»Immer wenn ich diesen Quatsch mit der Psychosomatik höre, dreht sich mir der Magen um . . .«
(ein Arzt auf einem Mediziner-Kongress zu seinem Kollegen)1
Er hat keine Medizin studiert, plappert munter drauf los, haut manchmal daneben, liegt aber erstaunlich oft richtig: Der Volksmund wagt sich Tag für Tag an Diagnosen, die Ärzte allenfalls nach gründlicher Untersuchung fällen würden: Da läuft die Galle über, zerreißt ein Herz, stockt das Blut in den Adern und macht sich ein garstiger Kloß im Magen breit, obwohl man gar keinen gegessen hat.
Viele dieser Redensarten sind seit Generationen gebräuchlich – einige seit dem Mittelalter. So manche Wendung ist allerdings wissenschaftlich überholt, hatte nie einen medizinischen Hintersinn oder diente seit jeher bloß dazu, Gefühle anschaulich zu umschreiben. Vorgänge im Körper, die den Sprachbildern entsprechen, sind zwar häufig zu finden, aber längst nicht immer.
Hat zum Beispiel jemand ein Brett vorm Kopf, dann ist nicht etwa seine Sicht vernagelt. Der seltsame Ausdruck stammt vermutlich aus althergebrachter Viehwirtschaft. »Störrischen Ochsen wurde früher ein Brett vor die Augen gehängt, um ihr Blickfeld einzuengen«, findet sich als Erklärung im »Lexikon der Redensarten«2. Und Zugochsen gelten nun mal – zu Recht oder Unrecht — als eher dumpfe Tiere.
Andere Körperbilder haben technische Vorgänge zum Vorbild. So leitet sich das Ansinnen, endlich einmal Dampf abzulassen , offensichtlich von der Dampfmaschine her. Dahinter steckt der Wunsch, inneren Druck loswerden, mithin angestaute Handlungsenergie, die sich in Taten austoben will.
Körper-Sprachbilder des Volksmundes dürfen also nicht wörtlich genommen werden; schon gar nicht beweisen sie die nahegelegten seelisch-physiologischen Zusammenhänge. Keineswegs etwa gefriert uns das Blut in den Adern, wenn wir erschrecken. Hier entlehnt der Volksmund ein Bild aus der Natur und vergleicht die Schockstarre des Körpers mit dem Zufrieren eines Flusses. Aber stocken kann das Blut eines Geängstigten sehr wohl in den Gefäßen, wie noch zu sehen sein wird.
Werden lustvolle oder aggressive Handlungsimpulse ständig unterdrückt und die Seele folglich ausgebremst, kann das den Körper erkranken oder zumindest schmerzen lassen. Je nach Studie leiden etwa 10 bis 15 Prozent der Bundesbürger, also etwa jeder achte, an Gesundheitsstörungen, für welche Mediziner keine körperliche Ursache finden. Das ist schon deshalb unbefriedigend, weil jeder dritte oder vierte Besucher einer Arztpraxis über solche unklaren, vermutlich seelisch verursachten oder zumindest beeinflussten Störungen seiner Körperfunktionen klagt.
Fachleute nennen diese Erscheinungen psychosomatisch – die Seele (Psyche) und den Körper (Soma) betreffend. Dazu kommt es, »wenn sich ein innerer Konflikt in einen körperlichen Ausdruck verwandelt und sich sozusagen in dem Symptom symbolisch zeigt«, sagt Kurt Fritzsche, Oberarzt an der Freiburger Uni-Klinik für psychosomatische Medizin. Ein simples, aber sehr verbreitetes Beispiel hierfür ist stressbedingter Rückenschmerz.
Noch immer drohen Menschen, deren Körper — und dies nicht selten chronisch – unter seelischen Konflikten leidet, als Simulanten gebrandmarkt zu werden. Ihre Beschwerden mögen erst einmal rätselhaft wirken, aber sie zwicken, piesacken oder quälen die Betroffenen in aller Regel wirklich. »Psychosomatische Störungen sind keine eingebildeten, sondern reale Erkrankungen mit vielen, zum Teil gravierenden Beschwerden, die ernst zu nehmen sind«, urteilt der Internist und Psychotherapeut Burghard Klapp, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik der Charité in Berlin.3
Körper-Seele-Reaktionen sind seit jeher derart typisch für die Menschennatur, dass die Alltagsprache seit Jahrhunderten beredtes Zeugnis davon ablegt. Allerdings würden Wendungen wie ehrliche Haut, geknickter Mensch oder starrsinniger Kerl »selten reflektiert«, urteilt die Germanistin und Kulturwissenschaftlerin Claudia Benthien von der Universität Hamburg.5 Dabei wussten Gelehrte schon in der Antike, wie eng die Seele und der Körper zusammengehören und dass Wohlbefinden nur möglich ist, solange beide im Einklang miteinander sind. Nur die moderne Apparatemedizin tut noch häufig so, als gelte dies nicht, und schraubt einseitig am Körper herum.
Dieses Buch ergründet anhand vieler Beispiele, wo der Volksmund recht hat — und wo er irrt. Dass die Wahrheit meist irgendwo dazwischen liegt, macht es nicht weniger spannend, sich ihr zu nähern. Dabei werden Redensarten über Körper und Seele auch mal ganz wörtlich genommen, sodass – hoffentlich – Unerwartetes zur Sprache kommt. Die einzelnen Haupt- und Unterkapitel müssen nicht in der angebotenen Reihenfolge gelesen werden: Springen Sie ruhig dorthinein, wohin Ihr größtes Interesse Sie zunächst verlockt.
Etliche Mediziner, Forscher und Psychologen haben mir bei diesem Buch geholfen und geduldig immer wieder Nachfragen beantwortet – darunter durchaus sonderbare, zumindest aus Sicht der Befragten. Schade, dass ich das Stirnrunzeln und die skeptischen Blicke meiner Gesprächspartner durchs Telefon nicht sehen konnte ...
Nicht alle Ärztinnen und Ärzte, die meisten von ihnen in Leitungsfunktion an Universitäts- und Privatkliniken, kann ich hier erwähnen. Aber mit allen, die sich in diesem Buch ohne Quellenangabe finden, habe ich persönlich sprechen oder mich schriftlich austauschen dürfen – darunter sogar der Veterinär der Stuttgarter Wilhelma, der mir von den überraschenden Eigenschaften der Elefantenhaut berichtet hat. Ihnen allen sei von Herzen gedankt!
Einige besonders beanspruchte Fachleute möchte ich namentlich erwähnen, und zwar mit ihrem für mich wichtigsten Zuständigkeitsbereich: Ich danke also sehr herzlich Uwe Gieler (Hautmedizin), Wolf-Jürgen Maurer (Psychosomatik), Hedwig Josefine Kaiser (Augenheilkunde), Georg Titscher (Psychokardiologie), Robert Perneczky (Demenzforschung), Manfred Stelzig (Psychosomatik), Walter H. Hörl (Nierenheilkunde), und Gerald Hüther (Neurobiologie). Dasselbe gilt für Helmut Schatz (Diabetologie), Roland Laszig (HNO-Medizin), Jochen Jordan (Psychokardiologie), Gabriele Moser (Gastroenterologie), Dirk Eichelberg (Haut- und Haarmedizin), Roland Reinehr (Gastroenterologie), Hartmut Göbel (Schmerzkunde) und Ludwig Thierfelder (Augen und Psyche). Zu Dank verpflichtet bin ich auch Klaus-Michael Taube (Hautmedizin), Thomas Hummel (Riechen und Schmecken), Wolfgang Harth (Hautmedizin), Christian Peschel (Hämatologie), Roland von Känel (Psychosomatik /Innere Medizin), Claus-Martin Muth (Anästhesie), Emeran Mayer (Gastroenterologie), Christian Schyma (Rechtsmedizin) und Ludger Tebartz van Elst (Neuropsychiatrie). Ohne diese hilfsbereiten Fachleute wäre mein Buch niemals entstanden.
Ganz besonders danke ich dem Arzt und Neurobiologen Joachim Bauer von der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Uni-Klinik Freiburg. Er hat sich — neben anderem – die Mühe gemacht, das Manuskript kurz vor dessen Abschluss gegenzulesen, wofür ich ihm sehr verbunden bin.
Walter Schmidt
Bonn, im Herbst 2010