QUALITÄTSTÄUSCHUNG
Ausgangslage

Umfragen bestätigen regelmäßig, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die Qualität von Lebensmitteln beim Einkauf nicht einschätzen und damit auch nicht zwischen verschiedenen Qualitäten auswählen können. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Aufmachung und Beschreibung von Produkten sehr oft täuschen. Dieser Zustand kollidiert mit den Grundsätzen des Lebensmittelrechts, das Täuschung und Irreführung bei der Aufmachung und Bezeichnung von Produkten verbietet.

Transparenz

Schwer verständliche Kennzeichnung von Zusatzstoffen/Verarbeitungshilfsstoffen

2800 chemisch, physikalisch oder gentechnisch gewonnene Aromen, 380 Zusatzstoffe und über 100 Verarbeitungshilfsstoffe finden in der EU Anwendung. Ihre Kennzeichnung in der Zutatenliste dürfte sich den wenigsten Menschen erschließen. Verarbeitungshilfsstoffe wie technische Enzyme müssen nicht deklariert werden, wenn sie im Endprodukt nicht mehr aktiv sind. De facto verändern sie jedoch die Produkteigenschaften, also deren Qualität, oftmals substanziell (vgl. Infobox »Brot«). Die Überprüfung ist schwierig, weil sehr viele Hersteller die Art der verwendeten Enzyme als Betriebsgeheimnis einstufen.

Irreführende Gesundheitswerbung

Zwar müssen sich Lebensmittelherstellerinnen seit 2012 ihre gesundheitsbezogenen Werbeaussagen (z.B. über zugesetzte Vitamine und deren Bedeutung für Gesundheit) genehmigen lassen und auch für nährwertbezogene Angaben wie »fettarm« gibt es Vorgaben. Doch welche Produkte die Hersteller mit dieser Werbung schmücken dürfen, ist bislang nicht geregelt. Gesundheitsbezogene Werbeaussagen sind somit auch für Produkte erlaubt, die eine ungesunde Nährwertzusammensetzung aufweisen, also z.B. sehr fett, salzig oder süß sind. Eigentlich hätte die EU schon 2009 Mindestanforderungen an die gesundheitliche Ausgewogenheit von Lebensmitteln beschließen müssen, die mit Gesundheitswerbung vermarktet werden dürfen (sogenannte Nährwertprofile). Als Grundlage könnten die von der WHO definierten Mindestanforderungen für ernährungsphysiologisch ausgewogene Lebensmittel herangezogen werden. Doch auf Druck der Lebensmittellobby ist die EU dieser Aufforderung bis heute nicht nachgekommen.

Unzureichende Nährwertkennzeichnung

Ob ein Lebensmittel »gesundheitlich ausgewogen« ist, lässt sich insbesondere bei verarbeiteten Lebensmitteln kaum erkennen. Die Nährwerttabellen mit Angaben zu Zucker, Fett, Salz oder Kohlenhydraten finden sich im Kleingedruckten auf der Rückseite der Verpackung. Für den Laien sind sie wenig verständlich und die Nährwertqualität verschiedener Produkte lässt sich nur schwer miteinander vergleichen. Wissenschaftliche Studien belegen, dass der Nutri-Score die verständlichste Form der Nährwertkennzeichnung ist. Jeder Mitgliedstaat kann den Nutri-Score bei der EU zur Zulassung anmelden, in Deutschland ist er seit 2020 anerkannt. Der Nutri-Score basiert auf einer fünfstufigen Farbskala von A (dunkelgrün) bis E (rot), ist allerdings bisher nur als freiwillig anwendbare Kennzeichnung zugelassen. Das bedeutet, Unternehmen, die unausgewogene Lebensmittel vertreiben, sind nicht verpflichtet, den Nutri-Score abzubilden (vgl. Infobox »Gütesiegel«).

Unleserliche Angaben in Mini-Größe

Die Angaben auf Verpackungen sind kaum zu entziffern. Wichtige Informationen wie Zutatenlisten und Nährwerte stehen nur schwer lesbar im Kleingedruckten, zum Teil wird die Lesbarkeit auch durch mangelnde Kontraste und geringe Zeilenabstände erschwert. In der 2014 in Kraft getretenen »EU -Lebensmittelinformationsverordnung« ist für Pflichtangaben eine Mini-Schrift von 1,2 Millimetern vorgesehen, bei kleinen Verpackungen sogar von nur 0,9 Millimetern (bezogen auf das kleine »x«).

Herkunftskennzeichnung

In verarbeiteten Lebensmitteln ist meist nichts über die Herkunft der Zutaten bekannt, für die allermeisten verarbeiteten Produkte muss das Herkunftsland der verwendeten Zutaten nicht angegeben werden.

Produktabbildungen

Abbildungen und Produktbezeichnung vermitteln auf der Schauseite häufig falsche Mengenverhältnisse der enthaltenen Zutaten, es werden sogar Zutaten abgebildet, die im Produkt gar nicht enthalten sind. Die Lebensmittelinformationsverordnung verbietet lediglich, dass eine Zutat beworben wird, die durch eine andere Zutat vollständig ersetzt wurde – etwa Aroma anstelle der Frucht. Sobald Herstellerinnen eine geringe Menge der Frucht hinzufügen, dürfen Fruchtabbildungen und -bezeichnungen genutzt werden.

Zutaten tierischen Ursprungs

Viele Lebensmittel werden mit Hilfe von Zutaten, Zusatzstoffen oder technischen Hilfsstoffen tierischen Ursprungs hergestellt – ohne dass dies sofort erkennbar wäre oder in allen Fällen erwartet würde (zum Beispiel Gelatine in der Herstellung von Apfelsaft).

Produktbezeichnungen

Täuschende Produktbezeichnungen sind lebensmittelrechtlich gestattet oder gewollt. Einige sind wohlklingende Phantasienamen, wie »Alpenmilch« oder »Bergbauernmilch«, die geduldet werden. Ein großer Teil der Produktbezeichnungen wird auch durch die beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL ) angesiedelte Lebensmittelbuch-Kommission festgelegt. Sie erarbeitet Leitsätze dafür, wie Produkte bezeichnet und hergestellt werden sollten. Leitsätze haben gesetzesähnlichen Charakter. »Kirsch«-Tee ohne Kirschen, »Alaska-Seelachs« ohne Lachs oder »Ochsenschwanzsuppe« ohne Ochsenschwanz sind z.B. durch das Lebensmittelbuch erlaubte Produktbezeichnungen. Dennoch sind sie definitiv geeignet, Verbraucher über den eigentlichen Inhalt des Produktes zu täuschen.

Gütesiegel

Spezielle Gütesiegel, die die Herkunft oder Herstellungsweise von Produkten ausloben, weisen in der Mehrzahl auch gravierende Transparenzdefizite auf. Eine Ausnahme stellt das Nährwertsiegel »Nutri-Score« dar, dessen Lenkungswirkung jedoch dadurch eingeschränkt ist, dass Hersteller es nicht verpflichtend anwenden müssen und es Mitgliedstaaten verboten ist, das Siegel auf nationalstaatlicher Ebene verpflichtend einzuführen (vgl. Infobox »Gütesiegel«).

Gesundheit

Täuschungspraktiken und Intransparenz verstoßen nicht nur gegen das generelle Täuschungsverbot, sie unterminieren auch den rechtlich garantierten Gesundheitsschutz der Verbraucherinnen. Eine unzureichende Nährwertkennzeichnung oder eine Gesundheitswerbung für ernährungsphysiologisch unausgewogene Lebensmittel gefährdet die Gesundheit der Verbraucher.

Bio-Alternative

Ob Bio- oder konventionelle Produkte: Intransparenz und Täuschung durch unverständliche oder irreführende Kennzeichnung sind in beiden Fällen vergleichbar, denn sowohl Bio- als auch konventionelle Produkte unterliegen generell denselben gesetzlichen Kennzeichnungsvorschriften. Der Zusatzstoff- und Aromen-Dschungel ist im Bio-Sektor aufgrund der geringeren Anzahl von zugelassenen Zusatzstoffen, Aromen und Verarbeitungshilfsstoffen jedoch lichter.

Wahlfreiheit

Wäre Transparenz nur eine Frage der Menge an Informationen, gäbe es kein Transparenzproblem. Doch die unzähligen Facetten täuschender Informationen bei der Aufmachung und Auslobung von Produkten verstärken die Intransparenz und schränken die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen signifikant ein. Die umfassende Täuschung trägt dazu bei, dass der Preis als Unterscheidungskriterium verschiedener Qualitäten außer Kraft gesetzt ist. Es ist offensichtlich, dass dieses Täuschungsarsenal nicht aufgrund der Verbraucher-Nachfrage etabliert worden ist, sondern durch übermäßigen Einfluss der Lebensmittelindustrie.