34. KAPITEL

Zane

»Würdest du freundlicherweise mal lockerlassen«, sage ich Carissa ins Ohr und achte dabei darauf, leise zu sprechen und weiterhin zu lächeln. »Mir war nicht klar, dass der Besuch der Party heute Abend mit dir bedeuten würde, dass du die ganze Zeit buchstäblich an mir hängst.«

Wir sind seit vierzig Minuten hier, und bisher war die einzige Gelegenheit, bei der sie mich losgelassen hat, die, als ich zum Pinkeln ging, und dabei musste ich nicht einmal. Ich brauchte einfach einen Moment für mich allein zum Luftholen.

»Da ist ja meine wunderschöne Tochter!« Carissas Mutter, Caitlyn Forbes, schwebt auf uns zu, mit ausgestreckten Armen und voll ausgeprägtem Südstaatenakzent. »Meine Güte, du siehst strahlend aus, Carissa. Und Zane, du siehst wirklich gut aus. Ich bin sicher, Carissa hat dich von Kopf bis Fuß eingekleidet. Sie spielt immer so gern ›schick anziehen‹ mit all ihren Auserwählten.«

Auserwählten?

»Mutter.« Carissa tut verärgert. »Tatsächlich hat Zane sich heute Abend selbst eingekleidet.«

»Tja, so was.« Ihre Mutter tätschelt meine Hand und wirft mir ein Grinsen von der Seite zu. »Dann musst du wohl wissen, wie du dich bei ihr behaupten kannst. Ich würde sehr gern später noch mit dir reden und mir ein paar Tipps von dir holen. Seit dem Tag ihrer Geburt wickelt sie ihren Vater und mich regelmäßig um den Finger.«

Carissas Vater kommt durch eine Gruppe Gäste heran, begrüßt sie und bleibt dann neben seiner Frau stehen.

»Sehen die beiden nicht reizend aus?«, meint Caitlyn. »Ich könnte sie einfach auffressen. Ein Anblick wie im Bilderbuch. Oh. Da fällt mir ein: Ich sollte ein Foto von ihnen machen.«

»Nein«, wehre ich ab.

Carissa wirft mir einen Blick zu, und Caitlyn hat einen eigenartig anzüglichen Blick im Gesicht.

»Wie bitte?«, fragt Caitlyn.

Mr Forbes wirft mir einen bösen Blick zu, noch etwas böser als der, den er mir zugeworfen hatte, als wir das letzte Mal so nahe beisammenstanden.

»Ich habe es nicht so mit Fotos«, sage ich.

»Es wäre für unsere Familienalben«, antwortet sie. »Carissa ist unsere einzige Tochter. Wir dokumentieren einfach gern alles. Meine Güte, ich glaube, ich habe jedes Schulfoto, alle Milchzähne und jede einzelne Barbiepuppe aufgehoben.«

»Komm schon, Baby. Die sieht niemand außer unserer Familie.« Carissa massiert die Unterseite meines Arms, legt den Kopf schief und setzt ein süßes Lächeln auf, während ihre Eltern zusehen. »Es würde Mama so glücklich machen.«

Mr Forbes räuspert sich und wirft mir noch einen bösen Blick zu, doch dann geht sein Blick durch mich hindurch und fällt auf die andere Seite des Raums, wo sein Sohn Taylor steht und sich mit ein paar Spielern unterhält. Ich sehe, wie er ihnen seine Visitenkarte gibt.

Taylor fucking Forbes.

Der Typ ist nicht nur ein berüchtigter Trottel und der Bruder meiner kriminell irren Stalkerin, sondern einmal hat er auch versucht, mir Mirabelle auszuspannen, indem er ihr erzählt hat, sie hätte etwas Besseres verdient als dreckigen Abschaum wie mich. Dafür wird er auf ewig auf meiner schwarzen Liste stehen.

Das Traurige daran ist: Wäre sie mit Taylor durchgebrannt, würde sie jetzt nicht den Rest ihres Lebens in einer betreuten Pflegeeinrichtung verbringen.

Manchmal ist das Leben einfach ein elendes Miststück.

An dem Tag, als ich ihn aus Rues Haus kommen sah, habe ich ihn auf dem Gehweg mit der Schulter angerempelt und ihm gesagt, dass Delilah mir gehört, ungeachtet der Tatsache, dass das so gar nicht stimmte. Vielleicht ging es in dem Moment nur um Arroganz und Charme, aber ein Instinkt tief in mir wusste, dass sich da noch etwas anderes zusammenbraute.

»Komm schon, Baby«, säuselt mir Carissa ins Ohr. »Lass uns noch etwas zu trinken holen. Sei ein Gentleman und bestelle mir einen Lemon Drop Martini, ja?«

Ich bin abgelenkt und sehe mich im Raum nach einer Uhr um, damit ich sehen kann, wie viele Stunden mir noch in der buchstäblichen Hölle bevorstehen, und als ich mich umdrehe, steht Carissa vor mir, geht auf Zehenspitzen und drückt ihren Mund auf meinen für einen innigen Kuss ohne Zunge.

Als mir klar wird, was gerade passiert ist, ist das Erste, was mir einfällt, mich im Raum umzublicken, um sicherzugehen, dass das niemand gesehen hat. Es gibt eine Handvoll Reporter mit Presseausweis hier, und das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist die Verewigung dieses ungewollten Kusses mit einem einzigen Foto.

»Zane?«, höre ich da eine Frauenstimme hinter mir.

Ich drehe mich um – und erkenne sofort Daphne Rosewood. Weston steht hinter ihr und sieht mich mit der Sorte besorgtem Blick an, den man nie im Gesicht seines besten Freundes sehen will.

»Ich bin etwas verwirrt …« Daphne legt den Kopf schief, den Blick auf Carissa gerichtet, die gerade mit jemandem plaudert, sich dabei aber dennoch den Moment nimmt, von hinten die Arme um meine Taille zu schlingen.

Fuck.

Fuck. Fuck. Fuck.

»Es ist nicht so, wie es aussieht«, sage ich leise. »Ich kann das erklären.«

»Spar dir das.« Daphnes sonst so liebenswerte Haltung wird düster, und sie runzelt die Stirn. »Und halte dich bloß von meiner Schwester fern.«

»Daphne«, rufe ich, als sie weggeht. »Weston.«

Die beiden sind längst weg, und ich sitze hier fest mit diesem schwarzhaarigen Fliegengewicht in einem Kleid, das besser zu einem Engel passen würde.

Ich kriege keine Luft.

Ich packe Carissas Hände, schiebe sie von mir und löse mich aus ihrer Umklammerung.

»Hey.« Sie macht einen Schmollmund, und ich stürme davon. »Wo willst du hin?«

»Gib mir eine gottverdammte Minute für mich.« Ich schreie sie an, und meine Stimme dröhnt so laut, dass sie in meinen eigenen Ohren schmerzt. »Gott, ich kriege keine Luft, wenn du mir so am Hals hängst.«

Carissas Unterlippe zittert, und ihre Augen werden glasig, als ihr Vater an ihre Seite kommt.

Es ist einfach so passiert …

Ich bin geliefert.