Zwar habe ich 2002 die Verbraucherschutzorganisation foodwatch gegründet und mich als deren Geschäftsführer zwei Jahrzehnte lang mit Lebensmitteln beschäftigt, aber selbst als »Experte« muss ich mir durch Internetrecherche immer wieder in Erinnerung rufen oder neu erarbeiten, was einen Direktsaft von einem Saft aus Fruchtsaftkonzentrat unterscheidet, was genau einen Fruchtnektar auszeichnet und was eine Limonade. Und wenn man sich dann durch die Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeverordnung (FrSaftErfrischGetrV) gekämpft hat, wenn man die einschlägigen Leitsätze der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission gelesen und schließlich verstanden hat, dass Fruchtsaftgetränke zu einer ganz anderen Kategorie gehören als Fruchtsäfte – nämlich zu den Erfrischungsgetränken, zusammen mit Limonaden, Brausen und Fruchtschorlen –, dann stellt man sich die Frage, wem solch ein Verwirrspiel nutzt.
Meine These lautet daher: Die Saft- und Getränkemacher wollen genau das: die überforderte, unwissende und insofern manipulierbare Kundin. Das Umfeld dafür ist leider ideal: eine Lebensmittelbuch-Kommission, in der die Verbraucher nur ein Viertel der Stimmen stellen; Gesetze, die Täuschung und Irreführung zwar verhindern sollen, aber nicht durchgesetzt werden; dazu ein hochkonzentrierter Markt sowohl bei den Lebensmittelhändlerinnen als auch bei den Getränkeproduzenten.
Märkte mit wenigen Anbieterinnen sind eben nicht gut für Verbraucher, und das gilt auch für die Getränkeindustrie. In den 1950er Jahren zählte die deutsche Fruchtsaftbranche noch rund 1600 Betriebe, heute sind es nur noch etwa 360, wobei ganze sieben Unternehmen gut 70 Prozent des Branchenumsatzes auf sich vereinen. [1] Das bedeutet: Die Claims sind weitgehend abgesteckt. Hinzu kommt, dass in keinem anderen Land pro Kopf so viel Fruchtsäfte und -nektare getrunken werden (rund 30 Liter pro Jahr) wie in Deutschland. Wer es in einem derart gesättigten und längst aufgeteilten Markt als Herstellerin in die ohnehin übervollen Regale der vier marktbeherrschenden Handelskonzerne schaffen will, kann neue Marktanteile eigentlich nur noch mit fragwürdigen neuen Rezepturen und windigen Versprechen ergattern. Volkswirtschaftler sprechen von Scheininnovationen.
Eine solche Scheininnovation ist zum Beispiel die relativ junge Gattung der Near-Water-Getränke. Das sind Modedrinks, die man als aufgepepptes, völlig überteuertes Wasser beschreiben kann. Sie verheißen Sportlichkeit, Vitalität und Gesundheit, obwohl sie nicht selten überraschend kalorienreich sind. Sie enthalten oft das zahnangreifende Säuerungsmittel Citronensäure, dazu Konservierungsstoffe und Farbstoffe. Sie werden mit Obstnamen und großen Fruchtabbildungen von Maracuja bis Mango beworben, obwohl der fruchtige Geschmack meist nicht aus echten Früchten kommt, sondern aus billigen Aromazusätzen in geringsten Mengen. [2]
Für Verbraucherinnen ist der Geschmack das wichtigste Qualitätskriterium, doch mit Aromen werden sie oft schamlos in die Irre geführt. Das verstößt nicht nur gegen das allgemeine Täuschungsverbot des europäischen Lebensmittelrechts, sondern auch gegen die Aromen-Verordnung selbst, die eine »stets angemessene« Kennzeichnung der Aromen verlangt. Die Tatsache, dass sogar Direktsäfte keine »echten« Säfte sind, sondern zwecks Haltbarkeit erhitzt und dann rearomatisiert werden dürfen, ohne dass dies auf dem Etikett erscheinen muss, belegt, dass das im Gesetz geforderte Irreführungsverbot nicht umgesetzt ist.