2. BLUT

mal in Wallung, mal gefroren

Wenige Wörter erregen so viel Aufmerksamkeit wie »Blut«. Schriftsteller und Drehbuchschreiber wissen das, und so ist die Vielzahl einschlägiger Titel kein Wunder – von Stephen Kings »Blut« über Kim Harrisons Bücher »Blutspur«, »Blutjagd« und »Blutspiel« bis hin zum Psycho-Thriller »Das Schwarze Blut« von Jean-Christophe Grangé. Blut sei halt ein »ganz besondrer Saft«, ließ schon Goethe seinen Mephisto behaupten, als dieser den Gelehrten Faust aufforderte, ihren teuflischen Pakt »mit einem Tröpfchen Blut« zu unterzeichnen. Schnöde Tinte kann hier nicht mithalten

Wie lebenswichtig Blut für den Menschen ist, haben hohe Blutverluste auf dem Schlachtfeld seit Jahrtausenden drastisch vor Augen geführt. »Wenn der Mensch verblutete, hauchte er in wenigen Minuten sein Leben aus. Mit dem ›Lebenssaft‹ verließ das Leben den Körper«, schreibt der Naturheilkundler und Chemiker Gerhard Orth in seinem Buch »Lebenssaft reines Blut«.

Kein Wunder also, dass die Menschen bereits früh versuchten, sich mit dem Blut ihrer Gegner auch deren Kraft einzuverleiben – notfalls auch den Lebenssaft verehrter Tiere. »Schon die Germanen sollen das noch warme Blut von erlegten Bären, Wölfen und Rindern getrunken haben, um sich deren Eigenschaften anzueignen«, berichtet der Stoffwechsel-Physiologe Roland Prinzinger von der Universität Frankfurt. Die »Vorstellung vom Blut als Sitz der Seele« finde sich sogar bereits im altbabylonischen und ägyptischen Gedankengut.16

Um besser zu verstehen, warum das Blut auch unsere Sprache rötet, bedarf es eines kurzen Rückblicks in die Medizingeschichte. Seit jeher haben Gelehrte zu begreifen versucht, wozu die metallisch schmeckende Flüssigkeit in den Adern gut sein könnte – und dabei kam viel Fantasie ins Spiel. »Das Blut ist einer der vier Kardinalsäfte im Sinne der antiken Vier-Säfte-Lehre«, sagt Volker Hess, Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin an der Berliner Charité. Nach dieser medizinisch längst überholten Vorstellung, der sogenannten Humoralpathologie, verfügt ein gesunder Mensch über ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Säften Schleim, Blut und Galle, wobei letztere im Körper angeblich in gelber und schwarzer Variante wabert.

Die Vier-Säfte-Lehre war vor allem im Mittelalter ein zentraler Pfeiler der Medizin und hatte noch entscheidenden Einfluss auf die Heiler der Neuzeit. Sie geht zurück auf Galenius, auch Galen genannt. Der griechische Arzt und Anatom wurde um das Jahr 129 nach Christus in Pergamon geboren und starb um 216 in Rom.

Der schon in der Antike vor über zweitausend Jahren verbreitete Aderlass setzte hier an. »Mit ihm wollte man ein Zuviel an Blut im Körper beseitigen und das Gleichgewicht der Säfte wiederherstellen«, erklärt Volker Hess den Therapieansatz. Bis ins 19. Jahrhundert ließen Mediziner Kranke zur Ader. Daran konnte auch die Entdeckung des Blutkreislaufs durch den englischen Arzt William Harvey (1578 – 1657) lange wenig ändern.

Zutreffende Vorstellungen über die Blutherkunft im Körper haben sich erst allmählich herausgebildet. »Noch um 1600 nahmen die einfachen Menschen, aber auch die Ärzte, an, dass unsere Nahrung zuerst im Magen und dann in der Leber verdaut wird und dass dort, in der Leber, das Blut entsteht«, sagt Michael Stolberg, der an der Universität Würzburg das Institut für Geschichte der Medizin leitet. Konsequenterweise konnten dieser Vorstellung nach Blutverluste ersetzt werden, indem man aß oder trank – am besten roten Wein, der als besonders stärkend galt. »Bis ins 19. Jahrhundert hinein gaben viele Ärzte ihren Patienten nach der Operation mit starken Blutverlusten Rotwein zu trinken«, weiß Stolberg zu berichten.

Ließen Ärzte oder Chirurgen die Kranken zur Ader, untersuchten sie routinemäßig das aus den Venen abgelassene Blut; neben der Harnschau war diese Blutschau ein wichtiges Diagnoseverfahren. Wenn das Blut gerann und sich dunkel färbte, kam es dabei leicht zu Fehlschlüssen. »Das Blut galt dann als schwarz und verbrannt, eine Folge zu großer Hitze im Körper, etwa durch Fieber«, sagt Stolberg. Dazu passte, dass der Körper als eine Art Ofen angesehen wurde, der die Nahrung quasi verkochte und in dem es bei Überhitze leicht zu solchen Blutbränden kommen konnte. Verletzte sich ein Mensch und blutete, verflüchtigten sich nach damaliger Vorstellung aus den offenen Gefäßen auch die Lebensgeister.

Auch heute noch begegnen wir unserem Blut teils irrational. Entnimmt der Arzt Blut, wenden viele Menschen lieber den Blick ab. Fließendes Blut weckt Ängste, da heftiger Blutverlust das Leben bedroht. Seine alarmierende Farbe erhält der Saft in unseren Adern durch das sogenannte »Häm b«, einen eisenhaltigen Bestandteil des Hämoglobins, der Sauerstoff binden kann. Durchschnittlich fünf Liter Blut kreisen in den Adern von Frauen, etwa sechs in jenen der Männer – einem feinst verzweigten Geflecht mit einer Gesamtlänge von vielen Tausend Kilometern.

Nüchtern betrachtet, »ist Blut ein Transportmittel, das Adernetz ein Kanalsystem«, sagt Christian Peschel, der am Klinikum rechts der Isar in München die Klinik für Hämatologie (Blutkrankheitslehre) und internistische Onkologie (Krebskunde) leitet. Im Blut werden Zellen, Botenstoffe und Hormone — so zum Beispiel Stress- oder Sexualhormone — dorthin befördert, wo sie ihre Wirkung entfalten sollen. »Eine metaphysische Bedeutung hat das Blut überhaupt nicht«, meint der Mediziner. Mag sein, doch hat Blut vor allem Fantasiebegabte seit Urzeiten zu wildesten Spekulationen verführt – und die meisten Menschen im Guten wie im Schlechten fasziniert.

Literweise flüssiges Gefühl

Kein Wunder also, dass sich in unserer Sprache etliche Redewendungen und Ausdrücke entwickelt und gehalten haben, die dem roten Saft bemerkenswerte Eigenschaften nachsagen. Besonders interessant ist die Verbindung von Blut und Gefühl; der rote Saft wird zum Träger extremer Emotionen. Angesichts des darin mitschwimmenden Cocktails aus Cortisol, Adrenalin und anderen gefühlssteuernden Hormonen ist diese Sichtweise gar nicht einmal falsch – hier war der Volksmund schon vor Jahrhunderten erstaunlich hellsichtig.

Von heißblütigen Spanierinnen und kaltblütigen Mördern hat jeder schon einmal gehört; ein heißblütiger Killer hingegen erschiene sonderbar, da Angehörige dieses Berufzweiges eher berechnend als hitzig vorgehen. Ein Auftragsmörder sollte vielmehr ausgesprochen gut ruhig Blut bewahren können; er hat seine Gefühle unter Kontrolle – im Unterschied zu seinem Opfer, dem das Blut in den Adern gefriert, und zwar selbst in der Mittagshitze der Sahara.

Ein Totschläger hingegen handelt im Affekt, also hitzig. Ihm ist das Blut zu Kopf gestiegen, die Wut hat die Gefäße geweitet, sodass sein Gesicht sich rötet. Sein Blut ist in Wallung, vielleicht weil ihm jemand böses Blut gemacht oder ihn bis aufs Blut gereizt hat. Nach seiner Tat klebt oft Blut an den Händen des Schlägers – auch das dürfte ihn von einem Handschuh tragenden Killer unterscheiden. Dieser wird unter Umständen von jemandem beauftragt, der bis aufs Blut ausgesaugt worden ist. Derartige Blutgier kann also ungesund sein, doch wer erst einmal Blut geleckt hat, kann nur noch schwer von seinem Opfer ablassen – ganz wie ein jagender Bluthund, den Jäger in ihrem sonderbaren Fachjargon allerdings Schweißhund nennen.

Auch als Speicherort von Fertigkeiten und Neigungen hat sich das Blut in der Sprache niedergeschlagen. Eine häufig wiederholte Handlung geht ins Blut über. Eine Neigung liegt einem im Blut. Wer sich mit voller Kraft und all seinen Fähigkeiten für einen Sache oder ein Werkstück einsetzt, vergießt bei der Arbeit Herzblut – einen ganz besonderen Saft.

Menschen, die Kinder in die Welt setzen, sehen in diesen ihr eigen Fleisch und Blut. Zunächst ist der Nachwuchs noch blutjung. Das hat seine Vorteile, ist aus medizinischer Sicht aber großer Unsinn.

Junges Blut in alten Schläuchen

Verkündet ein Firmenvorstand, der in die Jahre gekommenen Belegschaft könne »ein wenig junges Blut nicht schaden«, dann meint er damit neue und vor allem vergleichsweise junge Mitarbeiter (mitunter auch speziell Mitarbeiterinnen, aber das ist ein anderes Thema). Indem die Personalabteilung verstärkt junge Menschen einstellt, verpasst sie dem Unternehmen eine Art Frischzellen-Kur – wobei diese freilich nicht aus Gewebe-oder Organteilchen ungeborener oder sehr junger Lämmer und Kälber stammt wie bei der echten Therapie. Um ein Vorgehen gegen Alterung handelt es sich indes in beiden Fällen.

Versuchte jedoch ein Arzt einem Patienten weiszumachen, mit »jungem Blut« könne er den Inhalt von dessen Gefäßnetz erneuern, würde er sich als Scharlatan entlarven. Der Grund ist simpel: »Altes Blut gibt es nicht — ebenso wenig wie junges«, befindet der Hämatologe Christian Peschel. »Was man im Blut messen kann, unterscheidet sich bei jungen und alten Menschen prinzipiell nicht.«

Jeder Mensch produziert am Tag etwa 10 hoch 11 – also hundert Milliarden – neue Blutzellen, nur um das Fließgleichgewicht der zirkulierenden Blutzellen zu erhalten. »So viele müssen dann natürlich auch wieder zugrunde gehen«, merkt Peschel an. Die roten Blutzellen kreisen 100 bis 120 Tage lang im Blut, die weißen (Granulozyten) leben nur ganz kurz, und auch die Blutplättchen (Thrombozyten) müssen nach etwa einer Woche ersetzt werden.

Die Fähigkeit des Knochenmarks, Blut neu zu bilden, bleibt bis ins hohe Alter bestehen. »Das Blut eines gesunden 70-Jährigen funktioniert also gleich gut und ist genauso frisch wie das eines jungen Menschen«, sagt der aus Österreich stammende Mediziner. Die Blutstammzellen, aus denen die Blutzellen ständig nachwachsen und die man transplantieren kann, blieben wie alle Stammzellen dauerhaft jung. Deshalb gebe es »prinzipiell auch kein Höchstalter für einen Stammzellspender«, sofern jemand fit genug für den Eingriff ist. Neues Blut aus alten Schläuchen ist demnach überhaupt kein Problem – ebenso wenig wie solches aus altem Knochenmark.

Von Blaublütigen und vornehm Blassen

Adlige mögen anderen Menschen einiges voraus haben, so zum Beispiel immense Heizkosten in ihren Schlössern. Doch ihr Blut ist nicht und war nie blau – da irrten schon die Mauren (die »Dunkelhäutigen«), als sie vor genau 1.300 Jahren, nämlich 711 n. Chr., Spanien eroberten und sich über die bläulich schimmernden Venen der westgotisch-spanischen Aristokratie wunderten. Indem die feinen Adelsdamen auch in späteren Jahrhunderten direktes Sonnenlicht mieden und notfalls filigrane Sonnenschirmchen aufspannten, bewahrten sie sich die sprichwörtliche vornehme Blässe – vor allem im Gesicht und im Halsausschnitt von Blusen und Kleidern. Was für ein kultureller Wandel: Während noch im 19. Jahrhundert ein blasses Antlitz »als edel und adelig« galt, erscheine es heute trotz Hautkrebs-Risikos »tendenziell als krank oder unsportlich«, meint die Germanistin und Kulturwissenschaftlerin Claudia Benthien von der Universität Hamburg, die sich intensiv mit der Geschichte des Körpers und seiner Wahrnehmung beschäftigt hat — in einem reizvollen Buch sogar ausschließlich mit der Haut des Menschen.17

Eine blasse Leibeshülle lässt das Geflecht der Venen an den Armen oder an den Schläfen besonders gut durchscheinen – anders als bei den gebräunten Bauersleuten. Das einfache Volk musste sein meist karges Brot auf Äckern und Feldern oder bei der Waldarbeit verdienen, jedenfalls unter freiem Himmel und somit häufig in mehr oder minder praller Sonne – wobei auch schon das Licht, das durch eine mäßige Wolkendecke dringt, im Sommer die unbedeckte Haut tüchtig tönen, bisweilen sogar schmerzhaft röten kann.

Dass die Adern hellhäutiger Menschen bläulich erscheinen statt rot, hängt zunächst einmal mit der Lichtreflexion der Haut zusammen. Das für uns sichtbare Licht hat Wellenlängen etwa im Bereich von 400 bis 700 Milliardstel Metern (Nanometern). Während langwelliges rotes Licht tief in die Haut eindringt und dabei geschluckt wird, wirft die Haut den kurzwelligen blauen Anteil zurück.

»Deshalb sehen Venen, die 0,5 bis zwei Millimeter unter der Haut liegen, blau aus«, sagt Roman Faubel von der Klinik für Dermatologie und Venerologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Näher an der Hautoberfläche vorbeiziehende Blutgefäße könnten jedoch durchaus rötlich wirken – sonst könnten wir nicht schamhaft erröten, sondern müssten erbläuen.18 Obendrein sieht venöses Blut generell blauer aus als das sauerstoffhaltige Blut der Arterien. »Denn die Venen führen dunkleres, rotviolettes Blut, die Arterien hellrotes«, sagt der Münchner Blut-Experte Christian Peschel.

Erscheint jedoch auch das Blut in den Schlagadern bläulich, deutet das auf bestimmte Leiden hin. Bei Krankheiten, die mit Sauerstoffmangel einhergehen, verfärbe sich auch das Blut in den Arterien – »zum Beispiel bei einer schweren Herzschwäche, bei Lungenversagen oder Herzfehlern, die dazu führen, dass venöses und arterielles Blut vermischt werden«, befindet Hermann Reichenspurner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf. Dann schimmerten zunächst die Lippen sowie später die Finger und die Zehen des Betreffenden bläulich.19

Wirklich blaublütig hingegen sind viele Wirbellose wie Tintenfische, Skorpione, Spinnen, die meisten Schnecken und viele Krebse. Denn in ihrem Lebenssaft sorgt nicht das rote Hämoglobin für den Transport des Sauerstoffs durch den Körper, sondern Hämocyanine, blaue Kupferproteine, die als Riesen unter den Eiweiß-Molekülen gelten. Die im Blutstrom der südkalifornisch-mexikanischen Schlüsselloch-Napfschnecke (Megathura crenulata) fließende Variante des Atmungsproteins besteht aus einer Million Atomen und hat einen »Durchmesser von riesenhaften 35 Millionstel Millimetern«, wie Forscher der Universität Mainz 2009 herausfanden.20 Wer derlei von sich sagen kann, braucht keinen Adelstitel, um andere Lebewesen zu beeindrucken.

Wenn einem das Blut in den Adern gefriert

Diese Redensart meint eines sicher nicht: den Kältetod in Nordsibirien oder der Arktis. Einige Stunden nach dem letzten Atemzug wäre das Körperblut in der Eiseskälte allerdings tatsächlich gefroren. Hier geht es jedoch um etwas, das eine zweite Variante des Spruches deutlicher macht: »Mir stockt das Blut in den Adern.« Auch sie spielt darauf an, dass der Blutfluss zäher wird und scheinbar zum Erliegen kommt.

Dieses Gefühl haben wir manchmal, wenn wir uns schlagartig fürchten. Ein jähes Rascheln im Gesträuch, wenn wir im Dämmerlicht des Abends noch im dichten Wald unterwegs sind – dann sind wir wie vom Schlag getroffen. Oder auch, wenn ein Hund uns von hinten unerwartet ankläfft.

Schlagartig und wie vom Schlag getroffen — darin steckt mehr Wahrheit, als uns lieb sein kann. Denn heftige Angst oder gar innere Panik können tatsächlich unser Blut teilweise gerinnen lassen und lebensbedrohende Blutgerinnsel begünstigen, die ihrerseits einen Herzinfarkt auslösen können – oder eben einen Hirnschlag. Bei bereits verengten Gefäßen oder eingedicktem Blut muss das Herz mühsam gegen die Widerstände anpumpen. »Wenn das Herz ordentlich Druck macht, kann sich irgendwo im Körper ein Blutpfropf lösen, der dann ein feines Hirngefäß verstopft«, schildert der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther die Gefahr.

Hinter der Blutgerinnung bei Angststress steckt zunächst einmal ein wichtiger Überlebensmechanismus. »Im menschlichen Blut entsteht kontinuierlich etwas Fibrin, ein wasserunlöslicher Eiweißstoff, der sogleich wieder aufgelöst wird«, sagt Roland von Känel, Chefarzt des Kompetenzbereichs für Psychosomatische Medizin am Universitätsspital Bern.

Bei akutem Stress wird nun allerdings nicht nur die Blutgerinnung angekurbelt, also mehr Fibrin als üblich gebildet. Auch der Gegenspieler dieses Vorgangs, die Fibrinolyse (Fibrin-Auflösung), verstärkt sich. Allerdings wird der Gerinnungs-Mechanismus etwas stärker aktiviert als die Fibrinolyse, wodurch das Blut – salopp gesagt – etwas dicker wird.

»Evolutionsgeschichtlich ergibt das auch Sinn«, fügt der Schweizer Experte für seelisch beeinflusste Körpervorgänge hinzu. »Denn wenn unsere Vorfahren durch Angreifer oder wilde Tiere unter Stress gerieten und entweder kämpfen oder fliehen mussten und sich dabei verletzten, war es natürlich von Vorteil, wenn das Blut möglichst rasch gerinnt und so die Wunde verschlossen wird, damit man nicht verblutet.« Bluttransfusionen gab es schließlich vor Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden noch nicht, und auch Frauen im Geburtsstress konnten seit jeher froh sein, wenn ihr Blut rasch dicker wurde, der Blutverlust geringer und so die Überlebenschance größer war.

Es gibt allerdings »einige Faktoren, welche die vermehrte Blutgerinnung noch deutlicher ausfallen lassen, als es physiologisch sinnvoll wäre«, merkt von Känel an. Wer zum Beispiel eine Depression oder ein verengtes Herzkranzgefäß hat oder wer an zu hohem Blutdruck (Hypertonie) leidet, bei dem überwiegt unter akutem Stress die Blutgerinnungsseite gegenüber der Gerinnsel-Auflösung noch stärker als bei einem Gesunden. »Wenn unter seelischer oder körperlicher Anstrengung der Blutdruck steigt, kann deshalb beispielsweise bei einem Menschen mit verengten Herzgefäßen die abgelagerten Plaques am Gefäß-Engpass aufreißen und das Blutgerinnsel, das sich

Seltsame Mixtur

Dass jemand Blut und Wasser geschwitzt hätte, ist noch nie beobachtet worden. Doch manchmal, wenn wir uns arg fürchten oder anstrengen, behaupten wir genau das. Diese Redensart geht allem Anschein nach auf die Luther-Bibel zurück, in der es im Lukas-Evangelium (Kapitel 22, Vers 44) heißt: »Und er rang mit dem Tode und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.«

Plausibel ist auch eine andere Herleitung des Ausspruchs: Wer im Sommer mit nacktem Oberkörper im Garten oder auf dem Feld schuftet, noch dazu im Dornengestrüpp oder ähnlich kratzbürstiger Umgebung, der zieht sich leicht blutende Striemen und andere kleinere Verletzungen zu, sodass der hinabrinnende Schweiß auch das austretende Blut mitnimmt und sich mit ihm vermischt. So jemand schwitzt augenscheinlich Blut und Wasser.

an dieser Wunde bildet, noch ausgeprägter ausfallen als ohne akuten Stress«, erläutert der Berner Mediziner das Problem. »Und das kann zum Infarkt führen.«

Gefährdet sind auch Menschen mit chronischer Angst, wie Franziska Geiser und Ursula Harbrecht von der Uni-Klinik Bonn zusammen mit Kollegen herausgefunden haben. Die beiden Ärztinnen konnten nachweisen, dass Menschen mit einer ausgeprägten Angststörung deutlich eher zu erhöhter Blutgerinnung neigen als psychisch Gesunde. Außerdem tragen die Betroffenen ein bis zu viermal so hohes Risiko, an einem Herzleiden zu sterben.

Schon frühere Erhebungen per Fragebogen hatten angedeutet, dass Stress und Angst das Blut von Menschen eher gerinnen lassen. Befragt worden waren jedoch Gesunde. Hingegen untersuchte das Bonner Forscherteam ausdrücklich Angstpatienten. Geiser und Harbrecht verglichen die Blutgerinnung von 31 Patienten, die unter einer ausgeprägten Form einer Panikstörung oder einer sozialen Phobie litten, mit jener einer gesunden Kontrollgruppe gleichen Umfangs.

Ergebnis: Bei den untersuchten Angstpatienten neigte das Blut zum Verdicken, während gleichzeitig die Fibrinolyse gehemmt war – und das, obwohl die Testpersonen nicht verletzt gewesen waren, sieht man von dem Piekser bei der Blutabnahme einmal ab.

»Stresshormone, vor allem Adrenalin und Noradrenalin, setzen die Blutgerinnungsfaktoren aus der Leber und den Gefäßwänden frei, wo sie gespeichert sind und auf ihren Einsatz warten«, sagt der Psychosomatiker Roland von Känel. Unter plötzlicher Anspannung würden sie »innerhalb von Sekunden in die Blutbahn ausgeschüttet«. Die möglichen Folgen im Extremfall wurden bereits erwähnt: Es bildet sich ein Gerinnsel, das eine Herzkranzarterie oder ein Hirngefäß verstopfen kann. Bei chronischen Angstpatienten sei dieses Risiko »noch ärger, weil sie stets etwas zu dickes Blut aufweisen und das überschüssige Fibrin sich ganz allmählich in die Gefäßwände einlagert und die Gefäße so fortwährend verengt«.

Das heißt allerdings nicht, »dass alle Patienten mit einer ausgeprägten Angststörung nun Angst haben müssen, einen Herzinfarkt zu erleiden«, beschwichtigt Franziska Geiser übertriebene Sorgen. Brenzlig wird es erst, wenn andere Risikofaktoren hinzukommen – so etwa Rauchen oder Übergewicht. Beruhigend für Angstgestörte: Eine gute Psychotherapie kann die erhöhte Gerinnungsneigung wieder senken – auf dass den Glücklichen ihr Blut nicht länger übermäßig in den Adern stocke.

Außer den Angstpatienten neigen übrigens auch bestimmte Lungenkranke zu dickerem Blut – nämlich solche mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung. Bei ihr ist der Atemstrom durch verengte Bronchien und dadurch aufgeblähte Lungenbläschen vermindert, was das Atmen für Betroffene sehr beschwerlich macht. Dies wiederum verringert den Gasaustausch in der Lunge, sodass der Gehalt des Blutes an Sauerstoff sinkt. Hauptursache für das Leiden ist Zigarettenrauch, sodass man landläufig auch von einer Raucherlunge spricht. »Aufgrund der geringeren Sauerstoffsättigung im Blut bilden sich dort vermehrt rote Blutkörperchen«, schildert Christian Peschel die hier wesentliche Folge der sogenannten reaktiven Polyglobulie.

Der Münchner Blut-Mediziner verweist jedoch darauf, dass Blutgerinnsel sich »eher schleichend, nämlich innerhalb von Tagen, bemerkbar machen«, während Ausdrücke wie in den Adern gefrierendes oder stockendes Blut einen sehr raschen Verlauf unterstellen.

Böse bis aufs Blut

Es soll Menschen geben, denen weniges mehr Befriedigung verschafft, als Unfrieden zu stiften. Der Volksmund nennt solche Zeitgenossen Streithansel oder Aufwiegler, und ihr zweifelhaftes Vergnügen umschreibt er damit, sie sorgten ständig für böses Blut. Die Könner unter ihnen haben ihre Kunst so weit getrieben, dass sie ihre Mitmenschen sogar bis aufs Blut reizen können.

Natürlich kann Blut weder böse noch gutmütig sein. Selbst die mittelalterliche Vier-Säfte-Lehre, von der wir weiter oben gehört haben, vermag das angeblich unfreundliche Blut nicht zu erklären. Denn der sogenannte Sanguiniker, dessen vorherrschender Körpersaft Blut sein soll, ist nach der längst überholten Theorie der vier Grundtemperamente kein Streit suchender Wüterich — anders als der Choleriker. Vielmehr soll er ein leichtblütiger Mensch sein – und als solcher eher heiter, tatkräftig und lebhaft.21

Allerdings ist es mit Beharrlichkeit sehr wohl möglich, selbst friedliebende Menschen so sehr zu piesacken, dass ihr Ärger hochkocht und ihr Blut in Wallung bringt – mit der gut sichtbaren Folge eines vor Wut vermeintlich kochenden, weil geröteten Gesichts, das durch den verstärkten Blutfluss in hautnahen Gefäßen immerhin spürbar erwärmt ist. Wer auf diese Weise hitzig gemacht worden ist, wirkt in der Tat, als habe ihn jemand bis aufs Blut gereizt.

Die Laune eines Menschen kann sich durch eine Kette von persönlichen Angriffen oder Schmähungen derart verdüstern, dass sein Hirn in Zusammenarbeit mit der Nebennierenrinde aufpeitschende Substanzen ins Blut ausschüttet, die den Betroffen zeitweilig böse machen – wenn auch nicht sein Blut. Der Cocktail aus Blutserum und -fetten, Blutfarbstoffen und -plättchen sowie etlichen anderen Bestandteilen ist bei einem Verärgerten kaum anders als bei einem entspannt Lesenden, enthält aber immerhin mehr Stresshormone. Am gesündesten ist es in jedem Fall, auch unter Anspannung ruhig Blut zu bewahren . Klingt einfach, bedarf aber langer Übung. Und manche schaffen es nie.

Was uns im Blut liegt

Wenn uns etwas leicht von der Hand geht, wirkt dieses Können, als sei es uns ins Blut übergegangen. Oder stärker noch: in Fleisch und Blut. Das allerdings wären sonderbare Speicherorte für unsere Fertigkeiten, die in Wahrheit natürlich ins Hirn eingeschrieben sind, verkörpert durch mehr oder minder eng verknüpfte Nervennetzwerke, die wir durch beflissenes Üben stärken oder durch dauerhaftes Vernachlässigen wieder schwächen können – wie ja der Körper auch sonst abbaut oder ausdünnt, was nicht mehr gebraucht zu werden scheint, so etwa Muskeln oder Knochen.

Doch wieso gehen alte Redensarten davon aus, dass uns bestimmte Fähigkeiten im Blut liegen – sei es nun durch Vererbung oder intensives Üben, wie etwa bei jenem 48-jährigen »Vollblutredakteur«, der eigenen Angaben nach auf zwanzig Jahre Berufserfahrung zurückblicken kann und damit in einem Stellengesuch für sich wirbt?22 Auch das geht wahrscheinlich auf die Vier-Säfte-Lehre zurück. »Die Seele wird hier irrtümlich ins Blut verlegt«, sagt Christian Peschel. »Doch vererbte Charakter-Eigenschaften sind natürlich in allen Körperzellen vorhanden, nicht nur in denen des Blutes.« Und erworbene, wie schon erwähnt, haben sich ins Hirn eingebrannt — wenn auch ohne große Hitze, sondern eher auf Sparflamme, auch Körperwärme genannt.

Denn unser Blut ist sehr wohl warm, solange unser Lebenslicht brennt, und sogar noch einige Stündchen darüber hinaus – was übrigens Rechtsmediziner beim Bestimmen des Todeszeitpunktes nutzen. Insofern gehört auch der Mensch zu den Warmblütern, anders als Reptilien oder Amphibien. Doch schaffen es nicht nur hitzköpfige Totschläger, sondern auch kaltblütige Mörder immer wieder auf die Titelseiten der Zeitungen, wenn sie Gegner planvoll – und auf sehr nachhaltige Weise – aus dem Weg geräumt haben.

Nach Ansicht des Freiburger Psychosomatikers Joachim Bauer werden meist jene Menschen als kaltblütig bezeichnet, die bei Gewalttaten »mit großer Grausamkeit vorgehen und dabei keine Gefühle zeigen, beispielsweise wenn sie ohne eigene Empfindung jemanden quälen«. Liebhaber von Thrillern im Kino haben schon etliche mit kaltem Lächeln begangenen Morde miterleben müssen.

So genannte dissoziative, ihre Gefühle abspaltende Menschen wurden früher häufig selbst massiv traumatisiert, Bauer zufolge »zum Beispiel durch extreme Züchtigung, Misshandlung, Vergewaltigung, Lieblosigkeit oder Verwahrlosung«. Sie haben »lernen müssen, ihre Gefühle zu verdrängen«. Die erlittene Demütigung kann sich später in Extremsituationen explosionsartig Luft machen, also durchbrechen. Dass solche Psychopathen bei ihrer Tat bisweilen weder wütend wirken noch mit der Wimper zucken, macht sie besonders furchterregend. Ihr Blut indes ist um kein Grad kälter als bei anderen Menschen. In ihrer Haut stecken möchte man dennoch nicht.