C heyenne betrachtete die blattförmige Brosche in L’zars offener Handfläche. Er hob eine Augenbraue und neigte den Kopf zu seiner Seite der Couch. »Du kannst dich ruhig ein bisschen näher hinsetzen, Cheyenne. Ich beiße nicht.«
»Nein, das geht schon.« Sie schlug die Hände zusammen, ohne zu merken, dass sie die lässige Haltung ihres Vaters nachgeahmt hatte: die Unterarme auf die Oberschenkel gestützt, den Kopf ein wenig zwischen die Schultern gesenkt. »Was macht das?«
»So kann ich schnell zu dir kommen, egal wo du bist, falls du in eine Situation kommst, in der ein wenig Unterstützung nützlich wäre.«
»Vorausgesetzt, ich kann zaubern, wenn ich es brauche, richtig?«
L’zar schüttelte den Kopf. »Nein. Die einzige Zauberei, die hier nötig ist, wird genau hier stattfinden. Der Nalís wird den Rest erledigen.«
»Also, was? Es entzündet das Drowsignal und du kommst mit deiner Supergeschwindigkeit an meine Seite?«
»Es öffnet auf Kommando ein Portal.«
Sie runzelte die Stirn. »Wie denn das?«
L’zar musterte die winzige Brosche in seiner Handfläche. »In diesem kleinen Schmuckstück steckt das Blut eines Nachtpirschers, Kleine. Corian mag es nicht, aber es ist ein alter Trick der Drow.«
Ein Verpackungspapier knisterte laut im Lagerhaus und Cheyenne blickte auf, um Corian zu sehen, der an der Ecke von Persh’als Tisch saß und ein weiteres seiner verdammten Sandwiches an seinen offenen Mund hielt. Er zuckte kurz mit den Schultern und vergrub dann seine Zähne in seinem Mittagessen.
»Nachtpirscher sind die einzigen magischen Wesen, die solche Portale öffnen können, nicht wahr?«
»An sich schon, ja.« L’zar streckte ihr seine offene Handfläche entgegen. »Aber nicht für jemanden, der so etwas hat.«
Ich wette, so haben all diese Skaxen-Loyalisten die Portale beschworen, durch die sie mich schleppen wollten.
»Okay, was muss ich also tun?«
L’zars Mundwinkel zuckten. »Das Gleiche, was ich jetzt tun werde.« Er legte den Nalís in seine andere Hand und hielt ihr dann seine freie Handfläche entgegen. »Nimm meine Hand.«
»Ernsthaft?«
»Sei kein Kind.«
»Aber ich soll deine Hand halten wie ein Kind?«
Der Drow atmete tief durch die Nase ein und seine Nasenflügel blähten sich auf, als er Cheyenne anschaute. »Ich werde warten.«
Sie blickte an die Decke und schlug ihre Hand in die von L’zar. Ein Aufflackern der warmen, kribbelnden Magie, die sie gespürt hatte, als er die schwarzmagischen Wunden in ihrer Schulter geheilt hatte, raste ihren Arm hinauf und über ihren Rücken. Die Halbdrow starrte auf ihre blasse Hand, die er mit seinen schiefergrauen Fingern umklammert hielt.
L’zars Augen weiteten sich. »Da ist es.« Nach einem weiteren tiefen Atemzug schloss er seine andere Hand um den Nalís und murmelte: »Abdur orzj .«
Die kribbelnde Wärme ihrer Magie schwirrte wieder zwischen ihnen und er drehte sich zu ihr um, um ihr den Nalís anzubieten. Sein Griff um ihre Finger rührte sich nicht.
Cheyenne öffnete ihre Hand und nahm das kalte, überraschend schwere Metall der Nalís -Brosche entgegen. Sie schluckte und schaute das Ding an. Er wird mir mit diesem Griff den Blutk reislauf abschneiden .
»Du bist dran.«
Sie sah ihn stumpf an. »Tut mir leid. Was soll ich denn machen?«
»Sprich die Beschwörungsformel.«
»Ähm.«
Am Tisch von Persh’al schnaubte Corian, schüttelte den Kopf und kaute eifrig.
»Kannst du das noch einmal sagen?«
L’zar schloss seine Augen und kämpfte darum, seine Fassung zu bewahren. Der Druck seiner Finger um ihre Hand verstärkte sich leicht und die Halbdrow musste wegen des starken Schmerzes fast lachen. Gut. Irgendetwas muss ihm unter die Haut gehen .
»Abdur orzj «, murmelte er.
»Richtig. Ich hab’s.« Sie krümmte ihre Finger um den Nalís und seufzte »Abdur orzj .«
Obwohl er versuchte, es zu verbergen, bemerkte sie die schnellen, präzisen Bewegungen seiner freien rechten Hand, die einen anderen Zauber neben seinem Oberschenkel wirkte.
»Soll ich das auch machen?«, fragte sie. »Denn, um ehrlich zu sein, die Handgesten entziehen sich mir ziemlich.«
L’zar sah sie überrascht an. Corian kicherte und biss wieder in sein Sandwich. Persh’al drehte sich in seinem Bürostuhl herum und verschränkte die Arme, um die Show zu beobachten.
Mit einem Grunzen ließ der Drow die Hand seiner Tochter los und sein Kiefer arbeitete unter seiner schiefergrauen Haut. »Macht es dir Spaß, so lästig zu sein?«
Cheyenne lachte. »Das liegt in der Familie, nicht wahr?«
»Ha!« Persh’als Stuhl kippte vor lauter Lachen nach vorne, dann drehte er sich schnell wieder um und begann wieder, wütend auf seiner Tastatur zu tippen.
Corian leckte sich über die Lippen und legte die zweite Hälfte seines Sandwichs zurück auf die Packung. Als er sich mit einer Hand über den Mund wischte, war Cheyenne sicher, dass er damit auch ein Lächeln verbergen wollte.
»Das wird schon klappen.« L’zar stand von der Couch auf und ging schnell durch das Lagerhaus in Richtung des Privatbüros am anderen Ende.
»Also, keine Fingerzauber?«
»Nein.« Noch, bevor er den Raum halb durchquert hatte, summte Cheyennes Handy erneut in ihrer Tasche.
Sie nahm es heraus und schloss die Augen, als sie die Nummer von Sir erkannte. Schon wieder ?
»Willst du rangehen?«, knurrte L’zar.
»Das will ich nicht.« Die Halbdrow lehnte den Anruf ab und steckte das Handy zurück in ihre Tasche. »Nicht, solange ich mit einem von euch in einem Raum bin, ganz ehrlich.«
»Ich bin überhaupt nicht beleidigt«, fügte Persh’al lachend hinzu.
»Wer war es?«
Cheyenne schaute L’zar an und alle Spuren seiner Irritation wurden von unstillbarer Neugierde weggewischt. »Der FRoE-Beamte, der sich ein Aneurysma holen wird, wenn er mich anschreit um herauszufinden, warum du Chateau D’rahl verlassen hast.«
»Nun.« Die Mundwinkel des Drows zuckten nach oben. »Lass ihn nicht zu lange warten. Aber du kannst bei diesen Idioten noch ein bisschen länger die ahnungslose Halbdrow spielen. Wir wollen nicht, dass sie uns bei unserem Vorhaben in die Quere kommen. Sag ihnen nur nicht, wo ich bin.« Er zwinkerte ihr zu, dann drehte er sich wieder um und marschierte zu einem der hinteren Büros, bevor er darin verschwand.
»Ja. Weil ich eine freundliche Erinnerung daran brauchte.« Cheyenne schüttelte den Kopf und stand von der Couch auf, wobei sie den offensichtlich aktivierten Nalís in ihrer offenen Handfläche hielt. »Wie funktioniert das Ding?«
»Du hast doch Star Trek gesehen, oder?« Der Nachtpirscher lachte, als sie mit einem knappen Nicken antwortete. »Steck es dir an deine Jacke oder dein Hemd oder sonst wohin. Wenn du es brauchst, tippst du einfach darauf und sagst seinen Namen. Es funktioniert auch, nur daran zu denken. Der Nalís wird dich nicht so verstecken wie der Anhänger, also rechne mit etwas mehr Action. Benutze ihn nur, wenn du wirklich musst.«
»Ein guter Rat.« Cheyenne steckte den Nalís an den Saum ihres kastanienbraunen Hemdes und zuckte mit den Schultern. »Ich dachte schon, es wäre toll, L’zar durch ein Portal zu beschwören, nur so zum Spaß.«
»In Ordnung.« Corian schob den geöffneten Cuil Aní mit dem Marandúr in ihren Rucksack und reichte ihn ihr an den Riemen. »Geh und tu, was du tun musst. Wir melden uns, wenn wir uns die nächsten Schritte überlegt haben, ja?«
»Klar. Vorausgesetzt, die FRoE sperrt mich nicht vorher ein, nur weil ich sein Kind bin.«
»Das werden sie nicht.« Corian lächelte, als sie ihm den Rucksack abnahm und er ein neues Portal hinter sich öffnete. »Sie brauchen dich zu sehr.«
»Stimmt. Ehrlich gesagt, bin ich erstaunt, dass sie das wissen.« Cheyenne drehte sich auf halbem Weg zum Portal um und nickte Persh’al zu. »Bis dann.«
»Bis später, Drow.« Der blaue Troll hob zum Abschied eine Hand, bevor er sich wieder seinem Computer zuwandte.
»Sind die Kobolde noch draußen?«
Corian warf einen Blick auf die Hintertür des Lagerhauses und zuckte mit den Schultern. »Wir haben eine neue Regel aufgestellt. Wenn sie sich länger als eine Minute streiten, müssen sie das draußen austragen.«
»Gute Regel. Man sieht sich.«
* * *
Der Nachtpirscher nickte und Cheyenne trat durch sein Portal. In dem Bruchteil einer Sekunde, den sie brauchte, um zu merken, dass er sie direkt in den Aufzug ihres Wohnhauses zurückgeschickt hatte, schloss sich das Portal hinter ihr. »Großartig.«
Ihre Gesäßtasche summte wieder und als sie ihr Handy herausnahm, um erneut Sirs Nummer zu lesen, öffneten sich die Aufzugtüren.
»Oh. Hey, Cheyenne.« Matthew Thomas lächelte sie von der anderen Seite der Tür an, die Hände tief in die Taschen seiner marineblauen Hose gesteckt. »Wie geht’s?«
»Prima.«
»Musst du hier raus?«
»Nein.« Sie presste die Lippen aufeinander, hob ihr Handy hoch und schüttelte es leicht. »Ich dachte, ich hätte mein Handy vergessen, bis ich es gefunden habe, also ist alles in Ordnung. Fährst du runter?«
»Ja.« Ihr Nachbar lächelte breit und stieg mit ihr in den Aufzug.
Cheyenne lehnte sich gegen die Wand und drückte den Knopf für die Lobby. Die Türen schlossen sich und der Aufzug fuhr nach unten.
»Bist du auf dem Weg zur Uni?«
Sie sah ihn kurz an, bevor sie ihren Blick auf die Wand über der Schalttafel heftete. »Heute nicht.«
»Oh, okay. Ich dachte nur, du weißt schon, wegen des Rucksacks?«
»Ja, der ist nur eine große Handtasche. Auf meinem Rücken.«
Matthew nickte langsam und blickte ebenfalls auf die Seitenwand des Aufzugs. »Wie geht es Ember?«
Ja, natürlich. »Ihr geht es gut, denke ich. Du bist nicht vorbeigekommen, um sie selbst zu fragen?«
»Nein. Ich hatte einen ganzen Vormittag voller Telefonkonferenzen und jetzt werde ich anscheinend persönlich für weitere Meetings gebraucht.«
»Über das Dilettieren, richtig?«
Er lächelte wieder. »So ähnlich.«
Der Aufzug erreichte das Erdgeschoss mit einem leisen Klingeln und öffnete sich in der großen Lobby der Pellerville Gables Apartments. Cheyenne gab dem Mann ein Zeichen, auszusteigen und er schenkte ihr ein schräges Lächeln.
»Bis dann, Nachbarin.«
Sie zwang sich, nicht die Augen zu verdrehen. »Schönen Tag noch.«
Matthew schenkte ihr das gewinnende Lächeln, das anscheinend sehr gut bei Ember wirkte, aber nicht so sehr bei der Halbdrow.
Der Typ hat viel mehr drauf, als er uns erzählt hat. Willkommen im Club, denke ich.
Cheyenne wartete darauf, dass sich die Aufzugtüren schlossen, dann summte ihr Handy erneut. Genervt holte sie es aus ihrer Hosentasche und nahm den Anruf von Sir entgegen. »Stirbt jemand?«
»Wenn du meine Anrufe weiter ignorierst, könnte es dich treffen, Halbblut. Du musst hierherkommen.«
Als sie langsam aus dem Aufzug stieg, schaute sich Cheyenne in der leeren Lobby um. »Was ist passiert?«
»Was ist passiert? Willst du mich jetzt verarschen? L’zar Verdys läuft frei herum und tut was auch immer und du bist die einzige verdammte Person, die ich kenne, die aus dem dampfenden Haufen Nashornscheiße, der aus dem Mund dieses Bastards kommt, schlau wird. Du kommst zum Verhör, und zwar sofort. Wenn dein Arsch nicht in einer Stunde hier unten ist, klopfe ich an deine Tür.«
»Gut, aber Sie müssen wirklich mit dem ganzen Geschrei aufhören.«
»Wenn mir nach Schreien zumute ist, Cheyenne, dann schreie ich so viel, wie ich will, verdammt! Ich habe einen verdammten Drow-Dorn im Arsch und du wirst ihn für mich herausziehen. Heul dich bei jemand anderem über deine empfindlichen Halbdrowohren aus. Ich habe keine Zeit für diesen Scheiß.« Es klickte in der Leitung und das Gespräch war beendet.
Cheyenne kämpfte gegen den Drang an, ihr Handy über den Parkplatz zu werfen, sobald sie aus der Lobby trat und steckte es stattdessen zurück in ihre Tasche. Na toll. Ich werde gleich von einem der besten Verrückten der FRoE verhört. Das wird ein Spaß.