Es ist, also wolle der Kopf beim Sprechen immer wieder auch mal von sich selbst reden: Etliche Ausdrücke der deutschen Sprache drehen sich um unser Haupt – ohne sie deshalb schon kopflastig zu machen.
Für verkopfte Zeitgenossen, die sich weder auf ihren Bauch noch auf ihr Herz verlassen möchten, muss Kopflosigkeit etwas Schlimmes sein – nicht weniger nämlich als die schlimmst-mögliche Amputation. Kopfmenschen zermartern oder verrenken sich das Hirn und zerbrechen sich den Kopf, bis die Rübe raucht oder platzt – klare Zeichen der Überanstrengung, ganz so, als würden stark beanspruchte Nerven wie Kabelstränge durchbrennen oder Brandgase mit Macht entweichen wollen. Wer sich derart abmüht, weiß vor lauter Stress nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Dickschädel, die sich etwas in den Kopf gesetzt haben, wollen mit diesem am liebsten durch die Wand – wozu ein schützendes Brett vorm Kopf recht dienlich wäre. Ein solches wird gerne von offenbar hirnlosen Hohlköpfen getragen.
Gelingt es Menschen, anderen den Kopf zu verdrehen, dann wird den Überwältigten auf angenehme Weise schwindlig. Wer dulden muss, dass andere ihm auf der Nase herumtanzen, wird bald feststellen, dass ständig über seinen Kopf hinweg entschieden wird. Der Vorschlag: »Mach dir doch keinen Kopf deswegen!«, wird dann kaum trösten, ebenso wenig die Aufmunterung »Kopf hoch!« an die Adresse Niedergeschlagener, die sich und den Kopf hängen lassen. Derlei Ratschläge können Leidgeplagte verständlicherweise oft im Kopf nicht aushalten.
Jeder und jede kennt das: Plötzlich fällt uns auf, dass es ja schon 20.30 Uhr ist und wir den letzten Intercity des Tages zu verpassen drohen – und schon geht es los: Wo ist der Koffer? Wo der Hausschlüssel? Und ist der Terminkalender jetzt wirklich im Koffer, oder haben wir ihn noch gar nicht eingepackt? Und ausgerechnet in diesem Moment ruft auch noch die Chefin auf dem Handy an. Jetzt ist es schwer, einen klaren Kopf zu behalten und selbigen nicht zu verlieren – obwohl fest angewachsen, wie er natürlich ist. Am besten ganz ruhig der Reihe nach – aber wo bloß fängt man mit dem Überlegen an?
Dass unser ansonsten sehr leistungsfähiges Hirn in solchen Momenten in heller Aufregung ist, liegt an einem Cocktail von Erregungshormonen, der im Blutstrom durch unser Adernetz saust. Psychologen der Ruhr-Universität Bochum – und nicht nur sie – konnten in Studien mit Erwachsenen mehrfach zeigen, »dass Stress den Gedächtnisabruf verschlechtert«, sagt der Bochumer Kognitionspsychologe Oliver T. Wolf. Hingegen werde koordiniertes Denken heruntergefahren und überlegtes, planvolles Handeln beeinträchtigt. Wolf zufolge kann diese kurzfristige, mentale Behinderung Ausdrücke wie kopflos oder den Kopf verlieren erklären. Oft sind wir dabei in großer Eile und verschwitzen einen Arzttermin oder den 10. Hochzeitstag – wenn auch nicht wegen des Schweißes, der in Strömen übers Gesicht rinnt, sondern wegen der schweißtreibenden und konfusen Hetze, in der wir nicht mehr alle Sinne beisammen haben.
Unter Druck gerät vor allem das Frontalhirn in eine solche Unruhe, dass es Handlungen nicht mehr richtig steuern kann. »Dabei ist das Frontalhirn genau der Bereich, wo die komplexesten Handlungsstrategien zum Lösen von Problemen entwickelt werden«, sagt der Neurobiologe Gerald Hüther. Doch mit Chaos im Kopf gelingt das nicht. Eine wohlüberlegte Suche nach dem verlegten Schlüssel oder die optimale Planung des kürzesten Weges zum Bahnhof scheitern dann leicht.
Gerade das Unterfangen, einen bisher nie genutzten, jedoch abends besonders schnellen Weg einzuschlagen, würde eine Kreativität erfordern, zu der ein übererregtes Gehirn gar nicht imstande ist. Möglich ist gerade noch, der vertrauten, aber Zeit raubenden Route zu folgen, denn das quasi chaotische Hirn ist gezwungen, »auf einfache Bewältigungsstrategien zurückzugreifen, manchmal auf ganz primitive«, sagt der Hirnforscher und meint damit Lösungswege, die im Hirn schon während der frühen Kindheit gebahnt worden oder sogar genetisch programmiert sind. Kopfloses Handeln ist also genau genommen vorderhirnloses Agieren – in Hüthers Worten ein Vorgehen »ohne den bewussten Teil des Gehirns«.
Das Leben Gary Colemans (1968 – 2010) war von Anfang an kein leichtes: Wegen eines angeborenen entzündlichen Nierenleidens (vermutlich Glomerulonephritis) musste der farbige US-Amerikaner zeitlebens immer wieder das Krankenhaus aufsuchen – und kleinwüchsig blieb er deshalb obendrein. Das hinderte ihn nicht daran, schon als Kind vor der Filmkamera zu stehen und durch sein Mitwirken an Serien wie »The Jeffersons« und »Diff‛’rent Strokes« das zu werden, was manche Leute einen Kinderstar nennen.
Bei der Wahl zum nächsten kalifornischen Gouverneur trat der nur 1,46 Meter kleine Mann 2003 sogar gegen Arnold Schwarzenegger an – vergebens, aber mit einem Achtungserfolg. Knapp sieben Jahre später, am 26. Mai 2010, stürzte Coleman in seinem Haus in Santaquin (Utah) und fiel auf den Kopf. Zwei Tage später erlag er auf der Intensivstation einer Hirnblutung.
Wenn es von jemandem heißt, er sei nicht auf den Kopf gefallen , dann ist das ein merkwürdiges Lob. Denn so ein Sturz kann das Hirn schwer schädigen – auch dann, wenn der Schädel nicht bricht. Durch den Aufschlag können schlimmstenfalls die innen auf dem Schädelknochen liegenden Hirnarterien reißen, sodass austretendes Blut die Hirnmasse quetscht und Nerven absterben lässt – was nicht selten eine Weile unbemerkt bleibt. Zum Glück kann das bis ins hohe Alter plastische, lernfähige Hirn in vielen Fällen ausgefallene Funktionen mehr oder minder ersetzen, aber eben nicht immer.
Auf den Kopf zu fallen, kann bereits Gelerntes also unwiederbringlich verschwinden lassen. Nur insofern wird der Gestürzte dumm – und bleibt der nicht auf den Kopf Gefallene so helle im Oberstübchen, dass man ihm das ausgebliebene Unheil mit lobenden Worten auf seltsame Weise bescheinigt. Alkoholiker tragen übrigens ein besonderes Sturzrisiko, nicht nur weil sie öfter stürzen. Ihr durch den Alkohol verdünntes Blut gerinnt auch langsamer als bei Nüchternen, sodass im Hirn mehr davon aus verletzten Gefäßen fließen kann.
Wenn jemand seinen Geist derart anstrengt, dass der Kopf schmerzt, kann es sich anfühlen, als berste im nächsten Moment der Schädel. Es bleibt zum Glück beim Gefühl; echtes Kopfzerbrechen droht dem Nachdenklichen nicht.
Womöglich passt aber auch Gerald Hüthers spontaner Einfall mit Blick auf die Begrifflichkeiten viel besser: Dem Bild des Zerbrechens könne nämlich auch die Annahme zugrunde liegen, »man müsse auf das Hirn nur ordentlich draufdrücken oder es sogar ausquetschen, um ihm einen passenden Gedanken zu entlocken«, sagt der Hirn-Experte. Der Vorgang gliche dann dem Knacken einer Nussschale, um an den nahrhaften Samen zu gelangen.
Erhellend ist an dieser Stelle ein Blick darauf, wie die Internationale Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (»International Association for the Study of Pain«) diesen definiert – nämlich als »unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis, das mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung einhergeht oder in Begriffen einer solchen Gewebeschädigung beschrieben wird«.
Genau so ein Begriff sei Kopfzerbrechen, meint Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel. »Beschädigt man den Kopf, zum Beispiel durch einen Unfall, und zieht sich einen Schädelbruch zu, schmerzt das sehr« – und womöglich auf Dauer. »Auch intensives Nachdenken bei Sorgen, psychosozialer Stress, Ängste, Schlafmangel und so weiter können Kopfschmerzen auslösen«, fügt der Neurologe und Psychotherapeut hinzu. Nicht nur könnten diese Auslöser die Muskeln von Schultern, Nacken und Kopf schmerzhaft verspannen lassen. Der Muskelstress erschöpfe irgendwann auch die körpereigene Schmerzabwehr. Versucht der Betreffende dann, sein drängendes Problem verbissen und hartnäckig zu lösen, mündet das leicht in Migräne oder Kopfschmerz vom Spannungstyp.
Während der weit verbreitete Spannungskopfschmerz sich anfühlt, als klemme der Schädel in einem noch unentschlossenen Nussknacker, wird bei der Migräne »jeder Pulsschlag zu einem hämmernden Schmerz, der wie ein Presslufthammer zum Kopfzerbrechen von innen an den Schädel klopft«, schildert Göbel die Tortur. So etwas hält man wirklich im Kopf nicht aus.
Noch grober als das Kopfzerbrechen klingt die Vorstellung, sich das Hirn zu zermartern. Die Briten benutzen dafür den Ausdruck »to rack one’s brain«, foltern oder quälen ihr Hirn also. Würde man den Begriff des Marterns wörtlich nehmen, ergäbe sich ein neuer Sinn: Die christlichen Märtyrer galten als »Blutzeugen« ihres Glaubens – eine Bezeichnung, die auch die gänzlich unseligen Nationalsozialisten für jene Anhänger ihrer Bewegung einsetzten, die im November 1923 beim Hitler-Ludendorff-Putsch in München starben.
Ein zermartertes Hirn wäre hiernach ein blutendes – zum Beispiel durch ein geplatztes Aneurysma. Diese sack- oder spindelförmige Ausstülpung einer Schlagader kann die Folge einer von Geburt an vorliegenden Gefäßschwachstelle sein, die bereits durch Bluthochdruck einreißen kann, oft aber erst einmal durch Arteriosklerose (»Verkalkung«) ausbeult und später zu bersten droht.
Starrsinn ist das Gegenteil geistiger Geschmeidigkeit. Unflexibel reagiert der Starrsinnige auf Herausforderungen, weil er »das halt immer schon so getan hat«. Der unselige Begriff »Altersstarrsinn« legt obendrein nahe, alte Menschen blieben mehr oder minder zwangsläufig stets auf demselben Gleis und müssten uneinsichtig bis zum Schluss auf verstaubten Meinungen und Lösungswegen beharren. Dabei ist ein notorischer alter Kauz womöglich nur traurig und resigniert und hat mit seinen Mitmenschen abgeschlossen.
Zudem hat die Hirnforschung längst zeigen können, wie formbar und lernfähig selbst betagte Hirne noch sein können – umso mehr natürlich, wenn sie durch geistige Anregungen zeitlebens auf Trab gehalten worden sind. Und das ist insofern keine zufällig gewählte Metapher, als gerade das Wandern auf unebenen Wegen in abwechslungsreicher, buchstäblich reizvoller Landschaft das Hirn fordert, ohne es zu überfordern, und somit fit hält.
Über Stock und Stein zu gehen, trainiert das Oberstübchen, weil dabei viele Sinne zusammenwirken: Wir hören die Feldlerche trillern, die Fußsohle betastet vorsichtig das glitschige Schiefergestein, das Auge sucht beim Abstieg schon nach dem nächsten Halt, und die Nase meldet den Duft von Knoblauchsrauke oder Steinpilzen. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass wir auch unsere Gedanken so gerne auf Wanderschaft gehen lassen.
Gerald Hüther vermutet hinter dem Starrsinn eine »eingefahrene, im Frontalhirn verankerte« Einstellung. Denn »Erfahrungen, die man immer wieder im gleichen Kontext, unter gleichen Bedingungen macht, werden zu einer Haltung – dass kann Gier sein, Dankbarkeit, Zwanghaftigkeit, Engstirnigkeit oder eben Starrsinn«, zählt der Neurobiologe einige Varianten auf. »Man hat eine feste Vorstellung, eine fixe Idee sozusagen, wie etwas zu sein hat, und lässt daneben nichts anderes zu.« Solche Haltungen seien »nicht leicht zu ändern, weil sie über Erfahrungen zustande gekommen sind« – also nicht nur über Einsicht, sondern auch über Emotionen. »Deshalb kann man weder auf Kommando starrsinnig sein, noch vom Starrsinn lassen«, sagt Hüther. »Der Betreffende bräuchte die Chance, neue Erfahrungen zu machen.« Doch davor hätten viele Menschen Angst. Und gerade sie kann sehr stur machen.
Ein geistig unbeweglicher Mensch wird landläufig Dickschädel genannt – freilich ohne dass dies äußerlich in Form eines angeschwollenen Hauptes sichtbar wäre. Gemeint ist eher die Dicke des Knochens in Millimetern (üblicherweise 6 bis 8) als Maß dafür, wie schwer sich selbst das bestechendste Argument tut, den Schädel zu durchdringen. Doch immerhin einen Vorteil hat ein dickwandiger Kopf: Notfalls lässt er sich prima als Rammbock einsetzen.
Niemand demonstrierte das so eindrucksvoll wie der frühere französische Nationalkicker Zinédine Zidane im WM-Endspiel 2006 an seinem Gegner Marco Materazzi, nachdem der Italiener die Schwester des dreimaligen Weltfußballers wüst beleidigt hatte. Auf den Kopf als Waffe im Zweikampf verweist auch der Ausspruch, jemand habe den Mut, einem Vorgesetzten oder kräftigen Gegner die Stirn zu bieten, sich mithin tapfer zur Wehr zu setzen.
Auch ein großer Schädel scheint eine gute Seite zu haben, falls man einer neueren Studie Glauben schenken mag. Großköpfige Patienten mit Alzheimer-Demenz (AD) verfügen danach im Vergleich zu Leidensgenossen mit kleinerem Schädel über ein besseres Gedächtnis. Das zumindest will ein Wissenschaftler-Team um den Münchner Psychiater Robert Perneczky bei Tests an 270 Menschen mit AD herausgefunden haben. Konkret konnten die Forscher pro Zentimeter zusätzlichen Kopfumfangs eine um sechs Prozent höhere Denk- und Erinnerungsleistung feststellen. Und das liege schlicht an den größeren Hirn-Reserven der Patienten mit umfangreicherem Schädel.
Die Größenzunahme des Hirnschädels in jungen Jahren werde nämlich »vor allem durch das Wachstum des Gehirns bestimmt«, sagt Perneczky, Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar in München. Die Korrelation zwischen Schädel und Gehirn sei zwar »nicht perfekt, aber doch recht stark«.
Daraus folgt für ihn: »Eine größere Gehirnmasse kann das Risiko einer Alzheimer-Demenz verringern und zu weniger schweren Symptomen führen.« Denn weil in große Köpfe mehr Hirn hineinpasse, mache ein gleich starker Hirnschwund sich bei Menschen mit größerem Schädel weniger bemerkbar. Damit untermauere das Studienergebnis die »Theorie der Gehirnreserven«, nach welcher das Gehirn auf krankhafte Veränderungen individuell verschieden reagiert.118
Wenn wir bei Verdacht auf Fieber unsere Temperatur messen, versuchen wir im Grunde, näherungsweise die Körperkern-Temperatur zu ermitteln. Diese schwankt im Tagesverlauf und je nach physischer Anstrengung zwischen etwa 35,8 bis 37,2 Grad Celsius. Damit sie nicht gefährlich steigt, schwitzen wir bei großer Hitze oder schwerer Arbeit dagegen an.
Jenseits von etwa 42 Grad versagt der Kreislauf; oberhalb von circa 42,5 Grad Celsius stirbt der Mensch unweigerlich, weil dann die Proteine (Eiweiße) im Körper quasi gerinnen, also ihren Aufbau unumkehrbar verändern und deshalb ihre Funktion einbüßen – vom Prinzip her ähnlich wie bei einem Spiegelei.
Ein so verstandener Hitzkopf, also einer mit über 42 Grad heißem Hirn, wäre dem Tod geweiht. Freilich bezeichnet der Begriff nur die vermutete Hitze in einem Menschen, dessen Gesicht bei großer Anstrengung oder Wut stark gerötet ist. Einen kühlen Kopf zu bewahren oder notfalls mit Kühlpaketen wiederherzustellen, kann also das Leben retten. Nur übertreiben sollte man es hier nicht: Denn von Natur aus liegt die angemessene Betriebstemperatur des Hirns etwa um ein Grad Celsius über der normalen Kerntemperatur des Körpers.
Nichtsdestotrotz machen sich Mediziner ein künstliches Herunterkühlen des Hirns bei bestimmten Operationen zunutze. Dazu leiten sie zunächst venöses Blut aus dem Körper ab und führen es ihm gekühlt wieder zu. »Erniedrigt man die Temperatur, verlaufen chemische und biochemische Reaktionen langsamer – und damit verringert sich der Sauerstoffverbrauch des Hirns«, schildert der Anästhesist Claus-Martin Muth von der Uni-Klinik Ulm das Wirkprinzip. Mediziner sprechen hier von einer erhöhten Hypoxie-Toleranz – also einer größeren Toleranz gegenüber Sauerstoff-Mangel.
Ein gutes Beispiel für eine solche OP ist der Eingriff an der vom Herzen wegführenden Hauptschlagader. »Dabei darf in manchen Fällen für kurze Zeit gar kein Blut im Körper fließen«, sagt der Oberarzt. Natürlich wird dann auch das Hirn nicht versorgt. »Deshalb wird es vorher auf etwa 17 Grad Celsius heruntergekühlt, sodass man danach etwa eine halbe Stunde Zeit für den Eingriff hat«, erklärt Muth die buchstäblich coole Prozedur, dank derer die Nervenzellen des Hirns keinen Schaden durch Sauerstoffmangel nehmen.
Auch in anderen Fällen kann die rechtzeitige, kontrollierte Hirnkühlung ein Segen sein. Bei Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Patienten zum Beispiel fallen Folgeschäden dann deutlich milder aus.119 Das Selbe gilt ersten Erfahrungen zufolge für Unfall- oder Gewaltopfer mit einem Schädel-Hirn-Trauma. Bereits Standard – auch schon in Rettungsfahrzeugen – ist die Kühlung bei Menschen, die wegen eines Kreislaufstillstands wiederbelebt werden sollen. »Solche Patienten werden heutzutage gezielt runtergekühlt, während man sie früher warmzuhalten versuchte«, berichtet Muth von einem durchgreifenden Sinneswandel in der Unfallmedizin. Denn sowohl eine heftige Kopfverletzung als auch der Sauerstoffmangel bei stillstehendem Kreislauf lassen Hirnzellen absterben – mit der Folge eines entzündlichen Ödems. Es tritt also wässrige Flüssigkeit aus den Blutgefäßen, was das Hirn lebensgefährlich anschwellen lässt. Das wiederum kann die Adern abquetschen und so die Versorgung des Hirns mit Blut stellenweise blockieren, wodurch weitere Nervenzellen abzusterben drohen. »Kühlt man das Hirn jedoch, wird der Stoffwechsel in den plötzlich unterversorgten Hirnzellen heruntergefahren, und ihr Sauer- und Nährstoffbedarf sinkt«, fügt der Notfall- und Tauchmediziner hinzu.
Bei großer Hitze haben manche von uns das Gefühl, das Hirn werde zu Brei zerkocht und somit zur Matschbirne. Das ist – selbst bei Hitzköpfen – zum Glück eine unbegründete Angst. Zwar fördert große Hitze nicht gerade konzentriertes Arbeiten; das Hirn aber bleibt auch bei 45 Grad im Schatten, wie es ist. Das menschlichste aller Organe sei »ein Zwischending zwischen der weicheren Gelatine und dem festeren Kautschuk«, beschreibt Gerald Hüther die Beschaffenheit und Festigkeit unserer Schaltzentrale – und als Fachmann für das Schädelinnere hat er da so seine Erfahrungen.
Dennoch kann das Hirn seine Konsistenz verändern – zum Beispiel, wenn sich eine Hirnarterie schlagartig verschließt. Mediziner sprechen dann von einem Hirninfarkt, der regelmäßig mit neurologischen Ausfällen einhergeht. »Das nicht mehr mit Blut versorgte Hirnareal stirbt ab und zerfällt«, sagt Robert Perneczky, der am Münchner Klinikum rechts der Isar das neurobiologische Labor leitet. Unter Fachleuten ist die Hirnerweichung als »Enzephalomalazie« bekannt.
Schwammartig verändert sich das Gehirn auch bei der letztlich tödlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK), die immer wieder im Zusammenhang mit dem verwandten Rinderwahn (BSE) von sich reden gemacht hat. Sie befällt etwa einen von einer Million Menschen. Hier lagern sich höchstwahrscheinlich Prionen – krankhaft gefaltete Proteine – in Nervenzellen ein und verklumpen dort, was die Funktion der Neuronen schädigt und am Ende den Tod der Zellen erzwingt. Unter dem biochemischen Diktat der Prionen verformen sich unglücklicherweise auch gesunde Proteine in der Nachbarschaft – insofern sind Prionen infektiös. Ist das Leiden weit fortgeschritten, erscheint das befallene Hirn löchrig wie ein feiner Schwamm. Dieses auch bei BSE auftretende Phänomen hat zum Ausdruck »schwammartige Gehirnkrankheit der Rinder« geführt – auf Schlaudeutsch: »Bovine spongifome Enzephalopathie« (BSE).
Entscheidend bei alldem ist: Der künstlich kühle Kopf muss zuerst da sein; erst dann darf der Kreislauf bei einer Operation vorübergehend lahm gelegt werden oder durch einen Unfall ausfallen. Das war zum Glück auch bei jenem kanadischen Grundschulkind der Fall, das »in einen zugefrorenen Fluss eingebrochen war und erst nach über einer Stunde geborgen und wiederbelebt werden konnte«, erinnert sich Muth an einen spektakulären Vorfall aus den 1980er-Jahren. Das Kind überlebte ohne Folgeschäden – und das nach 66 Minuten unter Wasser.
Nach heutigem Kenntnisstand hat bisher kein Mensch einen derart langen Atemstillstand ohne fremde Hilfe überstanden. Erwachsene hätten hier übrigens deutlich schlechtere Karten, weil sie langsamer auskühlen als die üblicherweise schmächtigeren Kinder.