D u bist spät dran, Cheyenne.« Yurik trat grinsend von der Theke im hinteren Teil des Froyo-Ladens zurück.
»Um etwa drei Minuten. Entspann dich.« Die Halbdrow schenkte Ember ein schiefes Lächeln, als sie an den bestuhlten Tischen und den Stationen mit Keksen und Süßigkeiten vorbeikamen.
»Wer ist deine Freundin?« Tate steckte seine Hände in die Taschen und musterte die beiden magischen Wesen, auf die sie gewartet hatten.
»Das ist Ember.« Cheyenne zeigte auf die FRoE-Agenten, die ihre temporären menschlichen Masken trugen. »Yurik, Tate und Bhandi.«
»Hey.« Bhandi reckte Ember ihr Kinn entgegen und verschränkte die Arme. »Warst du schon mal hier?«
Ember schüttelte den Kopf und rümpfte die Nase mit einem unsicheren Lachen. »Das erste Mal.«
»Alles klar. Noch ein Neuling.« Yurik drehte sich zu dem Mann hinter der Theke um und streckte seine Faust aus, um ihm einen Fistbump zu geben. Der Mann schaufelte sich einen gehäuften Löffel grünen Frozen Yogurt in den Mund und starrte den verkleideten Kobold an. »Okay. Schön, dich zu sehen, Tony.«
Tate schnaubte und ging auf den hinteren Teil des leeren Ladens zu. »Kommt schon.«
Die Gruppe folgte ihm zu der Tür mit der Aufschrift ›Nur für Mitarbeiter. Zutritt verboten‹. Embers Augen weiteten sich, als er die Tür öffnete und allen ein Zeichen gab, einzutreten.
»Arbeitet jemand von euch hier?«
Bhandi lachte. »Auf keinen Fall. Unser Job ist so weit davon entfernt, wie er es nur davon sein könnte, Kindern Eiscreme zu servieren.«
Tony schüttelte den Kopf und blickte ihnen hinterher. »Ich sollte dir nicht ständig sagen müssen, dass es kein Eis ist.«
»Ja, ja.« Die Trollfrau winkte ab und trat in den kleinen Raum.
Yurik folgte ihr und Tate wartete, bis Ember und Cheyenne eingetreten waren, bevor er selbst hineinging und die Tür hinter sich zuzog. Das Licht flackerte auf und beleuchtete die Edelstahlwände des Aufzugs zum magischen Marktplatz unter Richmond, Virginia.
Ember presste ihre Lippen aufeinander und beäugte den kleinen, engen Raum, als sie sich auf den Weg nach unten machten. »Wir sind gerade in einen Aufzug reingegangen.«
Bhandi schnaubte. »Der war gut.«
Tate schaute sie stirnrunzelnd an und schüttelte verneinend den Kopf.
»Was? Sie hat doch ›Wir sind gerade in einen Aufzug reingegangen‹ gesagt. Oh.« Die Trollfrau sah Ember an und biss die Zähne zusammen. »Das war kein Scherz?«
»Äh, nicht wirklich. Der Stuhl ist ziemlich neu für mich. Ich muss mich wohl noch an meine Wortwahl gewöhnen.« Das Lächeln der Fae war angespannt und ein wenig unbehaglich.
Bhandi schüttelte den Kopf. »Mann, das tut mir leid. Ich dachte, das war Absicht.«
»Mach dir keine Sorgen.«
Cheyenne lehnte sich an die Wand des Aufzugs und beobachtete die ganze Sache mit hochgezogenen Augenbrauen. Das war der perfekte Eisbrecher.
»Die Hälfte der Scheiße, die aus Bhandis Mund kommt, ist genau das.« Tate zuckte mit den Schultern und warf einen kurzen Blick auf die Trollfrau, bevor er Ember ansah. »Die andere Hälfte ist nur halb ernst gemeint.«
»Ja, okay.« Bhandi sah ihn finster an. »Ich kann ernst sein.«
»Nicht dort, wo wir hingehen.«
Yurik räusperte sich. »Also, Ember. Was hat dich dazu bewogen, für dein erstes Mal mit der Halbdrow mitzukommen?«
Die Fae sah zu Cheyenne auf und kicherte. »Sie hat mich überzeugt, dass es meine Zeit wert ist, denke ich.«
»Denkst du.« Tate nickte und streifte den dicken, schwarzen Ring von seinem Finger, bevor er ihn in seine Tasche steckte. »Hast du Cheyenne schon mal gegen jemanden kämpfen sehen? Denn dann wird sie richtig überzeugend.«
»Genau.« Cheyenne verdrehte die Augen.
»Ja, das habe ich.« Ember zuckte mit den Schultern. »Sie musste aber nicht gegen mich kämpfen. Es brauchte nur ein paar Geschichten über euch und ich dachte mir, ich schaue mir die Show mal an.«
»Oh !« Yurik hielt sich eine Hand vor den Mund und starrte Bhandi an. »Hat uns das neue Mädchen gerade gedisst?«
Bhandi hob ihr Kinn und blickte von Ember zu Cheyenne und wieder zurück. »Was für Geschichten?«
»Alle von ihnen.«
Die Trollfrau ließ den Kopf hängen, als Tate und Yurik in Gelächter ausbrachen. »Ein Troll kann keinen einzigen Fehler machen.«
»Ja, genau.« Yurik zog seinen Ring ab und seine Frisur verwandelte sich in den gelben Streifen in der Mitte seines Kopfes, während seine Haut sich im Nu von der Farbe eines blassen Menschen zu der eines grünen Kobolds veränderte. Der Septumring blieb, wo er war. »Als ob du jemals nur einen Fehler gemacht hättest.«
»In Ordnung.« Bhandi sah ihn starr an. »Sollen wir über die ganze Scheiße reden, die du letztes Jahr bei Res 17 abgezogen hast? Denn ich könnte da bestimmt auch ein paar Geschichten erzählen.« Die Trollfrau zog eine Augenbraue hoch, nahm ihre Maske ab und steckte den schwarzen Ring in ihre Tasche. »Ich habe auch eine Menge Geschichten. Ich weiß, dass du sie noch nicht kennst.«
Tate schnupperte an der Luft und lehnte sich gegen die Wand des Aufzugs, als Bhandis kastanienbraunes Haar verblasste und ihre lilafarbene Haut und ihr dichtes, geflochtenes, scharlachrotes Haar, das zur Farbe ihrer Augen passte, zum Vorschein kamen. »Hier riecht es nach Fae.«
»Ernsthaft?« Ember sah zu Cheyenne auf. »Das ist das dritte Mal an einem Tag.«
Die Halbdrow grinste ihre Freundin an und schlüpfte in ihre Drowgestalt, um sich dem magischen Aussehen der anderen anzupassen. »Ich schätze, ich bin die Einzige, die es nicht bemerkt.«
»Warte, das bist du ?« Tate grinste. »Wir dürfen zum ersten Mal eine echte Fae durch Peridosh führen. Es gibt viel mehr zu feiern, als ich erwartet habe.«
Cheyenne nickte Ember dezent zu, die keine Sekunde zögerte und ihre Hand in die Jackentasche steckte, um den Ring mit dem Illusionszauber anzulegen. Mit der anderen Hand neben ihrem Oberschenkel vollendete Ember den Trick, indem sie ihre Finger in einer schnellen Reihe von Gesten bewegte. Cheyenne presste ihre Lippen zusammen.
Das hat sie wirklich gut durchdacht. Niemand wird merken, dass sie keine Illusion getragen hat .
Embers hellbraunes Haar bekam einen violetten Farbton, die blonden Strähnen nahmen die gleiche violette Farbe an, wie ihre leuchtenden, etwas größeren Augen und die Fae glühte in einem rosafarbenem Licht.
»Kein Scheiß.« Bhandi zeigte auf Ember, während sie Yurik einen überraschten Blick zuwarf. »Wusstest du, was sie war?«
Der muskulöse Kobold zuckte mit den Schultern.
»Mann, ich habe seit Jahrzehnten keine Fae mehr gesehen!« Bhandi klatschte in die Hände und nickte wiederholt. »Das ist genau das, was ich heute gebraucht habe.«
Ember breitete ihre Arme aus. »Nun, hier bin ich.«
»Na klar, hier bist du.« Die Trollfrau verschränkte die Arme und warf einen kurzen Blick auf den Rollstuhl. »Wie lange sitzt du in diesem Ding fest?«
»Alter.« Tate warf ihr einen weiteren vorwurfsvollen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Das ist nicht die Art von Frage, die man jemandem stellt, den man gerade erst kennengelernt hat.«
»Hey, ich bin nur neugierig. Ich wusste nicht, dass Fae mit ihren eigenen Rädern herumfahren.«
Yurik schnaubte. »Ich hätte wissen müssen, dass dein Kopf immer noch in deinem Arsch steckt.«
»Hey, fick dich!«
»Nein, ist schon okay.« Ember hob eine Hand und versuchte, die angespannten Reaktionen zu stoppen, bevor sie noch schlimmer wurden. »Es ist viel besser, danach gefragt zu werden, als dass du so tust, als ob ich auf den Beinen wäre wie alle anderen.«
»Siehst du?« Bhandi zeigte Tate den Mittelfinger. Der Trollmann schnaubte und schüttelte den Kopf.
»Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wie lange ich in diesem Ding sein werde. Ich habe ihn noch nicht mal seit einer Woche.« Ember klopfte mit einem weiteren Achselzucken auf die Armlehnen. »Aber es ist der Beweis, dass Fae genau wie alle anderen Probleme kriegen können.«
»Nein.« Yurik winkte ab. »Du bist in Nullkommanichts wieder draußen. Ich habe gehört, dass Fae gut heilen.«
Bhandi schnaubte. »Wer hat dir das gesagt, hm? Derselbe Kobold, der dir ein Tonikum für Haarwachstum verkaufen wollte?«
»Ich habe Haare, Mann. Tate ist der Glatzkopf.«
»Aus freien Stücken.« Tate tätschelte seinen kahlen, tätowierten Kopf.
»Schön.« Bhandi wollte es ihm gleichtun, aber Tate wehrte sie ab und schlug ihre Hand zur Seite.
»Fass meinen Kopf nicht an.«
»Oh, jetzt hast du ein Problem mit deinem persönlichen Freiraum, hm?«
»Willst du etwa, dass ich mit deinen Haaren spiele?«
Cheyenne und Ember tauschten verwirrte Blicke aus, dann sah die Halbdrow zu Yurik. Der Kobold hatte die Arme verschränkt und hob achselzuckend die Augenbrauen.
Heute Abend sind alle angespannt. Aber d as kriegen wir schon hin .
Der Aufzug kam langsam und ruckelnd zum Stehen, als er das Ende seiner langen Fahrt in den unterirdischen Marktplatz erreichte. Bhandi und Tate hörten auf zu streiten und die Augen der Trollfrau leuchteten auf.
»Deshalb sind wir hier, Fae.« Die Fahrstuhltüren öffneten sich in dem Moment, als Bhandi auf sie zeigte. »Es ist mir egal, was die anderen machen, aber ich werde mich besaufen.«
»Seit dem letzten Mal, als wir hier waren, hat sich nichts verändert«, murmelte Tate, als er ihr aus dem Aufzug folgte. »Oder seit dem Mal davor. Oder davor.«
»Weißt du was? Hör einfach auf, mich anzuschnauzen, bis ich mindestens einen ganzen Krug Grog in der Kehle habe, ja? Schaffst du das?«
»Vielleicht.«
Yurik verdrehte die Augen und schob sich von der Wand weg, um in den breiten, geschwungenen Eingang des unterirdischen Marktplatzes zu treten, der nur für magische Wesen bestimmt war. Cheyenne ging als Nächste und wartete auf Ember, die sich auf den relativ glatten Steinboden rollte. Die leuchtenden, violettfarbenen Augen der Fae wurden noch größer, als sie den weiten, geschwungenen Bogen des riesigen Tunnels sah, der sich weiter erstreckte, als sie sehen konnten. »Heilige Scheiße!«
»Willkommen in Peridosh, Em.« Cheyenne stupste ihre Freundin an der Schulter an und nickte ihr zu, als die FRoE-Agenten in dem Gewimmel von Hunderten von magischen Wesen verschwanden, die hier unten ihren Geschäften nachgingen. »Ich bin sicher, dein erstes Mal hier wird spannend. Nur hoffentlich nicht ganz so ereignisreich wie mein erstes Mal.«
»Das können wir nur hoffen, oder?« Ember lachte. »In einer Kneipenschlägerei wäre ich im Moment nicht so gut.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich halte dir den Rücken frei.«
»Ja, ich wette, das tust du.«