Kapitel 20

D er Aufzug kam ruckartig zum Stehen. Die Türen öffneten sich und gaben den Blick auf die ›Nur für Mitarbeiter‹-Tür auf der anderen Seite frei.

»Oh, Scheiße.« Tate griff in seine Tasche und ließ fast seinen schwarzen Illusionsring fallen, bevor er ihn an den Finger steckte. Seine violettfarbene Haut und seine scharlachroten Augen verblassten zu braunen Flecken, aber die Tattoos blieben. »Alter, wir müssen ihre Maske holen.«

»Ihre was?«

Cheyenne sah zu Ember hinunter und wackelte mit den Fingern, dann schlüpfte sie zurück in ihre menschliche Gestalt. »Illusionszauber.«

»Oh.« Die Fae steckte ihre Hand in die Tasche ihrer Jacke und nahm ihren Illusionszauber ab.

Die Halbdrow beobachtete, wie sich die Finger von Embers anderer Hand nutzlos in ihrem Schoß bewegten. Sie ist beschwipst, aber sie macht gute Miene zu böse m Spiel .

Embers rosa- und violettfarbener Schimmer verblasste zu ihrer normalen, menschlich aussehenden Faegestalt. Während Yurik sich abmühte, Bhandi von der Wand wegzuziehen, drehte sich Tate mit einem genervten Gesichtsausdruck zu Cheyenne um. »Kannst du aufpassen, dass wir nicht in diesem Aufzug stecken bleiben oder so?«

»Ja.« Cheyenne riss die Tür auf und schaute sich im Froyo-Laden um. »Hey, Tony.«

Der mürrische Mann hinter dem Tresen warf ihr einen ausdruckslosen Blick zu, der dem der Halbdrow in nichts nachstand. »Was?«

»Wir haben hier drin ein paar Probleme. Kannst du mal kurz herkommen?«

Tony schaute sich unauffällig im Laden um und blinzelte. »Ich verlasse diesen gottverdammten Tresen eigentlich nicht, bis der Laden schließt, was so gut wie nie der Fall ist. Aber es ist sowieso niemand hier. Was ist diesmal das Problem?«

Cheyenne spähte um den Tresen herum und betrachtete die leere Ladenfront. »Oh. Gibt es einen Knopf, der verhindert, dass das Ding wieder runtergeht, bevor wir alle rausgeholt haben?«

Tony legte seine Zeitschrift auf den Tresen und blickte finster auf den Spalt in der Tür über ihrem Kopf. »Ich schwöre, wenn dieser verrückte Troll da drin noch einmal kotzt, werde ich dafür sorgen, dass sie es mit ihrem Gesicht aufwischt.«

»Warum zum Teufel wollt ihr mich umbringen, ihr Bastarde?«, rief Bhandi, gefolgt von ein paar schnellen Schlägen. »Ich reiße euch die Arme aus und stecke sie euch in die Ohren!«

»Hey, nimm ihren Arm, ja?«

»Wonach sieht es denn aus, was ich hier versuche? Woah, woah, warte! Halt die Tür auf.«

Cheyenne schlüpfte lange genug in ihre Drowgestalt, um die dicken Aufzugtüren wieder auseinanderzuziehen. Sie knallten donnernd gegen die Wand, dann öffnete sie erneut die Tür , begegnete Tonys Blick und zuckte mit den Schultern.

»Kein Knopf. Zieh sie einfach zu den Toiletten, bis jemand sie unter Kontrolle hat.«

Die Halbdrow ließ ihre Drowgestalt verblassen und öffnete die Tür, bevor sie sich wieder den Agenten zuwandte. »Habt ihr das gehört?«

»Ja. Ich weiß nur nicht, wie ich … ah! Scheiße!« Yurik presste beide Hände auf seine Nase und Blut tropfte unter seinen Handflächen hervor. »Wir versuchen, dir zu helfen , Arschloch.«

Bhandi schlug gegen die Rückwand des Aufzugs, ihre Arme peitschten in alle Richtungen.

»War das ihr Ellenbogen?«, fragte Tate aufgebracht.

»Ja. Und mein Gesicht.« Yurik trat aus dem Aufzug, drehte sich zur Seite, um an Cheyenne vorbeizukommen und ging zu den Toiletten auf der anderen Seite des engen Flurs.

»In Ordnung.« Tate hob beide Hände, um zu zeigen, dass er aufgab und wartete, bis Ember sich aus dem Aufzug gerollt hatte, bevor er ebenfalls ausstieg. »Bhandi.«

»Hiermit legt sich niemand an.« Die Trollfrau klopfte sich auf die Brust und stürzte auf ihn zu, wobei ihr Blick wild umherschweifte, aber sein Gesicht nicht ins Visier nahm. »Ich werde alle deine Vorfahren ins Grab schicken!«

»Schade, dass sie schon da sind. Aber hey, wir haben noch einen Krug. Er wartet in dem Zimmer gegenüber auf dich.« Tate deutete auf die Tür zu den Toiletten, wo Yurik über dem Waschbecken lehnte und im Spiegel über seine blutige Nase fluchte. »Siehst du? Dein Lieblingskobold fängt schon an.«

»Er ist nicht mein Lieblingskobold.« Bhandi blinzelte und ließ ihre Hände auf ihre Oberschenkel fallen. »Du sagst, da ist noch ein Krug?«

»Japp.«

»Tja, Scheiße. Das hättest du das nächste Mal einfach sagen sollen, oder?« Als Bhandi seelenruhig aus dem Aufzug ging, schlossen sich die Türen hinter ihr. Sie trat gegen die Tür des Mitarbeiterbereichs und Cheyenne fing sie auf, bevor sie gegen die Rückwand krachen konnte.

»Hey, setz deine Maske auf, ja?«

Die Trollfrau drehte sich zu Cheyenne um und zeigte in ihre Richtung. »Wie du?«

»Ja.«

»Wozu das denn?«

»Es ist eine Mottoparty.« Cheyenne zuckte mit den Schultern und schaute Tate zur Bestätigung an. Der schüttelte den Kopf und blickte sie mit offenstehendem Mund an.

»Alle machen es«, fügte Ember hinzu.

Bhandi versuchte, ihre Hand in die Vordertasche ihrer engen, burgunderroten Hose zu stecken und bückte sich zur Seite, bevor sie ihren Illusionsring herauszog. Sie hielt ihn vor ihr Gesicht und Tate musste ihre andere Hand ergreifen und einen Finger in den Ring stecken. Ihre lilafarbene Trollhaut und die scharlachroten Zöpfe verwandelten sich in hellbraune Haut und lange, glatte, brünette Haare. Dann riss sie ihre Hand aus Tates Griff und ging auf das Badezimmer zu. »Jetzt lass uns gehen.«

Yurik stolperte mit seiner eigenen menschlichen Illusion aus dem Toilettenbereich und knurrte über seine Schulter: »Wenn ich deine hässliche Visage das nächste Mal sehe, Arschloch, werde ich sie dir zum Fraß vorwerfen.«

Ember schnaubte und musste sich zurückhalten, um nicht laut loszulachen.

Der Kobold knallte die Toilettentür hinter sich mit einem Faustschlag zu. »Kannst du das glauben? Der Trottel dadrin hat unseren Krug mitgenommen.«

»Oh, verdammt, nein.« Bhandi stürmte zur Badezimmertür, aber Yurik fing sie mit einem Arm ab und drehte sie in Richtung des Froyo-Shops.

»Ich habe mich darum gekümmert. Schau mal.« Er deutete auf das Blut unter seiner Nase und schob sie nach vorne. »Er hat gut getroffen, aber ich habe ihn umgelegt. Zeit zu gehen.«

»Oh, Mann.« Bhandi warf einen Blick über ihre Schulter auf die Toilette, ließ sich dann aber zum Eingang des Ladens führen. »Hey, Tony.« Sie blieb stehen, blinzelte und versuchte, sich auf das ausdruckslose Gesicht des Mannes zu konzentrieren. »Was machst du denn hier unten?«

Der Wächter des Aufzugs zu Peridosh hob eine Augenbraue und sagte nichts.

»Geh weiter.« Yurik gab ihr einen weiteren kräftigen Schubs, sodass Bhandi wieder vorwärtsstolperte und gegen Tische und Stühle stieß. Dann drehte er sich um und blickte Tate an. »Noch ein Krug in den Toiletten? Wirklich?«

»Du hast mitgemacht. Es ist eine ziemliche Mutprobe zu sagen, dass ihn jemand gestohlen hat, oder?«

»Ja, klar. Das nächste Mal kannst du ihr sagen, dass es nur ein Trick war, damit sie ihre Maske aufsetzt. Kümmere dich selbst um die Reaktion darauf.«

Bhandi stieß die Glastür auf, rüttelte an der Glocke, die am Griff baumelte und marschierte auf den Bürgersteig hinaus.

»Scheiße.« Yurik beschleunigte, um ihr nach draußen zu folgen. »Jemand wird sie überfahren.«

»Oder überfahren werden.« Tate drehte sich um und gab Ember und Cheyenne ein entschuldigendes Achselzucken. »War schön, dich kennenzulernen, Ember.«

»Ja, dich auch.«

Er zeigte auf die Halbdrow. »Sag uns Bescheid, wenn du noch etwas findest, das uns weiterhilft. Du weißt schon, damit wir nicht den Kopf verlieren.«

»Ebenso.« Cheyenne nickte kurz. »Yurik hat meine Nummer.«

»Okay. Bis dahin.« Tate ging durch die Eingangstür und blieb stehen, wobei er sich beide Hände an den kahlen Kopf klatschte. »Was macht ihr da?«

Ember lehnte sich in ihrem Stuhl vor, während sie und Cheyenne zur Tür gingen und durch die Fenster spähten. »Sollen wir ihnen helfen oder so?«

»Nee, die bekommen das schon hin.« Die Halbdrow hielt ihrer Freundin die Tür auf und als sie die Straße hinunterblickten, waren die FRoE-Agenten schon verschwunden. »Siehst du?«

»Sich in Luft aufzulösen, ist in deiner Welt also ›hinbekommen‹?«

Cheyenne kicherte und ging in die entgegengesetzte Richtung den Bürgersteig hinunter auf den Parkplatz zu, der sich auf der anderen Seite der Kreuzung befand. »Wirklich?«

»Ja, das ist es auf jeden Fall.« Ember lachte, als sie sich schnell über den Bürgersteig schob. Kurze, violettfarbene Lichtblitze halfen ihr, die rissige, holprige Fußgängerrampe zu bewältigen, bevor sie die Straße überquerten.

Ein Jogger bog vor ihnen um die Ecke, warf einen Blick auf die leuchtenden Räder und nickte. »Schöne Lichter.«

Die Mädchen gaben ihm zehn Sekunden, um die Straße hinunter zu joggen, bevor sie in Gelächter ausbrachen. »Oh, Mann. Die Leute sehen, was sie sehen wollen, nicht wahr?«, fragte Cheyenne lachend.

»Das ist viel einfacher, wenn die Lichter das Einzige sind, was ich tun kann.« Um das zu beweisen, rollte Ember auf den Bordstein des Bürgersteigs, der den Parkplatz säumte. Ein weiterer violettfarbener Lichtimpuls beleuchtete ihre Hände und die Räder, hob sie hoch und setzte sie sanft wieder ab. »Und ich muss nicht einmal darüber nachdenken.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass Magie so funktionieren soll, Em.« Cheyenne zog ihre Schlüssel aus der Tasche und drückte den Entriegelungsknopf. Der Panamera piepte auf der anderen Seite des Parkplatzes und die Scheinwerfer blinkten. »So wie du deine Gliedmaßen bewegst, richtig? Hey, das ist auch etwas, was du jetzt tun kannst.«

»Mach mir keine zu großen Hoffnungen.« Ember schmunzelte, als sie die geparkten Autos am Union Hill passierten. »Es war nur ein kleiner Tritt. Kaum der Rede wert. Ich habe die ganze Zeit versucht, es noch mal zu tun.«

»Du hast es einmal getan. Du wirst es wieder tun.«

»Das weißt du doch gar nicht.«

Cheyenne zuckte mit den Schultern und öffnete die Beifahrertür. »Nur ein Gefühl, aber wenn ich ein Gefühl habe, liege ich meistens richtig.«

»Ha.« Ember blockierte die Räder und drückte sich auf die Armlehnen, damit die Halbdrow ihr beim Umsteigen helfen konnte. »Jetzt klingst du aber ganz schön eingebildet.«

»Damit kann ich leben.« Während Ember auf dem Beifahrersitz saß, klappte Cheyenne den Stuhl zusammen und brachte ihn in den hinteren Teil des Wagens, wo sie den Kofferraum öffnete.

»Aber eins sage ich dir«, rief Ember durch die offene Tür. »Ich ziehe die großspurige Cheyenne der Jagd einer besoffenen Trollin auf dem Union Hill vor.«

Die Halbdrow öffnete die Fahrertür und setzte sich hinter das Steuer. Sie warf das Bein des Maschinenkäfers auf den Rücksitz und startete den Motor. »Danke, Em. Ich fühle mich geschmeichelt.«

Lachend schnallte sich die Fae an. »Ja, das solltest du auch.«