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am nächsten Morgen
„Sie müssen die Neue sein!“
Um ein Haar hätte sich Sarah in die Hand geschnitten, so sehr schreckte sie zusammen. Abrupt kam sie hinter den Rosenstauden hoch, die sie gerade stutzte. Auf der anderen Seite des Zauns stand eine Frau im Gemeinschaftsgarten und strahlte sie an.
Die Frau mit dem Klebeband.
„Hallo.“ Sarah fühlte, wie ein Vorzeigelächeln über ihr Gesicht kroch. „Oh, warten Sie.“ Sie zog den Handschuh ab, den sie übergezogen hatte. „Ja, in der Tat, wir sind gestern erst eingezogen.“ Ihre Hand umschloss die der Frau. „Sarah Armstrong, freut mich sehr.“
Blau. Blond. Zurechtgemacht. Makellos. Nicht mehr ganz jung. Wie eine Rennstute aus altem Geschlecht.
Die Augen der Frau waren glasklar wie zwei Gebirgsseen. Sarah selbst hatte braune Augen und wäre gern ein wenig schlanker gewesen. Hübsch, natürlich! Wenn Lou mit ihr schlafen wollte, dann war das nicht gespielt. Die Frau aber, die ihr gegenüberstand, war
ein anderes Kaliber
.
„Cybill Halberstam“, hörte sie sie sagen, „wir wohnen gleich gegenüber.“ Sie drehte sich um und deutete auf das Haus, das Sarah nur zu gut schon kannte.
‚Ich weiß‘?
Cybill schaute zurück zu Sarah und lächelte noch immer. „Ich hoffe, Sie hatten einen guten Start.“
„Aber ja! Ja doch!“
„Herzlich willkommen im MacDougal-Sullivan-Park-Ensemble, wie es offiziell heißt, unsere kostbare kleine Community mitten im Village. Kennen Sie denn schon ein paar von den anderen?“ Die Nachbarin schmunzelte, als wollte sie sagen, von den anderen Verschwörern, denn das sind wir hier: eine kleine Gemeinschaft von Verschworenen.
„Noch nicht.“ Sarah blinzelte.
„Das dort“, Cybill nickte zu einem jungen Mann, der mit seinem Notebook auf einer Gartenbank beim Spielplatz saß, „ist Brad Frazier, er lebt noch bei seinen Eltern. Ein Freund meiner Tochter Nora.“ Sie sah Sarah an, als wartete sie auf eine Replik.
Ich auch – ich werde auch bald Kinder haben? Mindestens zwei Töchter, wenn nicht drei?
War es das, was Sarah darauf erwidern sollte?
„Ihr Mann – arbeitet er auch bei uns?“, fragte Cybill, als Sarah nichts sagte.
‚Bei uns‘? „Sie meinen bei ChemCom?“
„Ja?“
„Sicher, Lou hat ganz neu dort angefangen. Arbeiten Sie
denn auch dort?“
Cybill verpasste keinen Beat. „Ich? Oh nein, Kenneth ja, er ist schon sehr lange dabei, ich nicht, ich kümmere mich ein bisschen um den Denkmalschutz in der Stadt. Aber wissen Sie“, fuhr sie fort und trat noch einen Schritt näher an den Zaun heran …
Der Klebkopf, das kurze enge Kleid …
Die Intimität des Moments, den Sarah gesehen hatte, überlagerte sich unweigerlich mit dem Anblick der respekteinflößenden Frau, die jetzt vor ihr stand. Als würde sie Cybill plötzlich in Reizwäsche vor sich sehen!
„ … geerbt, aber manchmal wünschte ich, ich könnte nochmal ganz von vorn anfangen, so wie Sie.“ Cybill hatte weitergesprochen, aber für einen Moment war Sarah abgelenkt gewesen. „Finden Sie das dämlich?“
„Aber nein“, beeilte sich Sarah zu versichern, „ganz und gar nicht.“
„Ihr Leben muss doch schrecklich aufregend sein. Alles noch vor Ihnen, hab ich recht?“
Sarah nickte unwillkürlich. „Ich hoffe, Sie helfen mir ein wenig dabei, mich hier einzuleben“, hörte sie sich sagen. Und fühlte im gleichen Moment, wie sich Cybills Hand noch einmal um ihre schloss.
„Werden Sie das denn zulassen?“ Cybills Augen blitzten schelmisch. „Von mir aus sehr gern! Ich kenne praktisch jeden und alle – hier in unserem ChemCom-Häuserblock, aber, ehrlich gesagt“, sie strahlte und es sah wirklich ganz reizend aus, „auch halb New York.“
„Das glaube ich gern!“
„Wie süß Sie sind, meine Liebe.“
Sarah lächelte. Wusste sie doch. Süß – das wurde ja immer wieder gesagt. Zugleich hatte sie den Eindruck, die perfekte Fassade der Ms Halberstam wäre ein wenig aufgesprungen und sie könnte die echte Cybill darunter sehen. Eine verletzliche, empfindsame … interessante Frau.
Cybill schien in Sarahs Augen lesen zu wollen. „Was denken Sie, haben Sie und Ihr Mann – wie heißt er noch gleich?“
„Lou.“
„Haben Sie und Lou vielleicht Lust, heute Abend zu uns zum Essen zu kommen? Nur ein kleines Dinner zu viert, nichts weiter. Also? Was sagen Sie?“