20

Tiff erwachte in Dirks Bett – wie so oft in letzter Zeit. Seit dem Vernissage-Abend verbrachten sie fast jede Nacht zusammen, und es gab keinerlei Anzeichen für ein Nachlassen ihrer Leidenschaft. Tiff hatte nach wie vor Mühe, nicht ständig und überall an Dirk zu denken.

Sie strich über seine muskulösen Arme und ließ die Hand auf seiner Brust ruhen. Er hatte einen wirklich wunderbaren Körper, kraftvoll, aber nicht übertrieben durchtrainiert, und mit genau der richtigen Menge Brusthaar.

Er küsste sie. »Du bist ein echtes Sicherheitsrisiko. Gestern hab ich einen Schraubenschlüssel fallen lassen, weil ich mir vorgestellt habe, was ich abends mit dir machen will …«

Tiff lachte. »Und ich musste ständig an dich denken, als ich durch diese Streichrahm-Fabrik geführt wurde.«

»Das nehme ich mal als Kompliment.« Dirk gab ihr einen langen Kuss.

»Fiel mir wirklich schwer, mir nichts anmerken zu lassen«, fuhr Tiff fort. »Schade, dass wir nicht mehr Zeit hier verbringen können.«

»Dann würde ich aber irgendwann entkräftet kollabieren.«

»Schon möglich«, erwiderte Tiff grinsend.

»Apropos«, sagte Dirk. »Ich muss aufstehen. Im Sommer haben wir samstags immer Tag der offenen Tür in der Rettungsstation.«

»Ich könnte doch mitkommen, oder?«

»Du würdest dich bestimmt furchtbar langweilen.«

»Komm, gib mir eine Chance. Ich kann mich nützlich machen. Tee kochen oder so …« In Wahrheit wollte Tiff einfach mehr Zeit mit Dirk verbringen, wenn nicht im Bett, dann wenigstens in der Rettungsstation.

Er überlegte kurz. »Wir brauchen immer Leute, die sich um den Laden kümmern, während wir Führungen mit den Touristen machen.«

»Um den Laden kümmern? Kein Problem. Kriege ich locker hin, wenn mir jemand erklärt, wie die Kasse funktioniert.«

»Ich hoffe, du wirst dein großzügiges Angebot nicht bereuen«, sagte Dirk schelmisch.

Tiff grinste. »Ach weißt du, mit so was wie Reue halte ich mich nicht mehr auf. Und im Laden zu helfen wird bestimmt mehr Spaß machen, als in den eisigen Atlantik geschmissen zu werden!«

Ein paar Stunden später fluchte Tiff stumm, während sie sich wortreich bei einem jungen Mann entschuldigte, dem sie sein Wechselgeld nicht aushändigen konnte. Sie hatte vergessen, es herauszunehmen, bevor sie die Kasse geschlossen hatte. Der Apotheker im Ruhestand namens Parminder, der mit Tiff im Laden arbeitete, war seit zehn Minuten verschwunden, um einem »natürlichen Bedürfnis« nachzugehen. Und Dirk hatte sie kaum zu Gesicht bekommen, weil er im Bootshaus beschäftigt war.

»Ich brauch das Geld für den Parkautomaten«, sagte der der Kunde jetzt verärgert und schaute demonstrativ auf seine Uhr. »Mein Parkschein läuft gleich ab!«

»Tut mir wahnsinnig leid. Mein Kollege müsste gleich wiederkommen«, erwiderte Tiff verzweifelt und schaute sich nervös um. Durch die Tür sah sie, dass es draußen vor Urlaubern wimmelte, die nach Führungen fragten.

Plötzlich hatte Tiff einen Geistblitz. Sie nahm zwei Fünf-Pfund-Scheine aus ihrem Geldbeutel und gab sie dem Mann. »Hier, für Sie. Ich hoffe, der Automat nimmt auch Scheine.« Hauptsache, sie wurde den Typen los.

»Danke«, murmelte er unwirsch und räumte das Feld.

Doch kaum hatte er den Laden verlassen, kamen neue Kunden herein. Zwei Rentnerinnen mit violett-grauen Haaren, eineiige Zwillinge, steuerten auf den Verkaufstresen zu und flöteten: »Kann man mit Karte zahlen?«

»Ähm …« Tiff betete innerlich, dass Parminder sie erlösen möge, und quietschte fast vor Erleichterung, als er genau in dem Moment auftauchte und sie aus ihrer Misere rettete. Als er ihr das Wechselgeld zurückerstatten wollte, spendete sie es der Rettungsstation, zutiefst dankbar, wieder einen Experten an der Seite zu haben.

»Hab gehört, es war ganz schön was los im Laden. Da hattest du ja direkt deine Feuerprobe«, sagte Dirk später, als sie bei einem Glas Wein auf dem Balkon des Net Loft saßen. Es war ein wunderschöner Abend, die letzten Sonnenstrahlen glitzerten auf dem Wasser im Hafenbecken, und Jachten wippten in der sachten Brise auf und ab.

»Lieber eine Feuerprobe als eine Taufe in eisigem Meerwasser«, erwiderte Tiff. Sie genoss die Wärme der Abendsonne auf den bloßen Schultern. »Obwohl es zwischendurch genauso anstrengend war, das muss ich zugeben.«

»Parminder meinte, dass du das Wechselgeld eines Kunden aus deiner eigenen Tasche bezahlt hast.«

»Nur, weil ich den Typen unbedingt loswerden wollte. Ich wusste nicht, wie ich die verdammte Kasse aufkriegen sollte.«

Dirk lachte. »Ganz ehrlich: Dass du dich freiwillig in so einem Lädchen hinter die Theke stellen würdest, hätte ich nicht vermutet.«

»Tja, du hast mich eben unterschätzt. Ich helfe gern in der Station aus. Solange ich nicht in Rettungsweste da rumstehen muss …«

»Du würdest auch damit noch gut aussehen«, murmelte Dirk.

»Aber nicht so gut wie du«, erwiderte Tiff.

»Das würde ich so nicht sagen. Na ja, am liebsten bist du mir sowieso komplett ohne Klamotten«, grinste Dirk.

Sie stieß mit ihrem Weinglas an. »Na, in dem Punkt sind wir uns jedenfalls einig.«

Der Wein war exzellent, und auch die Rochenflügel mit Zitronenbuttersoße und Quetschkartoffeln schmeckten hervorragend. Vor allem aber genoss Tiff Dirks Gesellschaft. Als die untergehende Sonne das Hafenbecken in rosarotes Licht tauchte, konnte Tiff sich gut vorstellen, für immer in Porthmellow zu bleiben.

Dabei entgingen ihr die Seitenblicke einiger einheimischer Damen nicht; sie war nicht mehr nur »die aus London« – jetzt hatte sie sich auch noch den begehrten Junggesellen Dirk Meadows »geschnappt«. Wobei Tiff eher der Auffassung war, dass sie ihn vorübergehend in ihr Leben eingeladen hatte.

Sie versanken ein Weilchen in Schweigen und schauten zu den vertäuten Booten hinüber. Dirk ergriff unter dem Tisch Tiffs Hand, und seine Berührung versetzte ihren Körper sofort in Hochspannung.

»Es wird schwer sein …«, bemerkte Dirk, als der Espresso eintraf.

Tiff zog eine Augenbraue hoch. »Was meinst du damit?«

»Wenn du wieder nach London zurückgehst, Tiff.«

Sie lächelte. »Ja. Umso mehr sollten wir die restliche Zeit richtig auskosten.«

»Du meinst, wir lassen alles so weiterlaufen, wie es jetzt ist? Ich genieße es sehr, muss ich zugeben. Ich hoffe, du bist mit unserem losen Arrangement auch zufrieden?« Seine Augen funkelten amüsiert.

»Ich könnte zufriedener nicht sein«, murmelte Tiff, fügte dann aber leichthin hinzu: »So ist es auch einfacher, wenn ich irgendwann wieder abreise. Und wenn es so weit ist, sollten wir den Abschied locker nehmen. Bis dahin können wir es uns doch noch richtig schön machen.«

Er sah ihr so tief in die Augen, dass sie förmlich dahinschmolz. »Worauf warten wir dann noch?«, raunte er.

Bei der Vorstellung weiterer Erkundungen von Dirks hinreißendem Körper leerte Tiff rasch ihre Tasse und blätterte ein paar Scheine auf den Tisch. »Gehen wir.«

Dirk legte seinen Anteil dazu und beschwerte alles mit der Untertasse. Dann machten sie sich eng umschlungen auf den Rückweg, aber Tiff war in Gedanken noch bei ihrem Gespräch. Sie wusste nur allzu gut, dass sie in die Bredouille geraten würde, wenn sie sich intensivere Gefühle für Dirk erlaubte. Das würde den unvermeidlichen Abschied irgendwann sehr schmerzhaft machen.

Hatte sie denn nichts gelernt aus dem Debakel mit Warner? Dirk war zwar ganz anders – viel aufrichtiger und außerdem noch attraktiver –, aber das machte ihn umso gefährlicher.

Entgegen ihrer guten Vorsätze schwebte Tiff an seiner Seite die Treppen hinauf. Dabei musste sie daran denken, wie sie vor nicht allzu langer Zeit hier hochgestakst war und an der Tür eines Mannes geklingelt hatte, von dem sie nicht mehr gewusst hatte als seinen merkwürdigen Spitznamen. Dass genau dieser Mann ihr so unter die Haut gehen würde, hatte sie damals nicht ahnen können.