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Tiff hatte gerade für die Zeitschrift ein Bauprojekt mit Luxusapartements besichtigt, als ihr Handy klingelte. Zu ihrem Erstaunen sah Tiff Yvettes Nummer auf dem Display. Die Absage für die Stelle war doch eindeutig gewesen … aber vielleicht hatte die Herausgeberin der Post einen Auftrag für sie.
»Hi«, sagte Yvette, als Tiff sich meldete. »Ich hab zu berichten, dass deine Cousine mich heute Morgen angerufen und mir gesagt hat, dass ich deine Absage für die Stelle auf keinen Fall akzeptieren soll.«
»Was?« Tiff war fassungslos. »Was hat sich Marina denn dabei gedacht?«
»Na, ich vermute mal, sie will dein Bestes. Willst du’s dir vielleicht doch noch mal überlegen?«
»Ich … ich muss nachdenken«, stammelte Tiff verdattert. Wenn Yvette so hartnäckig dranblieb, musste ihr sehr daran gelegen sein, mit Tiff zu arbeiten.
»Okay, aber bitte so schnell wie irgend möglich. Sofort quasi, ich brauch dringend jemanden für die Stelle. Wir haben jede Menge Arbeit, jetzt, und in Zukunft sicher noch mehr. Apropos, Tiff, ich muss dir was erzählen …«
Als Tiff in Porthmellow eintraf, dämmerte es schon, und sie ging schnurstracks zu Dirk. Als er ihr die Tür öffnete, trug er einen dunkelblauen Pulli und Jeans. Sein Haar war windzerzaust, auf den Wangen schimmerten schwarze Bartstoppeln. Er sah hinreißend wild aus – so einen Mann konnte man doch unmöglich verlassen …
Dirk zog sie ins Wohnzimmer und küsste sie. Tiff wurde schwindlig, vor Lust und Schuldgefühlen zugleich. Sie musste ihm von dem Jobangebot erzählen; er hatte absolute Ehrlichkeit verdient.
»Wow«, flüsterte sie.
Er grinste. »Das hab ich jetzt gebraucht. War den ganzen Nachmittag bei einem Rettungseinsatz. Ein Mann hatte im Hafen eine Ruderjolle gestohlen und wollte damit nach Frankreich, um dort billigen Wein zu kaufen. Der Typ hatte nur dummerweise ein Ruder verloren. Wir haben ihn im letzten Moment erwischt, bevor das Ding volllief.«
Tiff verdrehte die Augen. »Ganz ehrlich – was stimmt nicht mit den Leuten?«
»Der Typ war besoffen. Obwohl sein Boot am Sinken war, wollte er nicht zu uns an Bord kommen. Wir haben ihm dann gesagt, im Smuggler’s sei jetzt Happy Hour, und er solle seinen Saufausflug da fortsetzen.«
»Also, wenn du immer solche Methoden anwendest, bewirb dich lieber nicht als Geiselunterhändler.«
»Damit haben wir den Kerl aus seinem Boot gekriegt und ihm das Leben gerettet«, sagte Dirk. »Am Kai haben ihn dann die Sanitäter übernommen.«
Tiff lächelte und küsste Dirk. Sie wusste, dass er mit seinem schwarzen Humor verbarg, wie sehr ihn solche Ereignisse mitnahmen.
»Du siehst auch fertig aus«, sagte er.
»Schönen Dank auch.«
»Aber immer noch total scharf«, fügte Dirk hastig hinzu.
»Schon besser. Nein, stimmt schon, ich bin ziemlich erledigt. Ich hab ein paar Schichten in der Wachstation übernommen, weil Marina doch da im Moment pausiert. Heute musste ich eine Stunde mit Bryony Cronk durchstehen, das macht die stärkste Frau fertig, kann ich dir sagen. Du kennst sie bestimmt, oder?« Bryony betrieb den Hundesalon von Porthmellow und war stets in Begleitung ihres ungebärdigen Rottweilers Sascha. Tiff fand aber Bryony selbst mit ihrer lauten Stimme und bärbeißigen Art wesentlich furchteinflößender als den Hund.
Dirk gluckste. »Hab schon gehört, dass Bryony sich den Wave Watchers angeschlossen hat. Ja, ich finde auch, wer eine Stunde mit ihr aushält, hat einen Orden verdient.« Er grinste vor sich hin.
»Was ist?«, fragte Tiff.
»Ich finde es einfach amüsant, dass du so aufopferungsbereit bist, deine Zeit mit Bryony in der Wachstation zu verbringen … Du bist eine ganz andere Tiff als die, die damals vor meiner Tür stand.«
»Ich mach das nur für Marina«, wandte Tiff ein. »Außerdem überschätzt du meine Hilfsbereitschaft.«
»Das glaube ich nicht«, sagte er so leise und zärtlich, dass Tiff ganz anders wurde. Warum musste er gerade jetzt so liebe Sachen zu ihr sagen … jedes Wort machte es ihr schwerer, mit ihrer Nachricht herauszurücken.
»Na, darüber werd ich nicht mit dir streiten«, sagte sie leichthin, obwohl ihr furchtbar mulmig war. Dirk hatte durchaus recht: Tiff selbst hätte nie geglaubt, dass sie einmal so sehr in der Gemeinschaft des Fischerdörfchens integriert sein würde. Und tatsächlich engagierte sich Tiff nicht nur wegen ihrer Cousine, sondern hatte verstanden, dass eine kleine Gemeinde nur durch Zusammenhalt überleben konnte, vor allem wenn sie ständig dem Wüten der Elemente trotzen musste. Dieser Gedanke mochte rührselig sein, aber so fühlte es sich für Tiff nun mal an.
Jetzt allerdings fühlte sie sich in erster Linie schrecklich, wegen dem, was sie Dirk mitzuteilen hatte. Er saß entspannt auf dem Sofa, den Arm locker auf der Rückenlehne ausgestreckt, und rechnete natürlich mit nichts Bösem. Oh Gott…
Tiffs Magen schlug Saltos, und sie erwog ernsthaft, gar nichts von dem Stellenangebot zu erzählen. Warum musste ihr Leben nur so verwirrend und kompliziert sein? Sie beschloss, das einfachere Thema zuerst anzuschneiden.
»Wenn du damit beschäftigt warst, Leben zu retten, hast du wahrscheinlich die Nachrichten nicht verfolgt, oder?«
Dirk runzelte die Stirn. »Nein, warum? Es ist doch wohl nicht wieder etwas mit Marina, oder?«
»Nein, zum Glück nicht«, antwortete Tiff. »Es geht um meinen Ex, Warner. Gab heute Mittag einen Beitrag über ihn in den BBC-Nachrichten. Wurde als Regierungsberater gefeuert wegen Amtsvergehen. Hatte sich herausgestellt, dass er Spesenrechnungen gefälscht und seiner jetzigen Freundin einen Posten zugeschustert hatte.«
Dirk fluchte vor sich hin. »Kriegen solche Leute denn nie den Hals voll? Warum sind diese Typen so verdammt gierig?«
»Weiß ich auch nicht. Manche werden im Lauf der Zeit einfach größenwahnsinnig, glaube ich. Und ich kenne Warner, der war bestimmt so überheblich zu glauben, dass ihn keiner erwischen wird. Der glaubte immer, dass er mit allem durchkommt. Ich hab heute Morgen von der Geschichte erfahren. Eine Freundin von mir von der Post hat mich vorgewarnt.«
»Gut, dass der Typ aus dem Verkehr gezogen wurde. Wie ist das Ganze aufgeflogen?«
»Es wurde wohl schon länger heimlich gegen ihn ermittelt«, antwortete Tiff. »Was mich ziemlich amüsiert, ist, dass er letztlich an der guten alten Spesenabrechnung gescheitert ist. Der hat garantiert noch mehr auf dem Kerbholz, und das wird jetzt sicher alles nach und nach aufgedeckt. Er hat jede Menge Feinde. Schauen wir mal, was da noch so ans Licht kommt.«
»Ich vermute, das alles hast du nicht gewusst, als ihr noch zusammen wart?«
»Hältst du diese Frage für notwendig?«, antwortete Tiff leicht gekränkt.
»Nein. Entschuldige«, sagte Dirk. »Warner hat seinen wahren Charakter sicher gut zu verbergen gewusst.«
»Ja, er hat auch mich getäuscht. Was mich in meinem Stolz sehr verletzt hat. Ich bin immer noch wütend auf mich, weil ich auf jemanden reingefallen bin …« Sie verstummte, weil der Schmerz wieder auftauchte. »… der mich so ausgenutzt hat.«
»Ja, ich weiß«, sagte Dirk leise.
»Und ich kann im Nachhinein auch nicht verstehen, wie mir das passieren konnte. War aber nun mal so.«
»Du bist menschlich, wie wir alle«, erwiderte Dirk. »Und Menschen sind zu allem fähig. Die Stärksten klammern sich an einen Ertrinkenden, um sich selbst zu retten … die Schwächsten entwickeln plötzlich enorme Kräfte …«
»Im Ernst?«
»Ja, aber das heißt nicht, dass wir von der Seenotrettung überflüssig sind.« Er lächelte, wurde dann aber wieder ernst. »Wie fühlt sich das alles für dich an, empfindest du Genugtuung?«
»Schwer zu sagen. Eigentlich sollte ich die Sektkorken knallen lassen, aber mir ist gar nicht so danach, wie ich vermutet hätte.« Immerhin hatte sie Warner früher geliebt, sie konnte einfach keine Freude über sein Unglück empfinden. Aber sie bedauerte ihn auch nicht.
Was jetzt kommen würde, würde allerdings richtig wehtun. Tiff hätte nicht gedacht, dass es ihr so unendlich schwerfallen würde, Dirk die Wahrheit zu offenbaren. Aber sie merkte, dass es nicht leichter wurde, indem sie es hinauszögerte. Sie gab sich einen Ruck.
»Die Frau, die mich angerufen hatte, Yvette Buttler«, begann Tiff, »ist Chefredakteurin bei der Post und hat sich nicht nur wegen Warner bei mir gemeldet. Sie wollte mir einen Vorschlag machen.«
Dirks Miene veränderte sich. »Irgendwie hab ich mir so was schon fast gedacht …«, murmelte er.
»Sie hat mir eine Stelle als Redakteurin angeboten.« Jetzt war es raus.
Dirk schien sich sorgfältig zu überlegen, was er sagen sollte. »Weil jetzt dein Ruf wiederhergestellt ist?«
»Nicht direkt. Yvette war die ganze Zeit der Ansicht, dass man mir Unrecht getan hatte. Sie glaubte, dass ich einer Intrige zum Opfer gefallen war, konnte mich aber nicht einstellen, solange mein Ruf beschädigt war. Aber sie hat mir Aufträge gegeben. Und sie war auch diejenige, die für die Auktion die Konzertkarten besorgt hat.«
»Deine Welt werde ich nie verstehen«, murmelte Dirk.
Tiff lief es kalt den Rücken hinunter, denn damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Kluft zwischen ihren beiden Welten war riesig und würde sich weiter vergrößern, wenn sie den Job annahm. Und Tiff hatte keine Ahnung, wie diese Kluft zu überbrücken war.
»Spielt dein Artikel über Marina bei dem Angebot eine Rolle?«, fragte Dirk.
»Ja, das denke ich schon. Aber wenn du nur einen Moment lang glaubst, dass ich ihn deshalb geschrieben habe, bist du nicht der Mann, für den ich dich halte.«
»Und für was für einen Mann hältst du mich, Tiff?« Der Blick seiner dunklen Augen weckte sofort Verlangen in ihr. Aber es waren auch Augen, vor denen sie nichts verbergen konnte.
Sie hielt beide Hände hoch. »Erwarte jetzt bitte nicht, dass ich dich mit Komplimenten überhäufe.«
»Das wär doch mal eine nette Abwechslung.« Das klang frostiger, als er wahrscheinlich beabsichtigt hatte, und er fügte rasch hinzu: »Im Ernst, es wäre idiotisch, dieses Angebot nicht anzunehmen.«
»Dann bin ich eben idiotisch. Ich weiß nämlich nicht, ob ich das tun sollte.«
»Aber warum denn nicht?«, platzte Dirk heraus.
»Weil …« Tiff hielt inne. »Weil Marina mich braucht.«
»Das ist doch deine große Chance, nach London zurückzukehren.«
Ja, aber um welchen Preis?
»So einfach ist das nicht …«, murmelte Tiff. Sie empfand ihre eigenen Gefühle als furchtbar verworren. Vielleicht hatte Dirk doch etwas damit zu tun, dass sie Yvettes Angebot nicht direkt angenommen hatte? Was für eine Ironie des Schicksals, dass sich die Tür zu einer interessanten beruflichen Chance just in dem Moment öffnete, in dem Dirk und sie begannen, sich richtig nahezukommen …
»Du weißt, dass ich dich vermissen würde«, sagte Dirk so leise, dass sie ihn kaum verstand. »Aber ich würde dich niemals zurückhalten. Du würdest mich dafür hassen.«
»Hassen?« Tiff lächelte, obwohl ihr das Herz wehtat. »So weit würde ich nicht gehen.«
»Okay, du würdest aber den Respekt vor mir verlieren, wenn ich von dir verlangen würde hierzubleiben. Was ich mir wünsche und zugleich nicht wünsche. Wenn du meinst, dass du wegen Marina hierbleiben willst, ist das natürlich etwas ganz anderes.«
War das so? Marina und Dirk lagen ihr beide sehr am Herzen, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.
Tiff holte tief Luft. »Marina hat Yvette angerufen und ihr gesagt, ich müsse die Stelle unbedingt annehmen. Ich hatte sie bereits abgelehnt.«
»Und Marina hat recht.« Dirk sah Tiff in die Augen. »Auch um meinetwillen solltest du annehmen. Damit du dich weiterentwickeln und selbst verwirklichen kannst.«
Als Tiff Dirks eindringlichen Tonfall wahrnahm und sein ernstes Gesicht sah, spürte sie endlich, dass er recht hatte. Warum war es jetzt aber so schwer, das zu tun, was eigentlich von Anfang an abgemacht gewesen war – ohne Bedauern wieder auseinanderzugehen? Weil sie spürte, dass Dirk genauso darunter leiden würde wie sie selbst?
Tiff kämpfte mit den Tränen und legte den Zeigefinger an Dirks Lippen, spürte die Wärme. »Bitte«, brachte sie mühsam hervor, »könnten wir das Thema jetzt sein lassen und uns stattdessen die Kleider vom Leib reißen?«
Dirk sog die Luft ein, ihre Taktik schien funktioniert zu haben.
»Hmm … mal überlegen …«
Sein Blick ging ihr durch und durch, und ihr wurde heiß vor Verlangen. Dirk beugte sich vor, und seine Lippen streiften zärtlich ihren Hals. Wie sollte sie darauf nur in Zukunft verzichten?
»Dirk!«
Tiff kreischte überrascht, als er sie abrupt hochhob und auf das Sofa bettete. Dann machte er sich daran, ihren Wunsch zu erfüllen.