Kapitel 8

A ls sie durch das Pseudo-Labyrinth der Gänge des FRoE-Geländes in die Lobby zurückkehrte, lehnte Yurik mit verschränkten Armen an der kurzen Treppe zum Gemeinschaftsraum. »Wie ist es gelaufen?«

Cheyenne blieb stehen und warf einen Blick auf die Eingangstür, dann drehte sie sich um und sah den muskulösen Kobold mit einem Achselzucken an. »Besser als ich erwartet habe.«

»Wo ist Sir?«

»Er wütet gerade in seinem Büro, glaube ich.«

Yurik schaute über seine Schulter und stieß einen Pfiff aus. Bhandi und Tate tauchten am Ende des Flurs hinter ihm auf, ihre Augen zeigten eine Mischung aus Belustigung und Vorsicht.

»Die Goth-Drow lebt«, verkündete Bhandi kichernd. »Unglaublich.«

»Ich habe mir nicht einmal Mühe gegeben, ehrlich gesagt. Na ja, ich habe euch schon lange nicht mehr gesehen. Was gibt’s?«

Tate rieb sich seinen kahlen, lilafarbenen Kopf, der mit dunklen, wirbelnden Tattoos bedeckt war. »Ich versuche nur, mich aus dem Shitstorm herauszuhalten.« Er warf einen Blick über die Schulter, dann beugte er sich vor und senkte seine Stimme. »Wir haben von einem neuen Grenzportal gehört, das aus dem Nichts aufgetaucht sein soll. Ist das wahr?«

Cheyenne rümpfte die Nase. »Ja, das ist wahr. Ich habe gestern Abend eins aus nächster Nähe gesehen.« Von dem davor brauchen sie nichts zu wissen. Noch nicht .

»Mann.« Bhandi riss ungläubig den Kopf zurück. »Wie kann so etwas überhaupt passieren?«

»Ich habe keine Ahnung.«

Aus dem Flur hinter Cheyenne ertönte das Knallen einer Tür, gefolgt von einer weiteren Reihe von Flüchen von Sir und einem Geräusch, das sich anhörte, als würde ein glänzender Lederschuh gegen eine Wand treffen.

»Wir sind noch im Dienst. Technisch gesehen.« Yurik beugte sich vor und blickte in die leere Lobby. »Willst du uns heute Abend treffen und uns alles erzählen? Peridosh um sechs oder so?«

»Klar.« Cheyenne ging rückwärts auf die Eingangstür des Geländes zu und zeigte ihren FRoE-Agenten-Freunden die Daumen nach oben. »Viel Glück, dass ihr hier lebend rauskommt.«

»Das wird schon.« Tate winkte ab. »Hier gibt es genug Platz zum Verstecken.«

Bhandi hob die Augenbrauen und musterte ihn von oben bis unten. »Behauptest du

Der Troll verdrehte die Augen und wandte sich wieder dem Gemeinschaftsraum zu. Bhandi lachte, als sie ihm folgte und Yurik riss sein Kinn in Richtung der Halbdrow hoch. »Wir treffen uns am Aufzug.«

»Klingt gut.«

Sirs stampfende Schritte kamen schneller den Flur hinunter und Cheyenne beugte sich spielerisch vor und tat so, als würde sie aus der Tür schleichen. Yurik lachte, warf noch einmal einen wachsamen Blick in die Lobby und machte sich dann aus dem Staub.

Die Halbdrow eilte über den Parkplatz zu ihrem glänzenden, neuen Auto und drückte den Entriegelungsknopf, wobei das immer noch ungewohnte Piepen ertönte, das sie zum Lächeln brachte. Ich habe den Test mit Bravour bestanden. Ich hoffe wirklich, dass die Jungs mit mehr als einem neuen Portal zurechtkommen, wenn sie weiterhin auftauchen, aber das liegt wohl nicht in meiner Hand.

Sie schlüpfte auf den Fahrersitz und startete den Motor. »Okay, zwölf Uhr und ich habe nichts zu tun.«

Als sie sich anschnallte, fuhr die Halbdrow über den riesigen FRoE-Parkplatz und ging im Kopf die Liste der zu überprüfenden Dinge durch. Ich würde Maleshi anrufen, wenn ich ihre Nummer hätte. Ach ja, i hre Sprechstunde ist um eins .

Der Gedanke brachte sie zum Lachen, als sie zwischen den Tortürmen auf beiden Seiten der Straße hindurchfuhr und sich vom Stützpunkt entfernte. »Das ist mal ein Bild. Die größte Kriegsgeneralin von Ambar’ogúl sitzt hinter einem Schreibtisch an der VCU. Ich schätze, es gibt nur einen Weg, zu prüfen, ob dies auch jetzt der Wahrheit entspricht.«

* * *

Cheyenne warf sich ihren Rucksack über die Schulter und schloss den Panamera ab. Dann verließ sie eilig den Studierendenparkplatz der Virginia Commonwealth Universität und machte sich auf den Weg zum Gebäude der Computerwissenschaften. Kurz vor 13:00 Uhr war der Campus voller Studierender, die gerade ihre Mittagspause beendet oder begonnen hatten.

Die Halbdrow beschleunigte ihr Tempo auf der riesigen Rasenfläche des Geländes und ignorierte den Lärm der vielen Studenten, die in ihrer Freizeit herumliefen. Es ist viel seltsamer, an einem vorlesung sfreien Dienstag hier zu sein. Jetzt bin ich diejenige, die unterrichtet und keiner von diesen Leuten weiß es .

Das Gebäude der Computerwissenschaften war zu dieser Tageszeit glücklicherweise ziemlich leer und Cheyenne näherte sich skeptisch dem Büro von Matilda Bergmann. Als sie das Büro ihrer alten Professorin erreichte, stand die Tür weit offen, wie immer, wenn sie zur Sprechstunde kam.

Zu sagen, dass sie ein Doppelleben führt, ist auf jeden Fall akkurat . Nach allem, was wir neulich gesehen haben, ist sie sofort wieder in ihr normales, menschliches Leben zurückgekehrt .

Die Halbdrow blieb vor der offenen Tür stehen und klopfte vorsichtig an.

Maleshi – Cheyenne konnte nicht vergessen, was sie gesehen hatte und auch nicht, was sie jetzt über die Nachtpirscherin wusste – blickte von ihrem Schreibtisch auf. Sie sah dabei aus wie die Mattie, die Cheyenne kannte: schwarzes, gewelltes Haar, leuchtend grüne Augen, eine seltsame Kleidungskombination aus einer schwarzen Gaucho-Hose, einem schwarzen Schal mit winzigen, bunten Blumen, die darauf gehäkelt waren und einem pinkfarbenen Hemd, das zu den pinkfarbenen Schnürsenkeln ihrer Laufschuhe passte. Die Nachtpirscherin lächelte breit, als sie die Halbdrow in der Tür stehen sah. »Genau wie in alten Zeiten, oder?«

Cheyenne lachte kurz, trat ein und schloss die Tür hinter sich. »Irgendwie schon. Ich war mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob du heute hier sein würdest.«

Maleshi lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und zuckte mit den Schultern. »Selbst wenn die Kacke am Dampfen ist, muss man so gut es geht weitermachen. Ein kleines bisschen Normalität ist alles, was man braucht, um den Rest seines Verstandes nicht zu verlieren. Ich erwarte übrigens, dass du dich ebenso gut im Griff hast. Du hast Vorlesungen, die du halten musst.«

»Wie könnte ich das vergessen?« Als sie den Schreibtisch der O’gúl-Kriegsgeneralin und heutigen IT-Professorin erreichte, nahm Cheyenne ihren Rucksack von den Schultern und legte ihn vorsichtig darauf ab. Maleshi hob eine Augenbraue. »Ich dachte, ich bringe dich auf den neuesten Stand der Dinge.«

»Gute Nachrichten?« Die Nachtpirscherin lachte schief. »Wer bist du und was hast du mit der Halbdrow gemacht, die ich kenne?«

»Eine kleine gute Nachricht, denke ich. Was danach passiert, ist wahrscheinlich eher eine schlechte Nachricht, verpackt in einer dummen Schicksalsschleife oder so etwas, aber ich versuche, mich auf das Positive zu konzentrieren.« Cheyenne zog den noch offenen Cuil Aní mit der Marandúr -Münze heraus und legte ihn neben ihrem Rucksack ab.

Maleshis Blick fiel auf die geöffnete Drow-Vermächtniskiste und ihre Augen weiteten sich. Dann erhellte ihr Lächeln ihre Züge und das unmenschliche Licht, das Cheyenne so oft hinter den grünen Augen der Frau gesehen hatte, blitzte wieder auf. »Du hast es geschafft.«

»Ja. Ich habe es geschafft.« Die Halbdrow zeigte auf die Kiste. »Da ist mein großes Drow-Vermächtnis – eine Münze, die ich auf dieser Seite nicht ausgeben kann. Anscheinend musste ich fast an einem neu entstandenen Portal sterben, um den Rest meiner Magie zu aktivieren und dieses Ding zu öffnen. Wer hätte das gedacht?«

Die grünen Augen der Nachtpirscherin wandten sich von dem Vermächtnis ab und fixierten Cheyennes Gesicht. »Du hast dein Gespür für Dramatik nicht verloren.«

»Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«

»Aber was hast du gerade gesagt?« Maleshi drückte ihre Finger auf die Oberfläche ihres Schreibtisches und stand langsam auf. Sie beugte sich vor, um einen genaueren Blick auf die geöffnete Kiste und Cheyennes bescheidene Beute darin zu werfen. »Es gibt ein neues Portal?«

»Das ist es, was deine Aufmerksamkeit erregt hat?« Die Halbdrow verschränkte die Arme und trat einen Schritt vom Schreibtisch zurück. »Ich habe mich mehr auf den Teil konzentriert, dass ich fast gestorben wäre, aber das gilt wohl nur für mich.«

Immer noch über den Cuil Aní gebeugt, warf Maleshi ihrer ehemaligen Studentin einen amüsierten Blick zu. »Bist du wirklich fast gestorben?«

»Ja. Ein neues Grenzportal hat sich geöffnet, ein verrücktes Zwischenmonster ist da herausgekommen und das Ding hat fast das Leben aus mir herausgequetscht . Ich habe es in einen Haufen Asche verwandelt und dorthin zurückgeschickt, wo es herkam.«

»Wie?«

»Mit schwarzem Feuer.«

Maleshi sah die Halbdrow mit kalkulierter Intensität an. Ihre Mundwinkel zuckten und sie stieß ein kurzes, raues, ungläubiges Lachen aus. »Ja, ich würde sagen, das war’s dann wohl. Sieht aus, als hättest du dieses kleine Scharmützel gut überstanden.«

Cheyenne zuckte mit den Achseln. »Ich habe jetzt viel Übung darin, mir den Arsch aufreißen zu lassen und mich dann mit einer Menge Schwarzzungensalbe zu heilen.«

Die Nachtpirscherin schmunzelte. »Das tut ganz schön weh, oder?«

»Auf die beste Art und Weise.«

Sie lachten beide und Maleshi strich sich ihre langen, schwarzen Locken, die menschlich aussahen, hinter ein Ohr. »Du wärst also fast gestorben, aber du bist es nicht. Dann hast du deine Vermächtnisbox geöffnet und eine ganz neue Ebene von detaillierten Plänen in Gang gesetzt. Gewöhn dich daran, Mädchen. Bei dem, was wir vorhaben, wird das wohl dein neuer Alltag sein.«

»Ja, das dachte ich mir.« Cheyenne hob die Schachtel auf und packte sie zurück in ihre Tasche.

»Wo hast du dich zwischen den Monstern wiedergefunden, die fast das Leben aus dir herausgequetscht hätten?«

Die Halbdrow schüttelte den Kopf, als sie ihren Rucksack zuzog. »Im Garten des Anwesens meiner Mutter.«

»Ohne Scheiß?«

»Ja und ich war die Einzige, die wusste, wie man damit umgeht. Ich habe den Arsch versohlt bekommen, aber es hätte viel schlimmer kommen können.«

Maleshi verschränkte die Arme, dann hob sie eine Hand und rieb sich die Lippen. »Ein neues Portal auf Bianca Summerlins Grundstück und nur eine Halbdrow hat es gesehen. Das ist ziemlich heftig.«

»Heftig genug, damit L’zar wieder aus dem Gefängnis ausbricht, um mich zu suchen.«

Die Nachtpirscherin erstarrte. »Sag das noch mal.«

»Er ist draußen, Male…« Cheyenne warf einen Blick über ihre Schulter auf die geschlossene Bürotür. Ich kann sie hier nicht so nennen. »Ich habe ihn heute Morgen aus nächster Nähe gesehen. Ich wäre seinetwegen fast von der Straße abgekommen.«

Die Professorin lachte überrascht auf und schlug sich die Hand vor den Mund. »Warum zum Teufel sollte er alles riskieren, um das jetzt zu tun?«

Als sie sich den Rucksack wieder über die Schulter warf, konnte die Halbdrow nur den Kopf schütteln. »Er sagte, er sei hier, um mich zu beschützen, da ich die Prüfungen bestanden habe, was wohl bedeutet, dass er denkt, er sei aus dem Schneider.

»Da seine Prophezeiung über das tote Kind mittlerweile überholt ist.« Maleshis Augen weiteten sich. »Er könnte dich zwar beschützen, aber wenn die falschen Leute herausfinden, dass er dem Gefängnis den Mittelfinger gezeigt hat und jetzt herumläuft, braucht es mehr als den Schutz eines Drows, um die Krone aufzuhalten.«

»Ich weiß. Wir haben das alles heute Morgen besprochen.« Cheyenne hielt inne und betrachtete das Gesicht der Kriegsgeneralin. »Kannst du mir eine ehrliche Antwort auf eine Frage geben?«

»Hmm?« Maleshi schüttelte ihren Kopf und verdrängte ihre Gedanken. »Ehrliche Antwort? Ich werde es versuchen, Cheyenne, aber ich bin schon so lange aus dem Spiel, dass ich nicht einmal so tun kann, als wüsste ich alles.«

»Du bist doch wieder dabei, oder?«

Die Nachtpirscherin lächelte amüsiert. »War das deine Frage?«

»Nein. Das war ein Bonus.«

»Ich bin wieder dabei. Was wir neulich an dem neuen Portal gesehen haben? Was wir getan haben?« Maleshi klopfte auf die Kante ihres Schreibtisches und legte den Kopf schief. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, vor allem nicht auf der Erde, aber ich kann mich nicht mehr in einem falschen Menschenleben verstecken, um der ganzen Sache aus dem Weg zu gehen. Wenn L’zar dieses Mal endgültig raus ist, habe ich keine Wahl mehr.«

»Ein Glück für uns, oder?«

Die Nachtpirscherin lachte. »Für dich vielleicht und für die anderen Trottel, die L’zar ohne zu zögern in ihr eigenes Verderben folgen würden. Wie lautet deine Frage?«

Cheyenne packte die Gurte ihres Rucksacks fester und suchte das Bücherregal hinter Maleshis Kopf ab. »Ist er schon immer so verrückt gewesen?«

»Du redest doch nicht von Exzentrik, oder?«

Die Halbdrow warf ihrer ehemaligen Professorin einen verärgerten Blick zu. »Du weißt, dass ich das nicht tue.«

»Ja, ich weiß, dass du das nicht meinst.« Maleshi strich sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht und neigte den Kopf zur Seite. »Die kurze Antwort lautet ja. Er stand schon immer ganz oben auf der Liste der verrückten Drow.«

»Was ist die lange Antwort?«

»Ha. Das umfasst Jahrhunderte der O’gúl-Geschichte, Mädchen.«

Cheyenne schmunzelte. »Wir haben ein paar Stunden Zeit.«

»Aha.« Maleshi versuchte, nicht zu lächeln, aber schaffe es nicht.