E mber blinzelte und drehte ihren Kopf, um Cheyenne einen skeptischen Seitenblick zuzuwerfen. »Meinst du das ernst?«
»Ja. Das wird ein Spaß. Du warst noch nie dort, stimmt’s? Ich darf den Mantel des Marktplatz-Neulings an dich weitergeben.«
»Ähm, hallo?« Die Fae zeigte mit beiden Händen auf sich selbst. »Es gibt einen Grund, warum ich noch nie dort war und jetzt gibt es zwei Gründe, warum ich nicht gehen sollte.«
»Ach, komm schon. Sag mir nicht, dass Fae sich nicht auch verletzen können.«
»Nicht, wenn sie Magie haben, um sich vor Verletzungen zu schützen. Ich mache mir aber viel weniger Sorgen um den Rollstuhl als darum, dass ich wie ein Mensch aussehe.«
»Okay.« Cheyenne rieb ihre Hände aneinander und nickte. »Gut, dass ich auch für diesen Teil etwas habe.«
Embers Augen sprangen ihr förmlich aus dem Kopf. »Du hast was?«
»Ich bin gleich wieder da.« Die Halbdrow kicherte und eilte durch das Wohnzimmer, bevor sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer aufstieß. Der silberne Ring, den sie als Täuschungszauber eingesetzt hatte, lag genau dort, wo sie ihn auf der schwarzen Kommode liegen gelassen hatte. Sie nahm ihn in die Hand, hielt ihn gegen das dünne Licht der umgedrehten Kronleuchterlampe auf der anderen Seite ihres Bettes und grinste.
Als sie wieder im Wohnzimmer ankam, hatte sich Ember die Fernbedienung geschnappt und wartete darauf, dass der Fernseher aus dem Eingangstisch gehoben wurde. »Ernsthaft? Ich erzähle dir, dass ich eine tolle Möglichkeit für dich habe, endlich eine Reise nach Peridosh zu machen und das Erste, was du tust, ist, den Fernseher wieder einzuschalten?«
»Ich habe mein ganzes Leben lang gelernt, keine Erwartungen zu haben«, sagte Ember, während sie den schwarzen Bildschirm anglotzte.
»Wow. Sogar bei mir? Danke.«
Die Fae drehte sich zu ihr um und schmunzelte. »Das heißt aber nicht, dass ich nicht trotzdem aufgeregt sein kann. Was ist das für ein toller neuer Weg?«
Cheyenne hob den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger und schüttelte ihn. »Überraschung.«
»Ich warte immer noch.«
»Was, du kannst nicht erkennen, was das ist?« Die Halbdrow lachte. »Ich habe dir deine eigene Fae-Verkleidung gemacht.«
»Ähm …«
»Okay, eigentlich habe ich diesen Ring mit einem persönlichen Illusionszauber versehen und wollte ihn für mich selbst benutzen. Du weißt schon, als ich wie eine Drow aussehen und gleichzeitig diese magievernichtende Halskette tragen musste. Aber jetzt ist der Anhänger nutzlos, also sind diese Tage für mich vorbei.«
»Du hast einen Illusionszauber gewirkt?«
Die Halbdrow bewegte sich durch das Wohnzimmer und setzte sich auf die Armlehne des Sessels neben ihrer Freundin. »Ich habe Stunden gebraucht. Corian hat mich fast in Stücke gerissen. Lass ihn nicht verkommen.«
Ember sah blinzelnd auf den Ring und streckte langsam ihre Hand aus. »Wenn du ihn für dich selbst verzaubert hast, Cheyenne, glaube ich nicht, dass er für mich funktioniert.«
»Ich meine, ich habe es nicht mit Blut an mich gebunden, oder so. Der Ring ist dafür gemacht, die magische Seite zu zeigen, wenn du so willst.« Sie ließ den Ring in die offene Hand ihrer Freundin fallen und zuckte mit den Schultern. »Und um ganz ehrlich zu sein, als ich es endlich geschafft hatte, diesen Ring richtig zu verzaubern, wollte ich auch einen für dich machen. Dann war ich zu beschäftigt.«
»Hey, es ist der Gedanke, der zählt.«
»Mach dich nicht lustig. Probier ihn einfach aus. Wenn meine alten Trollnachbarn mir einen Illusionszauber leihen konnten, den sie nicht für eine Halbdrow gemacht haben, sehe ich nicht ein, warum dieser nicht auch bei dir funktionieren sollte. Das ist doch der Sinn eines allgemeinen Zaubers, oder? Er deckt ein breites Spektrum an Anwendungen ab.«
»Ich habe nicht einmal eine magisch anmutende Seite. Hatte ich noch nie.«
Cheyenne schnaubte und winkte das Zögern ihrer Freundin ab. »Halt einfach die Klappe und zieh den Ring an. Ich will sehen, was passiert.«
»Gut, aber sprenge keine Löcher in die Wand, wenn das nicht funktioniert.«
»Vielleicht hätte ich dich bei meiner Mutter lassen sollen. Du bist genauso skeptisch und pessimistisch wie sie.«
Ember warf ihr einen verärgerten Blick zu, dann steckte sie den Ring mit einer schnellen, aber behutsamen Bewegung auf ihren Mittelfinger. Ein sanftes, weißes Leuchten umgab die menschlich aussehende Fae, dann veränderten sich Embers Gesichtszüge. Zuerst war es fast unmöglich, den Unterschied zu erkennen, aber dann hellte sich die Haut des Mädchens auf, sodass sie Cheyennes menschlicher Hautfarbe viel mehr ähnelte. Ihre Augen leuchteten in einem unnormalen Violett und ihr braunes Haar nahm einen dunkleren Farbton mit mehr Rotanteil an. Die blonden Strähnchen waren jetzt deutlich lavendelfarben und ein schwaches, rosafarbenes Schimmern umgab ihren Körper, das über ihrer nackten Haut stärker war. Die Halbdrow konnte es nicht sehen, wenn sie direkt darauf schaute, aber sobald sie den Blick abwandte, war da wieder dieses rosafarbene Leuchten in ihrem peripheren Blickfeld.
Die Fae hatte nichts davon bemerkt. »Da. Siehst du? Du hast dir einen Illusionszauber ausgedacht und wenn ich am Ende nicht wie eine Drow aussehe, sehe ich …« Ember blickte auf ihre Hände und runzelte die Stirn. »Was zum Teufel?«
»Ja, geh und schau in den Spiegel.«
Ember rümpfte die Nase über die Halbdrow und drehte sich zurück, um sich der Küche zuzuwenden. »Sag mir nicht, was ich tun soll. Ich werde in einen Spiegel schauen.«
Cheyenne kicherte, als ihre Freundin sich schnell durch das Wohnzimmer bewegte und durch ihre offene Schlafzimmertür verschwand. Der Stuhl stieß gegen die eine oder andere Wand, dann flackerte das Licht im Badezimmer auf.
»Was zum Teufel ?«
»Ich hab’s dir gesagt«, rief Cheyenne.
»Was hast du mit meinen Augen gemacht? Warum bin ich rosa und lila?«
»Das muss dein wahres Ich sein, Em.«
»Das ist Wahnsinn!« Ember kicherte in ihrem Badezimmer, dann rollte sie ein wenig herum. Als sie in der Tür wieder auftauchte, hatte sie sich so weit zentriert, dass sie den Stuhl in die Küche zurückschieben konnte, ohne eine Delle zu hinterlassen. »Hast du das gemacht?«
»Ja, ich weiß, das ist schwer zu glauben.«
»Du hast das wirklich getan !«
Cheyenne legte ihren Kopf schief. »Bist du okay?«
Ember stieß ein weiteres wildes Lachen aus und schaute wieder auf ihre Hände, während ihr Stuhl langsam nach vorne rollte und sie sich erstaunt umdrehte. »Ich habe keine Ahnung. Würde ich jetzt so aussehen, wenn ich so geboren worden wäre?«
»Hast du noch nie eine vollblütige Fae in Aktion gesehen?«
»Es ist etwas ganz anderes, wenn ich es bin.« Die Fae streifte den silbernen Ring von ihrem Finger und das rosafarbene Leuchten und das violette Licht verschwanden.
Diesmal sah Cheyenne, wie sich die Wangen ihrer Freundin ein klein wenig füllten und wie sich ihre Augen fast unmerklich veränderten, als sie zu ihrer normalen, braunen Farbe verblassten.
»Du hast meine Augen gesehen, oder?« Ember zeigte auf ihr Gesicht. »Sie sind ganz groß und sehen komisch aus.«
»So komisch auch nicht.«
»Es ist verdammt komisch, Cheyenne. Du schlüpfst zwar einfach zwischen Drow und Mensch hin und her, als würdest du deine Unterwäsche wechseln oder so, aber ...«
Die Halbdrow schnaubte. »Das ist ein seltsamer Vergleich, aber okay.«
Der Ring steckte wieder an Embers Mittelfinger und ihre Faegestalt kehrte zurück, mit vollem Glanz und allem. »Sieh dir das an!«
Cheyenne ging auf ihre Freundin zu, unterdrückte ein Lachen und zeigte auf Embers Hand. »Halte mal kurz deine Hand hoch.«
»Warum? Was ist los?«
»Es ist alles in Ordnung .« Cheyenne ergriff Embers Hand und drückte ihre Handflächen mit einem Stirnrunzeln aneinander. »Seltsam.«
»Hey, ich habe schon Angst davor, wie eine Fae mit einem Illusionszauber auszusehen. Du bist keine Hilfe.«
»Ich konnte den Ring nur auf meinen kleinen Finger stecken. Corian sagte, dass Fae kleine Finger haben, aber deine sind nicht viel kleiner als meine.«
Ember nahm ihre Hand zurück und lachte. »Ernsthaft? Es ist Magie , Cheyenne. Warum reicht dir das nicht als Erklärung?«
Die Halbdrow legte den Kopf schief und schmunzelte. »Hm. Ich schätze, das ist die einzige Antwort, die ich brauche.«
Mit einem Blick auf ihre Beine zog Ember die Mundwinkel nach unten und zuckte mit den Schultern. »Das Einzige, was das Ganze besser machen würde, wäre, wenn meine Beine wieder funktionieren würden.«
»Oh, mein Fehler. Ich hätte mit etwas anfangen sollen, von dem sogar ich weiß, dass es fortgeschrittene Magie ist.«
Die Fae strahlte förmlich. »Ich glaube nicht, dass es dafür einen Zauber gibt, aber ich habe mich im Spiegel gesehen und konnte nicht anders, als mich zu wundern.« Ember schüttelte den Kopf. »Das macht nichts. Ich hatte bis jetzt erst eine Physiotherapiesitzung.«
»Doktor Boseley hat gesagt, dass es sehr gut gelaufen ist, oder?«
»Ja. Aber zugegebenermaßen ist es viel besser, wie eine Fae im Rollstuhl auszusehen , als das nicht zu tun.« Ember blinzelte schnell, schniefte und begegnete dem Blick ihrer Freundin. »Danke.«
»Nur etwas, das ich herumliegen hatte. Du weißt schon.«
»Aha.«
»Also.« Cheyenne setzte sich wieder auf die Armlehne des Sessels und wackelte mit den Augenbrauen. »Reicht das aus, um dich dazu zu bringen, mit mir und ein paar FRoE-Knallköpfen nach Peridosh zu kommen oder was?«
»Auf jeden Fall tut es das.« Ember grinste. »Lass uns von hier verschwinden.«
Die Halbdrow warf einen Blick auf die Uhr über dem Herd und verkniff sich ein Lachen. »Wir müssen noch ein bisschen warten. Yurik sagte sechs.«
»Wie auch immer.« Die Fae starrte auf ihre Hände und schüttelte den Kopf. Ihr Grinsen blieb. »Das gibt mir nur mehr Zeit, mich daran zu gewöhnen, mich so zu sehen. Sonst denken deine FRoE-Freunde noch, ich sei die Verrückte.«
»Im schlimmsten Fall.«
Ember warf ihrer Freundin einen kurzen Blick zu, betrachtete ihre Arme und tätschelte ihr Gesicht ein paar Mal. Dann schnappte sie sich die Fernbedienung, die sie zwischen ihre Beine geklemmt hatte und reichte sie der Halbdrow. »Such dir aus, was du gucken willst. Vielleicht lenkt es mich ab.«
Cheyenne blickte auf die Fernbedienung, rührte sie aber nicht an. »Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte.«
»Was? Du scrollst einfach durch die Sendungen und wählst etwas aus. Muss ich dir zeigen, welche Knöpfe du drücken musst?«
»Ich schaue eigentlich kein Fernsehen.«
»Das ist kein Fernsehen, Cheyenne. Das ist Netflix.«
»Das ist dasselbe.«
Ember ließ ihre Hand und die Fernbedienung mit einem dumpfen Schlag in ihren Schoß fallen. »Willst du mich verarschen? Willst du mir jetzt sagen, dass du als Kind auch nie was geguckt hast?«
Cheyenne zuckte mit den Schultern. »Hast du im Haus meiner Mutter einen Fernseher gesehen?«
Die leuchtenden, violett schimmernden Augen der Fae verengten sich, dann starrte sie auf den schwarzen Fernseher an der Wand. »Du bist in dem großen, schicken Haus ohne Fernseher aufgewachsen.«
»Auch keine Filme. Ich meine, ich hatte zwar Internet, aber stell dir mal vor, Bianca Summerlin setzt sich mit einer Schüssel Popcorn zum Filmabend hin.«
»Ha.« Ember blinzelte und schüttelte den Kopf. »Das ist so gut wie unmöglich. Okay, gut. Ich suche mir etwas aus und du kannst so tun, als würde es dir gefallen, während ich so tue, als würde ich ignorieren, dass ich aussehe wie eine verdammte Fae .«
Die Halbdrow biss sich auf die Lippe, um ein Lachen zu unterdrücken, als ihre Freundin jedes Mal, wenn sie eine Taste drückte, die Fernbedienung demonstrativ in die Richtung des Fernsehers stieß, während sie ihre Augen komisch weit aufriss. »Bringst du so die Knöpfe zum Laufen?«
»Halt die Klappe und setz dich.« Ember klickte sich weiter durch die Auswahl auf ihrem Smart-TV, aber sie ließ ihre Hand in ihren Schoß sinken.