Kapitel 1

C heyenne Summerlin wälzte sich in ihrem Bett hin und her und griff nach dem Stapel Kissen, den sie aus Gewohnheit nachts im Arm hielt. Statt der Kissen schlug ihre Hand nur in die Luft und sie wäre fast auf den Boden gerollt.

Ihr erster Instinkt war, sich vor dem Fallen zu bewahren. Ihre Hand holte aus und die Kraft ihrer neu entfachten Telekinese schleuderte sie zurück auf das kleine Bett, während der Holzboden neben ihr krachend zersplitterte. Die Halbdrow zog ihre Hand zurück, richtete sich in dem Doppelbett auf und blinzelte.

Wo zum Teufel bin ich?

Innerhalb von zwei Sekunden erkannte sie das massive Bücherregal an der Wand und den Schreibtisch am Fenster. Cheyenne stöhnte und rieb sich energisch die Wangen.

Immer noch i n der Summerlin- Villa . Ich habe alles getan, was ich konnte, um nicht hier zu sein .

Die Halbdrow blickte blinzelnd an die Decke und warf die Bettdecke mit Schwung beiseite, bevor sie aus dem Bett schlüpfte. Als ihr Blick auf den flachen Krater fiel, den sie in den Boden gesprengt hatte, zuckte sie zusammen. Sie bückte sich, um den schwarzen Teppich vor dem Bücherregal zu dem Loch im Boden zu ziehen und es so gut wie möglich abzudecken.

Eleanor wird das finden, wenn sie das nächste Mal hier putzt. Im Moment bin ich mir ziemlich sicher, dass ein zerstörter Boden das Letzte ist, woran Mom denkt .

Cheyenne zog ihre Klamotten von gestern an und griff dann nach ihrem Handy auf dem Nachttisch, um nach Nachrichten zu schauen. Es gab keine. »Corian hat also nichts gefunden oder er ist einfach zu beschäftigt, um sich zu kümmern. Na gut.«

Sie steckte das Handy in ihre Gesäßtasche und erstarrte, als leises Lachen und das Klirren von Gläsern aus dem Flur zu ihr drangen. Die Halbdrow legte den Kopf schief, öffnete die Tür zu ihrem alten Schlafzimmer und warf einen Blick in den Frühstücksraum im hinteren Teil des zweiten Stocks. Die Türen waren offen und sie erhaschte einen kurzen Blick auf Eleanor, die durch den Raum ging, bevor die Frau verschwand.

Sie klingen sehr glücklich, wenn man bedenkt, was da draußen vor sich geht .

Die Halbdrow schlurfte den Flur entlang und fuhr sich mit den Fingern durch ihr schwarzes, wirres Haar. Ein paar Strähnen verfingen sich in ihrem Septum-Piercing und sie verzog das Gesicht, während sie darum kämpfte, ihre Haare zu befreien. Dann erreichte sie die offene Tür zum Frühstücksraum und hob die Augenbrauen.

Sie hatten die Stühle so umgestellt, dass sie der langen, geschwungenen Fensterwand zugewandt waren, sodass Ember ihren Rollstuhl bis in die Mitte rollen konnte. In den cremefarbenen Sesseln zu beiden Seiten von Cheyennes Fae-Freundin saßen Bianca Summerlin und Eleanor, beide angezogen und bereit für den Tag.

Eleanor hatte sich gerade wieder auf ihren Stuhl gesetzt, drehte sich aber mit einem breiten Lächeln um, als Cheyenne sich räusperte. »Guten Morgen, Schlafmütze.«

Bianca warf der Frau einen amüsierten Blick zu, bevor sie ihre Bloody Mary an die Lippen hob. »Wir dachten, wir lassen dich heute Morgen ausschlafen, Cheyenne.«

Die Halbdrow schmunzelte. »Es ist erst sieben Uhr dreißig.«

»Richtig.« Bianca trank. »Ich hoffe, das ist nicht so lange, wie du normalerweise schläfst. Fängt dein frühester Kurs nicht um halb neun an?«

Cheyenne schaute auf den Hinterkopf ihrer Mutter. Wenn es jemand anderes wäre, würde ich mich fragen, woher sie das wusste .

»Nicht mehr.« Die Halbdrow durchquerte den weiten Raum in Richtung der drei Frauen, die sich an der nun friedlichen Aussicht auf das Tal hinter Bianca Summerlins Haus erfreuten. »Ich glaube, ich wollte es euch schon gestern Abend sagen. Mein Zeitplan hat sich ein wenig geändert.« Sie blieb hinter Ember stehen und legte ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter. »Kommst du mit den beiden hier klar?«

Die Fae sah sie über ihre Schulter an und lachte. »Ich denke, ich kann mich behaupten.«

Eleanor kicherte. »Und sie hat nicht einmal eine Bloody Mary mit uns getrunken.«

»Ich habe gestern Abend genug getrunken, danke.«

Bianca lehnte sich in dem cremefarbenen Sessel zurück und hob ihr Kinn. »Ich bewundere eine Frau, die weiß, wann sie Nein sagen muss, auch wenn sie Nein zu mir sagt.«

Ember warf Eleanor einen besorgten Blick zu, doch Biancas Haushälterin winkte ab und flüsterte: »Sie macht nur Spaß. Meistens. Alles gut.«

Cheyenne ging auf den Frühstückswagen zu, den Eleanor jeden Morgen in den Frühstücksraum gerollt hatte, solange sie sich erinnern konnte. Die Frau hatte ihr übliches Frühstück vorbereitet: gebutterter Toast mit verschiedenen Marmeladen in kleinen Gläsern, hartgekochte Eier, eine Auswahl an Obst und eine mittlerweile fast leere Kaffeekanne neben einem passenden Set für Sahne und Zucker. Das Tablett mit den Bloody Marys stand natürlich auf einem Beistelltisch neben dem Wagen. Die Halbdrow griff nach einer Scheibe Toast.

»Ich würde sehr gerne wissen, wie sich dein Stundenplan geändert hat, Cheyenne«, murmelte Bianca nach einem weiteren Schluck ihres morgendlichen Cocktails. »Das ist nämlich neu für mich.«

Die Halbdrow bestrich ihren Toast mit Erdbeermarmelade und sah kurz zu ihrer Mutter, die durch die geschwungene Fensterwand schaute. »Meine Professoren haben beschlossen, dass wir unsere Zeit besser nutzen würden, wenn ich statt selbst zu Vorlesungen zu gehen, Bachelorkurse unterrichte.«

Eleanor verschluckte sich an ihrem Getränk und tupfte ihre Lippen mit einer Serviette ab. Bianca warf ihr einen kurzen Blick zu und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. »Glaubst du , dass ihr eure Zeit so besser nutzt?«

Cheyenne zuckte mit den Schultern und nahm einen großen Bissen von dem knusprigen Toast. »Das hat viele Probleme bei der Terminplanung gelöst.«

Bianca lehnte sich in ihrem Stuhl nach vorne und schaute ihre Tochter zum ersten Mal an diesem Morgen an. Die Halbdrow beugte sich vor, um die Krümel im Mund zu behalten und zog eine Serviette vom Tablett. Sie sprach erst wieder, als sie ihr Essen heruntergeschluckt hatte. »Tut mir leid.«

Ihre Mutter lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, zufrieden mit Cheyennes Rückkehr zur richtigen Etikette. »Solange es für dich funktioniert. Das ist das Wichtigste.«

»Ich fand schon immer, dass du diese Kurse unterrichten solltest«, fügte Eleanor hinzu und stocherte mit ihrem Strohhalm in der Bloody Mary.

»Ich könnte sogar meine eigenen Abschlusskurse unterrichten.« Cheyenne fing Embers amüsierten Blick auf und zwang sich, aus dem Fenster zu schauen, um nicht zu lachen. »Im Moment unterrichte ich Sachen, die ich in der Highschool gelernt habe, aber damit bekomme ich meinen Abschluss, also ist der Wechsel okay für mich.«

»Aber bist du auch zufrieden mit dem Wechsel?« Bianca nahm noch einen Schluck von ihrem Getränk.

»Nicht ganz, aber es ist eigentlich eine gute Lösung. Wenigstens kann ich mir aussuchen, was ich unterrichte. Das war Teil des Deals – ein ziemlich lockerer Stundenplan.«

»Ich bin froh, dass es für dich funktioniert.« Bianca nickte und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Aussicht.

Cheyenne entging das leichte Aufblähen der Nasenlöcher ihrer Mutter nicht, als ihr Blick wieder auf die riesige Narbe aus schwarzem Stein fiel, die aus der Baumgrenze in Richtung des Hauses ragte. Die Halbdrow blickte über den gepflegten Rasen, den Bianca ihren Garten nannte und betrachtete die FRoE-Agenten, die dort über Nacht ihr Lager aufgeschlagen hatten. Sie ist nicht glücklich darüber, aber das ist besser, als sie dem auszusetzen, was aus dem neuen Portal kommen könnte .

Sie konnte nicht anders, als zu versuchen, es auf die leichte Schulter zu nehmen. »Wie sieht es mit der morgendlichen Unterhaltung aus?«

Bianca seufzte. »Nicht im Geringsten unterhaltsam, Cheyenne. Du weißt, was ich von diesem ganzen Arrangement halte.«

»Das tue ich.« Die Halbdrow nahm einen weiteren Bissen vom Toast.

»Ich bin mir der Notwendigkeit zwar vollkommen bewusst.« Bianca neigte ihren Kopf und lehnte ihn sanft an die Rückenlehne des Sessels. »Das heißt aber nicht, dass ich es mögen muss.«

»Der Morgen fängt nicht ganz so gut an, wenn man so eine andere Aussicht hat«, fügte Eleanor hinzu. Sie schaute Cheyenne an und hob die Augenbrauen.

Das bedeutet, dass Mom mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. Das kann man ihr aber nicht verübeln.

Die Halbdrow suchte den Frühstückswagen nach Kaffeetassen ab und Eleanor schien ihre Gedanken in einem Augenblick zu lesen. »Oh, Cheyenne. Ich hole noch eine Tasse für dich aus dem Schrank.«

»Ich mache das schon.«

»Nein, nein. Es kommt nicht jeden Tag vor, dass wir morgens als Erstes dein lächelndes Gesicht sehen.« Als die Haushälterin Cheyennes ausdruckslosen Blick sah, lachte sie. »Siehst du? Wunderbar. Ich kann mich ja auch nützlich machen, wenn unsere Routine so unterbrochen wird. Nimm dir einen Stuhl, Süße. Ich bringe dir eine Tasse und neuen Kaffee.«

»Es ist gefährlich für mich, heute Morgen mit dir zu streiten, nicht wahr?«

Bianca unterdrückte ein kleines Lachen, als Eleanor sich aus dem Sessel erhob. »Deine Mutter scheint das lustig zu finden, aber ich sage dir gleich, dass du absolut recht hast. Wir haben alle eine Aufgabe zu erledigen.« Eleanor drehte sich zum hinteren Teil des Frühstücksraums und kreischte.

»Eleanor!« Bianca verschüttete vor Überraschung fast ihren Cocktail. »Was um alles in der Welt?«

Die Haushälterin starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den dunklen Lichtkreis, der mitten in der Luft direkt vor der Doppeltür erschienen war. Cheyenne wirbelte herum und sah, wie sich das beschworene Portal noch weiter öffnete, dann trat Corian hindurch und in Bianca Summerlins Haus.

Die Mutter der Halbdrow sprang auf, ihr großes Bloody-Mary-Glas fest umklammert in einer Hand, die sie zur Seite ausstreckte, als wolle sie den plötzlich auftauchenden Nachtpirscher von ihrem Getränk fernhalten. »Was ist das

Scheiße.

Cheyenne sprang nach vorne und drückte Eleanor kurz und sanft an den Schultern, als sie an der Frau vorbeiging. »Ich mach das, Mom. Es ist alles in Ordnung.«

»Moment.« Corian sah Bianca Summerlin mit glühenden, silbernen Augen an und seine Ohrbüschel zuckten verwirrt.

»Raus.« Cheyenne zeigte auf den Flur im zweiten Stock, während sie auf ihn zustürmte.

Der Nachtpirscher blinzelte schnell und schüttelte den Kopf, bevor er die Geistesgegenwart aufbrachte, einen Illusionszauber zu sprechen. Sein katzenhaftes Gesicht blitzte kurz auf, bevor es sich in das eines Menschen mit blondem Haar und einer leichten Röte am Hals verwandelte.

»Cheyenne«, warnte Bianca und sah Corian an, den Katzenmann, der gerade aus dem Nichts in ihrem Frühstücksraum aufgetaucht war.

»Ich kümmere mich darum. Bin gleich wieder da.« Die Halbdrow schubste Corian rückwärts aus dem Raum und drehte ihn, bevor sie ihn weiter in den Flur stieß.

Er versuchte immer wieder, einen Blick über seine Schulter auf ihre Mutter zu werfen, die ihn mit einem zuckenden Auge hinterhersah, bis Cheyenne die Tür zuzog.

»Was hast du dir dabei gedacht ? Du kannst nicht einfach ein Portal öffnen, wo du willst. Schon gar nicht in diesem Haus.«

Der Nachtpirscher schnaubte und schüttelte den Kopf, wobei er das überraschte Lächeln auf seinen menschlich aussehenden Lippen nicht unterdrücken konnte. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Kleine. Ich habe deine SMS bekommen.«