11. LEBEN

wie man sich wieder aufrichtet

Wenn irgendwo in Deutschland ein Sportfunktionär über den Sinn von Leibesübungen sprechen soll, gibt es nur wenige Zitate, mit denen man eher rechnen muss als mit diesem: »In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist.« Woraus folgen würde, dass jeder, der seine sterbliche Hülle zu Lebzeiten ausgiebig stählt und sich vernünftig ernährt, im Oberstübchen einigermaßen auf Zack sein müsste.

Dumm nur, dass der römische Satiriker Juvenal (ca. 60 – 130 n. Chr.) die betreffende Aussage so gar nicht gemacht hat. In Wahrheit enthält sein berühmtes Zitat nämlich den Vorsatz, man müsse »darum beten«, dass in einem gesunden Körper auch ein solcher Geist zu Hause sei (»Orandum est ut sit mens sana in corpore sano.«). Und dennoch: Der Spruch enthält Wahres, auch wenn der Zusammenhang nach Worten des Psychosomatikers Joachim Bauer »nicht so platt« ist, wie viele meinen.

Was wir denken und fühlen, ist die Folge früherer Erfahrungen. Gedanken und Gefühle entwickeln sich laut Bauer »aus der Vorstellung von Erlebnissen und möglichen Handlungen« – man denke nur einmal an die auf heißer Herdplatte verbrannten Finger: Man spürt fast den Schmerz, den eine Wiederholung des Versuchs mit sich brächte. Selbst von etwas zu sprechen, ist nur möglich, wenn an diesem Vorgang Nerven-Netzwerke beteiligt sind, die normalerweise unser Handeln steuern. »Denken und Sprechen ist insgeheim Probehandeln«, urteilt der Freiburger Mediziner. Umgekehrt aktivierten unsere körperlichen Handlungen, Haltungen und Empfindungen »auch die assoziativ dazu gehörenden Gedanken und Gefühle«. Bauer schließt daraus: »Die Seele steckt tief im Körper. Und ein Körper, der sich nicht bewegt, der nicht körperlich empfunden wird, lässt auch große Teile der Seele inaktiviert.« Gesund ist das sicher nicht.

Während es auf den bisherigen Seiten stets darum ging zu verstehen, welche Folgen seelische Vorgänge, Erfahrungen und Eindrücke auf den Körper haben und wie sie dort sozusagen Fleisch werden können, soll dieses letzte Kapitel vom Gegenteil handeln – von der Frage nämlich, ob und inwiefern man die Seele günstig beeinflussen kann, indem man den Körper pflegt, trainiert oder gezielt manipuliert. Bitte keine Angst vor diesem verfemten Wort: Wir manipulieren auch unseren verspannten Nacken schon dadurch, dass wir ihn kneten, oder unsere Augen, indem wir sie reiben.

Den eingangs erwähnten Sportfunktionär würde es sicher freuen, wenn er Folgendes zu lesen oder hören bekäme: »Äußerlich geht es im Sport meist um eine Stärkung des Körpers, aber gerade dies ist innerlich von größter Bedeutung, denn der Körper kann vieles ›verarbeiten‹, was die Seele belastet, sodass die körperliche zugleich eine seelische Sorge ist«, meint der Philosoph Wilhelm Schmid und fügt hinzu: »Da die Seele weit weniger fassbar ist als der Körper, besteht eine Option der Lebenskunst darin, auf dem Umweg über den Körper die Seele zu pflegen, für Psyche also Soma zum Ansatzpunkt zu wählen, Psychosomatik im umgekehrten Sinne.«127 So betrachtet, könne die Physiotherapie »als wahre Psychotherapie erscheinen, der Sport als eine Übung des Körpers zum Zweck einer Pflege der Seele«.

Das wissen nicht nur alle, die auf Fußreflexzonen-Massage schwören oder sich in Wellness-Tempeln mit schaumgetränkten Schwämmen kunstfertig behandeln lassen. Auch Psychotherapeuten und Psychiater empfehlen depressiven oder angstneurotischen Patienten als unterstützende Selbst-Kur maßvollen Ausdauersport, um auf diese Weise Spannungen zu lindern und die Seele zu stärken – unter anderem durch dabei ausgeschüttete opiumähnliche Stimmungsaufheller (Endorphine).

Um zu verstehen, wie wir selbst unsere Seele über unseren Körper beeinflussen können, sollten wir uns noch einmal klarmachen, wie ein psychosomatisches Leiden, das uns piesackt, überhaupt hat aufkommen und sich in uns festsetzen können – und zwar buchstäblich hartnäckig. Schreckliche Einmal-Ereignisse als Auslöser beiseite gelassen, ist es in winzigen Schritten und ganz allmählich geschehen, wie schon der Dichter und Philosoph Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) erkannt hatte. In seinem Werk »Morgenröte – Gedanken über die moralischen Vorurteile« schrieb er: »Die chronischen Krankheiten der Seele entstehen wie die des Leibes, sehr selten nur durch einmalige grobe Vergehungen gegen die Vernunft von Leib und Seele, sondern gewöhnlich durch zahllose unbemerkte kleine Nachlässigkeiten. « Und das gilt für psychosomatische Leiden auch. Zu heilen sind sie meist nur schrittweise und mit Geduld.

Programmwechsel im Heimkino

Weder nur die Haut noch ausschließlich die Augen, sondern der Körper als Ganzes spiegelt die Seele – wie auch die jeweilige Lebensgeschichte. »Wir alle verkörpern unsere Biografie«, sagt der Psychosomatiker Wolf-Jürgen Maurer. »Selbst unsere Gedanken, die ja unsere Seele einfärben, drücken sich in unserer Körperhaltung aus.« Das alles geschehe ganz wesentlich über unsere inneren Bilder. »Wir Menschen denken nicht nackte Gedanken, sondern leben in unseren Vorstellungen und konstruieren uns die Welt, indem wir sie durch Filter wahrnehmen.« So gelangten wir »zu inneren Bildern, die sich auf den Körper auswirken«, schildert der Mediziner den leib-seelischen Vorgang. »Diese Bilder repräsentieren, wie wir uns in Beziehungen erleben, was wir von anderen Menschen halten, wie wir uns selber wahrnehmen, ob wir uns also zum Beispiel selber mögen, ob wir uns groß, klein, schwach oder stark fühlen, fähig oder minderwertig.«

Oft sind solche Bilder mit Schlüsselszenen aus der eigenen Lebensgeschichte verwoben – »in diesen Szenen leben Menschen wie Traumwandler«, berichtet Maurer aus jahrelanger Erfahrung in der Therapie psychosomatisch Erkrankter. »Gerade unsere Patienten hier in der Klinik sind darin wie in einer selbsthypnotischen Trance gefangen«. Bloß lebten sie leider »die ganze Zeit in einer Problem-Trance, will heißen: in der Vergangenheit, in jenem Anteil ihres Lebens, der nicht so gut war«.

Die Betroffenen hocken gewissermaßen in einem inneren Heimkino, das vor allem Katastrophenfilme zeigt. »Und deren Bilder und Szenen schlagen physiologisch durch bis auf die einzelne Körperzelle, wie wir heute aus der Immun- und Stressforschung wissen«, fügt Maurer hinzu.

Auch die moderne Hirnforschung bestätigt das Konzept der meist langsam erworbenen, allmählich verkörperten Leiden – handele es sich nun um die organisch rätselhafte Pein im Kreuz, chronische Nackenschmerzen oder eine bemitleidenswerte Schlaffheit des gesamten Menschen.

»Unsere Körperhaltungen sind an Gefühle gekoppelt, die wir zusammen mit ihnen quasi gelernt haben«, sagt Gerald Hüther. Sei zum Beispiel jemand glücklich, weil er etwas besonders gut hingekriegt hat, schwelle ihm unwillkürlich die Brust vor Stolz. »Die betreffende Haltung wird eingenommen, während auch das für dieses Gefühl verantwortliche emotionale Netzwerk im Hirn mit aktiviert wird«, erklärt der Hirnforscher den Vorgang. »Beides wird dann miteinander verkoppelt.«

Das eigentlich Verblüffende daran: Aktiviert man später absichtlich einen Teil eines solchen Verbundes, etwa die zum Lächeln nötigen Gesichtsmuskeln, werden die anderen Teile quasi mitgerissen – hier also die freudigen Gefühle. »Aber das sind schwache Kräfte, das geht nicht so einfach und selbstverständlich«, schränkt Hüther die möglichen Effekte ein. »Darauf muss man sich einlassen wollen und können.«

Dies gelte auch für die Lachtherapie, die auf manche Menschen schlicht lächerlich wirkt. »Hier sollte man sehr vorsichtig mit einem Urteil sein«, rät der Neurobiologe. Jenen Menschen, die sich dafür öffnen könnten, »mag das etwas bringen«. Besser als das innere Abspulen des immer gleichen Katastrophenfilms dürfte selbstverordnetes Gelächter aber allemal sein.

Lachen für den guten Zweck

Man sieht sie bei Kälte und Dauerregen auf der Straße, frühmorgens in der Straßenbahn oder im Auto vor der roten Ampel: griesgrämig blickende Menschen. So ist es halt manchmal. Nicht jeder ist stets so frohgemut, wie es Eduard Mörike (1804 – 1875) einmal war, als er ausgerechnet »an einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang« (so der Titel seines Gedichts) eine » flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe« bejubelte, in welcher der Dichter zu allem Überfluss auch noch »von sanfter Wollust« seines Daseins glühte. Aber auch solche schwülstigen Glückstage gibt es ja gelegentlich.

Wenn Verdruss ein gelegentlicher Gast im Leben bleibt, sei es ihm gegönnt. Gefährlich wird es aber, wenn er gar nicht mehr weichen will – und wenn sich die Mürrischkeit in unser Gesicht zu graben beginnt. Man könnte sich nämlich glatt daran gewöhnen. Dann wird aus der vergänglichen Miene ein Gesichtszug.

»Was man oft macht, vernetzt sich im Gehirn verstärkt – bildlich gesprochen: in Form von stark befahrenen Nerven-Autobahnen, von denen man irgendwann kaum noch runterkommt«, weiß Wolf-Jürgen Maurer nur allzu gut. »Zuerst machen wir unsere Gewohnheiten, und dann machen die Gewohnheiten uns – und das spiegelt sich auch in unserer Mimik. « Deren Ausdruck entstehe schließlich durch das Spiel der Gesichtsmuskeln, auf die unsere Psyche einwirkt. »Wenn ich nichts von mir halte, werde ich auch dementsprechend aus der Wäsche gucken – weshalb wir Psychosomatiker ja auch sagen, ab einem Alter von 40 Jahren ist jeder für sein Gesicht selbst zuständig«, frotzelt der Chefarzt.

Wenn das stimmt, ließe es einen reizvollen Schluss zu: Wir könnten ab und an auch mal lächeln, statt bloß ausdruckslos vor uns hinzustarren – es muss ja nicht gerade beim Begräbnis der Mutter sein.

Dass wir oft lachen oder zumindest lächeln, wenn wir guter Dinge sind, pfeifen die Spatzen von den Dächern (wenigstens dort, wo es noch Haussperlinge gibt; ersatzweise nehme man Kohl- oder Blaumeisen). Doch könnte es sein, dass wir uns auch gleich besser fühlen, wenn wir lachen?

Zumindest die Initiatoren des Weltlachtages behaupten das. Seit 1998 rufen sie am ersten Sonntag im Mai weltweit möglichst viele Menschen dazu auf, Schlag 14 Uhr stolze drei Minuten lang lauthals zu lachen. Erfinder des »Lachyogas«, das auch den Weltfrieden fördern soll, ist der indische Arzt Madan Kataria. In Bombay gründete er 1995 den ersten Lachclub; drei Jahre später brach dort auch das erste organisierte Massengelächter los. Inzwischen gibt es weltweit über 6.000 Lachvereine.

Als Gründer und Wegbereiter der Lachforschung (Gelatologie) gilt der 1924 geborene US-amerikanische Psychiater William F. Fry von der kalifornischen Stanford-Universität. Von vielen Fachkollegen belächelt, entnahm er sich in den 1960er-Jahren bei einem Selbstversuch Blut, während er eine Slapstick-Komödie mit Stan Laurel und Oliver Hardy anschaute. Seine Erkenntnis nach der Blutuntersuchung: Lachen regt das Immunsystem an – und zwar über Stunden hinweg.

Gelatologen führen aber noch mehr Argumente fürs therapeutische Lachen ins Feld: Es erhöhe den Sauerstoffgehalt im Hirn, weil die Atemfrequenz zunimmt; es baue Stress ab, setze schmerzstillende und entzündungshemmende Stoffe ins Blut frei und steigere generell das Wohlbefinden. Und während die Bauchmuskulatur sich beim Gelächter anspannt, entspannen andere Muskeln – für Fry der Grund, warum manche Kinder beim kräftigen Lachen hinfallen und lauthals wiehernde Erwachsene sich bisweilen abstützen müssen.

Insgesamt ist die Studienlage zu den heilenden Effekten des Gelächters noch dürftig. Bei einem einjährigen Versuch an der Loma Linda University in Kalifornien mussten 20 an Diabetes-2 erkrankte Patienten, also Zuckerkranke, täglich mindestens eine halbe Stunde lang TV-Sendungen anschauen, die sie lustig fanden – zusätzlich zur Einnahme ihrer Medikamente. Einer Kontrollgruppe enthielten die Versuchsleiter Lee Berk und Stanley Tan den Fernsehkonsum vor. Wie die TV-Gruppe litten auch die Kontroll-Patienten zusätzlich an Bluthochdruck und wiesen überhöhte Werte an gesundheitsbedenklichem Cholesterin (LDL) auf.128

Die Folgen waren überraschend: Schon nach zwei Monaten war im Blut der Fernsehgruppe der Gehalt an gesundheitlich günstigem Cholesterin (HDL) sehr viel stärker angestiegen als in der Kontrollgruppe (plus 26 gegenüber plus 3 Prozent). Obendrein war das Blut der Fernsehzuschauer nach weiteren zwei Monaten deutlich ärmer an Stoffen geworden, die im Körper Schaden anrichten können – nämlich an bestimmten Stresshormonen sowie an einem Entzündungsmarker namens CRP (C-reaktives Protein). Dieser wird von der Leber bei schweren Infektionen gebildet und ins Blut ausgeschüttet. Schwimmt davon aber ständig viel im Blutstrom mit, ohne dass der Körper mit einer akuten Entzündung ringt, droht der Betreffende wegen eines erhöhten Arteriosklerose-Risikos eher einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden.

Nach Meinung von Helmut Schatz, dem Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, mag es durchaus sein, dass Lachtherapie bei Typ-2-Diabetes – zusätzlich zur etablierten Standardbehandlung – einen gewissen Beitrag zur Verhinderung diabetischer Gefäßkomplikationen leisten kann«. Doch gebe es hierfür »allenfalls schwache Hinweise«, fügt er hinzu. »Schaden kann Lachen jedoch wohl keinesfalls.«

Zumindest erheitert es und fördert so das Wohlbefinden. »Lachen wirkt angstlösend, verhilft zu Entspannung und beeinflusst den Gefühlshaushalt positiv«, urteilt die Oberärztin Petra Garlipp von der Medizinischen Hochschule Hannover. Zwar helfe es nicht gegen eine Depression, entfalte aber bei alltäglicher Traurigkeit »durchaus eine Schutzwirkung«, findet die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. »Dinge, die man sonst als problematisch bewertet, sieht man beim Lachen mit anderen Augen.« Darauf hoffen auch jene Krankenhaus-Verantwortlichen, die ihre kleinen Patienten von den mittlerweile weit verbreiteten Klinik-Clowns erheitern und so von ihrem Leiden ablenken lassen. Mit diesen Spaßmachern hat man Garlipp zufolge » sehr gute Erfahrungen gemacht«.129

Brust raus, Kopf hoch

Manchen Menschen muss man bloß einen bunten Karnevalsorden umhängen, schon werfen sie sich in die Brust – umso überzeugter, je mehr Publikum sie haben. Das mag albern wirken; dumm ist es deshalb noch nicht. Sich ab und an bewusst zu brüsten, kann einem gut tun – gerade, wenn man geknickt ist.

»Jedes Gefühl geht mit einer körperlichen Begleitreaktion einher – das ist über die Nerven so verschaltet«, sagt Wolf-Jürgen Maurer. Gedanken und Gefühle erzeugten deshalb körperliche Motivationsimpulse bis in die Muskeln hinein – und zwar in fixierten Mustern. Wer sich depressiv und niedergeschlagen fühlt, wird sich deshalb nicht kerzengerade, mit vor Stolz geschwellter Brust und gerecktem Kinn hinstellen und verkünden, er sei depressiv. »Das geht nicht, weil man es so nun mal nicht empfindet«, betont der Leib-Seele-Spezialist. Genauso wenig könnten wir Angst verspüren, wenn unsere Muskeln völlig entspannt sind. »Das Ehrlichste, was wir haben, ist unsere Körpersprache; hier können wir weder anderen noch uns selbst etwas vormachen.«

Das Gefühl bestimmt also die Haltung. Wenn jemand niedergeschlagen ist, dann hält er automatisch den Kopf gesenkt, knickt in den Knien ein, lässt die Schultern und die Mundwinkel hängen. Doch das funktioniert verblüffenderweise auch umgekehrt: »Selbst wenn jemand, dem es gerade gut geht, eine solche Depressionshaltung einnimmt, sinkt seine Stimmung nach etwa einer Viertelstunde«, weiß Maurer aus langer ärztlicher Erfahrung. Diesen Mechanismus aber könne man nutzen, »um die eigene seelische Verfassung zu verändern, denn den Körper hat man ja immer dabei, und er lässt sich, anders als meistens die Gefühle, direkt und bewusst beeinflussen« – und zwar über geeignete Handlungen und die passende Körper-Haltung.

»Mit Patienten übe ich in solchen Fällen eine Problemlösungs-Gymnastik ein«, berichtet der Scheidegger Mediziner. »Ich spiegele ihnen, wie verkrümmt sie dasitzen, wie niedergeschlagen sie nicht nur sind, sondern auch wirken. Und dann frage ich sie, wie sie ihren Kopf und die Schultern wohl halten würden, wenn es ihnen besser ginge, auch wie sie atmen und sitzen würden. Dann üben wir das zusammen ein und wechseln immer wieder zwischen der Problemhaltung und der Lösungshaltung. «

Es ist dabei wichtig für die Patienten, erst einmal zu spüren, wie sie sich normalerweise verkrampfen, wie halsstarrig und verbogen und bedrückt sie sich halten und wie sie sich aus dieser Haltung befreien und neu ausrichten können. »Sie fühlen sich dann auch eindeutig anders«, sagt Maurer. »Ich selbst spüre das alltäglich.«

Hirnforscher könnten solche Phänomene heute mit modernen bildgebenden Verfahren – zum Beispiel mit funktioneller Kernspintomographie – nachweisen, indem sie Veränderungen im Hirn beobachten, während jemand sich anders hält oder seine Gestik und Mimik verändert. »Wenn man nur eine Viertelstunde lang sein eigenes Spiegelbild anlächelt, verändert sich schon im sogenannten Belohnungszentrum des Gehirns etwas deutlich, sodass verstärkt Wohlfühlhormone wie Serotonin und Dopamin ins Blut ausgeschüttet werden«, fügt Maurer hinzu und klingt dabei begeistert von den daraus folgenden Möglichkeiten für die Medizin.

Körper und Geist bewegen

Der Philosoph Wilhelm Schmid rät in seinem schon mehrfach erwähnten Buch über die Lebenskunst, sich im wahrsten Sinne des Wortes »gehen zu lassen«, und zwar täglich, »um so die »Zirkulation der Lebenskräfte« mithilfe des Körpers wieder in Gang zu bringen – übrigens auch, um Spannungen abzubauen und klares Denken zu fördern.130 »Gehen ist eine Möglichkeit, das Nächste zu tun, um das Fernste wieder in den Blick zu bekommen«, urteilt Schmid. Er zitiert den Philosophen Michel de Montaigne, der in seinem Essay »Über dreierlei Umgang« von sich sagte, »mein Geist rührt sich nicht, wenn meine Beine ihn nicht bewegen«.

Aus demselben Grund dürfte es leichter sein, mit einem Freund oder einer Bekannten ein Problem zu besprechen, in dem man zusammen spazieren geht oder wandert – der Puste wegen nicht allzu heftig. Und hinterher geht es einem nicht selten besser. So könnte man also demnächst auf die routinierte Frage, wie es einem denn gehe, für den Fragesteller verblüffend antworten: »Täglich vier Kilometer – immer zur Arbeit und wieder nach Hause!«

Man muss nämlich keine athletischen Ruhmestaten vollbringen, um dem Körper und damit auch der Seele etwas Gutes zu tun. In seinem Buch über die Heilsamkeit der Bewegung hat der Wissenschaftsjournalist Jörg Blech überzeugend dargelegt, dass schon kleinere, alltägliche Anstrengungen enorm wohltuend wirken und sogar das Leben verlängern können. Auch die Geisteskraft profitiert vom Aufstand gegen die Bequemlichkeit und einem Maulkorb für den inneren Schweinehund, der so gerne gegen jede mühsame Veränderung ankläfft. »Wer seine Muskeln trainiert, der flutet seine grauen Zellen geradezu mit frischen Nähr- und Wuchsstoffen«, schreibt der Biologe. Dadurch wüchsen neue, besonders lernfähige Nervenzellen, die nur dann wieder zugrunde gingen, wenn man sie nicht benutze. Blechs Fazit: »Es ist auch der Körper, der sich den Geist baut.«131 Bloß aufhören darf die Arbeit auf dieser Baustelle nicht.

Öfter mal durchatmen

Wann haben Sie das letzte Mal so richtig befreit aufgeatmet? Und man könnte dieser Frage in unseren Tagen eine zweite hinterherschicken: Wann haben wir Bewegungsmuffel zuletzt überhaupt richtig Luft geholt? Als Stubenhocker und Computerspieler, Fernsehglotzer und Autofahrer, Rolltreppen- und Liftbenutzer sind wir zu einem Volk der Flachatmer geworden, das sein mögliches Lungenvolumen selten ausschöpft.

Wer will auch schon zu Fuß die vier Stockwerke zum Chefbüro hinaufhasten und oben, heftig keuchend, wirken wie ein gehetzter und also vermeintlich unsouveräner Mensch? Dabei wollen uns unsere Vorgesetzten mit ihren Büros in luftiger Höhe doch nur helfen, arbeitsbedingte Anspannung sinnvoll abzubauen. Oder sollte es andere Gründe dafür geben, dass man immer »hoch zum Chef« muss, statt hinab ins Erdgeschoss?

Vor über 130 Jahren hat sich kein Geringerer als Friedrich Nietzsche mit den Segnungen gesunden Atmens befasst und in seiner »Morgenröte« etwas drastisch notiert: »Wer zum Beispiel Tag für Tag um einen noch so unbedeutenden Grad zu schwach atmet und zu wenig Luft in die Lunge nimmt, sodass sie als Ganzes nicht hinreichend angestrengt und geübt wird, trägt endlich ein chronisches Lungenleiden davon.«132

Erstaunlich weitsichtig aber hat der schnauzbärtige Philosoph auch schon den Ausweg aus dem flachen Atmen angedeutet und gewusst, dass die Kur eine langwierige sein wird. Denn die Heilung könne »in einem solchen Falle … auf keinem anderen Wege erfolgen, als dass wiederum zahllose kleine Übungen des Gegentheils vorgenommen und unvermerkt andere Gewohnheiten gepflegt werden, zum Beispiel, wenn man sich zur Regel macht, alle Viertelstunden des Tages einmal stark und tief aufzuathmen (womöglich platt am Boden liegend; eine Uhr, welche die Viertelstunden schlägt, muss dabei zur Lebensgefährtin gewählt werden)«.

Nietzsche macht seinen Lesern wohlweislich keine Hoffnung, der Weg zur Besserung sei ein Zuckerschlecken: »Langsam und kleinlich sind alle diese Curen; auch wer seine Seele heilen will, soll über die Veränderung der kleinsten Gewohnheiten nachdenken.«

Wir sollten also öfter mal bewusst Atem schöpfen, nicht nur vor oder nach großen Anstrengungen. Es kann befreiend wirken und dabei helfen, unsere Aufgaben mit langem Atem zu erfüllen, ohne im Brustkorb zu verspannen. Und davon abgesehen: Es reicht, dass wir unser Leben aushauchen müssen. So lange wir auf Erden umherwuseln, dürfen wir uns ruhig kräftig Luft verschaffen.

Sich einfach jünger fühlen

»Man ist so alt, wie man sich fühlt«: Dieser Spruch kommt immer so daher, als wolle sein Urheber sich selbst einreden, jünger zu sein als nach Faktenlage. Doch was sind die Fakten? Nun gut, da ist das Geburtsdatum, nachzulesen im Personalausweis. Von da an jedoch fällt eine gute Antwort schon schwerer.

Niemand kann das Altern verhindern, doch die Weise, wie man darüber denkt, lässt sich mit gutem Willen beeinflussen. Motivierend wirken können hier die Ergebnisse einer Studie von Forschern um die Psychologin Becca Levy von der Yale University im US-Bundesstaat Connecticut.

Die Wissenschaftler hatten im Jahr 1975 mehr als 650 Menschen im vorgerückten Alter einen Fragebogen ausfüllen lassen, mit dem ihre Ansichten übers Alter und das Älterwerden ermittelt wurden. 23 Jahre später fanden Levy und ihre Mitstreiter heraus, dass jene Menschen, die positiv übers Altern dachten, durchschnittlich 7,5 Jahre länger gelebt hatten. Offenbar war auch ihr Lebenswille stärker gewesen.133 Es bleibt freilich die 5-Millionen-Dollar-Frage: Wie schafft man es, positiv übers Alter zu denken, wenn man es nicht ohnehin schon tut?

Vielleicht hilft es ja, sich das Altwerden durch ein paar Tricks und Kniffe leichter zu machen – und sich nicht ständig mit dem neuesten Tüttelkram aus dem Elektromarkt zu überfordern. In ihrem Buch »Counterclockwise« (gegen den Uhrzeigersinn) beschreibt Ellen Langer die faszinierenden Zusammenhänge zwischen einem geänderten Lebensumfeld und den Folgen für das persönliche Altersgefühl. In einer Aufsehen erregenden Studie hatte die US-Psychologin von der berühmten Harvard University schon vor über dreißig Jahren zeigen können, dass Menschen sich plötzlich viel jünger fühlen können, wenn ihre Lebensumstände altersgemäß sind und deshalb besser zu ihnen passen.134

Im Jahr 1979 lud Langer eine Reihe von Männern im Alter von ungefähr 80 Jahren dazu ein, sieben Tage in einem abgelegenen Kloster im US-Bundesstaat New Hampshire zu verbringen. Dessen Inneneinrichtung hatten die Wissenschaftler so täuschend echt verändert, als schreibe man gerade das Jahr 1959 – nicht 1979. Im Fernsehen liefen Schwarzweiß-Filme, und es erklang Jazz-Musik von Nat »King« Cole (1917 – 1965).

Das Ergebnis verblüfft noch heute: Die Versuchsteilnehmer wirkten am Ende auf Fotos nicht nur jünger auf neutrale Betrachter; ihre geistigen Kräfte waren auch messbar gestiegen. Zudem plagte sie ihre Arthritis in den Handgelenken weniger, und sie konnten die Hände geschickter als zuvor bewegen. Anders ausgedrückt: Das Experiment hatte die Lebensuhr der Versuchsteilnehmer um Jahre zurückgedreht – zumindest fühlten die alten Herren sich so.

In einem weiteren eindrucksvollen Versuch nahm sich Langer die Wandelbarkeit der Sehschärfe vor – und machte sich dabei einen genialen Trick zunutze: Sie drehte vor dem Experiment eine jener Sehtest-Tafeln, wie sie Augenärzte noch heute einsetzen, einfach um, so dass nunmehr die Buchstaben-Reihen von oben nach unten nicht immer kleiner, sondern stets größer wurden und somit zunehmend leichter zu lesen waren.135

Und siehe da: Plötzlich konnten die Testpersonen noch Schriftzeichen erkennen, an denen sie zuvor gescheitert waren. Ihre Sehkraft hatte sich tatsächlich verbessert – und zwar nur dadurch, dass die Versuchsteilnehmer ihren Augen mehr zutrauten. Denn nun konnten sie sich darauf verlassen, dass die Wahrscheinlichkeit, die Buchstaben entziffern zu können, von oben nach unten immer größer werden würde – statt wie sonst immer kleiner.

Während die Testpersonen bei einer wie üblich angeordneten Tafel wussten, dass sie bald scheitern würden, waren sie nun gewiss, demnächst etwas korrekt erkennen zu können – ein Paradebeispiel für die Macht unserer Erwartungen und das Potenzial der Positiven Psychologie. Vertreter dieser Therapie-Richtung richten das Augenmerk ihrer Patienten auf noch vorhandene Kompetenzen statt auf nicht oder kaum mehr beeinflussbare Defizite.

So kann man alte Menschen beispielsweise nach Stürzen nachdrücklich ermuntern, sich jetzt bloß nicht ängstlich hängen zu lassen, was ihre Fähigkeiten bloß weiter vermindern würde, worauf sie sich noch weniger zutrauen – ein fataler Teufelskreis aus Angst und galoppierender Inkompetenz.

Und nach der gleichen Marschroute kann man ihnen durch Mobiltelefone mit großzügig bemessenen Tasten oder Milchkartons mit griffigen Verschlüssen das Gefühl geben, ihr Leben noch eine ganze Zeit lang prima meistern zu können.

Stattdessen aber lassen gedankenlose Produktdesigner die alten Herrschaften an hirnrissig kleinen Tasten und winzigen Drehverschlüssen regelmäßig verzweifeln. Mögen sie deshalb selbst recht früh unnötig alt aussehen!