Kapitel 4

C heyenne öffnete die Tür zu dem Loft-Apartment, das sie und Ember gemeinsam bewohnten und trat ein, um sie aufzuhalten, während Ember sich hineinrollte. »Tut mir leid, dass ich gleich wieder abhauen muss.«

»Du wirst nicht abhauen.« Ember hob die Vermächtniskiste auf und hielt sie der Halbdrow mit einem breiten Lächeln hin. »Es ist dein Schicksal oder so.«

»Ha.« Cheyenne nahm das Kästchen, drehte es um und betrachtete die größeren Symbole, die aus all den winzigen Runen entstanden waren, die jetzt in ihrer richtigen Position eingerastet waren. »Ich hoffe, es hat mehr zu bieten als einen verrückten Drow und einen Haufen wütender FRoE-Leute auf meinen Fersen.«

»Daumen drücken.«

Die Mädchen lachten und Cheyenne stellte die Schachtel auf der Armlehne der Couch ab, bevor sie in ihr Zimmer ging. Sie zog ihr Shirt aus und schnupperte kurz daran. Eine Dusche. Heute Abend. Das ist endgültig.

Ihre Hose fiel auf den Boden, dann ging sie zu der glänzenden, schwarzen Kommode mit den silbernen Totenkopfknöpfen an den Schubladen und durchwühlte ihre Kleidung. Sie wählte ein kastanienbraunes Hemd mit schwarzem Netzstoff von der Brust bis zum Kragen und eine schwarze Skinny Jeans. Cheyenne zog alles an, zuckte dann mit den Schultern und durchquerte den Raum.

Das braune Glasgefäß mit Yadjes Heilsalbe war genau dort, wo sie es in ihrem Rucksack auf dem Boden gelassen hatte und sie drehte den Deckel ab, bevor sie vorsichtig daran schnupperte. Es riecht furchtbar. Und es tut sogar noch mehr weh.

Sie tauchte einen Finger in die blasse Salbe, welche die Konsistenz von Karamell hatte, drehte ihn herum, um die Fäden loszuwerden und stellte das Glas dann auf ihrer schwarzen Samtdecke ab. Mit zusammengebissenen Zähnen schmierte die Halbdrow ein wenig von dem Schleim auf eine Handfläche und grunzte. Das Grunzen verwandelte sich in ein Knurren, als die Salbe ihre Arbeit tat, sich durch ihre Hand brannte und ihr die Tränen in die Augen trieb, während die frische Wunde von innen heraus versiegelt wurde.

»Bist du okay?«

»Ich heile mich nur«, rief die Halbdrow ins Wohnzimmer. »Keine große Sache.«

Embers Rollstuhl rollte mit einem leisen Rumpeln über den Boden und sie hielt vor Cheyennes Schlafzimmer. »Bist du wieder gesund?«

Die Halbdrow nickte in Richtung des Gefäßes auf dem Bett. »Kostenlose Salbe von einer Freundin. Anscheinend zahlen die Leute mit ihren eigenen Organen oder so, nur um so viel zu bekommen.« Achselzuckend hob sie ihren klebrigen Finger an, wischte ihn mit der anderen Hand ab und schmierte den Rest der Salbe auf das Loch in ihrer anderen Handfläche. »Oh, verdammt.«

Die Fae kicherte plötzlich. »Kein Schmerz, kein Gewinn, stimmt’s?«

Cheyenne wirbelte herum und warf ihrer Freundin einen leidenden Blick zu. »Das letzte Mal, als mir das jemand gesagt hat, war ich kaum bei Bewusstsein und mit Handschellen, die meine Magie ausgeschaltet haben, an ein Krankenhausbett gefesselt, das gar nicht in der Nähe eines Krankenhauses war.«

Ember rümpfte die Nase. »Trigger erkannt.«

Mit einem Schnauben blickte die Halbdrow auf ihre geheilten Hände hinunter, griff dann nach dem Glas und schraubte den Deckel wieder fest zu. »Eine Begegnung mit der Vergangenheit. Glaub mir, du könntest mich mit allen möglichen Schimpfwörtern bezeichnen und es würde nicht so dumm klingen, wie wenn Sir sagt: ›Gute Arbeit, Halbdrow‹.« Die Genauigkeit ihrer Imitation brachte sie zum Lachen. Sie zog ihre schwarze Jacke wieder an, schnappte sich ihren Rucksack, steckte die Salbe zurück hinein und nickte in Richtung des Wohnzimmers.

Mit einer hochgezogenen Augenbraue rollte Ember rückwärts aus der Tür und Cheyenne schloss die Tür hinter ihr. »Zeit, die Kiste zu öffnen, denke ich.«

»Lass mich wissen, wie das läuft.«

Die Halbdrow schaute ihrer Freundin über die Schulter zu, als sie auf die Rätselkiste zuging, die auf der Couch lag. »Mache ich das nicht immer?«

»Das heißt aber nicht, dass ich weniger neugierig bin, was für ein besonderer Preis da drin ist.«

Der Cuil Aní leistete der Schwarzzungensalbe unten in ihrem Rucksack Gesellschaft, dann schloss sie den Reißverschluss und legte sich den Gurt über die Schultern. »Es würde mich nicht wundern, wenn es eine Bombe oder so etwas wäre. Ein letzter Test, richtig? Wenn L’zars Halbdrowkind durch Feuer und magisches Schrapnell gehen kann, wissen wir, dass es bereit ist.«

Ember lachte auf. »Du schaffst das schon.«

»Ich weiß. Ich will das nur hinter mich bringen.« Cheyenne ging auf die Tür zu und hielt inne. »Wird bei dir alles okay sein, Em? Haben wir was zu essen und so?«

»Hey, die Fae, die ihre Magie zurückbekommt, braucht auch keine Babysitterin.« Ember zeigte auf die Tür. »Raus hier.«

»Ja, okay. Ruf mich an, wenn etwas Seltsames passiert, ja? Nur für den Fall.«

»Im Ernst, geh.«

Schmunzelnd trat die Halbdrow aus der Tür, schloss sie hinter sich und zog ihr Handy aus der Gesäßtasche, während sie den Flur in Richtung Aufzug ging. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal an einem Tag so viel telefoniert habe .

Corian hob ab, als sich die Aufzugtüren öffneten. »Bist du bereit?«

»Ja. Ich gehe gerade zu meinem Auto runter. Seid ihr alle im Lagerhaus?« Die Türen schlossen sich und die Halbdrow hörte gedämpftes Lachen im Hintergrund. »Corian?«

Die Leitung war tot und sie schaute verwirrt auf ihr Handy. Heute sind alle verrückt .

Ein dunkler Lichtkreis bildete sich in der Luft vor ihr. In der nächsten Sekunde begrüßte Corian sie mit einem wilden Gesichtsausdruck. Seine Hand griff nach ihrem Handgelenk und er zerrte sie durch das Portal in das Lagerhaus von Persh’al in DC.

Cheyenne taumelte vorwärts, riss ihr Handgelenk aus seinem Griff und blickte hinter sich. Das Portal war verschwunden. »Komm schon, Mann. Ernsthaft?«

»Ich weiß, du magst dein Auto und alles, Kleine.« Der Nachtpirscher kicherte und verschränkte die Arme. »Aber das hier ist eines der Dinge, die wirklich nicht warten können.«

»Ja, den Teil habe ich verstanden.« Die Halbdrow sah sich um und entdeckte Persh’al, Byrd, Lumil und L’zar, die vor Persh’als Computertischen versammelt waren und sie alle wie wahnsinnige magische Wesen angrinsten.

»Gut gemacht, Kleine.« Byrd klatschte langsam, bis Lumil seine Hände nach unten schlug und den Kopf schüttelte.

»Äh, danke?«

»Die Prüfungen, Cheyenne.« Lumil verschränkte die Arme und nickte. Die dunkle Narbe an ihrem grünen Hals schimmerte im Licht der Lagerhalle, als ein Lächeln auf ihren Lippen erschien. »Wir waren nicht sicher, ob du es schaffen würdest.«

»Ich schon.« L’zar hatte sich eine lockere, schwarze Hose und ein graues Hemd mit Knöpfen angezogen, wahrscheinlich das von Persh’al. Die Hosenbeine waren ein wenig kurz.

Persh’al spottete: »Ach, ja? Warst du dir so sicher, dass du zwanzig Jahre länger Drowgefangener gespielt hast, als du musstest?«

L’zar schaute seinen Freund an und hob eine Augenbraue. »Ich wusste es sofort, als sie zu mir in den Kerker kam.« Die Augen des Drows weiteten sich, als er sich über Chateau D’rahls besten Versuch eines Hochsicherheitsbesuchsraums lustig machte.

Cheyenne nahm ihren Rucksack von den Schultern und ging quer durch das Lager, um ihn auf den Tisch zu stellen. Sie blieb stehen, als sie ein magisches Wesen mit rissiger, schuppenähnlicher, silberner Haut sah, das mit meterlangen, eng geflochtenen Nylonseilen an einen der rollenden Schreibtischstühle gefesselt war. Seine Hände waren mit einem magischen Kabelbinder auf dem Rücken gefesselt, der mit elektro-blauem Licht pulsierte und sein Gesicht war zerkratzt, blutig und grotesk geschwollen. So viel konnte sie sehen, auch wenn sein Kinn auf seiner Brust lag. »Wer ist das?«

»Hm?« Persh’al blickte zu ihrem schuppigen Gefangenen auf, der an den Stuhl gefesselt war und zuckte mit den Schultern.

»Vergiss den Kerl auf dem Stuhl, Mädchen.« Corian nickte Lumil zu, die aufsprang und sich daran machte, den bewusstlosen Echsenmenschen durch das Lagerhaus zu einem dunklen Vorratsschrank zu schieben. Die Räder des Stuhls quietschten bei jeder Umdrehung, bis die Koboldfrau das magische Wesen in den Schrank schob und die Tür mit einem Knall schloss.

Sie wischte sich die Hände ab und marschierte mit einem zufriedenen Nicken zurück zur Gruppe.

Cheyenne schaute entgeistert auf die Schranktür und drehte sich dann langsam zu Corian um. »Ist das der Typ mit der ganzen O’gúl-Technik?«

»Darüber können wir später reden.« L’zar verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und trat vor. »Ich will sehen, wie du den Cuil Aní öffnest.«

Cheyenne fühlte sich unwohl bei all den Augen, die auf sie gerichtet waren. Sie warf allen einen misstrauischen Blick zu, dann schloss sie ihren Weg zum Tisch ab und stellte ihren Rucksack ab. »Könnt ihr das nicht ein bisschen weniger gruselig machen?«

Keiner sagte ein Wort.

»Okay.« Sie öffnete den Reißverschluss ihres Rucksacks und holte langsam das Kästchen mit den dünn geschnitzten Runen heraus, aus dessen Inneren ein helles Licht schien.

Persh’al holte tief Luft und das Licht der Kiste spiegelte sich blendend in seinen gelben Augen. Byrds Mund stand offen und Lumil machte sich nicht die Mühe, ihn mit einem Ellbogenstoß in die Rippen zu schließen.

Cheyenne drehte die Kiste in ihren Händen um und zuckte mit den Schultern. »Es ist ja nicht so, als hätte das Ding einen Riegel oder so.«

L’zar räusperte sich. »Palimé

»Was, jetzt?« Die Halbdrow hob die Augenbrauen.

»So öffnet es sich, Cheyenne. Dieses Wort von deinen Lippen.« L’zars schaute seine Tochter gespannt an, dann senkte er den Kopf. »Tu es.«

Die Halbdrow musterte die fünf magischen Wesen, die sie wie ein Rudel hungriger Wölfe beobachteten, bevor sie sich wieder auf die Kiste mit dem Drowerbe konzentrierte. Das wird nichts .

»Palimé. «

Der Cuil Aní erwärmte sich schnell in ihrer Hand, obwohl er diesmal nicht so heiß wurde, dass sie ihn nicht mehr halten konnte. Die glühenden Runen strahlten ein goldenes Licht aus, dann klickten und surrten die Mechanismen im Inneren und bewegten sich immer schneller.

Im Ernst, wenn das eine Bombe ist, dann werfe ich sie auf L’zar .

Die Schichten, die den oberen Teil der Kiste bildeten, zogen sich voneinander weg und ragten über die Außenseite hinaus und nachdem sie sich getrennt hatten, sah Cheyenne blinzelnd auf das Ding im Inneren.

»Was ist los?«, flüsterte Lumil.

Die Halbdrow warf der Koboldfrau einen Blick zu, griff dann in die Kiste mit dem Erbe und hob die große Goldmünze auf, die auf dem Boden lag. Sie hielt sie hoch und legte den Kopf schief, während sie die Rätselkiste zur Seite legte. »Eine Münze?«

L’zars wildes, raubtierhaftes Grinsen kehrte zurück. »Ja

Sie hielt es in die Luft. »Das ist lächerlich enttäuschend.«

»Nur bis du weißt, wofür die Münze ist.«

Im Lagerhaus wurde es still. Cheyenne ließ die Münze zurück in die Schachtel fallen und legte sie auf den Tisch neben ihrem Rucksack. »Also, was bekomme ich für diese Drowmünze?«

L’zar lachte und tauschte einen Blick mit Corian aus. »Es ist nicht nur eine Münze, Cheyenne. Das ist der nächste Schritt, um dein Erbe anzutreten.«

»Ich dachte, das Ding in der Kiste wäre mein Erbe.«

»Ein Teil davon, sicher.« Der entkommene Drowsträfling fuhr sich mit den Fingern durch sein knochenweißes Haar und atmete tief durch die Nase ein. »Der Cuil Aní ist nur ein Wegweiser durch deine Prüfungen. Diese Münze, dein Marandúr , ist das Zeichen deines Erbes. Normalerweise würde dies in Ambar’ogúl geschehen, wo du sie der Krone überreichst und deinen Platz als vollwertige Drow einnimmst.«

»Ha.« Cheyenne warf einen Blick auf die Münze. »Da haben wir wohl Pech gehabt. Das wird auf keinen Fall passieren.«

L’zars goldene Augen leuchteten. »Oh, aber das wird es.«