorn im Hof brannte zischend eine Gaslampe, und sie konnte sogar Pferde in den Ställen auf der Rückseite des Gebäudes hören.

Drinnen waren die Decken niedrig und die Balken rauchgeschwärzt, die Tische aus glänzend aufpolierter Eiche stammten aus einem anderen Jahrhundert. Harding’s war ein altmodisches, renommiertes Gasthaus in einem Gebäude aus dem siebzehnten Jahrhundert. Kleine Öllampen auf den Tischen sorgten für eine intime Atmosphäre, und in einer Kaminecke stand ein wunderschönes Blumenarrangement.

»Ich liebe Gasthöfe wie diesen«, bemerkte Jenni, als der Kellner kam, um sie zu ihren Plätzen zu führen, und ihnen dann die Speisekarten und eine Weinkarte überreichte. »Dies ist Bens Lieblingsrestaurant in London.« Sie blickte zu dem Kellner auf. »Mein Bruder wird sich uns später anschließen, Edwin – und in der Zwischenzeit hätten wir gern eine Flasche Ihres besten halbtrockenen Weißweins – und gut gekühlt, bitte.«

»Sehr gern, Miss Harper. Ich weiß ja, dass Sie nur das Beste mögen.« Er lächelte ihr zu und ging.

»Es ist kühl heute Abend«, bemerkte Jenni fröstelnd. »Dabei haben wir schon April, und ich dachte, es wäre inzwischen etwas wärmer. New York kann im Winter bitterkalt sein, aber wenn es dort warm ist, ist es richtig warm.«

Sally lachte. »Bei uns geraten Frühling und Sommer immer wieder durcheinander. Selbst im Juni sind die Abende oft noch kühl.«

»Da ziehe ich doch Florida oder Kalifornien vor«, antwortete Jenni. »Normalerweise fahre ich in die Sonne, sobald ich die Bestellungen der Winterwaren erledigt habe. Ich glaube nicht, dass ich hier leben möchte – aber Ben sagt, es gefiele ihm hier, und wenn das Geschäft gut läuft, könnte es sogar sein, dass er nach London umzieht.« Sally bemerkte jetzt ein Näseln in Jennis Stimme, das nicht immer da war, sie jetzt aber eher wie eine Amerikanerin klingen ließ.

»Es ist wirklich schade, dass Sie die Gelegenheit verpasst haben, mit der Titanic zu fahren«, sagte Sally. »Ich habe alles darüber gelesen – es heißt, sie sei ein großartiges Schiff mit allem nur erdenklichen Luxus an Bord …«

»Na ja, es wird schon noch ein anderes Mal geben.« Jenni lachte. »Ich konnte Sie doch nicht einfach den Haien zum Fraß vorwerfen, Sally. Ben schien zu glauben, Sie würden auch ohne mich zurechtkommen, aber trotzdem habe ich ihm versprochen, bis irgendwann im Mai zu bleiben. Ich werde Ihnen helfen, Ihre ersten Lieferanten zu treffen, und Ihnen beibringen, wie man sie dazu bringt, einen besseren Preis zu machen. Der liegt zunächst nämlich immer erst einmal mindestens zwanzig Prozent über der Untergrenze.«

Sally blickte auf, als der Kellner kam und ihnen jeweils ein Glas Wein einschenkte. Als Sally den ersten Schluck probierte, war sie angenehm überrascht über den spritzigen und ein wenig fruchtigen Geschmack. »Der Wein ist köstlich«, sagte sie.

»Mögen Sie Wein?«, fragte Jenni.

»Ich trinke ihn nur selten«, gab Sally zu. »Wenn ich überhaupt etwas trinke, was ich nur bei besonderen Anlässen tue, nehme ich normalerweise einen Sherry oder einen Portwein mit Zitrone.«

»Ja, das habe ich hier schon oft gehört«, sagte Jenni. »Meine Tante trinkt immer Champagner, aber sie kommt ja auch aus einem vermögenden Elternhaus. Mein Onkel hat sich kaputtgearbeitet, um sein eigenes Vermögen zu machen, während meine Eltern nur einen bescheidenen Eisenwarenladen in einem kleinen Ort besaßen. Als sie beide an einem Fieber starben, lud meine Tante Ella mich ein, bei ihnen zu leben, während Ben von meinem Onkel aufs College geschickt wurde. Ich begann damals in seinem Kaufhaus zu arbeiten, aber nach drei Wochen als Verkäuferin an verschiedenen Ladentheken beförderte er mich zur Einkäuferin des ganzen Unternehmens und sagte mir einfach nur, ich solle mich ans Werk machen. Und alles, was ich hatte, waren eine Liste mit Namen und ein ganzes Kaufhaus, das ich mit Waren füllen sollte.«

Sally schaute sie entgeistert an. »Das muss ja geradezu beängstigend gewesen sein?«

»Und ob! Am Anfang stand ich Todesängste aus – aber irgendwie habe mich durchgemogelt, so gut es ging, und hatte dann das Glück, einen neuen Modedesigner zu entdecken, der sein Unternehmen gerade erst gegründet hatte. Als seine Kollektion dann binnen weniger Wochen ausverkauft war, hat mir das Selbstvertrauen gegeben. Seitdem habe mich so oft wie möglich für neue Designer und Lieferanten entschieden, von denen einige sich als echte Glücksgriffe erwiesen. Ein einziges Mal nur erlebte ich einen totalen Reinfall, was aber daran lag, dass der Designer die Qualität seiner Kollektion verschlechtert hatte, nachdem ich die erste gekauft hatte. Natürlich habe ich seine nächste Kollektion nicht mehr genommen, und auch niemand sonst hat es getan.«

Sally begriff nun, wie ausschlaggebend Einkäufer für das Gedeihen kleiner Unternehmen sein konnten und welche Verantwortung mit ihren Entscheidungen einherging.

»Zu Anfang werden entweder mein Bruder oder ich Ihnen zur Seite stehen, und Sie werden unsere Zustimmung benötigen, bevor Sie Ihre Bestellungen aufgeben«, fuhr Jenni fort. »Mit der Herrenabteilung und allem anderem im Parterre werden Sie allerdings nichts zu tun haben, weil Mr. Stockbridge und Ben sich darum kümmern werden. Zu Ihren Aufgaben gehören also Schmuck, Taschen, Schals, Handschuhe und Mode. Ich denke, dass Sie das leicht schaffen müssten. Und da Sie einen gesunden Menschenverstand und einen guten Blick besitzen, werden Sie mit Sicherheit schnell lernen. Ich jedenfalls habe vollstes Vertrauen in Sie.«

Sally sagte nichts, weil ihr all das zu schön erschien, um wahr zu sein. Warum sollten Jenni und ihr Bruder ihr zutrauen, für Harpers einzukaufen? Sie hatte keinerlei Erfahrung in diesen Dingen, und ihre Vorschläge waren nur eine Antwort gewesen, als Mr. Harper seine Fragen gestellt hatte. Bestimmt war all das nur ein Traum, aus dem sie jeden Augenblick erwachen würde!

»Was denken Sie?«, fragte Jenni.

»Nur dass es eine große Verantwortung bedeutet.«

»Wie ich schon sagte, hatte ich niemanden, der mir zur Seite stand. Sie dagegen werden uns haben …« Jennis glänzende Augen schienen Sally herauszufordern, ihr zu beweisen, was sie konnte.

»Na ja, wenn Sie meinen, dass ich es schaffen werde …« Sally blieb skeptisch, doch im selben Moment betrat Mr. Harper den Raum, und wie magisch von ihm angezogen, blickte sie zu ihm hinüber. Er trug einen sehr eleganten Anzug, von dem sie annahm, dass er eine Maßanfertigung aus der Savile Row sein musste, und er sah sehr distinguiert und attraktiv darin aus. Für einen Moment begann ihr Herz zu rasen, als sie sein Lächeln bemerkte, und dann war er auch schon an ihrem Tisch.

»Guten Abend, Miss Ross«, sagte er höflich und reichte ihr die Hand, als sie aufstand. »Und entschuldigt bitte, dass ich euch warten ließ, Jenni. Habt ihr schon bestellt?«

»Nein, wir haben auf dich gewartet«, erwiderte seine Schwester. »Ich hätte gern den Lachs mit Spargel in Aspik und danach eine Seezunge und sautierte Kartoffeln mit Erbsen.«

»Und Sie, Miss Ross?«, fragte er und zog eine seiner feingeschnittenen Augenbrauen hoch.

»Könnte ich bitte das Gleiche haben?«

»Aber natürlich – und ich denke, ich werde ein Steak mit Pommes frites und Champignons nehmen.«

Der Kellner wurde herbeigerufen, um die Bestellung aufzunehmen, und er brachte auch gleich ein Weinglas für Mr. Harper mit.

»Nun, Miss Ross?« Ben Harpers Augen leuchteten voller Vorfreude. »Hat Jenni Ihnen von unserer Idee erzählt, dass Sie den Einkauf für unser Londoner Geschäft übernehmen sollen? Schmuck, Taschen und Mode – also all die Dinge, die Frauen so lieben?«

»Ja … nur weiß ich immer noch nicht, warum Sie ausgerechnet mich für geeignet halten«, gab Sally ehrlich zu. »Bei unserem Gespräch hatte ich Ihnen gesagt, was ich über die Dinge denke, die ich beobachte, aber vom Einkauf verstehe ich wirklich nichts.«

»Jenni verstand noch weniger davon, als mein Onkel ihr die Stelle gab«, entgegnete er gut gelaunt. »Außerdem wird sie Ihnen alles zeigen, bevor sie abreist – und dann werde ich ja auch noch da sein. Mr. Stockbridge und Marco sind beide gut in dem, was sie tun, und werden den Einkauf für die anderen Abteilungen übernehmen, bis wir die richtigen Leute dafür gefunden haben – obwohl ich Ihre Meinung durchaus schätzen werde, falls Sie den Eindruck haben sollten, dass sie Fehler machen.« Jetzt grinste er sie sogar an, und ihr Herz machte einen komischen kleinen Sprung. »Wann immer Sie einen neuen Lieferanten ausprobieren wollen, müssen Sie allerdings zuerst mich oder Jenni davon überzeugen. Denn ich muss den Kopf hinhalten, wenn etwas schiefgeht.«

»Ich würde es gern versuchen«, sagte Sally. »Natürlich ist mir klar, dass ich noch sehr viel lernen muss – was aber bestimmt sehr interessant sein wird.«

»Und auch harte Arbeit«, warf Jenni warnend ein. »Ich bleibe in Verbindung, so gut ich kann, aber erwarten Sie für mindestens vier bis sechs Monate nach meiner Abreise keinen weiteren Besuch von mir.«

»Jenni muss zwei unserer Geschäfte in New York mit Ware bestücken«, sagte Ben Harper mit einem liebevollen Blick in ihre Richtung. »Sie ist die beste Schwester der Welt, Miss Ross – und ich weiß, dass sie die Reise ihres Lebens geopfert hat, um das hier für mich zu tun.«

»Und dafür schuldest du mir etwas«, sagte Jenni mit einem Blick, der Bände sprach. »Ich werde mir etwas überlegen, Brüderchen, womit du es wiedergutmachen kannst.«

Sally lachte über das Geplänkel zwischen ihnen. Sie waren beide lebhafte, dynamische Menschen, und sie hatte noch nie jemanden wie sie kennengelernt. Beide waren attraktiv und verliehen eher ihrer Kleidung Schick und Eleganz als umgekehrt. Außerdem hatte Sally noch nie zu einer Familie gehört, und so sorgten die liebevollen Neckereien dafür, dass sie sich bei ihnen wohlfühlte. Sie waren warmherzige Menschen, und Sally spürte, dass beide auch sehr kluge Geschäftsleute waren – und Jenni ihren Bruder in jeder Hinsicht unterstützte. Sie wollte, dass das Londoner Harpers ein Erfolg wurde und war deshalb sogar bereit gewesen, auf die Jungfernfahrt dieses fantastischen neuen White-Star-Ozeanliners zu verzichten.

»So«, sagte Ben, als der Lachs gebracht wurde. »Sie werden die Stelle also annehmen, Miss Ross. Und was das Gehalt angeht – ist das für Sie akzeptabel?«

»Ich glaube nicht, dass wir bereits darüber gesprochen haben«, sagte Jenni. »Wir hatten für den Anfang an zwanzig Pfund im Monat gedacht – und wenn der Laden gut läuft, werden wir Ihr Gehalt in sechs Monaten verdoppeln.«

»Zwanzig Pfund im Monat?« Sally schluckte, weil sie nicht sicher war, richtig gehört zu haben, da zwanzig Pfund weit mehr waren, als sie in ihrem ganzen Leben je verdient hatte. »Das ist ganz schön viel …«

»Nicht für eine Einkäuferin«, warf Jenni ein. »Im Moment verdiene ich hundertfünfzig Dollar im Monat und trage mich schon mit dem Gedanken, eine Gehaltserhöhung zu verlangen. Meine und nun auch Ihre Tätigkeit ist mit einer enormen Verantwortung verbunden, und Sie werden Ihr Geld verdienen müssen, Sally. Sie werden nicht nur dafür verantwortlich sein, neue Waren zu beschaffen, ihren Transport hierher zu organisieren und die Preise festzulegen, sondern auch dafür, dass die neuesten Modelle die besten Plätze in den Schaufenstern erhalten. Was unter anderem auch längere Arbeitszeiten mit sich bringt, Sally. Die Gehaltszulage wird also wohlverdient sein, das kann ich Ihnen versprechen, meine Liebe.«

»Ja, denn ich möchte auch zu den Schaufensterdekorationen Ihre Meinung hören«, sagte Ben Harper ernst. »Ich denke, einige der Fenster sind durchaus noch verbesserungsfähig. Jenni hat gleich nach ihrer Ankunft hier eins selbst neu dekoriert … Marco besitzt zwar Stil und Geschmack, aber wie wir alle braucht auch er neue Ideen.«

Sally kam schlagartig wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie würde viele Überstunden machen müssen, um eine solche Arbeit zu bewältigen – aber andererseits war es auch genau das, was sie brauchte. Bisher hatte sie abends Stunden damit verbracht, durch die Straßen zu bummeln, nur um nicht in die Bruchbude zurückzumüssen, in der sie lebte, aber so würde sie sich bis spät in ihrem Büro aufhalten … und konnte sich auch nach einer besseren Wohnung umsehen!

»Ich könnte mir ein Zimmer in der Nähe von Harpers suchen«, schlug sie vor. »Außerdem macht es mir nichts aus, nach Feierabend zu arbeiten, denn schließlich zieht mich nichts nach Hause.«

»Haben Sie denn keine Familie – oder einen Freund?«, fragte Jenni mit mitfühlendem Gesichtsausdruck.

»Leider nicht, da ich in einem Waisenhaus aufgewachsen bin«, antwortete Sally. Das hätten sie auch aus ihren Unterlagen erfahren können, wenn sie nachgesehen hätten, aber wahrscheinlich wussten sie es schon und wollten nur ihre Geschichte hören. »Ich habe niemanden.«

»Jetzt schon«, sagte Jenni. »Ich möchte, dass wir wie eine Familie sind, Sally. Wenn Ihnen der Laden am Herzen liegt, werden Sie Ihr Bestes geben!«

Sally nickte stumm, weil sie viel zu beschäftigt mit ihrem Essen war. Etwas so Köstliches wie diesen Lachs hatte sie noch nie gegessen, und auch die Seezunge schien ihr geradezu auf der Zunge zu zergehen. Der Rest des Abends verging wie im Flug, und ehe sie sichs versah, hatte Ben Harper sie zum Wohnheim gefahren und verabschiedete sich von ihr.

»Ich bin froh, dass Sie bei uns sind, Sally – und auf meiner Seite stehen.« Dann stieg er aus, öffnete ihr die Tür und reichte ihr die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Sein Blick glitt dabei abschätzig über das Wohnheim. »Kein Wunder, dass Sie umziehen möchten – ich werde sehen, was ich näher am Kaufhaus finden kann. Sie können sich jetzt etwas Anständiges leisten.«

Sally bedankte sich bei ihm. Und erst als sie in ihrem Zimmer war, wurde ihr bewusst, dass Mr. Harper sie mit Sally angesprochen und ihre Hand eine Sekunde länger als nötig gehalten hatte.

Unwillkürlich runzelte sie die Stirn, weil sie gelernt hatte, auf der Hut zu sein, was Männer anging, und wusste, dass es nicht ratsam wäre, ihren Arbeitgeber zu sehr zu bewundern. Jenni war geradeheraus und hatte es ernst gemeint, als sie sagte, sie wolle, dass sie Freunde wurden – aber war es für eine Frau überhaupt möglich, mit einem Mann befreundet zu sein? Sally wusste nur, dass es sehr leicht war, den Kopf in der Gegenwart von jemandem wie Mr. Harper zu verlieren.

Irgendetwas zog sie zu ihrem Fenster, und sie warf einen Blick die Straße hinunter. Mr. Harpers Auto war nicht mehr da, aber vor dem Pub stand Mick und schaute zu ihrem Fenster hinauf. In dem Licht hinter ihr konnte er sie sehen, und deshalb trat sie zurück, ließ die Gardine an ihren Platz zurückfallen und zog auch noch die schweren Baumwollvorhänge zu. Mick hatte sie offenbar mit Mr. Harper ankommen gesehen. Ob er jetzt wohl dachte, sie sei mit ihrem Liebhaber unterwegs gewesen?

Schließlich beschloss sie, Mick kurz zuzuwinken und ihm bei ihrer nächsten Begegnung von ihrer Beförderung zu erzählen, damit er nur ja nichts missverstand. Denn es mochte ihr zwar gefallen, zu einem so köstlichen Essen eingeladen zu werden und eine viel besser bezahlte Stelle zu bekommen, aber sie war nicht so dumm, darüber den Kopf zu verlieren, wie es Sylvia passiert war. Nicht einmal aus Dankbarkeit …