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„Wenn Sie den Mut haben, Ihr Leben ohne Lou zu leben, habe ich auch den Mut, meins ohne Ken zu versuchen.“ Cybill erhob ihr Glas und stieß leise klirrend gegen das Weinglas, das Sarah in der Hand hielt.
„Ohne Lou leben?“ Sarah zog die Augenbrauen hoch. Dass das der Trinkspruch sein würde, hatte sie nicht erwartet. „Moment mal, Cybill, eigentlich wollte ich gerade erst anfangen
, mir ein richtiges Leben mit meinem Mann aufzubauen.“ Sie sah, wie Cybill abwinkte.
Nur ein Scherz?
Sarah beschloss, auf den Scherz scherzhaft einzugehen. „Sie haben leicht reden, Cybill. Ihnen oder Ihrer Familie gehört - was? Ein Apartment an der Fifth Avenue? Das bleibt Ihnen auch, wenn Ken gehen muss. Ich hingegen verliere ohne Lou das Haus im Village und muss New York verlassen. Nicht so schön.“ Sie stellte ihr Glas wieder hin, ohne daran genippt zu haben. „Außerdem bin ich gar nicht so schnell bereit, meine Idee, eine Familie zu gründen, aufzugeben. Vielleicht wird es nicht einfach, aber warum sollte ich es nicht versuchen?“
Cybills Gesicht hatte in der raffinierten Beleuchtung eine ganz außergewöhnliche Tönung angenommen. „Aber Sie sind sich nicht sicher, Sarah. Warum genau? Was ist es, das sie verunsichert? Die Vorstellung, ein Leben als Frau zuhause führen zu müssen? Oder ist es Lou, dem sie nicht trauen?“
‚Sie ist ja richtig aufgeblüht‘
, blitzte es durch Sarahs Kopf – das waren die Worte, die Lou gestern Nacht über Cybill gesagt hatte. Im gleichen Moment fühlte sie es wieder: Er hat an
sie gedacht, an Cybill – nicht an mich, als er gestern Nacht mit mir geschlafen hat!
Sarah spürte, wie der Schreck über diese Erkenntnis sich in ihrer Miene abzeichnete.
„Was ist?“ Cybills Hand kam ihr über den Tisch entgegen.
„Gestern Nacht“, fing Sarah an - vielleicht hatte sie ein bisschen viel getrunken, aber war es nicht besser, darüber zu reden, als alles immer nur in sich hineinzufressen? „Lou hat mit mir geschlafen und … wahrscheinlich stimmt es nicht, aber ich musste denken, dass er an Sie dabei denkt.“ Sie starrte Cybill an, die immer jünger und jünger zu werden schien, als würde sie sich von dergleichen Geschichten geradezu ernähren.
„Oh.“ Cybill richtete sich auf. „Wow.“
Es kam Sarah so vor, als würde ihr das, was sie unvorsichtigerweise eben gesagt hatte, wie ein Fleck im Gesicht kleben.
„Ken aber ganz ähnlich“, hörte sie Cybill sagen. „Er hat nicht aufgehört, von Ihnen zu reden, Sarah. Gestern Nacht, kaum dass Sie und Lou fort waren. Ich bin schon richtig eifersüchtig geworden. Wie gut Sie ihm gefallen hätten und so weiter.“
Es tat gut, das zu hören, wie unwichtig es auch sein mochte.
„Unsere Männer haben uns nicht verdient, Sarah“, hörte sie Cybill fortfahren. „Wenn ich es sicher wüsste, würde ich nicht länger warten und Ken auf der Stelle verlassen – trotz allem.“
„Wenn Sie was
sicher wüssten?“
„Dass Ken fremdgeht. Ich habe schon gedacht, dass ich ihn mal auf die Probe stellen sollte, aber – wie gesagt - ich kann niemandem trauen.“ Sie hatte beide Ellbogen auf den Tisch gestützt und die Hände ineinandergeschoben. „Es sei denn … “
„Was?“
Cybill schien einen Moment überlegen zu müssen. „Das ist der Grund, warum Sie in Wahrheit zögern ein Kind zu bekommen, Sarah? Weil Sie sich nicht sicher sind, was Lou angeht, oder?“
Sarah musste kurz nachdenken. Versuchte sie etwa nicht alles, um endlich schwanger zu werden? Sie war sich nicht ganz sicher. Hatte sie Lou vielleicht wirklich immer mal wieder abgewiesen, weil sie in Wahrheit gar kein Kind von ihm wollte? Und zwar abgewiesen in genau den Nächten, in denen es am wahrscheinlichsten war, dass sie schwanger würde. Und abgewiesen warum? Weil sie ihm nicht traute? Weil sie sich seiner nicht sicher war? Sie wusste es nicht. Fest stand, dass das, was gestern Nacht geschehen war, ihr ganz und gar nicht gefallen hatte. Er hatte sie genommen, ohne überhaupt wahrzunehmen, wer es war, den er da nahm! Sie hätte doch jedes beliebige Flittchen sein können! Mit den richtigen Rundungen … vielleicht noch dem richtigen Geruch. Er war ja so geil gewesen, er hätte jede bestiegen.
„Ja. Das kann schon sein“, murmelte sie schließlich. „Dass ich mir nicht ganz sicher bin, was Lou angeht.“
„Deshalb“, ergriff Cybill wieder das Wort und wirkte mit einem Mal seltsam angespannt, „warum machen wir es nicht so: Sie stellen meinen auf die Probe – ich Ihren. Und wenn sie standhaft sind, können wir endlich Ruhe geben. Ihnen vertraue ich, ich weiß, dass Sie mir Ken nicht wegnehmen werden.“
‚Sie stellen meinen auf die Probe – ich Ihren‘
. Wen - was? Was meinte Cybill denn? Und zugleich wusste Sarah doch ganz genau, was Cybill meinte. Aber es war so grotesk – eigentlich konnte sie Cybill nur missverstanden haben.
„Wie … was? Ich verstehe nicht.“
„Was ich meine?“ Cybill beugte sich dicht zu ihr und jetzt roch Sarah sogar ihr Parfüm. „Ich stelle Lou auf die Probe, und Sie Kenneth. Dann wissen wir, ob sie uns treu sind.“ Sie schaute nicht auf. Es gab in diesem Moment keinen Blickkontakt. Und doch fühlte Sarah, wie nah Cybill ihr war.
„Sie sind ja nicht bei Trost“, stieß Sarah hervor und lehnte sich zurück.
Cybill blieb über den Tisch gebeugt.
Sie ist älter als ich. Lou redet viel, aber er zieht sie mir nicht vor. Er bleibt standhaft, was Cybill angeht, und dann bin ich sicher, dass es richtig ist.
„Nein.“ Sarah spie es förmlich aus. „Nein, was für eine fürchterliche Idee!“
Als würde Sarahs heftige Reaktion sie ein wenig vor den Kopf gestoßen haben, richtete sich Cybill ebenfalls auf. War es Scham, Verlegenheit? Kannte sie so etwas überhaupt? Irgendetwas schien in Cybills sonst so makellosem Gesicht verrutscht zu sein. Wie ein Vampir, der getrunken hat, musste Sarah unwillkürlich denken.
„Nein, Cybill, Sie meinen das nicht ernst, ich weiß es.“ Sarah sah ihr in die Augen – aber sie war so betrunken inzwischen, sie hatte Mühe, den Blick wirklich scharf zu stellen.
„Cybill Halberstam!“, drang eine Frauenstimme von der Seite zu ihrem Tisch.
Sarah blickte hoch. Drei New Yorkerinnen, etwa in Cybills Alter, traten an ihren Tisch und begrüßten Cybill wie eine Freundin. Vorgestellt wurde Sarah jetzt nicht mehr.
Sie kennt ganz New York, musste Sarah denken, während die Frauen miteinander redeten. Was für ein Ticket in das Herz dieser Stadt, wenn ich mit Cybill dieses Geheimnis teile – aber nein!
Sie hatte den Arm auf die Lehne des freien Stuhls gelegt, der neben ihr stand, und sah Cybill dabei zu, wie sie ihre Freundinnen verabschiedete.
„Wollen wir dann auch gehen?“ Sarah setzte sich zurecht. „Kommen Sie, Cybill, ich zahle.“
„Sie
zahlen?“ Cybill lächelte – und irgendetwas an diesem Lächeln ärgerte Sarah. Weil es ein wenig spöttisch war? Überheblich? Ironisch? „Nun gut, wenn Sie meinen.“ Cybill erhob sich.
Was bildet diese Frau sich eigentlich ein?