25
»Du wirkst richtig glücklich.«
Marina blickte überrascht auf, als sie Tiffs Stimme hörte. Sie hätte erwartet, dass ihre Cousine mit Dirk unterwegs war – oder vielleicht eher bei ihm zu Hause …
Während Marina an diesem schwülen Nachmittag die alten Blüten der Geranien abschnitt, hatte sie vergnügt vor sich hingesummt, vielleicht lauter, als ihr bewusst gewesen war. In den letzten Tagen hatte sie oft fröhlich geträllert, weil sie das Gefühl hatte, dass ihr Leben so aufblühte wie die Blumen in ihrem Gärtchen.
»Ja, bin ich auch«, gestand sie.
»Und du leuchtest regelrecht«, stellte Tiff fest.
Marina lachte verlegen. »Bestimmt nur, weil ich die Sonnencreme vergessen habe.«
»Du weißt so gut wie ich, dass es nichts mit Sonnencreme zu tun hat«, sagte Tiff amüsiert. »Sondern mit deinen Wochenendplänen. Er tut dir gut und du ihm auch, das sieht man.«
»Hoffentlich. Ich kann noch kaum glauben, dass sich alles so toll entwickelt …«
Tiff ließ sich auf die Gartenbank plumpsen. »Du hast es so was von verdient.«
»Ich weiß wirklich nicht mal mehr, wann ich so was zuletzt hatte … ein paar Tage einfach mal raus, meine ich. Mein letztes langes Wochenende außerhalb von Porthmellow war bei der Ausbildung mit den Wave Watchers. Aber das ist ja echt … was ganz anderes.« Marina lachte etwas nervös.
»Hast du schon eine Buchungsbestätigung von der Lighthouse Company für das Cottage bekommen?«, erkundigte sich Tiff und streifte ihre pistaziengrünen Riemchen-Ballerinas von den Füßen. Solche Schuhe hatte Marina zuletzt in der Kindheit bei ihrer Cousine gesehen.
»Nee, darauf warten wir noch, aber die Fähre hab ich schon gebucht. Ich habe vorgeschlagen, dass wir mit dem Boot übersetzen statt mit dem Flugzeug, du kannst dir sicher denken, warum.«
»Gute Idee. Und mit dem Boot seid ihr auch nicht so wahnsinnig viel länger unterwegs.«
Marina zog ihre Gartenhandschuhe aus. »Ja, ich muss zugeben, dass ich ziemlich aufgeregt bin. Aber das hat nicht nur was mit der Anreise zu tun …«
Tiff tätschelte ihr beruhigend den Arm. »Ach, das wird bestimmt alles schön. Lachlan ist ein guter Typ, und ihr mögt euch. Mach dir mal keinen Kopf, ihr werdet eine tolle Zeit haben.«
»Du hast recht. Und die Insel ist sicher idyllisch. Hoffe ich jedenfalls.« Marina ging in die Küche und kehrte mit gekühlter Limonade und einer Schale Tortilla-Chips zurück.
»Und wie läuft’s mit Dirk? Oder ist das kein gutes Thema gerade?«
»Leider nicht.« Tiff nahm sich ein paar Chips.
»Ach je. Ich wollte schon die ganze Zeit fragen. Du warst die letzten Tage so still und hast gar nichts mehr von ihm erzählt. Entschuldige, ich war so mit meinem eigenen Kram beschäftigt …«
»Passt schon. Es gibt sowieso nichts Erfreuliches zu berichten. Wir hatten ein Zerwürfnis, sozusagen.«
»Oje, weshalb?«
»Der Herald hat eine Story über Amira, seine Ex-Frau, und deren neuen Partner gebracht. Darin stand, dass sie nun ganz furchtbar glücklich ist, weil sie über den launischen Dirk hinweg ist.«
Marina stöhnte. »Oh Gott, das kam sicher nicht gut an bei ihm.«
»Untertreibung des Jahres. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Es gab in der Story auch einen verschleierten Hinweis auf mich, und deshalb hat Dirk mir unterstellt, ich hätte der Zeitung einen Tipp gegeben.«
»Nein!« Marina starrte ihre Cousine schockiert an. »Wie konnte er nur? So was würdest du doch nie machen!«
»Eben. Danke, dass du auf meiner Seite bist. Das würde ich nie machen, und ich hab es auch nicht getan. Es gibt x Leute, die der Zeitung was gesteckt haben könnten, aber Dirk war der festen Überzeugung, ich sei es gewesen.«
»Und glaubt er das immer noch?« Marina war entrüstet. Sie hätte Dirk nicht für so dumm gehalten. Bis vor Kurzem hatte sie noch geglaubt, zwischen ihm und Tiff könnte sich etwas Dauerhaftes entwickeln. Aber das sah nun ganz und gar nicht mehr so aus.
»Er ist ein bisschen zurückgerudert, aber ich war so wahnsinnig wütend, dass ich abgehauen bin.«
»Hast du ihn seither gesehen?«, fragte Marina.
»Er hat mir geschrieben und wollte mich treffen, aber ich hab nicht reagiert. Was wir zusammen hatten, war wohl nur so was wie ein hübsches Feuerwerk: grandiose Show, aber schnell vorbei.« Tiff lächelte schief. »Na, so komm ich jedenfalls zu meinem Schönheitsschlaf. Und du mach dir jetzt bitte keine Gedanken um mich, sondern denk an deine tolle Reise. Ich hoffe übrigens, du hast nicht vor, diese praktischen ›Schlüpfer‹ mitzunehmen, die ich im Wäschekorb gesichtet hab. Dann hast du wirklich Anlass zur Sorge …«
Kurz vor der Reise lud Marina Lachlan bei sich zum Abendessen ein. Die beiden hatten das Cottage für sich. Tiff war bei ihrem Pilates-Kurs im Gemeindezentrum und wollte danach mit einigen Frauen aus der Gruppe in den Pub gehen.
Als Marina und Lachlan sich draußen zum Essen niederließen, machte er zunächst keine Anstalten zuzugreifen, sondern erklärte: »Ich muss dir erst noch was sagen.«
»Was denn?« Marina versuchte sich zu wappnen. Lachlan wirkte nervös auf sie. Was stand ihr bevor?
»Es gibt eine kleine Änderung bezüglich unserer Pläne fürs Wochenende.«
»Ah … ja?« Er wollte doch wohl nicht absagen?
»Wir fahren nicht mit dem Boot zur Insel«, verkündete er.
»Was? Wir haben doch die Fährentickets schon …«
»Ich weiß. Aber wir werden fliegen. Ich habe schon alles umgebucht. Die Reederei von der Fähre betreibt auch die Inselflieger, und ich hab noch Plätze in einer frühen Maschine bekommen. Dann sind wir schneller da und haben mehr Zeit auf der Insel. Keine Sorge, ich übernehme die Mehrkosten für den Flug«, fügte er hinzu, weil Marina ihn verblüfft anstarrte.
»Nein, nein, ich übernehme meinen Anteil«, sagte sie. »Das ist natürlich toll, ich fliege auch gern, aber … ist das auch wirklich in Ordnung für dich?«
»Ich möchte unbedingt fliegen, Marina«, antwortete Lachlan. »Ich will versuchen, wieder zu mir zurückzufinden, die Ängste abzuschütteln. Ich will mich einfach nicht mehr drücken. Außerdem«, fügte er lächelnd hinzu, »bist du ja dabei und kannst mir die Hand halten, nicht wahr?«
Kein Wunder, dass er so nervös gewirkt hatte, dachte sich Marina. Das war ein unerwarteter und tapferer Schritt. »Ja, na klar! Das ist echt sehr … mutig von dir.«
»Mutig?« Er runzelte die Stirn, und sie fürchtete, etwas Falsches gesagt zu haben. »Nein, das ist nicht mutig. Mutig ist, wenn man in gefährlichen Situationen Menschen rettet oder sich einem Kampf stellt.«
»Aber genau das tust du doch«, betonte Marina. »Du stellst dich massiven Ängsten, obwohl etwas in dir dich mit aller Macht davon abhalten will. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, sich mit Herausforderungen der Welt zu konfrontieren, obwohl man sich lieber verkriechen möchte. Ich habe größten Respekt vor deiner Entscheidung. Und werde natürlich alles tun, was ich kann, um dir beizustehen.«
Einen Moment lang meinte Marina, Tränen in Lachlans Augen zu sehen. Dann ergriff er ihre Hand. »Ich muss ja schließlich mutig sein, wenn ich an der Seite einer mutigen Frau bestehen will, oder?«
Marina lächelte. »Ich brauche aber keinen ›starken Mann‹ oder ›Helden‹. Ich bin völlig zufrieden mit einem liebevollen, aufrichtigen Mann, der sich den Herausforderungen des Lebens stellt. Mir musst du nichts beweisen.«
»Ah, ich möchte aber, dass du mich so kennenlernst, wie ich früher einmal war – und wie ich eigentlich sein kann.«
Marina widersprach nicht länger, und nach dem Essen spazierten sie mit Gläsern und einer Flasche Wein zum Strand. Lachlan legte den Arm um ihre Schultern, während sie zusahen, wie die Wellen ans Ufer plätscherten. So etwas hatte Marina lange schmerzlich vermisst – ein romantisches Essen in ihrem Garten oder einen stimmungsvollen Spaziergang an einem schönen Sommerabend –, und sie genoss alles ausgiebig.
Doch vor allem war sie gerührt, dass Lachlan ihr zuliebe seine Ängste besiegen wollte. Das hatte ihr all die Jahre am meisten gefehlt: das Gefühl, dass sie einem Mann wirklich etwas bedeutete. Dieses Gefühl war so berauschend, dass Marina sich aller Lebenserfahrung zum Trotz wünschte, es möge für immer und ewig anhalten.