Die Basiszutat: E-Nummern

Die Produktion verarbeiteter Lebensmittel im industriellen Maßstab und deren Vermarktung in den Supermärkten wären ohne Zusatzstoffe, Enzyme und andere Verarbeitungshilfsstoffe undenkbar. Herstellerinnen und Händler argumentieren zwar gern, all diese Zugaben verbesserten die Qualität der Produkte. Das trifft aber nur zu, wenn man Qualität definiert als »Verkaufbarkeit haltbarer und geschmacksverstärkter verarbeiteter Lebensmittel zu günstigen Preisen«. Anders ausgedrückt: Die meisten Zugaben sind nicht deshalb in den Lebensmitteln enthalten, weil sie deren geschmackliche oder Nährwert-Qualität steigern, sondern um die Produkte billiger, haltbar, genießbar, ansehnlich, verkaufbar und überhaupt erst herstellbar zu machen: Dank der Zusatzstoffe können die Maschinen schneller laufen; mit Hilfe von Enzymen lassen sich Früchte und Gemüse maschinell schälen; sogenannte Rieselhilfen wie Aluminiumsilikat oder Natriumferrocyanid sorgen dafür, dass Stoffmassen nicht verklumpen; Emulgatoren machen es möglich, große Mengen Wasser unbemerkt ins Produkt zu schmuggeln. So viel ist klar: Der Einsatz von Zusatzstoffen orientiert sich eindeutig an den Interessen der Herstellerinnen und Supermärkte und nicht an den Qualitätserwartungen und gesundheitlichen Interessen der Verbraucher.

Das beste Beispiel dafür ist der seit vielen Jahren verwendete, aber erst seit August 2022 verbotene Zusatzstoff E 171, bekannt unter dem Namen Titandioxid, für den eine erbgutschädigende Wirkung (Genotoxizität) nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Titandioxid ist in Kosmetika, Wandfarben, Sonnencremes und Arzneimitteln enthalten, aber eben auch in Lebensmitteln, in denen es als weißer Farbstoff verwendet wird und Essbares visuell ansprechender machen soll. Dazu gehören feine Backwaren, Brühen und Soßen für Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche oder Suppen, Salatsoßen und herzhafte Brotaufstriche für Kinder, Erwachsene und ältere Menschen. Verarbeitete Nüsse, Kaugummis, Süßigkeiten und Überzüge enthalten ebenfalls Titandioxid. Nach einer Neubewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA ) kann der Lebensmittelzusatzstoff nicht länger als sicher angesehen werden, weil sich »nach oraler Aufnahme (…) Titandioxidpartikel (…) im Körper ansammeln können«. Dort kann die chemische Substanz die DNA schädigen und zu karzinogenen Wirkungen führen. Und das nur, damit Lebensmittel schön weiß aussehen und sich besser verkaufen lassen! [1]

Das Beispiel ist umso skandalöser, wenn man in die europäische Zusatzstoff-Verordnung schaut. [2] Denn dort steht, dass ein Lebensmittelzusatzstoff nur dann zulässig ist, wenn die Dosis für die Verbraucherinnen gesundheitlich unbedenklich ist, wenn eine hinreichende technische Notwendigkeit für den Zusatzstoff besteht und keine anderen wirtschaftlich und technisch praktikablen Methoden zur Verfügung stehen, und – Achtung – wenn die Zusatzstoffe den Verbrauchern »Vorteile bringen« und ihre Verwendung die Verbraucherinnen »nicht irreführt«. Die Frage lautet also, welcher »Vorteil« für den Verbraucher darin bestehen könnte, mit Titandioxid angereicherte Backwaren zu essen oder Mini-Knödel aus der Tüte, die nur einen Hauch von Frischkäse enthalten oder Eis aus Kokosfett, entrahmter Milch und vielen Aromen? Und ob die damit zwangsläufig einhergehenden Zusatzstoffe die Käuferin nicht insofern grundsätzlich in die Irre führen, als eine nicht vorhandene Qualität vorgetäuscht wird.

An dieser Stelle ist auch die Kritik am Fernsehnachkocher Sebastian Lege fällig. Bei allem kritischen Reden über die »Tricks« und »Fake-Produkte« der Lebensmittelindustrie klingt der Experte nämlich manchmal so, als kämen ihm die Kritisierten doch irgendwie ganz schön pfiffig vor, als würde er die tricky Kolleginnen in den Versuchsküchen der Hersteller insgeheim ein wenig bewundern, nach dem Motto: Nicht schlecht, was denen so alles einfällt! Was man sich von ihm außerdem wünschen würde, ist ein deutlicherer Hinweis auf die Komplizenschaft der Supermarktketten beim fortgesetzten Downgrading unserer Lebensmittel: Denn Aldi, Netto oder Penny sind mitverantwortlich dafür, was in ihren Regalen und Kühltruhen liegt, sie sind es schließlich, die uns diese Produkte verkaufen und damit Milliardenprofite einstreichen.