Kapitel 22

C orians tiefe Stimme klang über die Leitung kratziger als sonst. »Was ist los, Mädchen?«

»Ach, weißt du, ein ganz normaler Dienstagabend. Ziemlich entspannt. Ich habe Spaß.«

Als Antwort kam erst nur eine lange Pause. Dann fragte der Nachtpirscher ruhig: »Was ist passiert?«

»Ja. Das frage ich mich auch.«

Corian seufzte. »Wir sind gerade dabei, irgendeinen Scheiß zu entschlüsseln, von dem ich nicht behaupten kann, ihn zu verstehen.«

»Wir?«, fügte Persh’al im Hintergrund hinzu. »Nein, nein. Ich entschlüssele, Mann. Du sitzt mir nur im Nacken.«

»Sind dafür die Aufseher nicht da?«, rief Byrd von der anderen Seite des Lagerhauses.

Corians lautes Schlucken und sein langsames, genervtes Ausatmen kamen laut und deutlich rüber. »Offensichtlich habe ich keine Zeit für Spielchen, Cheyenne. Ich bin nicht in der Stimmung.«

»Genau. Weil du den Kerl gefangen hast, der herausgefunden hat, wie man die Technik der anderen Seite hier zum Laufen bringt und jetzt versuchst du eifrig, dieses Wissen vor allen anderen geheim zu halten. Ist das eine gute Zusammenfassung?«

»Ja, so ungefähr.«

»Gut. Vielleicht kannst du mir sagen, warum ein zusammengebautes Stück dieser Maschine den ganzen Weg unter den Union Hill getunnelt und eine ziemlich große Untergrundparty gestört hat. Wenn du verstehst, worauf ich hinaus will.« Cheyenne zog eines ihrer Beine auf den Sessel, stützte den Ellbogen auf das Knie und hielt sich das Handy weiter ans Ohr.

Corians Pause war dieses Mal noch länger. »Was?«

»Ich weiß, dass du mich gehört hast.«

»Das ist unmöglich.«

»Anscheinend nicht. Ich schaue gerade ein übrig gebliebenes Stück davon an, das auf meiner Couch liegt. Ich habe ein paar Teile mitgenommen. Falls es euch hilft herauszufinden, was ihr falsch gemacht habt. Denn das hätte nicht passieren dürfen.«

»Nein, das hätte es nicht.« Corian zog das Handy von seinem Mund weg, als er das sagte.

Oh, ja. Ich kann mir vorstellen, wie er Persh’al einen bösen Blick zuwirft.

»Erzähl mir, was passiert ist.«

Cheyenne berichtete: »Das Ding kam aus dem Nichts, Mann. Beziehungsweise es kam aus dem Untergrund. Ein wirklich lauter Bagger, aber ich konnte ihn nicht einordnen, bis er mitten in der kleinen Einkaufsmeile aufgetaucht ist und angefangen hat, mit Dingen um sich zu werfen.«

»Was wollte es?«

»Ernsthaft?« Sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Ich hoffe wirklich, dass diese Maschinen nichts wollen

»Du weißt, was ich meine.«

»Ich habe keine Ahnung, warum es dort war, okay? Aber ich vermute, dass es den anderen einen Schritt voraus war und nach mir gesucht hat, da alle Lebewesen mit Gehirn und normalen Körperfunktionen bisher versagt haben.«

»Das könnte der Fall sein. Du sagst, du hast ein paar Teile zurückgebracht?«

Cheyenne betrachtete das schwarze Metallbein und nickte. »Ja. Nachdem ich das Ding in der Mitte des Tunnels vergraben hatte.«

»Was? Du hast es angegriffen?«

»Hey, es hat mich angegriffen. Und alle anderen da unten auch. Ich wollte nicht zulassen, dass es den Laden zerreißt.«

»Cheyenne, hast du es mit deinen persönlichen Waffen angegriffen?«

»Wir reden immer noch im Code, oder?«

»Beantworte die Frage!«

Sie zog das Handy von ihrem Ohr weg und betrachtete es stirnrunzelnd. »Ja. Das ist so ziemlich meine übliche Reaktion. Wenn sich etwas durch die Wand bohrt und auf mich zurennt, werde ich es zuerst mit Feuer attackieren. Ich meine, nicht mit dem Feuer.«

»Aber du hast direkten Kontakt hergestellt.«

»Das habe ich doch gesagt. Dann hat es sich gegen mich gewendet und ich musste improvisieren.«

»Scheiße.« Corians Mobiltelefon fiel klappernd auf eine harte Oberfläche und Persh’als Stimme kam näher als zuvor durch.

»Was ist hier los?«

»Stell das Ding auf Lautsprecher, ja?«

»Äh, ja.« Ein Klopfen ertönte, dann war der gleichmäßige Atem des blauen Trolls laut und deutlich zu hören. »Du bist auf Lautsprecher, Kleine.«

Cheyenne runzelte die Stirn, den Blick noch immer auf das schwarze Metallbein auf ihrer Couch gerichtet. »Was ist hier los?«

»Wenn du das Ding nur mit Erde eingegraben hättest, Cheyenne«, rief Corian aus einiger Entfernung, »dann hätten wir dieses Problem nicht. Aber ein direkter Angriff bedeutet, dass das Betriebssystem des Dings mehr oder weniger deine Signatur erfasst hat. Das war das Einzige, was sie nicht hatten.«

»Mein Gott.« Die Halbdrow verdrehte die Augen und schaute Ember an, die mit fragendem Blick und geweiteten Augen stumm eine Erklärung verlangte. Cheyenne schüttelte den Kopf und hob einen Finger. »Also, was machen wir?«

»Ich komme und hole dich. Wo bist du?«

»Zu Hause. In meiner Wohnung. Aber tauche nicht in Embers Schlafzimmer auf oder so, okay?«

»Hast du vor, in den nächsten Minuten dort zu sein?«

Sie schloss die Augen und seufzte. »Alter.«

»Ich tauche auf, wo immer du bist, Cheyenne.« Etwas klapperte auf dem Betonboden des Lagerhauses, gefolgt von einer zischenden Reihe von Flüchen, während Corian das Chaos aufräumte, das er angerichtet hatte. »Warte einfach auf mich, okay? Geh nirgendwo hin und fass die Teile, die du mitgebracht hast, nicht an.«

»Nun, eins ist in meiner Tasche und das andere habe ich wie einen Schlagstock mit nach Hause genommen.«

Der Nachtpirscher knurrte frustriert. »Also, fang nicht wieder damit an, verstanden? Ich komme, so schnell ich kann.«

»Okay. Wird das eine lange Wartezeit werden?«

»Persh’al, mach das aus.«

»Bist du sicher?«

»Beende den verdammten Anruf, Troll!«

»Verdammt, Mann. Beruhige dich. Ich versuche nur zu helfen.«

Die Verbindung wurde unterbrochen und Cheyenne starrte mit zusammengebissenen Zähnen auf ihr Handy.

»Keine gute Entscheidung, nehme ich an?«

Als sie zu Ember aufschaute, schüttelte die Halbdrow den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Ich habe vielleicht den feuerspeienden Maschinenkäfer zur Strecke gebracht und damit Hunderte von Leben gerettet. Aber das ist natürlich alles egal, denn ich bin die Auserwählte , die man nicht allein lassen kann und der man nicht zutraut, sich selbst um alles zu kümmern. Das ist ziemlich schwer, wenn nicht ein einziger Mensch tut, was er verspricht!«

Die Hitze ihrer Drowmagie flammte auf, ohne dass sie beschworen wurde und eine Drow mit violettgrauer Haut und knochenweißem Haar saß nun auf dem schwarzen Ledersessel und rauchte vor Wut.

Ember biss sich auf die Unterlippe und verschränkte die Arme. »Aber du solltest dein Handy lieber schonen. Es ist ja nicht so, dass du dir kein neues leisten könntest, aber ich persönlich hasse es, neue Handys kaufen zu müssen.«

Cheyenne ließ ihr Handy in den Schoß fallen und gab ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen einem Schnauben und einem Knurren lag, dann sah sie ihre Freundin an. Ember hob die Augenbrauen und nickte langsam. »Wahnsinn. Ich habe gerade einen Wutanfall bekommen.«

»Einen kleinen Wutanfall, ja.« Das Lächeln der Fae erblühte auf ihren Lippen und sie zuckte mit den Schultern. »Ich sage nur, dass ein Wutanfall viel cooler ist, als wenn du wegläufst, um das zu verstecken, was du nicht bei dir behalten kannst.«

»Wenigstens habe ich das hinter mir.«

»Du verdeckst deine Ohren nicht mehr.«

»Ich zerquetsche keine Bierflaschen mehr mit meinen bloßen Händen.« Sie grinsten sich an und Cheyenne musste ihren Blick senken. Das war die Nacht, in der sich alles geändert hat. So bin ich hierhergekommen und das Einzige, was ich bedauere, ist, dass ich nicht früher zu dem geworden bin, was ich bin. Sie warf einen kurzen Blick auf Embers Rollstuhl. »Okay, Corian wird also in wer weiß wie langer Zeit hier sein. Ich glaube nicht, dass du mit mir warten musst.«

»Oh, vertrau mir. Das werde ich auch nicht tun.« Die Fae gähnte und schürzte ihre Lippen. »Es war kein Scherz, als ich meinte, dass ich müde bin. Der Fae-Trunk dieser Orkfrau hat mich hart getroffen und jetzt fängt er an nachzulassen. Genau wie ich.«

»Habe ich bemerkt.«

Ember griff in ihre Jackentasche und zog den silbernen Illusionsring heraus. Mit einem breiten Lächeln hielt sie ihn in die Luft und hob eine Augenbraue. »Ich nehme an, ich kann ihn behalten.«

»Er gehört ganz dir, Em. Die Magie des Anhängers ist erloschen und ich habe nichts mehr zu verbergen.«

»Klingt sehr befreiend.«

Cheyenne schnaubte.

»Im Ernst, danke dafür. Dafür, dass du mich heute Abend mit deinen verrückten Freunden mitgenommen hast.«

»So seltsam. Sie waren viel weniger angespannt, als sie mich mitgenommen haben, aber ich kann es ihnen nicht verübeln. Es ist für alle eine Menge Scheiße los.«

Ember beugte sich vor, um ihre lilafarbene Jacke auszuziehen. »Trotzdem, ich hatte Spaß. Noch etwas, das wir gemeinsam haben, oder? Es hat einundzwanzig Jahre und eine ganze Welt voller Schmerzen gedauert, bis wir beide endlich in die Welt der Magie eintauchen konnten.«

»Schön, dass ich dir dabei helfen konnte.« Cheyenne holte tief Luft und schlüpfte wieder in ihre menschliche Gestalt. »Ich glaube, die Agenten mochten dich.«

»Solange sie wissen, dass ich für niemanden eine Fae-Freundin sein werde.« Sie lachten müde. »Aber mal im Ernst. Ich bin lieber ein Teil dieser Welt, sogar unter der Erde und mit einem riesigen Maschinenkäfer, der alle angreift, als zuzusehen, wie du im Kampf gegen Portalmonster fast stirbst.«

»Werd nicht sentimental, Em. Das könnte unsere Freundschaft ruinieren.«

Spöttisch warf Ember ihre Jacke über die Rückenlehne der Couch und zeigte auf sie. »Häng das für mich auf, ja? Ich werde gleich ohnmächtig.«

»Gute Nacht.«

»Ich hoffe es.«

Cheyenne konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie ihre Freundin dabei beobachtete, wie sie schnell durch ihre weitläufige Wohnung rollte. Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer stieß die Fae an keine Tür oder Ecke und die Tür schloss sich leise hinter ihr.

Die Halbdrow stieß einen langen, langsamen Seufzer aus und kratzte sich am Kopf. Dann warf sie einen Blick über die Schulter auf das Eisengitter, das ihr Büro im Mini-Loft umgab. Sieht so aus, als müsste ich ein bisschen graben und ein paar Minuten totschlagen. Zeit, herauszufinden, was unser lieber Herr Nachbar vorhat.