B eth war fast den ganzen Vormittag beschäftigt. In ihrer Pause ging sie jedoch in den Keller, um mit Fred eine Tasse Tee zu trinken und die Kokosnusstörtchen mit ihm zu teilen, die sie am Vorabend gebacken hatte. Er war gut gelaunt, jetzt, da er wusste, dass sein Sohn noch am Leben und unverletzt war. Die Zeit verging wie im Flug. Es waren schon etliche Tage seit der Tragödie auf der Titanic vergangen, und Beths Pläne, Fred zu Hause zu besuchen, waren verschoben worden, teils wegen des schrecklichen Unglücks, teils weil Maggie bei ihr eingezogen war. Das wollte sie jetzt ändern und Fred zeigen, dass sie ihm eine gute Freundin war.

»Wir sollten am Wochenende ein Picknick im Park veranstalten, denn es sieht ganz nach schönem Wetter aus«, sagte Beth zu ihm. »Ich werde das Picknick vorbereiten und alles in einem Korb mitbringen, dann können wir beim Essen der Kapelle zuhören.«

»Und bringen Sie doch auch Ihre Freundin mit«, schlug Fred vor. »Sie scheint eine nette junge Dame zu sein. Ich werde meinen jüngsten Sohn überreden mitzukommen. Wir werden auch etwas zu essen mitbringen. Dann wird dieses Picknick eine richtige Feier …«

»Ich werde Maggie fragen, ob sie auch dabei sein möchte«, versprach Beth, als sie sich von ihm verabschiedete, um zu ihrer Abteilung zurückzukehren.

Mrs. Craven schickte anschließend Maggie in die Pause, sodass sie in der nächsten halben Stunde an allen drei Verkaufstischen bediente. Mrs. Craven selbst machte ihre Pause zwischen halb zwei und zwei Uhr nachmittags. Es schien die Zeit zu sein, in der am wenigsten zu tun war, Maggie hatte nur einen Kunden und Beth keinen einzigen. Maggies Kunde war ein junger Mann und sie bemerkte, dass ihre Freundin in seiner Gegenwart ziemlich oft errötete. Nachdem er gegangen war, ging Beth zu ihr hinüber.

»War dieser Herr nicht schon einmal hier?«, fragte Beth.

»Ja, das war er«, bestätigte Maggie. »Er hat einen Schal und Handschuhe für seine Schwester gekauft, und da sie seiner Mutter gefielen, hat er heute etwas Ähnliches für sie gekauft.«

»Ich glaube, er kommt vor allem, um dich zu sehen«, scherzte Beth. »Ich bin mir sicher, gesehen zu haben, dass er neulich, als du nicht hier warst, hereinkam und sofort wieder ging, ohne nach irgendetwas zu fragen.«

»Ach was«, sagte Maggie, aber ihr stieg schon wieder eine leichte Röte in die Wangen. »Ich bin mir sicher, dass er nicht meinetwegen kommt!«

»Und ich kann sehen, dass du ihm gefällst«, widersprach Beth ihrer Freundin. »Es ist doch schön, dass er dich bewundert, Maggie. Außerdem scheint er ein sehr sympathischer junger Mann zu sein …« Und gutaussehend!

»Aber ich kann nicht … Mama würde sagen, ich sei noch viel zu jung, um Verehrer zu ermutigen!«

Beth lachte über Maggies verlegenen Gesichtsausdruck. »Ein junger Mann, der dich mag, ist keine Ermutigung für andere Verehrer, Maggie. Wenn er dich eines Tages zum Tee einlädt, solltest du ja sagen.«

»Das wird er nicht!«, versetzte Maggie und schüttelte den Kopf. »Außerdem würde Mama sagen, dass eine anständige junge Dame nicht allein mit einem Herrn, den sie kaum kennt, zum Tee ausgeht.«

»Das werden wir ja sehen«, erwiderte Beth mit amüsierter Stimme. »Aber hättest du vielleicht Lust, am Sonntagnachmittag mit mir, Fred und seinem Sohn im Park ein Picknick zu veranstalten und ein Konzert zu hören?«

»Oh ja, das wäre schön!« Maggies Gesicht strahlte. »Vorausgesetzt natürlich, dass es deiner Tante recht ist …« Doch dann flackerten Zweifel in ihren Augen auf, und sie sah ebenso jung wie auch verletzlich aus. »Wir sind jetzt doch zu zweit, um die Hausarbeit zu erledigen«, gab Beth zu bedenken. »Wir werden das Haus blitzblank putzen, damit sie keine Einwände erheben kann. Und warum sollte sie übrigens? Sie könnte ja auch mitkommen.«

***

Also luden sie auch Tante Helen ein, die jedoch ablehnte, weil sie zum Tee zu einer Kundin gehen wollte.

»Ich kenne Martha Hale schon seit Jahren«, sagte sie. »Ich habe für sie schon Kleider genäht, als ihr Mann noch lebte, und auch für ihre beiden Töchter. Sie erzählte mir, dass sie sich sonntags immer sehr einsam fühlt, weil das der einzige Tag ist, an dem ihre Zugehfrau nicht kommt, und sie sagte, ihre beiden Töchter seien so beschäftigt, dass sie sie höchstens einmal im Monat sieht …«

»Das wird eine nette Abwechslung für dich sein, Tante«, sagte Beth aufrichtig erfreut. »Du bist natürlich herzlich eingeladen, an unserem Picknick teilzunehmen, aber auch der Tee bei deiner Freundin wird dir Freude machen.«

»Vielleicht ein anderes Mal, meine Liebe«, sagte ihre Tante, und Beth spürte erneut, wie viel sanfter ihre Tante in den letzten Wochen geworden war. Sie wusste, dass Tante Helen Maggie wirklich mochte und akzeptierte. Sie sei eine sehr rücksichtsvolle und guterzogene junge Dame, sagte sie. Und Beth war sich ziemlich sicher, dass dies der Grund für die veränderte Stimmung ihrer Tante sein musste. Maggie hatte am zweiten Abend ihres Aufenthalts für sie alle Kakao gemacht, und Beth brachte Tante Helen jetzt morgens eine Tasse Tee ans Bett. Und obwohl ihre Tante immer sagte, sie solle sich nicht die Mühe machen, bemerkte Beth, dass sie ihn gerne trank und morgens sogar etwas länger im Bett zu bleiben schien, weil sie es offenbar genoss, verwöhnt zu werden.

Am Sonntag nach dem Mittagessen fuhren die beiden Mädchen mit dem Bus in den Park und trafen Fred wie vereinbart am Musikpavillon. Beths Blick fiel auf ein Plakat am Geländer, das mit dem Bild eines schneidigen jungen Mannes in einer schicken Uniform für das neu gegründete Royal Flying Corps warb. Freds Sohn Timmy war mitgekommen, und bei ihm war eine mürrisch aussehende junge Frau, die Timmy ihnen als Dot vorstellte. Ihr Haar hatte einen verdächtig hellen Blondton, und sie trug mehr als nur ein bisschen Rouge auf ihren Lippen. Ihre Schuhe hatten hohe Pfennigabsätze, und sie trug ein blassgrünes Kleid mit einer großen Rüsche um die Knöchel, das viel zu gut aussah, um damit auf dem Wasser herumzufahren oder auf dem Rasen zu sitzen. Sowohl Beth als auch Maggie trugen einfache, knöchellange Leinenröcke mit weißen Blusen und adretten Kragen, die mit kleinen Schleifen befestigt waren. Dazu trugen sie Strohhüte und kleine, taillenlange Jäckchen, Beth in Dunkelblau und Maggie in einem flotten Rot. Die Farbe stand Maggie sehr gut, und Beth sah, dass Freds Sohn mehr als einmal von Dot zu Maggie hinüberschaute und die Stirn runzelte, als er verglich, wie mühelos Maggie sich in die kleine Gesellschaft einfügte und sie genoss, während Dot nur in ihrem Essen herumstocherte und sich beklagte, es sei ihr viel zu anstrengend, zu heiß und zu langweilig, im Park herumzusitzen, obwohl alle anderen große Freude an dem Picknick hatten und das Wetter wunderbar mild war.

Fred hatte eine Tasche mit ein paar Kricketpflöcken, einem Ball und einem Schläger mitgebracht, und damit amüsierten sie sich eine Weile, während die Musiker eine Pause machten. Timmy war ein ausgezeichneter Werfer und überrumpelte sowohl Dot als auch Maggie gleich mit dem ersten Ball. Maggie lachte und lobte ihn, während Dot nur wieder schmollte. Beth gelang es, Tim dreimal hinter dem Ball herzuschicken, bevor er ihn erwischte.

Maggie war auf dem Feld, als Timmy als Schlagmann an der Reihe war, sie sprang hoch und verpasste nur knapp seinen Ball, als plötzlich hinter ihr eine Hand hochschoss und ihn auffing.

»Na, wie war das?« Maggie und Beth drehten sich beide zu der fremden Männerstimme um. Beth erkannte den jungen Mann sofort, der ein paar Tage zuvor bei Harpers gewesen war, um Schals und Handschuhe zu kaufen, und Maggie errötete, als sie das Lachen in seinen Augen sah.

»Guter Fang, Sir«, sagte Timmy. »Möchten Sie es mal probieren? Dann sehen wir, ob ich mich revanchieren kann?« Der junge Mann trat vor und reichte ihm die Hand. »Ralf Higgins«, stellte er sich vor. »Freut mich, Sie alle kennenzulernen …«

Timmy stellte ihn den anderen vor und gab ihm dann den Schläger. Ralf schickte die Mädchen ein halbes Dutzend Mal hinter dem Ball her, aber dann wurde er von Beth abgefangen, die zufällig im richtigen Moment an der richtigen Stelle war.

»Gut gemacht, Miss Grey«, sagte Ralf. »Sie sind eine bessere Fängerin als meine Schwester Maisie – die sich uns übrigens mit Vergnügen anschließen würde, wenn sie hier wäre. Wer ist jetzt dran?«

Da die Kapelle jedoch gerade aus ihrer Pause zurückkehrte, nahmen auch die anderen wieder ihre Plätze ein. Ralf schien wie selbstverständlich einen Platz neben Maggie zu finden, und Beth bemerkte, dass er völlig unbefangen und natürlich mit leiser Stimme mit ihr sprach und sie auch nicht mehr errötete, sondern freudig lächelte.

»Haben Sie das Plakat gesehen, mit dem Männer für das neue Fliegerkorps angeworben werden sollen?«, fragte er. »Es sieht interessant, ja sogar recht verlockend aus.«

»Die Uniform, die der Mann auf dem Plakat trägt, ist auf jeden Fall sehr schick«, scherzte Maggie, woraufhin Ralf gutmütig lachte und meinte, das sei schließlich schon die halbe Miete, wobei er natürlich auch wirklich gerne fliegen lernen würde.

Irgendwann während des Konzerts war Dot so gründlich gelangweilt, dass Timmy sich schließlich bei den anderen entschuldigte und mit ihr ging. Als Beth sah, wie missbilligend Fred seinem Sohn nachsah, flüsterte sie ihm zu, dass Orchestermusik nicht jedermanns Sache sei.

»Er ist noch zu jung für eine ernsthafte Liebschaft«, sagte Fred und seufzte. »Ich könnte mir zwar vorstellen, dass sie nicht von langer Dauer sein wird, aber da das Mädchen älter ist als er, befürchte ich, dass sie ihn schon ziemlich fest in ihren Krallen hält.«

»Oh, ich denke, ihm werden die Augen schneller geöffnet, als Sie es für möglich halten, Fred«, sagte Beth und applaudierte mit den anderen, als das Konzert schließlich beendet war. »Was für ein schöner Nachmittag!«, sagte sie dann. »Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß wie heute.«

»Genau wie ich, Miss Grey«, sagte Ralf Higgins zu ihr. »Und ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, ob Sie mir erlauben würden, Sie alle in die Eisdiele einzuladen, bevor wir uns auf den Heimweg machen?«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich denke, ich sollte besser gehen, weil ich noch zu tun habe«, sagte Fred. »Und Ihnen, meine Damen, ganz herzlichen Dank für das köstliche Picknick und Ihre reizende Gesellschaft heute Nachmittag. Ich kann mich nicht entsinnen, mich je so blendend amüsiert zu haben.«

Er reichte Beth die Hand, aber sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Am liebsten hätte sie ihn umarmt, aber es waren viele Leute im Park, und eine öffentliche Zurschaustellung von zu viel Zuneigung wäre vielleicht missbilligt worden, auch wenn sie einem Mann galt, der ihr Vater sein könnte.

Als Fred ging, schaute Beth Maggie an. Ihre Wangen glühten von der frischen Luft, und sie sah sehr hübsch aus. Ihre Augen funkelten voller Vorfreude, und Beth verstand sofort, dass sie den Nachmittag noch nicht enden lassen wollte.

»Na gut, aber nur für eine halbe Stunde«, sagte sie, und Ralf reichte beiden galant einen Arm, den sie lächelnd nahmen, bevor sie langsam über den gepflegten Rasen zu dem kleinen Café hinübergingen und sich an einen der Tische im Freien setzten.

Alle drei bestellten Eis, Erdbeere für Beth, Vanille für Maggie und Schokolade für Ralf. Kleine Strohschirmchen und kandierte Kirschen und Engelwurz schmückten die Eisbecher. Beth konnte Maggies Gesicht ansehen, dass sie noch nie zuvor zu etwas so Köstlichem eingeladen worden war, und freute sich, sie so glücklich zu sehen.

Nach einer halben Stunde erinnerte sie Maggie jedoch an die Uhrzeit, Ralf beglich die Rechnung und bestand darauf, sie zu ihrem Bus zu begleiten. Beth bemerkte, dass er stehenblieb und ihnen nachsah, bis ihr Bus um die Ecke bog, und ihr fiel auf, wie nachdenklich Maggie wirkte.

»Er scheint ein sehr netter junger Mann zu sein«, bemerkte sie vorsichtig und sah Maggie erröten.

»Er hat mir von seiner Schwester und seiner Mutter erzählt«, sagte sie. »Seine Mutter ist Witwe, und seine Schwester hofft, im nächsten Jahr zu heiraten. Ralf ist der Ernährer seiner Familie, da sein Vater ihnen nur sehr wenig Geld hinterlassen hat, aber sein Onkel hat ihm eine gute Stelle in seinem Büro gegeben. Er arbeitet bei einer der großen Importfirmen unten in der Nähe der Docks und lebt in Southwark – obwohl er gern zum Royal Flying Corps gehen würde, glaube ich.«

»Dann hat er dir aber viel erzählt«, sagte Beth. Ralf Higgins war ihr wie ein anständig gekleideter und gut erzogener junger Mann erschienen, der anscheinend seiner Mutter und Schwester gegenüber Verpflichtungen hatte und sie auch erfüllte. Das bedeutete wahrscheinlich, dass er gefestigter war als andere junge Männer und es daher wohl kein Risiko für Maggie war, von einem jungen Mann wie ihm behutsam umworben zu werden. Schließlich war sie noch sehr jung, und nach allem, was Maggie erzählt hatte, würde Ralf erst in einigen Jahren heiraten und eine eigene Familie gründen können.

»Ich mag ihn«, sagte Maggie. »Zuerst war es mir peinlich, als er an meine Theke kam und schmeichelhafte Bemerkungen machte, aber jetzt weiß ich, dass er mich nur kennenlernen wollte …«

»Hat er gefragt, ob er dich wiedersehen darf?«

Maggie sah sie bittend an. »Er hat gefragt, ob wir uns am nächsten Sonntagnachmittag nicht alle drei zum Tee treffen könnten. Er will mit uns beiden ausgehen, Beth. Meinst du, das könnten wir?«

Beth nickte, weil es die einzige Möglichkeit für Ralf Higgins war, einem solch unschuldigen jungen Mädchen den Hof zu machen. Er konnte definitiv nicht mit ihr allein ausgehen, und Beth war das, was einer Schwester am nächsten kam. Es würde zwar bedeuten, dass sie eine Zeitlang die Anstandsdame würde spielen müssen, aber Beth war bereit, das für ihre Freundin zu tun. Sonst würde sie sich zu heimlichen Rendezvous davonschleichen müssen, die nur Schande und Schmach über sie und Ralf bringen würden.

»Ja, ich wüsste nicht, was dagegenspricht«, stimmte Beth zu und drückte dabei Maggies Hand. »Du musst mir nur versprechen, dass du keine Dummheiten machst, wie dich nachts aus dem Haus zu schleichen, um ihn zu sehen. Deine Mutter könnte zurückkommen, und dein Onkel und deine Tante würden dich sicher zwingen, bei ihnen zu leben, wenn du in Schwierigkeiten wärst …«

»Sie würden mich verstoßen«, sagte Maggie düster. »Aber ich bin noch nicht bereit für so etwas, Beth. Ich wäre zu verängstigt, und ich glaube auch nicht, dass Ralf von mir verlangen würde, etwas Unanständiges zu tun.«

»Das will ich auch nicht hoffen«, sagte Beth. »Ich habe auch nur an die Klatschtanten gedacht, Maggie. Es ist so leicht für eine junge Frau, ihren guten Ruf zu verlieren, und wer ihn erst einmal verloren hat, kann ihn nicht zurückgewinnen.«

»Ich weiß«, sagte Maggie ernst. »Außerdem bin ich so glücklich bei dir und Tante Helen, wie ich es schon lange nicht mehr war. Es war alles in Ordnung zu Hause, als mein Vater noch gesund war und einen anständigen Lohn verdiente, aber seit seinem Unfall …« Ihre Stimme brach, und Tränen schossen ihr in die Augen. »Ich werde eure Güte nicht missbrauchen, und ich weiß, dass es viel verlangt …«

»Nein, Maggie, das ist es nicht«, sagte Beth schnell und legte eine Hand auf ihren Arm. »Ich werde gerne mit euch im Park spazieren gehen und zum Tee mitkommen. Ich werde deine Anstandsdame sein, nur so wird meine Tante dir – oder mir – erlauben, einen jungen Mann zu treffen …«

»Dann werde ich deine Anstandsdame sein, wenn du jemanden kennenlernst«, sagte Maggie kichernd, aber Beth schüttelte den Kopf. »Ich habe es niemand anderem erzählt – aber ich habe einmal jemanden geliebt«, sagte sie. »Das Problem war, dass meine Mutter krank war und ich sie nicht verlassen konnte. Er hat das nicht verstanden und ist wütend davongegangen, und dann … dann hat er eine andere geheiratet.«

»Oh, meine arme Beth!«, sagte Maggie und legte mitfühlend einen Arm um ihre Taille. »Er hatte dich nicht verdient – und du wirst jemand viel Besseren finden, das weiß ich …«

Beth lächelte und drückte ihre Hand. »Danke – ich bin auch froh, dass du jetzt bei uns lebst. Tante Helen mag dich sehr, und sie war in den letzten Tagen auch viel netter zu mir.«

»Das ist schön«, sagte Maggie. »Ich mag sie auch, und es macht mir nichts aus, ein bisschen Getue um sie zu machen.« Die Mädchen stiegen aus dem Bus und gingen in kameradschaftlichem Schweigen zum Haus zurück. Tante Helen war gerade hereingekommen und sah sehr zufrieden mit sich aus, als sie den Kessel füllte.

»Ihr zwei könntet sicher ein kleines Abendessen vertragen?«, fragte sie. »Ich werde nur etwas Heißes trinken, da ich ein wirklich fabelhaftes Abendbrot zum Tee bekam. So etwas habt ihr noch nicht gesehen! Lachssandwiches, frische Hefeküchlein mit Honig und drei Sorten Kuchen. Wir haben unaufhörlich geredet und gelacht – wenn ich nicht an euch Mädchen gedacht hätte, wäre ich vielleicht noch immer dort.«

»Es freut mich, dass du so einen schönen Nachmittag hattest, Tante«, sagte Beth, denn Tante Helen strahlte und sah wie ein viel jüngerer, glücklicherer Mensch aus.

»Ja, den hatte ich – und Beryl bat mich, es zur Regel zu machen, was bedeutet, dass ich euch Mädchen sonntagnachmittags allein lassen muss«, sagte sie vor sich hin nickend. »Ich hoffe, ihr hattet auch einen schönen Nachmittag und habt euch gut benommen?«

»Ja, Tante, natürlich haben wir uns benommen! Wir hatten ein leckeres Picknick, und auch das Konzert hat uns sehr gut gefallen.«

»Gut.« Tante Helen machte ein zufriedenes Gesicht. »Ich bin froh, dass du so vernünftig warst, dir eine anständige Freundin zu suchen, Beth. Maggie ist genau die richtige Person für dich, und auch du wirst ihr guttun. Es hat alles so gut geklappt … wirklich ausgesprochen gut.« Wieder nickte sie vor sich hin, als freute sie sich über mehr als nur über die Freundschaft der beiden Mädchen.

Beth und Maggie wechselten einen Blick. Beth konnte sich das Lachen kaum verkneifen, aber sie tat es, weil es ganz so aussah, dass ihre Tante ihnen den Ausflug am kommenden Sonntag so sehr erleichtert hatte. Es war nicht etwa so, dass sie sie belügen wollten, da das Treffen mit Maggies neuem Freund ohnehin ganz harmlos war, aber Beth wusste, dass ihr, wenn sie einen Mann kennengelernt hätte, endlose Fragen gestellt worden wären.

»Ja, es war alles bestens«, sagte Beth. »Ich glaube, ich gehe mir die Haare waschen – wenn ihr mich bitte entschuldigt …«

Beth ließ ihre Tante und ihre Freundin reden. Sie musste für ein paar Minuten allein sein. Das Gespräch über Mark hatte ihr bewusst gemacht, dass sie Leere empfand, wo zuvor noch ihre Gedanken an ihn verweilt hatten. Dennoch wusste sie, dass sie die Gefühle, die sie einst für den jungen Arzt gehabt hatte, vergessen musste. Ihre Chance auf ein Leben als seine Frau war dahin, und sie war sich nicht einmal sicher, ob sie je wieder einen Mann finden würde, den sie lieben oder dem sie Vertrauen schenken konnte.

Während sie einen Krug aus dem Kessel füllte und kaltes Wasser hinzufügte, betrachtete sie ihr schulterlanges blondes Haar in dem schweren, altmodischen Ankleidespiegel und erwog zum ersten Mal, ihre Locken in einer praktischeren Frisur zu tragen. Sie hob ihr schweres Haar von den Schultern und hielt es hoch – wie würde sie wohl aussehen, wenn sie es kürzer trüge?

Als sie Maggie nach oben kommen hörte, ließ sie ihr Haar los und begann es mit Wasser zu übergießen und gründlich zu durchnässen, bevor sie die nach Flieder duftende Seife, die sie benutzte, in ihre dicken Locken einmassierte. Normalerweise brauchte sie drei große Wasserkrüge, um ihr Haar gründlich auszuspülen, und musste dann einen schweren Eimer die Treppe hinuntertragen, um ihn morgens im Hof auszuleeren.

Maggie kam herein, als sie gerade zum dritten Mal ihr Haar ausspülte.

»Lass mich das machen«, sagte sie. »Und mach die Augen zu, damit die Seife nicht darin brennt. Du hast solch schönes Haar, Beth. Es ist schade, dass niemand es richtig zu sehen bekommt.«

Beth ließ sich nur allzu gern von ihrer Freundin das Haar ausspülen und rubbelte es mit einem Handtuch trocken, nachdem Maggie darauf bestanden hatte, den Eimer hinunterzubringen und ihn gleich zu leeren.

»Das hätte ich auch morgen früh machen können«, sagte Beth, als Maggie wieder hinaufkam, »aber es war lieb von dir, mir die Mühe zu ersparen.«

»Es war keine Mühe«, sagte Maggie. »Warum lässt du dir die Haare nicht ein bisschen kürzer schneiden, damit du sie nicht immer zurückgekämmt in einem Knoten tragen musst?«

»Ich muss gestehen, dass ich auch schon darüber nachgedacht habe«, gab Beth zu. »Wie kurz sollte ich es deiner Meinung nach denn tragen?«

Maggie nahm den Kamm und fuhr damit bewundernd durch Beths dichtes blondes Haar. »Ich glaube, wenn wir etwa zwölf Zentimeter abschneiden würden, könnte es sich über deinem Kragen kräuseln. Das würde wirklich hübsch aussehen.«

»Ich habe neulich in der Oxford Street Friseursalons gesehen«, sagte Beth. »Wahrscheinlich könnte ich für meine Mittagspause einen Termin vereinbaren …«

»Warum dorthin gehen und eine Menge Geld ausgeben?« Maggie ging zu ihrer Tasche neben dem Bett und holte eine Schere heraus. »Ich habe früher meiner Mutter und auch der Tochter meiner Nachbarin die Haare geschnitten. Darf ich?«

Beth zögerte und nickte dann. »Warum nicht? Es wird Zeit, dass ich etwas ändere, und ich bin die ganze Mühe, die das Waschen macht, inzwischen gründlich leid.«

Sie saß mit geschlossenen Augen da, während Maggie an ihrem Kopf herumschnippelte, das Haar anhob und große Stücke abschnitt, viel mehr, fand Beth, als sie eigentlich vorgeschlagen hatte. Aber jetzt war es zu spät, um sich zu beschweren, und so hielt sie die Augen fest geschlossen, bis Maggie ihr sagte, sie könne sie öffnen. Dann erst blickte sie in den altmodischen Ankleidespiegel. Es verschlug ihr den Atem, als sie ihr Spiegelbild betrachtete und zwei funkelnde grüne Augen sah, und ihr Haar, dessen goldene Spitzen sich um ihr Gesicht und über ihren Ohren kringelten.

»Die wahre Farbe deines Haars konnte man vorher gar nicht sehen«, sagte Maggie und lächelte. »Du siehst wirklich wunderschön aus, Beth – und gar nicht mehr so bieder, und das bist du ja eigentlich auch nicht.«

Beth wusste, dass ihre Freundin recht hatte. Ihre Mutter war immer dagegen gewesen, dass sie sich die Haare schneiden ließ, und da sie sich ständig um sie hatte kümmern müssen, war ihr auch einfach keine Zeit geblieben, an ihr Aussehen zu denken.

»Ja, ich glaube, jetzt sehe ich besser aus«, sagte Beth und bedankte sich erneut. Tante Helen würde morgen vielleicht daran herumnörgeln, aber das war Beth egal. Sie hatte ein ganz neues Selbstbewusstsein mit ihrer neuen Frisur, und das würde sie sich von nichts und niemandem verderben lassen.