Domenico war natürlich am nächsten Tag wieder bis in die Mittagsstunden außer Gefecht gesetzt, und auch Salvatore schlich ziemlich müde in der Pizzeria rum, als ich mich schließlich hungrig dort einfand, um mir etwas zu essen zu suchen. Die Jungs hatten in der Nacht wohl mal wieder einen draufgemacht.
Ich ließ Nicki schlafen und setzte mich mit meinem Buch auf eine Bank in der Nähe des Doms in die Sonne. Ich wollte keine engstirnige Zicke sein. Delia hatte mir mal gesagt, dass man Jungs auch ihre Freiheiten lassen musste. Sie mussten sich eben mal austoben. Und schließlich waren Domenico und Salvatore quasi Sandkastenfreunde. Ich wollte ihnen den Spaß nicht verderben.
Es war ein Uhr, als Domenico auf einmal vor mir stand.
«Da bist du ja», meinte er. «Hab dich überall gesucht.»
«Ich wollte dich nicht wecken», sagte ich.
Er gähnte und streckte sich. «Ja, tut mir voll leid. Ist irgendwie viel später geworden, als ich wollte … Hast du Hunger?»
«Schon gegessen», antwortete ich.
Er setzte sich neben mich auf die Bank und lehnte sich an mich, um noch ein wenig weiterzudösen. Ich wusste, dass ihn manchmal auch die Medikamente müde machten. Er schlief tatsächlich an meiner Schulter ein, und ich ließ ihn einfach und las noch ein bisschen. Ich genoss es, wenn er so nahe bei mir war.
Irgendwann stellte ich fest, dass es schon halb drei war, und ich rüttelte ihn behutsam wach.
«Wollen wir jetzt zum Strand fahren?», fragte ich. Ich hatte nun nämlich echt keinen Bock mehr, noch länger in Monreale rumzusitzen. Wahnsinnig viel konnte man hier in diesem kleinen Kaff ja eigentlich nicht unternehmen …
«Mhmm. Aber ich möchte dir eigentlich gern den Sonnenuntergang zeigen.» Er richtete sich auf und kramte eine Zigarette aus der Hosentasche. «Ich mach uns 'n schönes Picknick, und dann fahren wir los, ja?»
Das klang gut, und so kehrten wir erst mal wieder in die Pizzeria zurück. Domenico bereitete uns einen kleinen Korb voll Leckereien vor. Und natürlich ein paar Cannoli, die typischen frittierten Teigrollen mit Ricotta-Vanille-Schokostückchen-Füllung.
«Ich könnt mich den ganzen Tag nur mit dem süßen Zeug vollstopfen», stöhnte er. «Echt schlimm!»
Niemand hatte was dagegen, dass er sich hier wie selbstverständlich bediente. Es war mehr als genug da.
«Na ja, wenn man dabei wie du kein Gramm zunimmt …», seufzte ich.
Es war halb fünf, als wir aufbrachen. Alfredo, Salvatores Vater, hatte uns netterweise sein altes Motorrad geliehen und auch zwei Helme.
Die Sonne spaltete noch immer die Schädel. Trotzdem hatte ich darauf bestanden, unsere Jacken mitzunehmen, da es am Abend bei der Heimkehr sicher kühl sein würde. Ich hatte neben unseren Badesachen und dem Picknick auch noch ein zweites Oberteil für Domenico in den Seitenkoffer des Motorrades gestopft. Falls wir ins Wasser gehen würden, würde Nicki ja sein T-Shirt wegen seiner Narben am Bauch garantiert nicht ausziehen …
Wieder musste ich mich an ein neues Vehikel gewöhnen, als wir die Straße Richtung Palermo hinunterbrausten. Dieses hier knatterte bedenklich unter meinem Hintern, und ich musste mich wegen der schlechten Federung stärker als sonst an Domenico festklammern.
Bald schon waren wir wieder mitten in dem chaotischen und geruchsintensiven Verkehr Palermos, doch Domenico fand bald einen Ausweg durch die Seitenstraßen. Irgendwann ließen wir die Stadt hinter uns und fuhren eine ziemlich lange Strecke geradeaus, bis wir schließlich in einen kleinen Vorort abbogen. Ganz am Ende der Ortschaft zweigten wir in eine kleine Seitenstraße ab, die uns direkt zum Hafen führte. Domenico drosselte das Tempo und hielt dann an.
Er nahm den Helm ab und sah sich um. Ich tat es ihm gleich, froh, wieder etwas frische Luft atmen zu können.
«Sind wir da?»
Domenico starrte auf eines der Boote. Es schien mir fast, als würde er nach etwas suchen. Doch dann schüttelte er stumm den Kopf und stülpte sich den Helm wieder auf. Ich folgte seinem Beispiel und fragte mich langsam, welches Ziel er im Sinn hatte. Wir waren meines Erachtens mindestens schon eine Dreiviertelstunde unterwegs.
Wir fuhren noch etwas weiter den Strandweg entlang, bis wir endlich zu einer kleinen Bucht gelangten, die etwas verborgen lag.
Hier parkten wir neben einem Felshang. Domenico stieg ab und reichte mir die Hand.
«Hier sind wir!»
Wir hängten unsere Helme an den Lenker und holten unsere Badetücher und die Esswaren aus dem Seitenkoffer. Der Strand war beinahe menschenleer. Die Sonne spiegelte sich in dem feuchten Sandstreifen, der sich durch die Ebbe gebildet hatte.
«Lass dein Geld und die Wertsachen am besten im Koffer», wies Domenico mich an. «Den können wir abschließen.»
Ich hielt das für eine gute Idee. Ich hatte ohnehin auf Mamas Rat gehört und nur eine kleine Summe Geld, meinen Ausweis, mein Handy und den Fotoapparat mitgenommen, mehr nicht. Den Rest hatte ich in der Mansarde unter dem Kopfkissen versteckt. Das Einzige, das ich nicht im Seitenkoffer lassen wollte, war mein Fotoapparat. Ich musste den Sonnenuntergang doch unbedingt festhalten.
Domenico schloss den Koffer ab, löste ein Lederbändchen von seinem Handgelenk und band sich die Schlüssel damit um den Hals.
«Und das ist jetzt also dein Lieblingsstrand?», wollte ich wissen.
«Ja.» Er zündete sich eine Zigarette an und sah sich versonnen um. Die einzigen Menschen hier waren eine Familie mit Kindern und ein Liebespärchen, das sich hinter einem Ginsterbusch verkrochen hatte.
Wir schlenderten durch den Sand und suchten uns ebenfalls ein lauschiges Plätzchen hinter einem Gebüsch. Dort breiteten wir unsere Tücher aus und stellten unsere Picknicksachen zwischen uns.
Ich schaute auf das glitzernde Wasser. Es war, als hätte jemand Goldsplitter über die kleinen Wellenspitzen gestreut.
«Wart ihr als Kinder auch hier?» Ich versuchte immer noch, die Frage in meinem Kopf zu einem logischen Bild zusammenzukriegen, wie diese alte Nonne wohl damals mit den kleinen Zwillingsjungen ans Meer gekommen war. Die hatte ja bestimmt nicht Auto fahren können, und mit dem Bus muss es bei diesem Verkehr für eine alte Nonne fast unmöglich gewesen sein, hierher zu gelangen.
Er zuckte mit den Schultern. «Kann ich dir nicht genau sagen.»
Ich traute mich nicht zu fragen, ob eventuell die zweite Option, nämlich dass es Maria selbst gewesen war und nicht Mamma Rosalia, nicht auch in Frage kommen könnte.
Und wo ich den mysteriösen Mann mit dem schwarzen Schnurrbart, den er auch mehrmals gemalt hatte, einordnen musste, wusste ich auch noch nicht.
«Jedenfalls war ich oft mit Mingo und Bianca hier. Bianca hat diese Stelle auch geliebt …» Seine Stimme veränderte sich, als er den Namen seiner kleinen Halbschwester in den Mund nahm. Im Moment hatte ich nicht so den genauen Durchblick, wie es um seine Beziehung zu ihr stand. Bianca redete angeblich schon seit einiger Zeit nur noch wenig mit ihm, weil er sich nicht mit seiner Mutter versöhnen wollte. Maria war ja auch Biancas Mutter.
«Von der Klippe dort sind wir immer gesprungen, Mingo und ich», sagte er plötzlich und zeigte auf einen kleinen Felsen, der aus dem Wasser ragte. Er sah mich mit merkwürdigem Blick an, fast so, als hätte er schon zu viel gesagt.
Als ich keine Antwort gab, lehnte er sich vorsichtig an mich. Schweigend schauten wir zu, wie sich die Sonne immer tiefer senkte und das Wasser sich immer mehr mit Goldsplittern überzog. Und wieder war es so ein Moment, wo ich Domenicos tiefen Schmerz fast körperlich fühlen konnte.
Er wollte es mir nicht sagen, das wusste ich. Er wollte nicht mit mir darüber reden, weil er mich nicht belasten wollte. Aber immer deutlicher wurde mir klar, dass sein Herz hier zu Hause war. Dass es immer hier zu Hause gewesen war und es auch immer sein würde. Und ich wusste nicht, wie wir in Zukunft damit umgehen sollten.
Die Sonne stand nun ziemlich tief und verfärbte sich langsam rötlich. Ich zückte meine Kamera und begann, sämtliche Belichtungsoptionen auszuprobieren, um ein möglichst perfektes Foto zu schießen.
«Sag mal, genügt ein Foto denn nicht?», fragte Nicki, der mich etwas belustigt beobachtet hatte, nach einer Weile. «Wozu brauchst du denn hundert Fotos?»
«Damit ich möglichst viel Auswahl hab, ist doch logisch», erklärte ich. Nicki lebte in Sachen Computertechnik echt hinter dem Mond!
Er schüttelte ungläubig den Kopf und fing an, die Brote, Fleischbällchen und frittierten Gemüsestückchen gerecht auf zwei Plastiktellern zu verteilen. Er reichte mir einen davon.
«Oh, danke!»
«Aber nur, wenn du endlich mit der ollen Knipserei aufhörst», sagte er. «Das macht mich nämlich echt nervös.»
«Keine Angst, Mister Universum, dich fotografiere ich sicher nicht.» Irgendwie war ich auf einmal in der Stimmung, ihn ein wenig zu necken. Seine krankhafte Fotophobie ging mir nämlich wirklich langsam auf den Sender. Doch um ihn nicht ganz zu verärgern, legte ich den Apparat zur Seite und schickte mich an, mich über die kulinarischen Köstlichkeiten herzumachen.
Doch ehe ich überhaupt einen Bissen nehmen konnte, wurde ich grob am Arm gepackt.
«Nicki, spinnst du?» Ich starrte Domenico entsetzt an. Er war aufgesprungen und blickte panisch auf mich herunter. Verzweifelt versuchte er mich auf die Beine zu zerren. Was war denn das jetzt wieder? War er denn jetzt endgültig verrückt geworden?
«Via! A'mm' a ghiricinne di ccà, súbbitu!»
«Was?» Ich kam noch nicht ganz mit.
«Ich sagte, renn weg!» Er zog mich rücksichtslos mit sich, so dass ich mir das Knie an einem der großen Steinblöcke aufschlug. Das noch nicht mal angebissene Brötchen fiel mir aus der Hand. Ich konnte mir dafür gerade noch die Kamera krallen.
«Aua, Nicki … was geht hier ab?»
«Mach schon!»
«Aber … unsere Sachen …»
«Keine Zeit!»
Ich stolperte beinahe über meine eigenen Füße, als er mich einfach mit festem Griff hinter sich her schleifte. Was sollte denn das schon wieder? Nicki hatte langsam aber sicher echt einen Knall! War er jetzt ganz und gar paranoid?
Zum Glück hatte ich meine Schuhe nicht ausgezogen. Mein nächstes Ziel war, endlich einigermaßen gerade auf meine Füße treten zu können. Ich nahm mir eine winzige Sekunde Zeit, um einen Blick hinter mich zu werfen. Mir fiel absolut nichts Verdächtiges auf. Nur zwei Mädchen oder Frauen, die sich gerade auf einer Decke niederließen. Nein, wirklich, jetzt hatte Nicki aber endgültig einen an der Waffel!
Da packte er meine Hand so fest, dass es mich richtig schmerzte.
«Sbrigati! Mach schnell!» Seine Stimme klang, als würde ihn jemand würgen.
Mir blieb nichts anderes übrig, als weiterzurennen. Ich dachte an unsere Badetücher und das schöne Picknick, das wir einfach dort liegengelassen hatten.
Wir schwangen uns in Windeseile aufs Motorrad und stülpten unsere Helme über. Ich hatte kaum Zeit, meinen richtig zuzumachen und mich an Domenico festzuhalten, als er schon Gas gab und das Motorrad in halsbrecherischer Geschwindigkeit mit uns vorwärts schoss. Ich bekam richtig Panik. Einen so tollkühnen Start hatte Domenico noch nie hingelegt.
Die tausend Fragen in meinem Kopf würden wohl warten müssen, bis wir wieder irgendwo anhalten würden.
Doch Domenico schlug nicht den Weg nach Monreale ein, sondern raste wie ein Wilder durch Palermo. Er tauchte mitten in den Verkehr ein, ignorierte ein Rotlicht und schnitt sämtlichen anderen Verkehrsteilnehmern verantwortungslos den Weg ab. Ich klammerte mich voller Angst an ihm fest und hatte gleichzeitig eine Stinkwut im Bauch. War ihm eigentlich noch klar, dass ich hinter ihm saß und dass er mich so in Gefahr brachte? War diese dämliche Aktion, die er da abzog, wirklich nötig?
Ich wollte nach Monreale, wollte zurück in die Mansarde und wieder festen Boden unter den Füßen haben, doch Nicki kurvte kreuz und quer durch die Straßen, und ich fragte mich insgeheim echt, ob er überhaupt ein Ziel hatte oder einfach planlos durch die Gegend brauste.
Ich spürte richtig, wie das Adrenalin durch seinen ganzen Körper schoss, und betete, dass wir keinen Unfall bauen würden. Ich hatte gute Lust, ihn so richtig fest in den Bauch zu kneifen, um ihm zu signalisieren, dass ich wirklich die Schnauze voll hatte. Doch die Gefahr, dass ich ihn erschrecken würde, war zu groß. Am Ende litt er ja womöglich wieder unter einer psychotischen Störung, die er selber nicht beeinflussen konnte. Allerdings sollten die Medikamente dies ja verhindern …
Dabei hätte ich echt gern gewusst, was ihn so aus der Fassung gebracht hatte, aber ich hatte leider keine Chance, mit ihm zu reden. Ich konnte einfach nur hoffen, dass er irgendwann mal wieder anhalten würde. Es war mittlerweile ganz dunkel, und außerdem fror ich. Gern hätte ich meine Jacke angezogen, aber die befand sich ja im Seitenkoffer.
Irgendwann realisierte ich, dass wir wieder aus Palermo rauskamen – aber auf der anderen Seite. Von Monreale waren wir meilenweit entfernt. Und noch immer fuhren wir weiter und weiter, und es schien nicht so, als hätte Nicki demnächst vor, das Gefährt zu stoppen.
Ich war regelrecht erleichtert, als der Tank inklusive der Reserve leer war und Domenico endlich gezwungen war, bei einer Tankstelle anzuhalten. Wir waren nun in einem kleinen Kaff außerhalb von Palermo gelandet. Na super! Aber wenigstens würde ich nun hoffentlich die langersehnte Erklärung kriegen.
«Sciatu mia, kann ich Geld für Benzin von dir leihen? Ich zahl's dir zurück», bat Domenico ganz außer Atem und steckte sich hektisch eine Zigarette zwischen die Lippen.
«Sag mir gefälligst erst mal, was hier läuft», forderte ich. Ich musste mal wieder ein wenig strenger mit ihm reden! «Und bitte keine Zigaretten an der Tankstelle! Das ist hier verboten!»
«Die mach ich später an, und ich kauf auch keine Kippen … ich will nur den Tank füllen, sonst kommen wir hier nicht mehr weg.»
Okay, das war ein einleuchtendes Argument. Ich holte meine Jacke aus dem Seitenkoffer und kramte die dreißig Euro aus der Tasche. Mehr hatte ich nicht mitgenommen.
Er füllte den Tank und verschwand, um zu bezahlen. Ich war froh, endlich in meine Jacke schlüpfen zu können. Ungeduldig wartete ich, bis er wiederkam. War es denn wirklich so schwierig, mir wenigstens in ein paar Worten zu erklären, was das Ganze sollte? Oder machte er das absichtlich – aus lauter Sturheit?
«Komm, Principessa, wir fahren noch ein paar Meter, und dann erklär ich dir alles», sagte er, als er zurück war und mir das restliche Geld in die Hand drückte. Er strich mir kurz übers Haar. «Hier ist nicht gut.»
Er nahm sich nicht mal Zeit, seine Jacke anzuziehen. Wir stiegen wieder aufs Motorrad und fuhren noch ein wenig weiter, bis Domenico vor einem kleinen Park hielt, der von Laternen beleuchtet war. Wir stiegen ab und setzten uns auf eine kleine Bank.
Domenico streichelte eine Weile lang einfach nur meinen Arm, während er sich eine Zigarette anzündete, um wieder einigermaßen runterzukommen. Grrr, manchmal kostete das alles echt viel Geduld mit ihm. Ich holte tief Luft und legte meine Hand auf seine Brust, um ihn ein wenig zu beruhigen. Ich erschrak, als ich fühlte, wie heftig sein Herz hämmerte und tobte. Du meine Güte …
«Tut mir leid, Principessa. Aber ich konnte nicht anders», keuchte er. «Ich will denen jetzt echt nicht begegnen!»
«Wem willst du nicht begegnen? Was war denn los? Ich zerbrech mir schon die ganze Zeit den Kopf, was du …»
«Hast du sie denn nicht gesehen?»
«Wen meinst du denn?»
«Na, meine Alte!»
«Deine Mutter?» Ich merkte selber, wie ungläubig ich das Gesicht verzog. «Nicki …»
«Ja, sie und Bianca», knurrte er finster. «Hast du sie wirklich nicht gesehen?»
Ich konnte mich nur an die zwei Frauen erinnern, die gerade ihre Decke am Strand ausgebreitet hatten, aber so genau hatte ich mir die beiden in der einen Sekunde nicht ansehen können. Okay, sie hatten beide schwarzes Haar gehabt, aber das hatten hier die meisten, und ich hatte aus der Ferne auch nicht genau beurteilen können, ob es Mädchen oder Frauen gewesen waren.
«Bist du wirklich sicher, dass sie das waren?» Mir schien das ziemlich unwahrscheinlich.
«Ey, für wie blöd hältst du mich? Meinst du im Ernst, ich erkenn meine Mutter und meine Schwester nicht mehr?» Eine kleine Sekunde lang machte sein schneidender Blick mir Angst, doch ich hielt ihm stand. Na warte, Tiger, ich lass mich nicht mehr einschüchtern, dachte ich.
«Okay, aber denkst du im Ernst, dass die nun ausgerechnet hier auftauchen, wo wir auch sind?», konterte ich. «Das wäre ja wirklich arger Zufall, oder nicht?»
Im Schein der Laternen konnte ich sehen, wie er genervt die Augen verdrehte. Offenbar dachte er im Moment ebenfalls von mir, dass ich durchgeknallt sei …
«Das ist kein Zufall, Süße», sagte er langsam. «Ich hab Bianca dummerweise erzählt, dass ich nach Sizilien gehe. Hätt ich nicht machen sollen, aber ich wollte ihr halt was mitbringen. Sie ist natürlich gleich zu unserer Alten gerannt, und sie haben den erstbesten Flug genommen, den sie kriegen konnten. Angeblich hat sie ja jetzt 'ne Menge Kohle.»
«Aber wie konnten sie wissen, dass wir ausgerechnet an dem Strand sein würden?»
«Lass mich doch ausreden. Sieh mal: Bianca kennt all die Orte, die wir gern besucht haben. Sie hat sich genau ausrechnen können, dass wir irgendwann dorthin kommen und den Sonnenuntergang anschauen würden. Und sie weiß, dass wir in Monreale sind, und ich schätze sogar, dass Salvatore ihr gesagt hat, dass wir zum Strand gefahren sind. So einfach ist das.»
Mist, das klang wirklich gar nicht mal so abwegig. Während er sich eine neue Kippe ansteckte, grübelte ich noch ein wenig über seine Theorie nach. Immerhin würde das bedeuten, dass er doch nicht ganz so übergeschnappt war wie befürchtet. Obwohl ich diese panische Flucht immer noch ziemlich übertrieben fand.
«Also gut. Aber warum sind wir nicht nach Monreale zurückgefahren? Warum in dieses Kaff hier?» Ob er dafür auch einen triftigen Grund hatte?
«Na, weil die doch jetzt ganz genau wissen, dass wir dort bei Salvatore wohnen. Und sie sind jetzt garantiert auf dem Weg nach Monreale zurück, um nach uns zu suchen.»
«Ähm – heißt das, dass wir vorerst … nicht mehr dorthin zurückkönnen?», schlussfolgerte ich.
«Korrekt … jedenfalls nicht die nächsten zwei, drei Tage.»
«Wie bitte?»
«Maya, du kennst meine Mutter nicht … die wartet so lange in Monreale, bis wir wieder auftauchen.»
«Ja, toll. Und was machen wir nun?»
«Wir suchen uns 'ne neue Bleibe. Sciatu mia …» Er hielt seine Zigarette von mir weg und zog mich enger an sich.
«Ganz großartig, Nicki, aber wir haben unsere ganzen Sachen nicht dabei! Und mein ganzes restliches Geld und meine Kreditkarte sind auch dort. Wir haben die letzten Scheine gerade fürs Tanken ausgegeben. Wir können uns kein Hotel leisten. Ich hab nur noch ein paar wenige Euro in der Tasche. Und wir haben weder was zu essen noch was zu trinken noch irgendwelche Kosmetikartikel dabei …»
«Ich besorg dir doch alles, was du brauchst, cori mia. Du musst keine Angst haben …»
«Ja, wie denn? Willst du eine Tankstelle überfallen?»
«Nee, so was mach ich doch nicht mehr. Keine Angst, mir fallen noch andere Sachen ein.»
«So-so … aber …» Ich konnte mich mit diesem Gedanken noch nicht anfreunden. Ohne Geld und ohne meine notwendigen Sachen umherreisen? Ich war es gewohnt, alles bei mir zu haben.
«Hey», flüsterte er fast verzweifelt. «Bitte, Süße …»
«Ach, Nicki … können wir denn nicht wenigstens schnell nach Monreale fahren, unsere Sachen holen und dann einfach verschwinden?»
Er schüttelte den Kopf. «Nee. Darauf wartet die doch nur. Sie rechnet doch genau damit, dass wir wegen unserer Sachen zurückkommen müssen. Ey, ich kenn sie. Du weißt nicht, wie gerissen diese Frau ist.»
«Aber sag mal, wäre es denn wirklich so schlimm, mit ihr zu reden?», seufzte ich. «Dann gibt sie vielleicht nachher endlich Ruhe. Oder … soll ich mit ihr reden?»
Er drückte seine Zigarette auf der Bank aus. Ich spürte, wie erschöpft er auf einmal war, und irgendwie verflog meine Wut allmählich, obwohl ich mir vorgenommen hatte, nicht so schnell klein beizugeben.
«Nein. Nein, Maya. Ich will ihr nicht begegnen. Bitte … ich hab so krasse Angst davor, wieder abzustürzen, wenn ich sie treffe … Ich kann's dir nicht besser erklären, tut mir wirklich leid … aber es geht nicht. Ich will einfach nicht, dass sie mir alles wieder kaputtmacht, was nun endlich angefangen hat zu verheilen, verstehst du?», fragte er leise, und ich hörte die Panik in seiner Stimme.
Ich seufzte und nickte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich wirklich alles verstand. Insgeheim fragte ich mich nämlich schon, warum er denn vor nicht allzu langer Zeit Infos über sie hatte haben wollen. Warum er den Freier zusammengeschlagen hatte, der ihr wehgetan hatte. Warum er ihr seine neue Handynummer gegeben hatte. Und warum er Bianca überhaupt erzählt hatte, dass wir nach Sizilien gingen.
Irgendwie rannte er vor sich selbst davon …
«Was hältst du davon, wenn wir nach Catania fahren?», fragte er schüchtern.
«Catania? Aber das geht doch gar nicht wegen Paolo», warf ich ein.
«Ach, er wird es schon nicht erfahren. Wir könnten dort zum Beispiel bei Luigi schlafen. Ein oder vielleicht sogar zwei Nächte … Das kriegt Paolo gar nicht mit … und dann schauen wir weiter.»
«Ohne Geld?»
«Wir haben 'nen vollen Tank. Und alles andere, was du brauchst, besorg ich dir.»
«Aber nicht klauen. Darauf bestehe ich!»
«Nee, hab doch keine Angst.»
Ich seufzte wieder. Musste dieser Stress denn wirklich sein?
«Aber bis nach Catania ist es weit …»
«Durchs Landesinnere schaffen wir es vielleicht in drei Stunden», sagte er.
«Aber es ist viel zu kalt geworden.» Ich hatte absolut keine Lust, jetzt noch drei Stunden durch die kühle Nacht und die Dunkelheit zu fahren. Es war schon spät, und außerdem war ich eh bereits ziemlich durchgefroren von vorhin. Langsam kriegte ich eine Ahnung, was es bedeutete, ein Straßenkind zu sein und nie zu wissen, woher man das nächste Essen nehmen und wo man übernachten sollte. Klar, Domenico war das Leben als Straßenkind gewohnt. Ich hingegen nicht …
Auf einmal lächelte er ein wenig. «Was hältst du davon, wenn wir heute Nacht am Strand übernachten? Unter dem Sternenhimmel? Dann brauchen wir jetzt nicht mehr so weit zu fahren und können erst mal ausruhen. Bin nämlich auch ganz schön müde …» Er lehnte sich näher an mich, um mich zu wärmen. Sein Körper war im Gegensatz zu meinem immer noch völlig erhitzt. Aber meiner konnte ja auch nicht diese Unmengen Adrenalin produzieren …
Ich wollte gar nicht wissen, was meine Eltern dazu sagen würden. Instinktiv holte ich mein Handy aus der Jacke und schaltete es aus. Da ich ja kein Ladegerät dabeihatte, galt es erst mal, Akku-Saft zu sparen.
«Wir haben allerdings meinen Eltern versprochen, uns nicht in gefährliche Abenteuer zu verwickeln …», mahnte ich. «Und ich möchte meiner Mutter nicht unnötige Sorgen bereiten.»
«Das werden wir auch nicht», sagte er sanft und schmiegte sich an mich. «Ich hab versprochen, auf dich aufzupassen, und das halte ich auch. Und ab morgen sind wir sowieso bei Luigi. Dort gibt es Essen in Hülle und Fülle. Und er hat 'ne Waschmaschine, dort kannst du deine Klamotten waschen. In zwei, drei Tagen fahren wir wahrscheinlich sowieso wieder zurück.»
«Okay», willigte ich schließlich ein. Ein ganz klein wenig fing das Abenteuer nun doch zu locken an … und ich würde ja nicht sterben, nur weil ich einmal nicht Zähne putzen konnte. Außerdem würde es wirklich romantisch sein, mit Nicki am Strand unter dem Sternenhimmel zu übernachten …
Doch es gab da noch andere Probleme.
«Wir haben keine Decken … Wir können unmöglich ohne Decke am Strand übernachten. Das ist doch viel zu kalt!»
«Lass mich das ruhig machen», sagte er. «Ich treib dir alles auf. Was immer du brauchst. Hab ich dir doch gesagt.»
Ich fragte mich, wie er das anstellen wollte, aber Tiger-X, ehemaliges Straßenkind und Ex-Gangführer, hatte ja genügend Übung darin …
Er vergrub sein Gesicht in meinem Haar und legte seine Lippen auf meine Wange. «Magst du?», hauchte er leise in mein Ohr.
Das mir schon so bekannte wohlige Prickeln machte sich in meiner Magengegend breit, als ich ihn so nah spürte. Das Verlangen, ihn noch näher zu spüren, begann wieder zu erwachen …
«Okay …», stimmte ich schließlich zu.
«Also, komm! Besorgen wir erst mal was zu essen und zu trinken für dich. Wie viel Geld haben wir noch?»
Ich klaubte das restliche Geld, das er mir nach dem Tanken wieder zurückgebracht hatte, aus der Tasche. Insgesamt waren es sieben Euro. Nicki hatte auch noch fünf. Machte zwölf Euro. Damit würden wir nicht gerade sehr weit kommen …
«Auf geht's», sagte er. «Wir finden 'nen Laden.»
«Aber was ist mit deinen Medikamenten?», fragte ich, als wir wieder aufs Motorrad stiegen. Dieses Mal hatte auch Domenico seine Jacke angezogen.
Er zuckte mit den Schultern. «Was soll damit sein? Die sind halt in Monreale …»
Wenn das nur gutging …
Wir fuhren ein paar Häuser weiter, bis wir einen kleinen Lebensmittelladen entdeckten.
Domenico suchte ein paar Sachen zusammen, unter anderem Tomaten, ein Säckchen marinierte Oliven, Käse, Bresaola-Schinken, eingelegte Zwiebeln, eine Gurke, Früchte und zwei große Brote.
«Für all das reicht doch unser Geld nicht», sagte ich.
«Duci mia, wir sind in Sicilia. Wart's ab.» Er ging mit den Sachen an die Theke. Schließlich bezahlten wir lausige sieben Euro für all das. Die Panini und die Tomaten bekamen wir sogar gratis dazu, weil sie nicht mehr ganz so frisch waren. Zudem kauften wir drei Zweiliterflaschen Wasser für nur einen Euro. Somit hatten wir immer noch vier Euro übrig.
«Siehst du?», triumphierte er. «Gerade mal acht Euro ausgegeben, und das reicht sogar noch für morgen. In diesen kleinen Käffern sind die Sachen echt billig.»
«Unglaublich …», staunte ich. In Deutschland hätten wir mindestens das Doppelte bezahlt …
«Komm, lass uns noch 'n Stück fahren», schlug er vor. «Dann suchen wir uns 'ne Schlafmöglichkeit.»
Ich beschloss, mich nun ganz und gar auf ihn zu verlassen. Allerdings spürte ich, dass ich bald aufs Klo musste.
Wir fuhren noch ein paar Ortschaften weiter. Vor einem Restaurant hielt Domenico auf einmal abrupt an.
«Augenblick», sagte er und stieg ab. «Bin gleich wieder da!»
Ich wartete, während er im Inneren verschwand. Es dauerte nicht lange, bis er wieder zurückkam. Er drückte mir eine Seife und Klopapier in die Hand.
«Da.»
«Wo hast du das her?»
«Na, von der Toilette halt.»
Eigentlich hatte ich ihm ja strikt verboten, Dinge zu klauen, aber im Moment war ich wirklich froh, ein Stück Seife und Klopapier zu haben.
«Wenn du hier noch aufs Klo gehen möchtest: Der Eingang ist gleich dort hinten.» Er wies mit dem Daumen auf eine Seitentür. «Du musst nicht durch das Ristorante.»
Ich war dankbar und folgte seiner Aufforderung, während er die kurze Pause natürlich zum Rauchen nutzte.
Ein paar Minuten später setzten wir unsere Fahrt fort, und ich fragte mich langsam aber sicher, wo um alles in der Welt wir eine Decke herkriegen sollten. Wir fuhren nun nicht mehr auf der Hauptstraße, sondern kurvten kreuz und quer durch die engen Gassen. Domenico schaute immer wieder zu den Terrassen und Fenstern hoch, von denen Wäsche baumelte. Schließlich hielt er vor einem Haus, auf dessen Balkon im untersten Stock auf einer Wäscheleine mehrere Wolldecken hingen.
Auf einmal dämmerte mir, was er vorhatte.
«Du wirst doch nicht etwa eine Decke stehlen wollen?»
«Nee, nur ausleihen.» Er sprang vom Motorrad und schwang sich kurzerhand via Regenwasserrohr auf den Balkon. Dort nahm er zwei Wolldecken ab und sprang wieder zu mir herunter.
«Das finde ich nicht in Ordnung», sagte ich. «Wir können doch den Leuten nicht einfach ihre Decken wegnehmen.»
«Wir bringen sie ja wieder zurück.»
«Und was ist, wenn sie die Decken heute Nacht brauchen?»
«Willst du etwa ohne Decke pennen?» Er sah mich an.
Nein, das wollte ich natürlich nicht. Gab es tatsächlich Situationen, in denen man gezwungen war zu klauen? In unserem Fall eigentlich nicht, dachte ich. Wenn Domenico sich überwinden und mit seiner Mutter reden könnte, wären wir jetzt nämlich gar nicht auf der Flucht …
«Können wir nicht wenigstens um Erlaubnis fragen?», schlug ich vor.
«Hier ist niemand zu Hause! Siehst du doch.» Er zeigte auf die dunklen Fenster.
Na schön … Etwas zögernd nahm ich die beiden Decken und legte sie über meinen Schoß.
«Ey, wir bringen sie doch morgen wieder zurück», beruhigte er mich. «Das merken die nicht mal.»
Bevor mir eine bessere Lösung einfiel, hatte Domenico das Motorrad bereits wieder gestartet und fuhr weiter. Er nahm eine Abzweigung Richtung Strand. Hier war alles wie ausgestorben; kaum eine Menschenseele hielt sich draußen auf. Die trafen sich wohl alle woanders. Wir fuhren in der Dunkelheit über den Sand und fanden ein abgeschiedenes Plätzchen hinter ein paar Oleandersträuchern, wo wir garantiert vor neugierigen Blicken geschützt waren, falls sich doch jemand hierher verirren sollte. Außerdem war es weit genug vom Meer entfernt, um nicht plötzlich von der Flut überrascht zu werden.
«Na, was hältst du davon?», fragte Nicki. Ich war einverstanden.
Wir breiteten eine der Wolldecken aus und machten es uns darauf bequem. Domenico wickelte die zweite Decke um mich, damit mir nicht kalt war. Ich fröstelte nämlich immer noch. Dann holte er die Esswaren aus dem Seitenkoffer und breitete alles auf seiner Lederjacke aus, damit die Wolldecke nicht schmutzig wurde.
«Hier, iss», meinte er.
Ich griff hungrig nach einem Stück Schinken. Als er keine Anstalten machte, sich ebenfalls was zu nehmen, fragte ich: «Isst du gar nichts?»
«Nee, ich will, dass du zuerst satt wirst.»
«Aber das reicht doch locker für beide.»
«Ist schon okay. Ich brauch momentan nix.»
«Bist du sicher?»
«Mann, ich hab oft gehungert, damit Mingo und Bianca satt wurden. Mir macht das nix aus. Mir reichen im Moment ein oder zwei Kippen.»
«Nein, das gefällt mir nicht. Nimm wenigstens eine Frucht», sagte ich. Schließlich überredete ich ihn, eine Banane und einen Apfel zu essen.
Erst als ich fertig war mit Essen und wir alles wieder verstaut hatten, zündete er sich eine Zigarette an. Wir schauten dem Meer und den Wellen zu, die in der Dunkelheit gegen das Ufer rauschten. Nur das Licht des Mondes erhellte den Strand. Endlich etwas Zeit für Romantik …
«Schön, was?», sagte er und lehnte sich wieder an mich. «Ich vermisse das Meer so sehr in Deutschland.»
«Ja, es wäre schön, so viel Wasser vor sich zu haben. Aber da müssten wir wohl an die Nordsee ziehen.»
«Mhmm …» Er zog die Decke, die er um mich gewickelt hatte, wieder ein wenig weg, so dass er zu mir darunterschlüpfen konnte. Jetzt konnte ich ihn noch näher spüren … Wir legten uns beide hin und kuschelten uns ganz fest aneinander.
«Na ja, Berlin wird sicher auch cool», meinte er. «Hauptsache weg von all diesem Geknorze und von dieser beknackten Schlampe …»
Ich verzog mein Gesicht. Es tat mir weh, wenn er so über seine Mutter sprach. «Nicki … sag nicht so was.»
«Ach, lass mich. Ich mein, kein normaler Mensch hat 'ne Nutte als Mutter, ey.»
«Ich hab vielleicht bald keine Mutter mehr, Nicki …», sagte ich leise und traurig. «Und … ich hätte hundertmal lieber eine Nutte als Mutter als gar keine.»
Er starrte mich erschrocken an. Ich seufzte. Eigentlich hatte ich das gar nicht sagen wollen.
«Es tut mir so leid», flüsterte er. «Das wollte ich nicht.»
Er zog mich an sich und bettete meinen Kopf an seine Brust. Dann begann er, mich liebevoll zu küssen und zu streicheln. Ich schloss die Augen und ließ ihn einfach machen; genoss die kleinen Schauer, die seine Berührungen durch meinen Körper jagten.
«Wenn du keine Mutter mehr hast, hab ich auch keine mehr», sagte er ebenso leise und traurig. «Weil sie ja eigentlich auch meine Mutter ist. Meine Ersatzmutter.»
Eine Weile liebkoste er mich schweigend und drückte mich ganz fest an sich.
«Sorry für vorhin», flüsterte er. «Ich wollte dir wirklich nicht wehtun. Ich bin doch da für dich. Ich werde alles für dich tun, was ich kann. Aber du hast … du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie krank das alles war mit meiner Mutter … Ich mein, mal angenommen, deine Mutter rennt andauernd nackt und mit solchen Gaga-Typen in der Wohnung rum … Könntest du dir das vorstellen?»
Nein, diese Vorstellung war schwierig. Ich konnte mir einfach nicht vor Augen malen, dass meine Mutter schlampig herumlief. Mama hatte immer auf eine gepflegte und seriöse Erscheinung geachtet. Nacktheit war für sie immer eine private Sache gewesen, nicht Mittel zum Zweck. Und Sexualität gehörte für sie zur Intimsphäre, nicht ins Schaufenster.
«Und ich hab's einfach satt, ständig als Hurensohn bezeichnet zu werden», fügte er schmerzvoll hinzu. «Das tut so weh, weißt du? Und deswegen will ich ihr nicht begegnen. Sie reißt mich nur runter. Und das kannst du ja jetzt auch nicht gebrauchen …» Er streichelte meine Wange.
«Sag mal, wieso ist deine Mutter eigentlich … Prostituierte geworden?», fragte ich. «Hätte sie denn nicht auch was anderes machen können?»
Er lachte bitter. «Na, warum wohl? Schau sie dir doch an!»
«Du meinst, weil sie so schön ist?»
«Schön? Du findest sie schön?»
«Natürlich. Das ist sie doch.»
Er stöhnte auf. «Ich meine nicht das. Ich mein … ach, vergiss es.»
«Nein, sag.»
«Weil sie das hat, worauf viele Typen scharf sind, verstehst du?» Tiefste Verachtung lag in seiner Stimme. «Damit verdient sie mehr, als wenn sie irgendwo im Supermarkt an 'ner Kasse arbeiten würde.»
«Hmm. Aber hat sie denn nicht mal einen vielversprechenden Job als Model angeboten gekriegt?»
Wieder lachte er freudlos auf. «Model? Wer behauptet so 'nen Quatsch?»
«Ich glaub, Frau Galiani hat das mal erzählt.»
Obwohl ich es in der Dunkelheit nicht sehen konnte, wusste ich, dass er genervt die Augen verdrehte. «Die Galiani hat keine Ahnung. Meine Mutter und Model! Wie denn, sie hat doch gar keine Modelmaße! An der ist viel zu viel dran. Sieht man doch. Du weißt genau, was ich meine.»
«Meinst du … ihre Oberweite?», fragte ich etwas zaghaft.
«Was denn sonst? Ist doch 'ne Goldgrube für sie und jeden Zuhälter. Models sind obenrum flacher gebaut.»
«Hmm …» Es war so schwierig, darauf etwas Besänftigendes zu sagen. Irgendwie waren wir beide in einer Situation, wo jeder von uns getröstet werden musste … Fast unwillkürlich rückten wir noch enger zusammen.
Er merkte, dass ich zögerte, und sagte: «Hör zu, meine Mutter ist 'ne gerissene Schauspielerin. Glaub der bloß nicht alles, was sie erzählt. Die kann dir den größten Mist so verklickern, dass du total den Durchblick verlierst. Verstehst du? Das ist so voll irre.»
Wieder wusste ich nichts zu erwidern. Ich dachte an Marias Version der Geburt, die sie mir erzählt hatte, und er hatte wirklich Recht: Maria hatte mir ihre Geschichte total glaubhaft rübergebracht. Wenn man ihr zuhörte, war es echt schwer zu glauben, dass es ein Mordversuch gewesen war.
Auf der anderen Seite hatte Domenico diese Alpträume, die darauf hindeuteten, dass bei der Geburt etwas Schlimmes vorgefallen sein musste. Ich hätte viel darum gegeben, die Wahrheit herauszufinden. Denn falls Marias Version wirklich die Wahrheit war, dann könnte sich Nickis Geschichte vielleicht nochmals um hundertachtzig Grad wenden …
Aber ich wagte es immer noch nicht, ihn auf dieses Thema anzusprechen. Das war einfach zu heikel.
«Stimmt es, dass sie als junges Mädchen von zu Hause abgehauen ist?», fragte ich stattdessen.
«Ja.» Er löste sich vorsichtig von mir und drehte sich etwas zur Seite, um sich eine Zigarette zu krallen.
«Und warum?»
«Tja, weil sie wohl ziemlich Zoff mit ihren Alten hatte. Keine Ahnung. Interessiert mich nicht.»
«Aber du kennst deine Großeltern gar nicht, oder?»
«Nee. Ich will die ehrlich gesagt auch gar nicht kennenlernen.» Er wandte sein Gesicht von mir ab, um mich nicht mit dem Rauch vollzupusten.
«Aber weißt du wenigstens, wo sie leben?» Zur Abwechslung wollte ich mal wieder hartnäckig bleiben.
«Irgendwo in der Nähe von Agrigento. Licata heißt der Ort, glaub ich.»
Erstaunt über die simple Antwort, die er mir in all den Jahren nie gegeben hatte, sagte ich: «Weißt du … ich hab nämlich mal, als wir nach dir gesucht haben, im Telefonbuch geforscht, und ich hab in Sizilien nirgendwo den Namen di Loreno gefunden. Da fragte ich mich, ob du überhaupt Verwandte hast.»
Er zuckte mit den Schultern. «Ich glaub, es gibt nicht viele, die so heißen. Vielleicht stehen sie einfach nicht im Verzeichnis.»
«Hat deine Mutter denn noch Geschwister?»
«Zwei Schwestern, glaub ich. Weiß ich nicht so genau. Interessiert mich auch nicht.»
Er blockte bereits wieder ab, und ich war mir gar nicht so sicher, ob es ihn in Wahrheit nicht doch interessierte und er sie nicht sogar kannte. Ich wartete, bis er mit seinem Glimmstängel fertig war, dann rückte ich wieder näher zu ihm hin und schob behutsam meine Hand unter sein T-Shirt. Das war jedes Mal ein kleines Risiko, weil ich nie ganz sicher war, ob er es zulassen würde oder nicht, dass ich seine Narben berührte. Doch mittlerweile konnte er kaum mehr verbergen, dass er es gern mochte.
«Nicki, weißt du was?», fragte ich. «Du bist kein Hurensohn. Du bist der Sohn eines weltbekannten Sportlers.» Ich streichelte zärtlich über seinen Bauch und spürte, wie auch über seinen Körper kleine Schauer fuhren.
Er wandte mir sein Gesicht zu und sah mich an. Dann legte er den Arm um mich und zog mich näher an sich. Er vergrub seinen Kopf in meinem Haar und küsste meinen Nacken, und seine Hand zog die meine langsam wieder unter seinem T-Shirt hervor. Stattdessen war er nun an der Reihe, meinen Bauch zu streicheln, und ich ergab mich dem ekstatischen Taumel. Und ich fühlte auf einmal, wie erregt auch Domenico war, als er mich berührte, und wie es ihm immer schwerer fiel, seine Hände zu kontrollieren. Sie waren gefährlich nahe daran, gewisse Grenzen zu überschreiten, die wir uns selber gesetzt hatten …
Und auf einmal schwanden meine ekstatischen Gefühle wieder, als mir Janet Bonaventura einfiel. Ich wollte es eigentlich nicht, aber ganz unvermittelt sah ich ihr Gesicht vor mir, ihren verletzten Ausdruck in den Augen, als sie mir ihre Geschichte – ihr Erlebnis mit Tiger-X – erzählt hatte …
Nicki merkte sofort, dass sich in mir etwas verändert hatte. Abrupt zog er seine Hand zurück.
«Ich hör wohl besser auf», murmelte er und schälte sich hastig aus der Decke. Sofort wurde mir kühl, als sein Körper nicht mehr neben mir lag. Er ging ein paar Meter Richtung Meer und blieb dort stehen. Der Mond war hinter einer Wolke verschwunden, und so war es nun weitaus dunkler als vorher. Die Wellen rauschten in ihrem gleichmäßig beruhigenden Rhythmus gegen den Strand, und das nächtliche Zirpen der Grillen gab der Atmosphäre etwas Heimeliges, Gemütliches. Ich sah Domenicos Umrisse, seine schlanke Gestalt, die reglos verharrte und über die Weite des Meeres blickte. Spürbare Sehnsucht lag in der Luft – seine Sehnsucht, die er ständig im Herzen mit sich herumtrug. Ich ahnte, dass er in Gedanken wieder fest bei seinem verstorbenen Zwillingsbruder war. Mingo würde immer ein Teil von Nicki sein. Und zweifelsohne spürte er das hier auf Sizilien noch stärker.
Und ich wusste natürlich, dass ich ihn jetzt besser in Ruhe lassen musste.
Eine Woge des Schmerzes überrollte auch mich, als ich mir vorstellte, dass es mir vielleicht auch mit meiner Mutter bald so ergehen könnte. Wenn sie eines Tages nicht mehr da sein würde … Dieser Tag würde früher oder später sowieso kommen, aber was, wenn er schon bald kommen würde?
In mir drin wurde es richtig dunkel.
Würden auch mir nun Jahre der Angst und des Leidens bevorstehen?
Wir brauchten einander so sehr, Nicki und ich …
Aus einem Impuls heraus nahm ich mein Handy hervor, gab meinen Code ein und tippte eine SMS ein: Mama, Paps, ich denke an euch. Immer wieder. Alles ok bei uns. Love you. Maya.
Eine Weile später kam er wieder zu mir zurück und legte sich schweigend hin – aber nicht zu mir unter die Decke. Beide schauten wir zu den Sternen hinauf, in die Unendlichkeit des Himmels. Ach, warum nur gab es den Tod? Er war so grausam und schmerzhaft … Und doch: War Gott nicht viel größer als all dies?
Domenico schob den Arm unter meinen Nacken, als wolle er mir damit stumm signalisieren, dass auch er meine Gedanken in sich spürte.
Langsam breitete sich die Müdigkeit in mir aus, und als ich schon fast am Eindämmern war, merkte ich, dass ich nochmals aufs Klo musste. Ich sagte es Nicki.
«Muss ich auch», meinte er.
Ich holte die Klopapierrolle aus dem Seitenkoffer des Motorrades, und wir verzogen uns abwechselnd hinter ein Gebüsch.
Danach richteten wir uns endgültig für die Nacht ein. Domenico wurstelte seine Lederjacke zu einem Kissen zusammen.
«Komm, leg dich wieder auf die Decke», sagte er. Ich gehorchte. Er achtete darauf, dass ich bequem lag, und schob mir die zusammengeknüllte Lederjacke unter den Kopf. Dann nahm er die beiden Seitenenden der Decke und wickelte mich ein wie in ein Paket. Die zweite Decke breitete er ebenfalls lose über mir aus.
«Und du?», fragte ich.
«Ich will nicht, dass du frierst. Brauchst du noch was?»
«Ein bisschen Wasser vielleicht …»
Er reichte mir die Flasche. Danach legte er sich in den bloßen Sand und schlüpfte neben mir unter die lose Decke. Ich spürte, dass er zögerte und etwas tun wollte, sich aber nicht so recht traute.
«Aber ist dir nicht kalt auf dem nackten Sand?», erkundigte ich mich.
«Nee, der Sand ist schön weich», sagte er abweisend. «Sag mal … kann ich …?»
«Was denn?»
«Ja, also … du weißt schon. Ich hab die Schlafpillen nicht dabei. Kann ich … können wir das wieder so machen wie damals im Ferienhaus? Dass ich dich … dass du ganz nah bei mir schläfst?»
«Aber natürlich», sagte ich, insgeheim sehr beglückt, dass er nun doch auf meine Schlafmethode ansprang. Anfänglich hatte er ja nicht wirklich zugeben wollen, dass es ihm tatsächlich half …
Ich rutschte ganz nahe an ihn heran und legte meinen Kopf an seine Brust – so, wie einst sein Zwillingsbruder Mingo immer geschlafen hatte. Es kribbelte immer noch in mir drin, wenn ich ihn so nah spürte. Ich liebte es, seinen Herzschlag zu fühlen. Aber ich fühlte auch, wie eine Welle der Hitze durch seinen Körper schoss, und da dämmerte mir, dass er die Decke nicht nur um mich gewickelt hatte, um mich vor der Kälte abzuschirmen, sondern auch, um sich selber vor mir abzuschirmen. Er hatte eindeutig Angst, irgendwann die Kontrolle über sich zu verlieren …
Wir waren mittlerweile beide zu erschöpft zum Reden. Die ganze Aufregung um seine Mutter hatte wohl auch Domenico müde gemacht, denn er schien recht schnell einzuschlafen. Ich hingegen lag noch lange wach und schaute mir das kleine Stück Sternenhimmel an, das ich zwischen Nickis Arm und der Decke sah.
Und ein wunderschönes Lied des kanadischen Songwriters Bruce Cockburn kam mir in den Sinn und drehte unaufhörlich in meinem Kopf: «Lord of the Starfields», «Herr des Sternenhimmels». Ein großes, dankbares Gebet stieg in mir auf und wollte ausgesprochen werden: «Danke, lieber Vater im Himmel», flüsterte ich, «dass ich leben und diese Pracht hier sehen darf. Danke, dass du bei uns bist. Und auch bei – Mama. Und bei Paps. Bitte halte du uns fest.»
Irgendwann fiel ich dann endlich in einen oberflächlichen Schlaf, und das Rauschen des Meeres und Nickis regelmäßige Atemstöße hörten sich an wie ein Wiegenlied. Ich wusste nicht, ob er tatsächlich schlief oder ob er sich einfach nur ruhig hielt, um mich nicht zu stören.
Zu guter Letzt musste ich doch noch ein wenig geschlafen haben, denn als ich die Augen das nächste Mal aufschlug, war es taghell. Domenico lag immer noch in der gleichen Pose da, doch er öffnete die Augen sofort, als ich mich bewegte. Ich fühlte, wie die wärmenden Sonnenstrahlen auf mein Gesicht schienen, und von ganz weit entfernt hörte ich Stimmen und Autogeräusche. Die Straßen waren zum Leben erwacht.
«Bist du wach?», fragte Nicki leise. Seine Stimme war ganz belegt, und er musste erst husten, um sie freizumachen.
Ich nickte und richtete mich auf. Die Luft roch frisch, und die Sonne war wohl eben erst hinter dem Hügel hervorgekommen. Sie stand schon recht hoch, also nahm ich an, dass es nicht mehr allzu früh am Morgen war. Meine Uhr zeigte tatsächlich neun.
Domenico suchte eine Zigarette und befreite sich aus der Decke. Auch ich wühlte mich aus meinem Päckchen und streckte mich.
«Ich denke, wir brechen bald auf, dann sind wir vielleicht gegen Mittag in Catania», sagte er. Er holte die Tüten mit dem Essen aus dem Seitenkoffer und breitete alles wieder auf seiner Lederjacke aus.
«Iss du aber auch was», forderte ich. «Es ist doch für uns beide genug da.»
«Nee, vielleicht hast du unterwegs ja noch Hunger», meinte er. «Man weiß ja nie, wann wir wirklich ankommen.»
«Aber …»
«Easy, Maya, mir geht's gut. Ich brauch nix. Ich kann dann in Catania was essen.»
«Ich weiß nicht …»
«Mir geht's gut, Süße. Keine Sorge. Ich bin's gewohnt. Ich hab manchmal tagelang kaum was gegessen. Und in zwei Stunden sind wir ja dort, wenn alles gut läuft. Meine größere Sorge ist, dass meine Kippen bald alle sind.»
«Du solltest lieber essen als rauchen!», tadelte ich ihn.
Er zuckte mit den Schultern. «Wenn das so einfach wäre …», murmelte er.
Ich gab es auf. Gegen seine Sturheit konnte ich nichts ausrichten. Doch es fiel mir nicht leicht zu essen und ihn einfach zusehen zu lassen. Schon nach ein paar Bissen hörte ich daher auf und wickelte die Sachen wieder in die Tüten. Falls Nicki unterwegs aus irgendeinem Grund einen Schwächeanfall haben sollte, wollte ich noch etwas von den Lebensmitteln übrig haben.
Er reichte mir eine der Wasserflaschen und die Seife. «Hier, falls du das zum Waschen brauchst. Wir besorgen uns nachher nochmals neues Wasser.»
Er wusste tatsächlich immer genau, was ich gerade benötigte. Manchmal fand ich das echt erstaunlich … Tatsächlich sehnte ich mich nach einer Dusche und war daher dankbar für die Seife, die er aufgetrieben hatte. Ich wusch mich im Meer und spülte danach meinen Mund mit dem Wasser aus der Flasche aus. In diesem Moment hätte ich ein Vermögen bezahlt für eine Zahnbürste und Zahncreme und Feuchttücher! …
Etwas später verstauten wir die Decken im Seitenkoffer des Motorrads und fuhren los.
Wir kehrten als Erstes zu dem Haus zurück, wo wir die Decken von der Terrasse stibitzt hatten. Mich plagte das schlechte Gewissen. Bestimmt hatten die Leute ihre Wolldecken schon vermisst. Domenico kletterte wieder flink auf den Balkon, und ich reichte ihm die säuberlich zusammengefalteten Decken hoch. Er legte sie auf einen Stuhl, der dort rumstand, und war in der nächsten Sekunde schon wieder bei mir unten. Ich hoffte die ganze Zeit, dass uns niemand beobachtete.
Danach machten wir nochmals einen Abstecher zum Gemüsehändler und kauften drei weitere Flaschen Wasser für einen Euro.
Dann fuhren wir endgültig auf die Autobahn, die Gott sei Dank mautfrei war. Die Sonne wärmte uns nun schon ziemlich intensiv. Um mich vor einem Sonnenbrand zu schützen, trug ich trotzdem meine Jacke, doch Domenico hatte sich mal wieder gegen meine Ermahnungen gesperrt.
Wir brausten ungefähr eine Stunde lang durch das Landesinnere und legten dann in der Nähe von Enna eine Rast ein. Wir fanden eine kleine Imbissbude, wo wir heimlich und ohne was zu kaufen aufs Klo gehen konnten. Hinterher konnte ich Domenico endlich dazu überreden, etwas zu essen, nachdem ich ihm klargemacht hatte, dass ich mich sonst nicht mehr wohlfühlen und nicht mehr aufs Motorrad setzen würde. Ich spürte nämlich, dass er insgeheim großen Hunger hatte.
«Meinst du, deine Mutter findet irgendwann raus, dass wir nach Catania gehen?», fragte ich. «Zumindest Bianca könnte ja rein theoretisch draufkommen, nicht wahr?»
«Klar wird sie das. Drum bleiben wir ja auch nur ein oder zwei Nächte und fahren dann wieder nach Monreale zurück.»
Nachdem wir uns gestärkt hatten, setzten wir unseren Weg fort. In der Sonne war es nun brütend heiß, und ich schwitzte trotz des Fahrtwindes unter dem Helm. Ich sehnte mich immer mehr nach einer erfrischenden Dusche.
Wir zogen die letzte Wegstrecke in einem Stück durch. Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, doch jedes Mal, wenn das Schild «Catania» auftauchte, fühlte ich mich erleichtert. Leider konnte ich nie erkennen, wie viele Kilometer es noch bis dahin waren, und ich hatte den Eindruck, dass der Weg sich endlos in die Länge zog. Zudem knatterte die Maschine doch recht bedenklich, und ich hatte ständig Angst, dass das Ding unter unseren Hintern explodieren würde.
Und dann, endlich, erblickte ich den Ätna. Wie so oft war die Vulkanspitze hinter einer Dunstwolke verborgen. Aber der Ätna verhieß, dass wir bald am Ziel sein würden.