»Ich bin noch nie in einem so kleinen Flugzeug geflogen.« Delilah ist blass und ihre Schultern beben, als sie in kurzen Zügen einatmet.
»Entspann dich, Schönheit.« Ich lege ihr die Hand auf die Schulter. »Wir sind hier in guten Händen.«
Ich nicke meinem Kumpel Rodrigo zu, einem pensionierten Pilot der Air Force, der zufällig einen Charterflugdienst außerhalb von Gainesville hat.
»In ein paar Stunden sind wir da«, beteuere ich. »Die vergehen wie im Flug. Buchstäblich.«
Sie lacht nicht, sondern mustert nur das Flugzeug, und ihr Blick flattert nervös hin und her.
»Du kannst die ganze Zeit meine Hand halten, wenn du willst.« Ich ziehe, halb scherzhaft, die Augenbrauen hoch. Dann nehme ich ihre Hand, während Rodrigo unser Gepäck einlädt und eine kleine Crew uns auf den Flug vorbereitet.
Ich führe sie näher zum Flugzeug hin, helfe ihr die Stufen hoch und schnalle sie an. Sie hat in den letzten zehn Minuten nicht mehr als ein paar Wörter gesagt.
»Wohin fliegen wir?« Sie verfolgt jede Bewegung von Rodrigo, als er ins Cockpit steigt, die Koordinaten ins Navigationssystem eingibt und startet.
»Seid ihr bereit für die Windy City?«, brüllt Rodrigo über das laute Dröhnen der Motoren.
Delilahs Gesicht leuchtet auf, und ihr Blick huscht zu mir. »Du fliegst mit mir nach Chicago?«
Ich lächele. »Ja. Ist das in Ordnung für dich?«
Sie nickt und grinst von einem Ohr zum anderen. »Was machen wir dort?«
»Alles, was du willst«, sage ich. »Wir müssen uns nur bedeckt halten. Ich kann nicht in Clubs oder irgendwohin gehen, wo wir die Aufmerksamkeit der Medien wecken könnten.«
Das Flugzeug rollt zur Startbahn, und ich bemerke, dass Delilah die Handflächen über ihre Jeans reibt. Ich greife hinüber und nehme ihre Hand, als das Flugzeug startet.
Wir checken getrennt in unser Hotel in der Michigan Avenue ein. Ich habe ein ›Dummy‹-Zimmer reserviert, das übers Wochenende leer bleiben wird, aber das ist der Preis, den ich zahlen muss, um mit Delilah irgendwohin zu können, und das ist völlig in Ordnung für mich.
»Bist du fertig?«, rufe ich vom Rand des King-Size-Bettes aus, das mitten in unserer Suite steht.
»Noch eine Minute«, ruft sie zurück.
»Das hast du schon vor einer Minute gesagt.«
Ich zappe durch die Kanäle, bis ich ESPN finde, und siehe da, es läuft ein Bericht über irgendeinen aufstrebenden Runningback aus Texas. Ein paar Vereine streiten sich darum, für welches Team er unterschreiben wird, und laut Kommentator gibt es Gerüchte, dass es auf entweder Gainesville oder Atlanta hinausläuft.
»So ein Bullshit.« Ich werfe die Fernbedienung hin. Ausnahmsweise hat Carissa mal nicht von vorn bis hinten gelogen.
»Okay, ich bin so weit.« Delilah steht in der Tür zwischen Schlafzimmer und Bad, die Hand an den Rahmen gedrückt. Sie trägt ein enges schwarzes Kleid, das ihr bis an die Mitte der Oberschenkel geht.
Grinsend stehe ich auf, gehe zu ihr, und ganz plötzlich ist meine Boxershorts viel zu eng.
»Verdammt, du siehst umwerfend aus. Ich sage, wir lassen das Dinner aus und bleiben heute Nacht hier.« Ich drücke sie an meine Erektion, und sie grinst. »Vergessen wir den Hummer. Heute Abend bist du die Hauptspeise.«
»Der schlechteste Anmachspruch der Welt.«
»Ich versuche gar nicht, dich anzumachen, Baby. Ich habe dich ja schon.« Meine Lippen pressen sich auf ihre, und ihre Zunge schmeckt ganz nach Minze und Samt. Aber ich weiß, dass wir nicht hierbleiben können. Ich habe ein besonderes privates Dachdinner organisiert, von dem aus man auf den Lake Michigan hinausblicken kann. »Komm, Schönheit. Der Wagen wartet unten.«
Ich kann den Blick gar nicht von ihr wenden heute Abend.
Und verdammt, ich habe es echt versucht.
Mein Blick wird wie magisch von ihr angezogen.
Pfeif auf das Riesenrad oder den riesigen See oder die Menschenmassen unten. Es gibt so viel zu sehen, aber ich sehe nur Delilah.
Sie tupft sich die Mundwinkel mit ihrer Stoffserviette und legt sie dann beiseite. »Das war wundervoll. Der beste Hummer, den ich je hatte, und glaube mir, nachdem ich im Osten aufgewachsen bin, hatte ich eine Menge davon. Woher kennst du all diese Leute? Piloten? Küchenchefs?«
»Wenn man viel unterwegs ist, lernt man viele Leute kennen.« Ich zucke mit den Schultern.
Unser Kellner sieht ein letztes Mal nach uns und informiert uns dann, dass unser Wagen unten wartet.
»Bist du so weit?«, frage ich.
»Wohin geht es denn als Nächstes?« Eine Brise warmer Sommerwind wirbelt den Saum ihres Kleides hoch, und sie streicht ihn wieder nach unten.
»Ich dachte, wir könnten ein wenig herumfahren«, meine ich. »Vielleicht kannst du mich zu deinem College bringen? Mir dein Revier zeigen? Und vielleicht zeige ich dir meins.«
»Klar.«
Ich nehme ihre Hand, und wir marschieren zu dem geheimen Aufzug, der zu der Gasse hinter dem Restaurant meines Freundes führt, wo unser Fahrer mit der Limo wartet.
Sie bringt mich in ein bezauberndes Viertel im nordöstlichen Teil der Stadt, wo ein kleines, abgelegenes College in einem Hain aus alten Bäumen steht, mit sanierten Häusern und Villen aus der Jahrhundertwende, die in Studentenapartments umgewandelt wurden.
»Hier studierst du die Kunst der Psychoanalyse?«, frage ich, als die Limo langsam zum Stehen kommt, vor einem Ziegelgebäude mit großen weißen Säulen. Vor unserem anderen Fenster steht ein riesiges Viktorianisches Haus, strategisch in purpurroten, grünen und orangen Farbtönen gestrichen.
»So ist es«, antwortet sie atemlos. Sie dreht sich um und deutet aus meinem Fenster. »Und dort wohne ich während des Jahres. Das große rote Haus mit dem dreistöckigen Türmchen. Mein Zimmer liegt genau hier hinter der dritten Fensterreihe.«
»Dann bist du so etwas wie eine Prinzessin im Turm.«
»Wohl kaum«, prustet sie los.
Ich lasse meine Hand auf ihrem Oberschenkel liegen, und sie legt ihre Hand in meine.
»Wieso wolltest du sehen, wo ich zur Graduiertenschule gehe?«, fragt sie.
»Ich weiß nicht. Ich dachte mir, wenn wir schon in der Gegend sind, könnten wir hinfahren?« Ich warte darauf, dass sie mir Fragen stellt, aber sie tut es nicht, und so sage ich dem Fahrer, er soll uns in die Chaucer Street fahren. Ich will ihr das alte Haus meiner abuela zeigen. Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. »Und ich wollte dir beweisen, dass du mehr als nur eine Sexfreundin bist. Wir sind doch jetzt so ziemlich Freunde.«
Sie lächelt und knufft mich sachte mit dem Ellbogen.
»Du bist der einzige Mensch, der dann je das Zuhause meiner Kindheit gesehen hat«, sage ich. Und das stimmt. Mirabelle hatte nie die Chance dazu, und ich bin nicht sicher, ob ich damals gewollt hätte, dass sie es sieht. Damals hatte ich eine andere Geisteshaltung und wollte nichts mit meiner Vergangenheit zu tun haben. Nichts, das mich daran erinnern sollte, wie sehr ich Magda vermisste.
»Wirklich?«
»Wirklich.«
»Wow, de la Cruz. Das bedeutet eine Menge.«
Dreißig Minuten später hält unser Fahrer vor einem schiefen zweistöckigen Haus mit verzogener Haustür und kaputten Stufen. Vor fünfzehn oder zwanzig Jahren hatte es mal bessere Tage gesehen. Aber jetzt besteht es nur noch aus abgeblätterter Farbe und fehlenden Dachschindeln. Heute ist es bestimmt das hässlichste Haus in der Gegend, aber wenn ich die Straße entlangschaue, sehe ich, dass bereits Immobilieninvestoren dabei sind, die Gegend zu sanieren. Wird nicht lange dauern, bis Magdalenas Haus die Runderneuerung bekommt, die es verdient.
»Da ist es.« Ich zeige darauf. »Da habe ich gewohnt, seit ich neun war, bis zu meinem Abschluss an der Highschool. Es sah mal anders aus, aber das Gerüst ist noch da.«
»Es ist bezaubernd«, sagt sie.
»Du lügst.«
»Nein, ich stelle es mir in seiner Blütezeit vor. Mir gefällt die Dachschrägung, die so anders ist als beim Haus daneben, und ich kann erkennen, dass es einmal gelb gestrichen war. Eine fröhliche Farbe.«
»Magdas Lieblingsfarbe.«
»Und diese Holztür? Die kann man restaurieren lassen. Sie muss nur geschmirgelt und gebeizt werden.«
»Irgendwer wird sie eines Tages reparieren.« Ich steige aus dem Wagen, gehe zur Treppe und zur Tür, an der eine Nachricht zur Zwangsvollstreckung klebt. Die Lichter sind aus, und das Haus ist stockdunkel. Ich spähe hinein und sehe, dass es, abgesehen von Müll, der überall herumliegt, leer ist.
»Du solltest es kaufen.« Delilah steht hinter mir. »Du kannst es dir leisten, oder?«
»Was sollte ich damit anfangen?«
Sie zuckt mit den Schultern. »An jemanden vermieten, der sich darum kümmert? An künftige de la Cruzes vererben?«
Ich stemme die Hände in die Hüften. Künftige de la Cruzes. Das ist so weit von meinem Schirm entfernt, dass es nicht einmal lustig ist.
»Davon bin ich ganz weit entfernt, Schönheit«, sage ich.
»Trotzdem. Dies ist ein Stück deiner Vergangenheit, und du hast die Macht, es am Leben zu halten.« Sie legt eine Hand auf meinen Arm. »Egal, es ist nur so ein Gedanke.«
Ich bin nicht der Typ, der die Vergangenheit wieder aufwühlt oder zu lange auf der Memory Lane herumlungert, aber das Zuhause meiner Kindheit in so einem Zustand des Verfalls zu sehen, tut mir von Herzen weh. Magdalena hat hart für dieses Haus gearbeitet. Zwei Jobs. Tausende ausgeschnittene Coupons. Sie hat alles getan, was sie konnte, um mich in einer sicheren Gegend mit anständigen Schulen großzuziehen.
Ich blicke hinauf zu dem obersten Fenster auf der linken Seite und erinnere mich sofort an mich als einen Zwölfjährigen mit einer Besessenheit für Football und Träumen, die größer waren als seine Hosen.
Auf eine merkwürdige Art und Weise bin ich stolz auf ihn.
Er hat nie aufgegeben, nicht einmal dann, wenn es zu schwer wurde.
Ich drehe mich zu Delilah um und schenke ihr ein bittersüßes Lächeln. Ich kann hier nicht mehr lange bleiben.
»Lass uns zurück zum Hotel fahren.« Ich zeige zum Wagen, und sie nickt. Ihre Absätze klappern auf dem brüchigen Gehweg voll Unkraut.
Die Fahrt zurück verläuft größtenteils schweigend. Ich schätze, jeder von uns ist in seinen Gedanken versunken, aber immer wenn wir an einer Straßenlaterne vorbeifahren, die hereinscheint, ist ihr wunderschönes Gesicht beleuchtet, und mich überkommt ein Gefühl von Frieden.
Es ist fremdartig und aufregend auf eine Art, die ich mir mit ihr nie hätte vorstellen können.
Und vor allem anderen ist es total beängstigend.
Es gibt nicht viele Dinge in diesem Leben, vor denen ich Angst habe, nicht nach dem, was ich hinter mir habe, aber mich in jemanden wie Delilah zu verlieben ist einfach nur angsteinflößend …
Und es fühlt sich an, als würde es in Echtzeit passieren.
Manchmal langsam.
Manchmal alles auf einmal.
Manchmal kriege ich sie nicht aus dem Kopf und spiele unsere Momente zusammen in einer Art Zeitlupe wieder durch.
Streich das. Ich kriege sie die meiste Zeit nicht aus dem Kopf.
Aber so sollte es nicht sein, denn in etwas mehr als einem Monat ist sie weg, und das Leben geht weiter. Heute ist sie meine Freundin. Heute Nacht ist sie meine Geliebte. Und morgen …
Daran kann ich nicht denken. Ich darf nicht über das Hier und Jetzt hinaus denken.
Ich strecke die Hand aus und nehme ihre Hand.
Gott, es fühlt sich gut an, wieder jemandem nahe zu sein.
Sie rutscht näher, legt den Kopf an meine Schulter und gähnt. Heute Nacht wird es nicht um Sex gehen, und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit ist das völlig in Ordnung für mich.
Aus irgendeinem verrückten Grund will ich einfach nur an ihrer Seite sein.