A m nächsten Morgen schaffte Cheyenne es, sich aus ihrem Schlafzimmer zu schleichen, unter die Dusche zu springen und eine weitere Schicht dicken, schwarzen Eyeliner aufzutragen, bevor Ember sich auf der Couch regte.
»Wie spät ist es?« Die Fae stöhnte und drückte sich gegen die Armlehne.
»Neun Uhr Fünfzig.« Cheyenne lehnte sich näher an den Spiegel und verwischte ihr Augen-Make-up ein wenig, bevor sie nickte. Das findet man so in keinem Make-up-Tutorial . Smokey Eyes in fünf Sekunden, denn es ist mir völlig egal. Als sie aus dem Bad trat, blinzelte Ember.
»Woah. Du siehst schick aus.«
»Ja, klar.« Ihr Haar war fast trocken, also strich sie es sich aus dem Gesicht und begann einen lockeren Zopf zu flechten. »Das ist mein ›Ich wurde gerade von O’gúl-Kriegsmaschinen angegriffen und musste meine Wohnung mit Schutzwällen versehen, bevor ich eine Vorlesung halten werde‹-Look.«
Ember lachte. »Bei dir wirkt es so mühelos.«
»Nun, ich versuche es.« Die Halbdrow band ihren fertigen Zopf ab, schnappte sich ihre schwarzen Vans, die sie am Abend zuvor neben der Couch abgelegt hatte und zog sie an. »Weißt du, gestern konnte ich nicht verstehen, warum Maleshi zurück auf den Campus geht und so tut, als wäre sie eine Professorin, bei allem, was gerade los ist.«
»Sie ist eine Professorin.«
»Sicher, nur nicht wirklich . Aber jetzt verstehe ich es. Die normalen Dinge sind alles, was übrig bleibt, wenn der Rest den Bach runtergeht.«
Ember verschränkte ihre Arme und lehnte sich gegen die Armlehne. »Nicht alles.«
»Okay, gut. Ein bisschen übertrieben. Aber wenn ich nicht gerade etwas zu tun hätte, würde ich mich wohl auf die Suche nach Ärger machen. Ich habe da ein Muster erkannt.«
»Ich dachte, es wäre eher ein Problem, dich zu finden.«
Cheyenne warf sich ihren Rucksack über die Schulter und legte den Kopf schief. »Wir können uns das fifty-fifty teilen. Brauchst du etwas?«
»Nö.« Ember griff nach der Kante ihres Stuhls und zog sich von der Couch herunter. Das violettfarbene Licht ihrer Magie umhüllte ihren Körper und zwei Sekunden später saß sie bequem im Rollstuhl und lächelte. »Ich glaube, so langsam habe ich den Dreh raus.«
»Dann bin ich wohl überflüssig.«
»Ach, komm schon.« Ember schnalzte mit der Zunge und drehte sich zwischen der Couch und dem Couchtisch hin und her. »Ich bin sicher, du wirst dich irgendwie nützlich machen.«
»Haha.« Cheyenne ging auf die Haustür zu. »Ich bin in ein paar Stunden zurück. Dann fahren wir in die Klinik und ich überlege mir, wie es weitergeht.«
»Während ich bei meiner Physio bin.« Das war keine Frage.
»Ich denke, das sollten wir besprechen, wenn wir dort sind. Wir müssen nach Gefühl gehen, weißt du?«
»Aha.«
»Hey, wenn dieser Marsil, der mit ›George‹ auf seinem Namensschild herumläuft, etwas damit zu tun hat …«
»Das klären wir später.« Ember wies auf die Tür. »Du hast einen Raum voller wissbegieriger junger Menschen, die du erleuchten musst.«
Cheyenne rümpfte die Nase. »Igitt. Ich kann nicht glauben, dass ich dafür gerade dankbar bin.«
»Wie du gesagt hast, auch die normalen Dinge zählen.«
Die Halbdrow griff nach dem Türknauf, hielt inne und schaute wieder über ihre Schulter. »Mach niemandem die Tür auf, wenn ich weg bin.«
»Oh, wie schade. Ich hatte vor, sie den ganzen Tag offenzulassen, für alle, die auf einen Plausch vorbeikommen wollen.«
»Nicht einmal Matthew, okay? Solange wir nicht wissen, wer was weiß und wo er es gehört hat, können wir es nicht riskieren.«
»Ich weiß , Cheyenne.« Ember breitete ihre Arme aus und schüttelte den Kopf. »Ich war letzte Nacht auch hier, weißt du noch?«
Die Halbdrow schenkte ihrer Freundin ein beruhigtes Lächeln. »Ja.«
»Aber ich muss sagen, ich fühle mich viel besser, wenn ich weiß, dass unsere Wohnung nicht verwanzt ist.«
»Soweit wir wissen. Wenn du lilafarbene Punkte siehst, deck sie ab und schick mir eine SMS.«
Ember schaute sich langsam in ihrer Wohnung um und seufzte. »Gerade als ich anfing, mich in meinem eigenen Wohnzimmer wohlzufühlen.«
»Lass dich nicht unterkriegen, Em. Wenn ich bis jetzt noch keine gefunden habe, gibt es sie wahrscheinlich gar nicht.«
»Ich versuche, das zu glauben.« Mit einem ungläubigen Kichern zeigte Ember auf die Haustür. »Ich weiß, was ich tun muss, Halbdrow. Geh und unterrichte deinen Kurs.«
»Ja. Wir sehen uns später.« Sobald sie die Tür geöffnet hatte, drehte Cheyenne das Schloss am Türknauf und legte den Riegel vor, bevor sie ihre Schlüssel in ihre Taschen steckte. Als sie den Flur entlangging, warf sie einen Blick an die Decke und in die Ecken, ohne sich die Mühe zu machen, diskret zu sein. Ich hätte Persh’al bitten sollen, den Spruch auch hier oben anzubringen. Wie auch immer. Solange Matthew Thomas nicht in unsere Wohnung sehen kann, kann er den verdammten Flur so oft beobachten, wie er will.
Als sie den Aufzug erreichte und den Rufknopf drückte, ließ sie ihren Blick über den Flur schweifen, grinste und streckte den Mittelfinger hoch. Nur für den Fall der Fälle .
* * *
Cheyenne blieb vor dem kleinen Hörsaal stehen, in dem Maleshis Programmierkurs für Fortgeschrittene stattfand und zückte ihr Handy. Wow! Ich glaube nicht, dass ich schon mal zehn Minuten zu früh dran war .
Der Hörsaal war nicht verschlossen, also ging sie hinein und dachte sich, dass sie die zusätzliche Zeit sinnvoll nutzen würde. Als ihre Studenten zehn Minuten später ihre Plätze einnahmen, fanden sie ihre Dozentin mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen am schmalen Pult vor.
Als sie merkte, dass es Zeit für die Vorlesung war, riss Cheyenne ihre Füße vom Tisch, sprang vom Stuhl auf und klatschte in die Hände. »Seid ihr bereit anzufangen?«
Die Studierenden zuckten zusammen und bewegten sich auf ihren Plätzen. Einige von ihnen schnappten überrascht nach Luft und ein Junge verschränkte die Arme auf dem Schreibtisch und vergrub sein Gesicht in ihnen.
»Ach, kommt schon. Schaut nicht so überrascht. Ihr seid hierhergekommen, um zuzuhören.« Sie schaute in ein knappes Dutzend Gesichter von Studentinnen und Studenten, die nicht viel jünger waren als sie und hielt inne, als sie zu dem Mädchen mit dem einseitig rasierten Kopf kam. Die Studentin saß genau wie Cheyenne auf ihrem Stuhl, hatte die Arme verschränkt und ein amüsiertes Lächeln aufgesetzt. Cheyenne zeigte auf sie. »Ja, genau so.«
Mann. Ich fange sogar an, wie Maleshi zu klingen.
»Also gut, hört zu.« Die Halbdrow klatschte in die Hände und zwei Studenten zuckten zusammen. »Das war schon besser. Wir werden es weiter versuchen. Da ihr das Grundkonzept der Stunde am Montag verstanden habt, machen wir weiter.«
Ein Junge mit einer lächerlich dicken Brille hob die Hand und machte sich nicht die Mühe, darauf zu warten, aufgerufen zu werden. »Aber wir gehen noch mal alles durch, wenn wir für die Abschlussprüfungen lernen, oder?«
Cheyenne sah ihn blinzelnd an. Heute sieht er nicht annähernd so sehr aus, als hätte er Angst vor mir.
»Wenn du willst, kannst du das noch mal durchgehen. Ich weiß nicht, was Professor Bergmann euch über den Ablauf des Semesters erzählt hat, aber ihr könnt das alles vergessen. Ihr werdet die Aufgaben erledigen, wenn ich euch welche gebe. Ihr werdet mir hoffentlich Fragen stellen, wenn ihr etwas nicht versteht und ihr werdet das, was wir behandelt haben, in eurer Freizeit nacharbeiten. Tests und Prüfungen sind Zeitverschwendung. Wenn euch also etwas in diesem Kurs nicht interessiert, lasst es sein und sucht euch etwas, das euch interessiert. Für die Abschlussprüfung schreibt ihr euren eigenen Code und erstellt eine Anwendung oder ein Programm oder was auch immer. Was auch immer ihr wollt, solange es nicht etwas ist, das ein Anfänger mit geschlossenen Augen machen kann. Es sollte etwas sein, das euch wirklich gefällt. Das ist der Punkt, an dem die coolen Sachen passieren und es gibt nichts Schlimmeres, als gezwungen zu sein, an etwas zu arbeiten, das abartig langweilt. Na ja, fast nichts.«
Als sie ihre Tirade beendet hatte, breitete sie ihre Arme aus und blickte sich im Raum um. Die meisten Studentinnen und Studenten warfen ihr nur leere, nichtssagende Blicke zu.
Ich schätze, ich hatte kein Problem damit, mir spontan halbherzig einen Lehrplan auszudenken. Gut zu wissen.
Sie schloss ihre Hände zu Fäusten und nickte. »Hast du noch Fragen, bevor ich anfange und du die Klappe hältst und zuhörst?«
Der Junge mit der dicken Brille hob seine Hand und beugte sich vor. »Wir müssen uns also nicht alles aus dem Semester für die Abschlussprüfung merken?«
Mann, der hat es wirklich mit den Abschlussprüfungen .
Ein kaltes, juckendes Kribbeln lief ihr über die Schultern. Cheyenne richtete sich auf und suchte den Raum erneut ab. Achte auf das warnende Summen. Ich lerne auch .
»Miss Summerlin?«
»Mh-mh.« Sie schüttelte den Kopf, sah ihn aber nicht an. »Ich heiße Cheyenne. Das habe ich euch schon gesagt.«
»Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.«
Das kribbelnde Summen flammte wieder an der Spitze ihrer Wirbelsäule auf und ließ sie erschaudern. Dann erregte ein leises, brummendes Summen ihre Aufmerksamkeit. Das klingt fast wie eine Fliege .
»Ähm, hallo?« Der Junge, der so auf die Abschlussprüfung fixiert war, hob die Hand und winkte schwach.
»Ich habe nicht auf deine Frage geantwortet. Ich habe dich gehört. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie in der seltenen Rede beantwortet habe, die du gerade bekommen hast, aber ich schätze, du brauchst eine Wiederholung.« Cheyenne runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen und blickte auf die geschlossene Tür im hinteren Teil des Raumes, die Ecken der Rückwand und den leeren Gang mit dem alten, leicht verschmutzten Universitätsteppich. Wo ist es ?
Der Junge räusperte sich und sie warf ihm einen strengen, warnenden Blick zu. »Nein. Du musst dir nichts für die Abschlussprüfung merken, es sei denn, du denkst, es hilft dir, etwas aufzubauen, auf das du stolz sein kannst. Keine Tests. Keine Multiple-Choice-Aufgaben oder Lückentexte. Alles andere, was nicht ausdrücklich zum Schreiben von Code für etwas gehört, das du cool findest, wird nicht passieren. Ist das klar genug?«
»Wie wäre es dann mit einer Musterkarte für die Bewertung? Du weißt schon, eine Liste mit den Punkten, auf die du am Ende des Semesters achten wirst, damit wir bestehen können.«
»Alter, es ist noch nicht mal die letzte Oktoberwoche.« Cheyenne schüttelte den Kopf. Das schlaksige Mädchen in der ersten Reihe lachte leise. »Ich besorge dir, was du brauchst, wenn du es brauchst, alles klar? Es ist okay, wenn du dich entspannst und die nächsten sieben Wochen ohne Tests genießt.«
Abschlussprüfungsjunge sank in seinem Stuhl zurück und blickte unsicher auf die Oberfläche seines Schreibtischs, während seine Wangen rot wurden. »Ich will nur vorbereitet sein.«
»Ich verstehe schon. Vollkommen bewundernswert. Es gibt ein Gleichgewicht zwischen …«
Eine dunkle Gestalt von der Größe einer Stubenfliege flog schnell an dem Gesicht des peinlich berührten Jungen vorbei. Sie fing das Licht genau richtig ein und glitzerte kurz kupferfarben und schwarz. Das tiefe Brummen kehrte zurück und Cheyenne sah zu, wie das Ding eine gerade Linie zur rechten Wand zog. Als es dort landete, hörte das Brummen auf und die Fast-Fliege drehte sich sanft an der Wand, dann bewegte sie sich nicht mehr.
Keine Stubenfliege bewegt sich so gerade, genauso wenig wie echte Käfer Menschen in den Fuß stechen und radioaktive Magie spucken.
»Zwischen was?« Ein Mädchen, das genau in der Mitte der Tischreihe saß, legte den Kopf schief.
»Was?« Cheyenne sah die Studentin an, aber ihr Blick wanderte automatisch zu dem dunklen Fleck an der Wand zurück.
»Du hast gesagt, es gibt ein Gleichgewicht. Zwischen was?«
»Vorbereitet sein und sich Raum zum Atmen geben.« Die Halbdrow betrachtete die Nicht-Fliege, blinzelte und zwang sich, stattdessen ihre Studierenden anzuschauen. »Und genau das werden wir jetzt tun. Nehmt euch etwas Zeit zum Atmen.«
»Hm?«
Ich muss mir das Ding schnappen, bevor derjenige, de m die Fliege an der Wand gehört , sie zurückbekommt, ohne dass ich diese › keine richtige Professorin‹ -Nummer vergeige .
»Ihr habt mich gehört.« Cheyenne zwang sich zu einem Lächeln, was ihren sehr verwirrten Studierenden seltsame Blicke entlockte und nickte. Zeit, die Improvisationskünste hervorzuholen. »Es wird euch vielleicht überraschen, aber ich habe eine Menge von der einfachen Kunst der Meditation gelernt.«
Das Mädchen mit dem rasierten Kopf in der ersten Reihe richtete sich in ihrem Sitz auf und schaute über die Schulter, um die Reaktionen ihrer Kommilitonen abzuschätzen.
»Das ist kein Meditationskurs.«
»Hey, schön für dich.« Cheyenne legte ihren Kopf schief. »Dafür bekommst du einen goldenen Stern. Ich mein’s ernst. Meditation, Visualisierung und so. Was auch immer. So sieht’s aus. Schließt alle eure Augen. Atmet tief ein.« Der Junge in der vorletzten Reihe mit den hochgesteckten Haaren und der Hanfkette vom Montag runzelte so tief die Stirn, dass es schmerzhaft aussah. »Ja, du gehörst auch zu ›alle‹. Ich verspreche, dass ich nicht verschwinden werde oder so. Ihr könnt die Übung machen oder ihr könnt den Raum verlassen und euch drei Tage die Woche einen anderen Zehn-Uhr-Kurs suchen.«
Der Student verdrehte die Augen, ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen und schloss die Augen.
Cheyenne schaute sofort zur Wand, wo sich der dunkle Fleck der Nicht-Fliege seit seiner Landung nicht mehr bewegt hatte. »Okay. Da wir so ein erhellendes Gespräch über das Ende des Semesters hatten, werdet ihr darüber nachdenken, wie ihr euren Abschluss in diesem Kurs gestalten wollt.«
»Aber du hast gesagt …?«
»Nein, nein. Augen zu. Wir sind hier für anderthalb Stunden drin. Du kannst ein paar Minuten erübrigen, um deine Bachelor-Absichten neu auszurichten.« Ich klinge wie eine Verrückte. Das ist nicht das erste Mal.
Cheyenne schaute sich noch einmal kurz im Raum um, um sicherzugehen, dass alle Studenten auf ihre Ausrede aufgesprungen waren und starrte dann auf die Spionagemaschine an der Wand. »Macht es, wie ihr wollt. Ich hoffe, ihr habt diesen Kurs aus einem bestimmten Grund gewählt, also findet das, was ihr an fortgeschrittener Programmierung wirklich mögt und taucht tief ein. Stellt euch vor, wie ihr euch hinsetzt und euch daran macht, den Code, das Programm oder das Stylesheet zu schreiben.« Jemand anderes schnaubte. »Und ihr seid voll bei der Sache.«
Das muss schnell gehen.
»Ihr nehmt um euch herum nichts anderes wahr.«
Und das zu einem perfekten Zeitpunkt .
Cheyenne hob langsam ihre Hand über den Schreibtisch, richtete ihren Finger auf die Rückwand und beobachtete die Fliege in ihrem Blickfeld. »Das Einzige, was zählt, ist das Endergebnis und das wird genau so sein, wie ihr es wollt.«
Jetzt .
Die Hitze ihrer Drowmagie schoss ihr den Rücken hinauf, als sie ihre Hand in Richtung der Wand zu ihrer Rechten schlug. Ein schneller Schwall hellvioletter Funken schoss aus ihrer Fingerspitze und traf die Spionagemaschine genau in der Mitte. Das Ding gab ein überraschend lautes Kreischen von sich, als seine winzigen Mechanismen stotterten und Funken sprühten. Mist.
Bevor der Metallkäfer fünf Zentimeter von der Wand fiel, hakte Cheyenne ihre telekinetische Magie um die Energie der Maschine und zerrte sie zu sich. Der runde, glitzernde Körper sauste durch den Raum, als die Studierenden in ihren Stühlen zusammenzuckten, abgelenkt durch das Knacken und Knirschen an der Wand.
Die Halbdrow schnappte sich die Spionagefliege aus der Luft und schlüpfte eine halbe Sekunde, bevor ihre Schüler die Augen öffneten und nach der Quelle des Geräusches suchten, wieder in die menschliche Gestalt zurück.
»Was war das?«
Cheyenne riss die Augen auf und schenkte ihnen ein schmallippiges Lächeln, während sie die zerstörte Maschine in ihre Vordertasche steckte. »Was?«
»Es klang, als hätte jemand einen Schock bekommen.«
»Woah. Seht euch das an.« Ein Typ, der an der rechten Wand saß, zeigte auf den 25 Cent großen Brandfleck an der Wand, wo eine dünne Spur blassen Rauchs in Richtung Decke waberte.
»Hm.« Cheyenne presste ihre Handflächen auf die Tischplatte und lehnte sich in Richtung der verbrannten Wand. »Wahrscheinlich ein elektrischer Kurzschluss oder so.«
Die Hälfte der Studierenden, die sich umgedreht hatten, um sie erneut anzustarren, sahen gedemütigt aus. Die andere Hälfte rümpfte die Nase über den Geruch von verbranntem Putz und heißem Metall und sah extrem verwirrt aus.
»Gut, dass du nicht in Elektrotechnik unterrichtest.« Der Junge, der auf den rauchenden Fleck an der Wand hingewiesen hatte, rutschte von seinem Stuhl, öffnete seine Wasserflasche und schüttete einen Wasserstrahl an die Wand. Es zischte kurz und der Rauch verschwand. »Ich hoffe, der Rauchalarm geht nicht los.«
»Wir kommen schon klar.« Cheyenne schaute an die Decke und strich mit den Fingern durch die Luft, als würde sie eine Fliege verscheuchen. Das Gefühl, dass ihre Magie mit einer kräftigen Brise an die Decke wehte, gab ihr recht. »Und? Hat irgendjemand etwas Nützliches aus diesem kurzen, unterbrochenen Moment der inneren Konzentration mitgenommen?«
Die Studierenden rutschten unruhig auf ihren Plätzen hin und her, aber niemand hatte etwas zu sagen.
»Dann machen wir weiter. Ihr könnt das gerne in eurer Freizeit noch einmal versuchen.«
Cheyenne nickte und schaute auf den Tisch, während sie die zufällige Auswahl eines Themas durchging, für das sie keine Zeit gehabt hatte, es zu planen. Das war knapp. Wie hält Maleshi das bloß aus, wenn ständig so ein Mist passiert ?
* * *
Als sie um 11:31 Uhr den Vorlesungsraum verließ und die Tür hinter sich schloss, atmete Cheyenne erleichtert auf. Ich bin froh, dass das jetzt vorbei ist. Am Freitag darf ich das Ganze noch einmal machen.
Sie packte die Riemen ihres Rucksacks und ging den Flur entlang in Richtung Haupteingang. Als ihre Gesäßtasche vibrierte, wäre sie fast in ihre Drowgestalt geschlüpft, um gegen die wiederauferstandene Spionagefliege zu kämpfen. Doch stattdessen tastete sie in ihre Vordertasche, spürte das kalte Metallwesen an ihrem Oberschenkel und zog ihr vibrierendes Handy heraus.
»Hey, Mom.«
»Wann kann ich erwarten, dass diese Männer von meinem Grundstück verschwinden?«
Cheyenne trat durch die Tür und eilte über den Rasen in Richtung des nächstgelegenen Studierendenparkplatzes. Ja, hallo. Mir geht’s gut. Danke, dass du gefragt hast. Ja, das werde ich nie von ihr bekommen.
»Sobald wir sicher sind, dass nichts mehr aus dem Ding im Hinterhof herauskommt.«
»Cheyenne, ich wäre dir sehr dankbar für einen ungefähren Zeitplan.«
Die Halbdrow seufzte, nachdem sie das Handy von ihrem Mund weggezogen hatte, um Bianca Summerlin nicht noch mehr Grund zur Aufregung zu geben. »Ich weiß. Ich auch. Wenn ich einen habe, rufe ich dich als Erstes an.«
Am anderen Ende der Leitung gab es eine lange Pause. »Wenn das das Beste ist, was du tun kannst.«
»Wenn es nicht so wäre, würden wir ein anderes Gespräch führen.«
»Ja. Davon gehe ich aus.«
Cheyenne wich einer Gruppe lachender, schreiender Studierender aus, die ein Frisbee warfen und gleichzeitig versuchten, sich gegenseitig zu attackieren. Sie drehte sich um und sah einen schlaksigen Kerl wütend an, der mindestens 1,95 m groß war und sie fast umgeworfen hatte, aber er zuckte mit den Schultern und lief über das Feld. »Ich vermute, es ist nichts Ungewöhnliches passiert, seit ich weg bin?«
»Diese ganze Situation ist ungewöhnlich.« Biancas Verachtung für das Wort kam laut und deutlich durch. »Aber wenn du nach neuen Entwicklungen fragst: Nein. Nichts außer meiner wachsenden Verärgerung und der unerträglichen Demonstration der Fähigkeit dieses Teams, einsatzbereit herumzusitzen und zu warten. Vor allem auf meinem Rasen.«
Cheyenne zwang sich ein Lachen ab und beschleunigte das Tempo, als der Parkplatz in Sicht kam. »Sie sind dort, um dich und Eleanor zu beschützen, Mom. Ich kann nicht immer da sein, um diese Dinger zu bekämpfen und ich lasse dich nicht schutzlos zurück, bis ich herausgefunden habe, wie ich das ganze Ding vom Grundstück und aus deinem Kopf bekomme.«
»Ja.« Das Klirren von Eis auf Glas durchbrach die Stille. »Nur damit du es weißt, Cheyenne, ich bin nicht ungeschützt. Als ich noch in der Stadt gewohnt habe, war ich jeden Samstag um elf Uhr am Schießstand.«
Dann hat sie seit einundzwanzig Jahren keine Waffe abgefeuert. Das ist sehr beruhigend.
»Ich wette, du triffst jedes Mal zehn von zehn Punkten in diesem roten Kreis.«
»Neun von zehn«, murmelte Bianca. »Aber ich bin schon mit neunzig Prozent Genauigkeit zufrieden.«
»Glaube mir, ich wünschte, wir könnten das mit Kugeln regeln.«
Ein blondes Mädchen in Yogahosen, einem cremefarbenen Rollkragenpullover und hellbraunen Ugg-Stiefeln blickte Cheyenne starr an und trat zur Seite, um einen Abstand von zwei Metern zwischen sie zu bringen, als sie aneinander vorbeigingen. Die Halbdrow verdrehte die Augen und ging zu ihrem Porsche. Richtig. Man darf Magie und Kugeln in der Öffentlichkeit nicht erwähnen.
»Ich weiß.« Bianca nahm noch einen schnellen, zurückhaltenden Schluck von dem Getränk, das sie sich selbst gemacht hatte – wahrscheinlich ein Brunch-Cocktail – und brummte ins Telefon. »Ich weiß, dass du beschäftigt bist. Ruf mich an, wenn du in der Lage bist, den Prozess voranzutreiben.«
»Das werde ich.« Die Leitung wurde unterbrochen und Cheyenne steckte ihr Handy zurück in die Tasche. Ich würde gerne glauben, dass sie nicht mehr einfach auflegt, wenn das alles vorbei ist. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ein magisches Portal und ein drohender Krieg jenseits der Grenze nicht ausreichen, um ihre Gewohnheiten zu ändern.