11. Ein nächtliches Bad im Meer

Schnell stakste ich zu Domenico hinunter und verknackste mir in der Hast prompt den Fuß. Ich unterdrückte ein Aufstöhnen, aber Domenico hörte mich und drehte sich zu mir um.

«Hallo», murmelte ich. «Ich hab dich überall gesucht.»

Er schwieg und schaute mich einfach an.

«Darf ich mich zu dir setzen?», fragte ich. «Oder möchtest du noch weiter allein sein?»

«Komm ruhig», meinte er rau und rückte ein wenig zur Seite. Ich humpelte mit meinem schmerzenden Fuß zu ihm.

«Hast du dir wehgetan?», fragte er, während er die qualmende Kippe von mir weghielt.

«Den Fuß verknackst», sagte ich. «Ich bin zu schnell den Hang runtergelaufen.»

Er berührte schweigend meine Wange und streichelte mit seinen Fingerspitzen darüber. Er trug seine schwarze Lederjacke und hatte den Reißverschluss zugezogen. Klar, er hatte ja sein einziges T-Shirt, das er dabeihatte, ausgezogen und im Schlafzimmer auf den Boden geschmissen …

«Bist du sauer auf mich?», fragte ich leise.

«Quatsch», meinte er nur und drückte seine Kippe aus.

«Es tut mir echt leid, Nicki. Ich hatte wirklich keine andere Wahl, als mit Bianca mitzugehen. Ich hätte sonst ganz allein und ohne Geld in Catania gestanden.»

«Weiß ich doch.» Er zog eine neue Zigarette aus der Schachtel. «War ja schließlich meine Schuld. Ich hätte das blöde Rennen nicht fahren sollen.»

Ich verkniff mir jegliche Bemerkung. Ich wollte nicht dauernd die Moraltante sein.

«Aber es war meine einzige Chance, überhaupt noch gegen Fabio zu gewinnen, verstehst du? Ich hätt' sonst keine Chance gegen ihn gehabt. Er ist viel stärker als ich. Wäre ja auch alles kein Problem gewesen, wenn nicht die Bullen gekommen wären.» Er war eine Weile damit beschäftigt, die Zigarette anzuzünden, was wegen der leichten Brise nicht so einfach war.

«Hättest du nicht einfach weglaufen können?», fragte ich, nachdem die Kippe endlich brannte.

«Du hast doch gesehen, dass er mich am Kragen hatte. Der Typ hätte keine Ruhe gegeben, wenn er seine Revanche nicht gekriegt hätte, verstehst du? Der fährt ständig solche Rennen. Der ist ziemlich bekannt dafür. Darum haben die Bullen auch kurzen Prozess gemacht.»

Ich zuckte mit den Schultern. Noch immer war ich der Meinung, dass man das auch anders hätte lösen können, aber vielleicht hatte ich damit auch Unrecht. Ich wusste es nicht. Ich war ja nicht auf der Straße aufgewachsen …

«Und wieso hast du Angel hintendrauf genommen?», fragte ich leise, weil das eigentlich die Frage war, die mich insgeheim am meisten plagte.

«Weil sie es gewohnt ist, Rennen mitzufahren. Dich hätte ich ganz bestimmt nie hintendrauf genommen. Viel zu gefährlich.»

«Schon klar, aber wieso mussten denn unbedingt Mädchen mitfahren?»

«So sind die Spielregeln», sagte er nur.

Für eine Weile schwiegen wir. Die Wolken trieben ziemlich schnell voran und gaben den Blick auf den Mond frei, der sich im Meer widerspiegelte. Kaum war Domenico mit der Zigarette fertig, fingerte er schon wieder die nächste aus der Packung. Ich schaute ihn besorgt an. Hatte er tatsächlich wieder mit dem Kettenrauchen angefangen? Bloß das nicht!

Er bemerkte meinen bekümmerten Blick.

«Sorry, aber ich glaub, das wird wohl nie was», murmelte er resigniert. «Ich hab's langsam aber sicher echt aufgegeben. Ich bin einfach hoffnungslos süchtig.»

Ich seufzte, weil ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Ich war auch müde vom ewigen Hoffen und dann doch wieder Enttäuschtwerden. Wahrscheinlich musste ich einfach damit leben.

Er zuckte mit den Schultern. «In der Therapie haben sie mir halt gesagt, dass ich für immer mit Suchtproblemen kämpfen werde. Weil ich eben so veranlagt bin. Sie haben mir gesagt, es sei unrealistisch, je ganz davon frei zu werden. Ich würde lernen müssen, damit umzugehen …»

Ich schloss die Augen. Wie oft hatte ich zu Gott gebetet, dass Nicki irgendwann von dieser blöden Sucht freikommt, dass endlich, endlich irgendein Wunder geschehen würde … Ich dachte an all die Wunder, die wir schon erlebt hatten, und immer hatte ich gehofft, dass es auch hier endlich passieren wird. Aber immer, wenn ein Fortschritt sichtbar wurde, folgte wieder ein Absturz. Drei Schritte vorwärts und wieder zwei Komma neun zurück …

«Ich weiß leider auch nicht mehr, wie ich dir helfen kann», meinte ich bedauernd.

«Du kannst mir nicht helfen», sagte er finster. «Daran ist eh nur meine kranke Mutter schuld!» Und auf einmal brach es aus ihm heraus: «Ich weiß schon, was sie dir alles erzählt hat. Und ich weiß auch, dass du ihr glaubst. Aber ich mein – sie hat nicht mal was unternommen, als ich als kleiner Junge zu rauchen angefangen hab. Ne richtige Mutter lässt nicht einfach ihre Kippen rumliegen, verstehst du? Die passt auf, dass du gar nicht erst welche in die Finger kriegst. Und Bianca ist elf und kann schon einiges mehr als ein Gläschen Rotwein zum Essen vertragen! Das ist doch krank! Ey, weißt du, wie das für mich war? Ich bin, seit ich klein bin, richtig süchtig! Weißt du, wie sie sich in der Schule immer lustig über mich gemacht haben wegen meiner dauernden Qualmerei?»

«Nein …» Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass sich überhaupt jemand über Nicki lustig gemacht hatte, über ihn, der doch immer derart cool war, dass alle Angst vor ihm hatten …

«Sie haben mir deswegen alle möglichen beknackten Spitznamen gegeben. Hinter meinem Rücken, aber ich hab's genau mitgekriegt. Ich hab so getan, als würde mich das alles gar nicht kratzen. Aber in Wirklichkeit hab ich mich so dafür gehasst. Nicht mal 'ne Schulstunde lang hab ich's ausgehalten … nicht mal 'ne einzige Schulstunde, stell dir das vor!»

Ich wollte wieder mal irgendwas sagen, aber mir fiel nichts Passendes ein. Er schien aber auch gar keine Antwort zu erwarten. Er rauchte die Kippe fertig und steckte sich nahtlos die nächste an. Er war innerlich so aufgewühlt, dass er in dem Moment gar nicht ohne sein konnte. Es war wirklich blöd, dass seine Medikamente nicht hier, sondern in Monreale waren …

Auf einmal redete er weiter, und seine Stimme klang, als käme sie von ganz weit her.

«Du siehst deine Mutter stockbesoffen herumtorkeln … oder splitternackt mit Typen rummachen … und das nicht nur einmal, sondern ständig … und wenn du sie brauchst, ist sie nicht da, weil sie in 'ner Klinik rumsitzt und psychisch nicht mehr zu gebrauchen ist. Du stehst an ihrer Tür und brauchst Trost, aber sie liegt nur im Bett und stöhnt und jammert rum, wie mies sie drauf ist … neben ihr stehen die leeren Alkflaschen … und wenn sie wieder fit ist, geht sie raus und macht Kerle an und fummelt mit ihnen rum … und dann kommt sie ständig und sagt uns, dass sie alles gutmachen will … und lässt uns dann doch wieder hängen und ist einfach tagelang weg. Ich mein, sie hat ja sogar unsern Geburtstag vergessen. Und kommt nicht mal zu Mingos Beerdigung. Und die ganze Zeit kommen die Typen vom Jugendamt, weil sie nicht auf uns aufpassen konnte, und wir mussten in irgendwelche bescheuerten Anstalten oder auf Probe zu Pflegefamilien oder sonst was. Sie macht mich irgendwie krank, ehrlich. Ich kann dieser Frau einfach nicht mehr vertrauen.»

Er holte tief Luft und hustete verhalten. Es war mir vorgekommen, als hätte er das alles sich selbst erzählt. Er hatte seine Augen dabei die ganze Zeit auf das Meer gerichtet gehabt, als würde ich gar nicht neben ihm sitzen, doch nun drehte er sein Gesicht wieder mir zu.

«Sie lügt mich die ganze Zeit an und versteckt die ganzen Fotos aus unserer Kindheit vor mir, damit ich mich ja nicht mehr daran erinnern kann. Und wenn ich sie danach frage, erzählt sie mir irgendwelchen Mist, und jetzt kommt sie auf einmal und will mir alles zeigen, ey. Hätte sie ja früher tun können. Ich mein, jetzt bin ich neunzehn, jetzt muss sie auch nicht mehr mit dem Sorgerecht kommen. Jetzt ist es echt zu spät für solche Sachen.»

«Hmmm …», erwiderte ich ratlos.

«Ja, ich weiß schon. Sie erzählt dir alles andersrum. Glaub, was du willst. Sie hat dich eh bald rumgekriegt, was?» Seine Augen spießten mich fast auf. «Du hältst mich auch bald für einen Spinner, gib's ruhig zu.» Er zog ein letztes Mal an der Zigarette und schmiss sie in den Sand.

«Nein, Nicki», beruhigte ich ihn. «Das tu ich nicht … Ich sehe doch immer mehr, dass deine Erinnerungen wahr sind. Zum Beispiel Zio Giacomo – das ist der Mann mit dem Schnauzer, den du immer gezeichnet hast, nicht wahr?»

Er hob vage seine Schultern und zerdrückte die Kippe mit seinem Fuß.

«Übrigens, bist du denn nicht froh, dass du ihn getroffen hast?», schwenkte ich das Thema in eine hoffentlich bessere Richtung. «Ich meine, das ist doch großartig, oder etwa nicht?»

«Schon … aber die Erinnerungen an Mingo sind zu stark … ich halte das fast nicht aus … Es haut mich fast um … ich kann nicht länger hierbleiben, Maya … Ich muss gehen …» Er wischte sich über die Augen und wollte einen weiteren Glimmstängel aus der Packung ziehen, doch ich nahm sie ihm sachte aus der Hand und legte den Arm um seine Schultern.

Er lehnte sich an mich und schloss die Augen. Wieder einmal mehr wurde mir klar, wie behutsam man im Grunde mit ihm umgehen musste. Manchmal vergaß ich das ganz, wenn er den coolen Tiger raushängen ließ.

«Magst du mit mir zum Meer runtergehen?», fragte er leise. «Wir könnten ein wenig baden. Was meinst du?»

«Jetzt?», fragte ich etwas dümmlich.

«Wann denn sonst?» Er grinste ein bisschen.

«Okay …»

«Dort drüben gibt's 'ne ganz schöne Bucht. Magst du mit mir dorthin gehen?», fragte er.

«Klar. Aber dann müssen wir unsere Badesachen holen.»

«Sowieso. Ich hol uns noch 'n paar Handtücher.»

Wir schlichen ins Haus zurück, und mein Fuß fühlte sich zum Glück wieder normal an. Ich holte meinen Bikini, den Maria zum Trocknen aufgehängt hatte, und Nicki brachte zwei Badetücher aus der Dusche und stopfte sie mitsamt meinem Bikini in eine Plastiktasche. Mir fiel ein, dass er ja gar keine Badesachen dabeihatte, und ich unterließ es, ihn zu fragen, wie er das anstellen wollte.

Als wir wieder aus dem Haus gingen, sahen wir den Zio mit dem Auto und dem Anhänger davonfahren. Es war halb drei Uhr früh.

«Er geht fischen», sagte Domenico. «Davon lebt er. Da muss man früh aufstehen. Komm, duci mia», sagte er und nahm meine Hand, um mich den Abhang hinunterzuführen. Jetzt, wo der Wind die Wolken weggetrieben hatte, war die Nacht sternenklar. Ich spürte, wie ein warmes Gefühl in mir aufstieg, als Nicki meine Hand fester umklammerte. Es zeigte mir, wie sehr er mit mir verbunden war, wie sehr er mich brauchte. Ja, ich hatte in diesen Momenten schon fast den Eindruck, dass er ohne mich gar nicht mehr klarkommen würde … Ich konnte nicht leugnen, dass mir das einerseits viel bedeutete, andererseits aber auch ein bisschen Angst machte. Und trotzdem … meine eigene Sehnsucht nach ihm war so groß, dass ich dieser Furcht momentan keinen Raum geben wollte.

Wir zogen unsere Schuhe aus und wateten durch den weichen, kühlen Sand bis hin zum Wasser. Die Wellen umspülten unsere Füße.

Ich war wieder einmal mehr beschäftigt, in meinem Kopf all die neuen Puzzlesteine zusammenzufügen, die diese Reise mir bis jetzt beschert hatte. Wo waren Nicki und Mingo nun in Wahrheit aufgewachsen? Bei Mamma Rosalia in Monreale oder zusammen mit ihrer Mutter bei Zio Giacomo? Oder war alles ganz anders gewesen?

«Hat Zio Giacomo eigentlich keine Familie?», brach ich das Schweigen. Nicki brauchte erst eine Weile, um sich aus seinen Gedanken zu reißen, die offenbar ganz weit weg gewesen waren.

«Ich glaub, seine Frau ist gestorben», sagte er. «Seine beiden Söhne leben nicht mehr zu Hause. Die sind erwachsen und haben 'ne eigene Familie …»

«Kennst du denn die beiden Söhne?»

Er zuckte mit den Schultern. «Kann mich nur schwach an sie erinnern. Ist riesig lang her.» Mir fiel auf, wie stark er das R auf einmal wieder rollte.

«Aber Zio Giacomo ist ja wohl kaum dein Großvater, oder?» Nach reiflicher Überlegung war ich zum Schluss gekommen, dass es auf keinen Fall so sein konnte, doch ich wollte mich unbedingt noch vergewissern.

«Nee, der Bruder von meinem Großvater …», murmelte er abwesend.

Bald waren wir bei der Bucht angelangt. Fast kam es mir vor, als wären wir ganz allein auf einer einsamen Insel gestrandet. Hier schien der Sand noch viel weicher zu sein. Die Oleandersträuche raschelten in der leichten Brise. Eine kleine Welt, nur von dem Mond und den Sternen beleuchtet; eine Welt, die ganz allein uns beiden zu gehören schien …

Ich fröstelte langsam ein wenig, und Domenico holte ein Badetuch aus der Tasche und legte es um meine Schultern.

«Ich hätt' nie gedacht, dass ich mal mit dir hierherkommen würde», sagte er, während er mit dem Handtuch meinen Körper rubbelte, bis mir wieder warm wurde. «Ich dachte … ich wollte damals eigentlich erst vor dir weglaufen.»

«Als ich dich auf Sizilien gesucht habe?»

«Mhmm», machte er.

«Warum eigentlich?», fragte ich.

«Weil ich genau wusste, dass du es mit mir nicht einfach haben würdest.» Er ließ mich los, suchte eine Zigarette und breitete dann das andere Tuch auf dem Sand aus. Wir setzten uns und kuschelten uns eng aneinander. Eine Weile sagte niemand von uns etwas. Wir hörten einfach nur den beruhigenden und heimeligen Geräuschen um uns herum zu.

«Da drüben», sagte er und deutete mit der brennenden Kippe auf einen Felsen, der aus dem Wasser ragte. «Ich glaub, da haben Mingo und ich als Kinder das Springen gelernt. Nicht am Strand von Palermo. Ich hab mich geirrt …»

In der Tat sah der Felsen demjenigen, den er mir in Palermo gezeigt hatte, ziemlich ähnlich. Was die Sache nun allerdings noch verwirrender machte.

«Nicki, sag mal … ihr seid aber schon in Monreale aufgewachsen, nicht wahr? Bei Mamma Rosalia?»

Er nickte zögernd.

«Und … kann es sein, dass ihr auch einen Teil eurer Kindheit hier bei Zio Giacomo verbracht habt?»

Er hob leicht seine Schultern. «Weiß ich doch auch nicht.»

«Wirklich nicht? Schaffst du es nicht, dich daran zu erinnern?»

«Mensch, wie soll ich das denn wissen, wenn meine Alte mir nie vernünftige Infos gibt?», fuhr er mich etwas heftig an. Damit war das Thema wieder beendet, und eine weitere längere Schweigepause war angesagt.

«Zieh dich um», bat er auf einmal leise und reichte mir die Tasche mit meinem Bikini.

Ich nahm die Tasche und verzog mich hinter ein Gebüsch. Eigentlich war mir zu kühl zum Baden, doch ich wollte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, endlich wieder mal ein wenig Romantik zu erleben. Bis jetzt hatte ich ja nicht so viel davon gehabt in diesen Ferien …

Ich kleidete mich um und holte erst tief Luft, ehe ich mich wieder hinter dem Busch hervorwagte. Irgendwie hatte ich immer noch Hemmungen, mich Nicki im Bikini zu präsentieren, obwohl es ja nicht das erste Mal war, dass er mich so sah. Aber irgendwie haftete immer noch eine gewisse Angst an mir, dass ich für seinen Geschmack vielleicht doch nicht schön genug sein konnte. Wenn er mich genauer ansah, würde er ja merken, dass ich keine perfekten Kurven hatte …

Ich stutzte erst, als ich Nicki nirgendwo erblickte, bis ich die hellen Umrisse eines Körpers in dem angesichts der Dunkelheit fast schwarzen Meer registrierte. Es war Nicki, mit nacktem Oberkörper und bis zu den Hüften im Wasser stehend, den Rücken mir zugewandt. Mein Herz machte sofort einen Satz und schlug einen schnelleren Takt an. Nein, nicht nur ich schämte mich für meine Unvollkommenheit – ihm ging es ja genauso. Und dass er mir seinen nackten Oberkörper mit all den Verletzungen zeigte, war eine der größten Raritäten, die es in unserer Beziehung gab.

Er schien mich zu hören und drehte seinen Kopf zu mir. «Komm rein!», rief er mir zu.

Ich überwand mich und watete in das kühle Wasser. Ich schlotterte in der frischen Luft und hoffte, Domenico würde mir entgegenkommen, doch er blieb, wo er war, und wartete auf mich, ohne mir seine Bauchseite zu zeigen.

Als ich hinter ihm stand, packte er meine Arme und schlang sie sich fest um seinen Bauch. Meine Hände ertasteten seine Narben, seine zerstörte Haut und auch die frischen, kleinen Schnittwunden, die er sich im Laufe des Tages geritzt haben musste.

«Streichle mich ein bisschen», bat er leise.

Ich lehnte mich mit meinem Kopf an ihn und begann, meine Finger ganz sachte über seine Narben zu bewegen. Ob sie wegen des Salzwassers nicht extrem brannten? Ich spürte sofort, dass meine vorsichtigen Berührungen unglaublich viel in ihm auslösten. Seine Nerven zuckten, sein Atem ging schneller und sein Herz schlug einen unruhigeren Takt an. Ja, ich fühlte, wie sehr er jede meiner Streicheleinheiten in sich aufsog, wie sehr er sich danach sehnte, geliebt zu werden …

«Es tut so gut …», murmelte er. Vorsichtig tauchte er mit mir in das kühle Wasser ein und lachte leise, als ich vor Schreck quietschte. Jetzt, wo sein Oberkörper unter Wasser war, drehte er sich zu mir um und zog mich an sich.

Ich spürte die vernarbte Haut an seinem Bauch, während er mich fest an sich drückte.

Er wiegte mich leicht hin und her, und es war, als würden wir durch die Wellen tanzen. Unsere Körper zitterten, und es fühlte sich gleichzeitig an, als müssten wir gegenseitig aufpassen, einander nicht zu zerbrechen.

«Liebst du mich wirklich?», fragte er auf einmal sehr leise. «Willst du mich immer noch heiraten eines Tages?»

«Aber ja», sagte ich, doch ich spürte, dass es sich irgendwie nicht ganz echt anhörte. Klar, ich wollte mich mit Nicki verloben, wollte mit ihm nach Berlin gehen … Aber es fühlte sich nicht mehr so an, wie es sich mal angefühlt hatte. Irgendetwas hatte sich verändert …

Ich berührte seine nackten Schultern, seine von der Sonne goldbraune Haut und die Muskeln an seinen Armen. Er strich mein feuchtes Haar zurück und fing an, mich sanft zu küssen. Seine Lippen streichelten über meine geschlossenen Augenlider, meine Wange, meine Nasenspitze und zuletzt meine Lippen. Als er spürte, dass mein Körper anfing zu reagieren, wurden seine Küsse intensiver. Seine Hand klammerte sich an mir fest, und er drückte mich buchstäblich noch stärker an sich, als es überhaupt möglich war. So stark, dass ich fast keine Luft mehr bekam …

Ich keuchte, als mich auf einmal die nackte Angst packte. Ich war selber völlig überrumpelt, wie deutlich auf einmal wieder dieses grässliche Bild vor meinem inneren Auge auftauchte – diese Geschichte, die Janet Bonaventura mir geschildert hatte. Ich konnte es so deutlich vor mir sehen und wollte es doch nicht glauben: Nicki, wie er mit einem irren Lachen seine Zigarettenkippe in die Haut von Janet drückte. Und in die Haut von anderen Mädchen …

Ich konnte es nicht ändern, aber diese Geschichte hatte tief in mir drin etwas kaputtgemacht. Sie hatte etwas von unserer innigen Verbundenheit zerstört.

Instinktiv wand ich mich aus Nickis Armen.

«Ey, was hast du denn?», fragte er bestürzt.

Ich zitterte nur noch und konnte mir selber nicht erklären, warum ich so heftig reagierte. Aber ich erkannte, dass ich keine Kontrolle darüber hatte. Ich hatte mir eingebildet, es verdrängen zu können, aber das funktionierte nicht.

«Magst du es nicht mehr, wenn ich dich küsse?», fragte er betrübt.

«Ich … ich weiß nicht … es war mir etwas zu heftig», stammelte ich. Wie gern hätte ich ihm einfach erzählt, was in mir vorging, aber ich wusste ja, dass das nicht hinhauen würde. Und die Periode wollte ich auch nicht als Argument vorschieben …

«Lassen wir es halt», meinte er frostig und ließ mich ganz los.

«Warte doch, Nicki, ich wollte nicht …»

«Vergiss es einfach», sagte er leise. «Du weißt doch eh nie, was du willst.» Er drehte sich von mir weg und watete zurück Richtung Strand.

Ich folgte ihm ratlos. Ach, es war doch einfach zu dumm! Diese Geschichte hatte einen Keil zwischen uns geschoben und erzeugte Missverständnisse, die eigentlich gar nicht da sein müssten.

Schweigend gingen wir zurück zu den Badetüchern. Dieses Mal wickelte er mich nicht fürsorglich ein wie sonst, sondern wandte sich weiter von mir ab und widmete sich einer Zigarette, immer noch darauf bedacht, mir seine Bauchseite unter keinen Umständen zu zeigen. Er nahm seine Lederjacke und zog sie sich über seinen nackten Oberkörper. Seine nassen Shorts behielt er einfach an.

Ich nahm meine Sachen und ein Handtuch und verschwand wieder hinter das Gebüsch. Ich beeilte mich mit dem Umziehen, weil ich auf einmal fürchtete, Domenico könnte einfach abhauen, ohne auf mich zu warten. Doch das tat er zum Glück nicht.

Dann gingen wir zurück zum Haus und sprachen kein einziges Wort mehr miteinander.

Domenico verschwand am nächsten Morgen wieder klammheimlich. Als ich mich aufsetzte und ins untere Bett hinunterblickte, sah ich nur ein leeres und zerwühltes Lager. Domenico war mit mir gekommen und hatte sich schlafen gelegt, aber irgendwann war er wieder aufgebrochen.

Ich stand auf und tappte im Haus umher. Es war halb elf. Offenbar schliefen Maria und Bianca noch. Der Zio war nicht da. Ob er immer noch auf dem Meer draußen war?

Nach dem Duschen ging ich ein wenig spazieren. Ich setzte mich auf den Stein, wo ich in der Nacht zuvor mit Domenico gesessen hatte. Wo Nicki wohl wieder steckte? Ich blieb lange hier sitzen und unternahm noch einen kleinen Spaziergang zum Meer hinunter, doch ich fand ihn nirgends.

Einige Zeit später, als ich zurückkehrte, sah ich das Auto vom Zio wieder vor dem Haus stehen. Bestimmt waren mittlerweile auch die anderen wach.

Als ich mich dem Haus näherte, hörte ich Gebrüll in der Küche. Zwei Leute schrien sich regelrecht an. Dann erstarrte ich, als ich Domenicos Stimme erkannte. Gleich darauf ertönte ein Klirren, als würde eine Flasche mit voller Wucht gegen die Wand gepfeffert werden.

«Domé, no! Finiscila!», hörte ich Maria schreien.

«No, tu si ca l'ave a finire cu 'sta merda!», brüllte Nicki zurück. «Alle sind kaputt wegen dir, du Nutte! Lu viziu to è ca n'arruvinò a tutti! A tutti quanti! A me frate, a'a nica, a mmia … 'unn ce'a fazzu chiù! Deine Trinkerei hat alles kaputtgemacht, alles!»

Ich blieb entsetzt stehen, als ich hörte, dass Maria verzweifelt weinte. Was tat Nicki da?

Schließlich fasste ich mir ein Herz und stürmte in die Küche. Maria stand weinend beim Küchenschrank und hielt sich den Bauch, als hätte sie Schmerzen. Domenico hatte sie doch nicht etwa geschlagen? In einer Ecke lag eine zertrümmerte Weinflasche, und eine große, rote Lache hatte sich auf dem Boden verteilt. Bianca stand ängstlich in einer Ecke und schaute mit bebenden Lippen zu.

Maria weinte und zitterte, als sie zu ihrem Sohn hochblickte. Domenicos Augen sahen wieder einmal wie gefährliche Messerklingen aus. Ich hatte diesen Blick schon mehrmals gesehen, und er machte mir immer noch Angst. Dieser eiskalte Zorn, dieser schwindelerregende Abgrund, der von tiefster Verletzung zeugte.

Fast gleichzeitig mit mir stürzte auch Zio Giacomo in die Küche. «Che c'è? Che succediu?», fragte er immer wieder.

Maria stammelte etwas, und der Zio ging zu Domenico und packte ihn am Arm.

«Tanta rabbia 'unn è bbona, Mimmo», meinte er bestürzt. «'Unn 'a struppiare accussì, a to ma', scia' …»

Domenico machte sich aus seinem Griff los, doch Zio Giacomo gab sich nicht so schnell geschlagen. Sanft, aber bestimmt schob er Domenico aus der Küche und ging mit ihm aus dem Haus. Man sah dem Zio an, wie es ihn schmerzte, diese Szene miterleben zu müssen. Und wie sie ihm beide leidtaten.

Bianca kam aus ihrer Ecke und ging vorsichtig zu ihrer Mutter, um sie zu trösten.

Ich wollte nicht untätig rumstehen, nahm einen Lappen und begann, die Bescherung aufzuräumen und die Scherben zu beseitigen.

Maria schluchzte noch ein paar Mal und trocknete ihre Tränen mit dem Handrücken ab.

«Grazie, scia'», sagte sie zu mir, als ich die letzten Scherben in den Mülleimer schmiss. «Es tut mir leid – ich nur trinke eine bisschen vino – giustu 'nticchia. Ich weiß, ich habe Probleme mit Trinke, aber ich nicht wolle trinke viel. Nicht schlimm. Und Domenico wie verruckt reiße Flasche aus die Hand. Schlimm, er ist aggressivo, mich schreien und schlagen und mache Flasche kaputt, che porcheria, immer so, immer er mache das. Immer. Immer seine mamma schlage. Michele auch. Michele mit Messer. Beide mache große Angst. Ich habe Angst, weißt du? Viele Angst und Schmerz auch.» Sie schluchzte wieder los. Bianca brachte ihr ein Taschentuch.

Ich seufzte, weil ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte. Ohne die Medikamente hatte er kaum Chancen, diesen Zorn zu beherrschen. Ich lief aus der Küche und sah, wie der Zio draußen beschäftigt war, Domenico gut zuzureden.

Da hatte ich eine Idee. Was, wenn ich mit dem Zio reden konnte? Vielleicht konnte er mir ein paar wichtige Infos liefern. Ich wusste einfach ganz tief in mir drin, dass es von enormer Wichtigkeit war, all diese Dinge aufzuklären. Und auch, dass ich unbedingt nochmals nach Monreale gehen und das Rätsel hinter jener Tür lösen musste.

Aber ob meine Italienischkenntnisse ausreichten, um mit dem Zio ein tiefsinniges Gespräch zu führen? Ich hatte kein Wörterbuch dabei, und ich konnte auch weder Maria noch Domenico als Dolmetscher nehmen. Ich musste ja mit ihm allein sprechen.

Einen Versuch war es jedenfalls wert.

Von diesem Zeitpunkt an suchte ich nach der passenden Gelegenheit. Nach dem Essen legte sich der Zio erst mal hin, um seinen Mittagsschlaf zu halten. Domenico war bereits wieder verschwunden, und Maria und Bianca machten die Küche. Ich half ihnen ein wenig, dann zog auch ich mich zurück.

Ich wanderte ein bisschen herum, um nachzudenken und zu beten. Ich konnte Gottes Hilfe wieder mal dringend gebrauchen.

Erst am späteren Nachmittag sah ich den Zio draußen vor dem Haus. Er reparierte etwas am Fischernetz. Er war allein. Jetzt oder nie, sagte ich mir. Schüchtern ging ich zu ihm.

Sein Gesicht hellte sich sofort auf, als er mich sah. Offenbar freute er sich.

«La posso chiedere qualcosa?», versuchte ich es mit meinen mittelmäßigen Italienischkenntnissen.

Er lächelte mir freundlich zu und bejahte.

Ich gab mir alle Mühe, meine Fragen zu formulieren. Es war nicht einfach. Ich entschuldigte mich zuerst für Domenicos Ausraster und versuchte, dem Zio zu erklären, dass Domenico ziemlich Zoff mit seiner Mutter hatte.

«Sì, sì.» Der Zio nickte wissend, offenbar war er über alles im Bilde. «È odiusu, troppu odiusu.»

Ja, dass in Domenico viel Zorn herrschte, war schnell zu erkennen, und auch der Zio wusste offenbar, dass das hier eine schwierige Situation war. Er legte das Netz aus den Händen und sah mich erwartungsvoll an. Anscheinend begriff er, was ich wissen wollte und worüber ich sprechen wollte.

Ich setzte zu neuen Fragen an. Ich wollte wissen, wann denn die Zwillinge bei ihm gelebt hatten. Ob dem Zio irgendwelche Komplikationen bei der Geburt bekannt gewesen waren. Was für eine Beziehung er zu Maria hatte.

Ich kam mir ein wenig dumm vor mit meiner Neugierde, doch der Zio war nicht wütend. Er war eher erstaunt, dass ich so vieles nicht wusste.

Mit einfachen Worten versuchte er, mir die Situation zu erklären. Er bemühte sich, langsam und in dialektfreiem Italienisch zu sprechen, und wiederholte geduldig seine Aussagen, wenn ich nachfragen musste.

Er wartete immer wieder, bis ich nickte, ehe er fortfuhr. Zum Glück benutzte er die Hände beim Reden. Das half mir, alles besser zu begreifen.

Er sagte mir, dass Maria zu ihm geflohen sei, weil ihr Vater sie geschlagen hatte. Er habe sie immer geschlagen, schon als kleines Mädchen. Er, Zio Giacomo, habe sie immer beschützt und habe ihr geholfen und seinem Bruder gut zugeredet, aber der wollte nicht auf ihn hören.

Maria sei ein paar Tage bei ihm geblieben, und dann, als ihr Vater ihr auf die Spur kam, sei sie weitergeflohen nach Cefalù zu einer Freundin.

Cefalù – ja, ich erinnerte mich an Mortens Geschichte. Domenicos Vater hatte uns die Story erzählt, dass er Maria damals in Cefalù getroffen hatte.

Zio Giacomos Gesicht wurde schwermütig, als er mir erzählte, dass Maria erst zu ihm zurückgekommen sei, als sie schwanger war und seine Hilfe und Geld brauchte. Geld, um eine Abtreibung zu bezahlen. Abtreibung – aborto, ein Wort, das ich dank dem Beruf meines Vaters leider ableiten konnte. Der deutsche medizinische Ausdruck war ja Abort.

Doch der Zio hatte erstens natürlich kein Geld gehabt, und zweitens hatte er mit aller Macht dafür gekämpft, Maria diese Idee auszureden. Er brachte Maria nach Monreale zu Suora Rosalia, einer Schwester seiner Mutter. Suora Rosalia habe sich ihrer angenommen und sich um sie und um die Jungen gekümmert, als sie zur Welt kamen.

Später sei Maria regelmäßig mit den Kindern zu Zio Giacomo in die Ferien gekommen. Der Zio hätte die Kinder gern bei sich aufgenommen, doch er verdiente mit der Fischerei gerade nur knapp genug, um seine eigene Familie zu ernähren. Außerdem konnten Nicki und Mingo in Monreale bei Suora Rosalia zur Schule gehen.

Zio Giacomo hatte die beiden Jungen Domenico und Michele sehr ins Herz geschlossen, doch sie seien auch schwierige Kinder gewesen. Immer hätten sie gefährliche Sachen gemacht. Schon als Sechsjährige seien sie einfach mit der Vespa rumgefahren oder hinter Frachtschiffen her ins Wasser gesprungen. Und auch als Kind habe Domenico schon viel Zorn in sich gehabt. Michele sei viel ruhiger gewesen. Ich dachte bei mir, dass Mingo wohl seine Aggressionen so lange unterdrückt hatte, bis er später dann mit einem Messer auf andere losging …

Als Maria mit den Kindern nach Deutschland gehen wollte, habe Zio Giacomo sie davor gewarnt. Er vermutete, dass die Jungs dort unglücklich sein würden.

Sehr vorsichtig fragte ich den Zio, ob er etwas von der Geburt wusste, aber mir fehlten die Worte, um ihm zu erklären, dass die Vermutung bestand, dass Maria womöglich versucht hatte, die Kinder aus der Welt zu schaffen. Wie sollte man so ein heikles Thema formulieren? Der Zio schüttelte nur ratlos den Kopf.

Ach, wenn es doch nur jemanden geben würde, der Bescheid wusste! Wie schade, dass Rosalia nicht mehr lebte.

Aber nun wusste ich schon wieder etwas mehr: Suora Rosalia war sogar ein Teil der Familie gewesen, sozusagen Domenicos und Mingos Urgroßtante. Unglaublich …

Darüber hinaus wusste ich jetzt, dass Maria offensichtlich den Zio gebeten hatte, ihr die Abtreibung zu finanzieren – was einmal mehr darauf hindeutete, dass die Schwangerschaft nicht geplant gewesen war. Und ich wusste, dass die Kinder ihre Ferien oft bei Zio verbracht hatten. Jetzt waren immerhin Nickis Bilder nachvollziehbar. Und es war wohl eher Maria gewesen, die mit ihnen hier in Licata ans Meer gegangen war, wenn sie mal wieder eine Phase gehabt hatte, wo sie ihr Versagen kompensieren wollte. Und nicht Mamma Rosalia …

Und nun wusste ich auch, was mich bei Zio so an Pfarrer Siebold erinnerte: Es war der weise Ausdruck in seinen Augen.

Hatte Domenico sein Leben letzten Endes auch Zio Giacomo zu verdanken? Weil er Maria überzeugt hatte, die Kinder nicht abzutreiben, sondern auszutragen?

Jetzt musste ich nur noch irgendwie an diese Geschichte rankommen, die sich bei der Geburt zugetragen hatte. Denn ich ahnte, dass diese Sache das größte Loch in Nickis Seele gebrannt hatte. Aber der Zio hatte die Geschichte noch einmal aus einer ganz anderen Sicht erzählt.

Was war nun wirklich passiert?

Letzten Endes konnte es ja nur eine einzige Wahrheit geben. Auch wenn alle es aus ihrer eigenen Optik betrachten wollten. Entweder war es einfach nur eine schwere Geburt gewesen, oder Maria hatte tatsächlich versucht, ihre Kinder aus der Welt zu schaffen. Eines von beidem. Egal, wie es interpretiert wurde.

Ich wollte keine Interpretation.

Ich wollte die Wahrheit. Die reine Wahrheit.

Und die kannte außer Gott wohl nur Maria allein.

Auch an diesem Abend fehlte Domenico. Beim Abendessen gab es heftige Diskussionen zwischen dem Zio und Maria, die damit endete, dass Maria weinend vom Tisch wegging und Zio Giacomo mit bekümmertem Gesichtsausdruck zurückblieb.

Ich hatte leider nicht viel verstanden, und ich hätte gern einen Dolmetscher gehabt, aber Domenico war ja nicht da, und Bianca würde mir wohl kaum etwas erzählen.

Es schien jedenfalls, als habe der Zio Maria überzeugen wollen, mit ihrer Familie wieder Kontakt aufzunehmen. Damit meinte er ihre Eltern und ihre Schwestern, die ebenfalls hier in Licata lebten. Domenicos Großeltern also und seine Tanten.

Wenn dem wirklich so war, stand mir ja erneut etwas Spannendes bevor.

In der Küche hatte ich vor dem Abendessen mein Handy mit einem von Zios Ladekabeln ans Netz angeschlossen und den Akku aufgeladen. Was war ich froh, dass praktisch jeder Italiener mehrere Mobiltelefone und damit auch verschiedene Kabel hat! Nun gab ich meinen Code ein, das Display leuchtete auf. Offenbar hatte Mama viele Male versucht, mich zu erreichen. Ob bei meinen Eltern etwas passiert war? Plötzlich wurde alles um mich herum nebensächlich. Ging es Mama gut? War alles in Ordnung bei ihr? Ich öffnete ihre letzte SMS.

Maya, Schatz, ich bin so weit okay. Aber was ist mit dir? Wir machen uns Sorgen. Bitte melde dich, Mum.

Also nichts Schlimmes!, dachte ich erleichtert und schrieb gleich zurück:

Wir sind in Licata. Am Meer. Traumhafter Strand. Habe Nickis Onkel kennengelernt. Toller Mann! Wie Pfarrer Siebold! Ich melde mich wieder! Big Kiss, Maya.

An diesem Abend gingen alle früh zu Bett. Maria schien total aufgewühlt zu sein.

Ich streifte noch ein bisschen ums Haus und suchte Domenico, doch dann gab ich es auf.