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„Nein, Ken war vorgestern auf dieser Reise auch dabei“, sagte Cybill leicht lispelnd, „später – früher – was meinten Sie gerade?“ Sie sah lächelnd zu Sarah.
Er war dabei – während Lou gesagt hat, Ken wäre nicht dabei gewesen!
Seite an Seite zogen Sarah und Cybill mit jeweils einem Starbucks-Getränk in der Hand durch eine Straßenschlucht auf den Washington Square Park zu, der ruhig in der Sonne auf sie zu warten schien.
„Wann er zu Hause war – wann Ken bei Ihnen zuhause war“, brachte Sarah mühsam hervor, während ihr tausend Sachen gleichzeitig durch den Kopf gingen. Würde Cybill denn die Wahrheit sagen, wenn sie etwas zu verbergen hatte? Sollte sie sie einfach rundheraus nach Lou fragen? Musste sich Cybill über diese Fragen nicht wundern?
„Spät, meine Liebe, sehr spät“, kam die Antwort. „So wie ich ihn verstanden habe, haben sie noch auf dem Flughafen – “
„Wo, in Chicago?“
„Nein, hier in New York. Sie haben dort noch ein Meeting gehabt, kaum dass sie gelandet sind. Danach ist Ken nach Hause gekommen, aber da war es bereits spät.“
Und war Lou auf diesem Meeting dabei? Er hatte gesagt, sie hätten einen Flug später genommen. Nichts von dem, was Lou ihr gesagt hatte, stimmte.
Sarah blieb stehen. „Cybill, darf ich Ihnen eine Frage stellen?“
Ms Halberstam war ganz Lächeln, Sonnenbrille, Make-up. „Eine Frage, meine Liebe? Wie spannend! Ich bitte darum!“
„Wissen Sie etwas, das Sie mir sagen möchten?“
„Das ist ja wie im Film! Ob ich was? Etwas weiß, das ich Ihnen sagen möchte?“ Sie legte tatsächlich den Kopf ein bisschen in den Nacken, um sich dem herzhaften Lachen ganz hingeben zu können, lachte aber nicht wirklich zu Ende, sondern brach ab, sah Sarah in die Augen und flüsterte, in mokierend verschwörerischem Ton: „Vorsichtig, Sweetie, Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht – nicht, dass Sie am Ende noch etwas hören, das Sie nicht hören wollen.“
„‘Vorsicht‘? Was soll das heißen?“, platzte es aus Sarah heraus.
„Liebe Güte, Sarah.“ Cybill schob die Sonnenbrille lässig in die Haare. „Was ist denn los? Sie wirken etwas angriffen. Sie sollten sich ein wenig ausruhen.“
Sarah hörte, wie sie es zischte, bevor sie darüber nachdenken konnte: „Wenn Sie meinen Mann angefasst haben, Cybill – ich … “ Brech Ihnen den Arm? Kratze Ihnen die Augen aus? „ … bring Sie um.“
Sie starrten einander an. Es war, als würde genau über ihnen eine kleine Wolke stehen und die Sonne ausschließen. Die Worte hingen noch in der Luft. Aber Cybill schien nicht gewillt zu sein, Sarah ernst zu nehmen.
Sie spitzte ihre rot geschminkten schönen Lippen und verengte die Augen zu Schlitzen. „Ach, das möchte ich sehen. Aber meine Liebe“, und sie hakte sich bei Sarah unter, dass Sarah für einen Augenblick Cybills Busen an ihrem Arm spüren konnte, „ich sehe, die New Yorker Luft bekommt Ihnen gar nicht gut. Wissen Sie denn nicht, dass ich so etwas nie tun würde?“
„Was?“
„Was? Lou anfassen – haben Sie das nicht gerade gesagt?“
„Ja, das habe ich.“
„Niemals, Sarah, Liebes – niemals würde ich so etwas tun. Es sei denn … “
Sarah fühlte, wie sich ihre Brust verschloss, als würde ein Eisenband darüber geschnallt werden. ‚Es sei denn … ‘
„Es sei denn – was?
„Es sei denn, wir zwei hätten so etwas verabredet.“ Cybill zog sie an sich und blieb eng an sie geschmiegt stehen.
„Aber das haben wir nicht!“, hauchte Sarah. Sie wusste es doch ganz genau. Sie hatten es nicht verabredet!
„Nein?“ Cybills samtiger Katzenblick richtete sich auf Sarahs Gesicht.
„Nein, verflucht!“
Sarah fühlte, dass sie zu laut war. Sie bemerkte sogar den Blick einer ihnen entgegenkommenden Frau. Und sie spürte, dass sie sich nicht vollkommen unter Kontrolle hatte. In welchen Abgrund versuchte Cybill sie da hineinzuziehen?
„Hören Sie, Sarah, ich verstehe, dass Sie aufgeregt sind, aber die Leute drehen sich schon um.“
Was hat sie mit Lou gemacht?
Entgeistert starrte Sarah Cybill an.
„Sarah, um Himmels willen, machen Sie sich doch nicht solche Sorgen! Es ist ganz einfach, oder nicht? Halten Sie sich an unseren Deal und alles ist okay.“
„Es gab keinen Deal, Cybill, was reden Sie denn da!?“
„Oh, hey Ken, da bist du ja!“
Sarah fuhr herum. Tatsächlich. Kenneth Halberstam kam hinter ihnen Richtung Platz über den Bürgersteig gelaufen, frühlingshaft gekleidet in einen leichten blau-weiß-gestreiften Leinenanzug und weichen Schuhen.
„Ken und ich hatten uns am Triumphbogen verabredet“, hörte sie Cybill sagen, „wir wollten den herrlichen Tag nutzen, um ein bisschen durchs Viertel zu schlendern.“
Hat er denn heute frei?
„Meine Damen.“ Ken lächelte freundlich und warf Sarah einen verschmitzten Blick zu.
Was will er von mir? , schoss es ihr durch den Kopf.
„Ken, ich sehe, du bist nur allzu bereit für unseren kleinen Bummel“, sagte Cybill in seine Richtung, „aber mir ist was dazwischengekommen. Tut mir leid.“
„So?“ Er hob die Augenbrauen.
„Es geht um das Charity-Dinner in der MET Anfang Mai? Sie wollen unbedingt heute darüber sprechen. Und ich habe doch zugesagt, dass ich den Vorsitz übernehme.“
Ken hob beide Hände, die Innenflächen nach außen gedreht – und sah zu Sarah. „Da kann man nichts machen, oder?“
„Ken, achtest du darauf, dass Sarah alles hat, was sie braucht? Ich glaube, ihr geht es heute nicht ganz so gut.“
„Aber das stimmt doch gar nicht!“ Sarah wollte wütend werden, aber es wäre vollkommen deplatziert gewesen. So ein sonniger Vormittag, die ganze Stadt ein leichtes Flirren. Und sie wollte die Beleidigte spielen?
Cybill hatte sich schon einen Schritt von ihnen entfernt. „Bring mir einen Säckchen von diesen Arabica-Bohnen mit, wenn ihr zu Giuseppe‘s geht, Ken, sei so gut. Ciao ciao.“ Und damit ließ sie ihre ewig schlanke Teenagerfigur herumschwenken und zeigte ihnen Rücken und Po.
Einen Moment lang saß Sarah reglos in ihrem Stuhl.
Giuseppe‘s – kennen Sie das? Es ist Cybills bevorzugte Espressobar hier unten.“ Ken sah sie an. Ja, er war graumeliert, ja sein Gesicht zeigte, dass er kein Milchjunge mehr war. Aber es zeigte auch, dass er klug war. Und genug erlebt hatte, um sich nicht kopflos in etwas hineinzustürzen, was er nicht wirklich wollte. Im Gegenteil. Er weiß, was er will , musste Sarah denken, als sie in sein Gesicht schaute.
Und jetzt will er mich?
Sie wollte den Gedanken abschütteln, aber er war ihr einfach gekommen und hatte sich festgesetzt. Wie kam sie darauf? Hatten sie nicht gerade erst Kens bezaubernde Frau verabschiedet?
Das ist etwas anderes.
Er musste auf irgendeinem Wege spüren, was in ihr vorging - oder zumindest, dass etwas in ihr vorging, dem sie nicht ganz gewachsen war - denn er lächelte sie charmant an. „Kein Espresso, Sarah?“
„Ken, waren Sie gestern auf der Geschäftsreise nach Chicago dabei“, stieß sie unvermittelt hervor.
„Gestern? Aber ja doch, natürlich. Ich habe heute einen freien Tag, aber – “
Er war dabei gewesen – und Lou hatte gesagt, dass Ken nicht mitgekommen wäre!
„Haben Sie Lou auf der Reise gesehen?“
„Lou? Aber sicher doch.“ Er produzierte ein zuvorkommendes Lächeln mit einer leichten Runzelung der Augenbrauen, die zu besagen schien: Aber warum fragen Sie mich das denn?
„Sie haben alle einen Flug später genommen – oder aber hatten Sie noch ein Meeting am Flughafen hier in New York? Wie war das gleich?“
Er sah sie an. „Warum fragen Sie das, Sarah?“
„Weil … “ Sie winkte ab. „Nein klar, Sie haben recht.“
„Wir hatten noch ein Meeting direkt in JFK, ich meine, das ist ja kein Geheimnis, Sarah.“
„Am Flughafen hier in New York – natürlich, genau wie Lou gesagt hat.“ Genau, wie er NICHT gesagt hat! „Ich dachte eben, ich will Sie vielleicht doch lieber nicht danach fragen, nachher denken Sie noch, ich horche Sie wegen Lou aus. Es ist mir nur gerade eingefallen. Vergessen Sie es, ja?“ Sie schenkte ihm einen schönen Blick und sah, wie sein Gesicht darauf reagierte. Es leuchtete geradezu auf.
„Er war also dabei, bei dem Meeting, deshalb … dann ist ja alles in Ordnung.“
Ken stand noch immer ruhig vor ihr, die Hände jetzt in den Taschen seiner Leinenhosen versenkt. „Naja, jetzt, wo Sie so danach fragen … auf dem Meeting am Flughafen selbst hab ich ihn gar nicht mehr gesehen.“ Er nickte langsam. „Nein, da war Lou wahrscheinlich schon weg. Aber auf der Reise nach Chicago, auch auf dem Rückflug, war Lou dabei, das weiß ich ganz genau.“
Sie hörte Ken zu und wusste, dass er genau das sagte, was sie nicht hatte hören wollen. Lou war nicht auf dem Meeting dabei gewesen? Moment, das hatte Ken nicht gesagt. Er hatte nur gesagt, er hätte Lou nicht gesehen, das hieß also nicht –
dass Lou stattdessen Kens Frau in einer Ecke der Stadt vernascht haben muss!
Sie fühlte einen heißen Hauch über sich hinwegstreichen. Und Ken will sich jetzt mich holen? Als Belohnung für das, was er Cybill hat machen lassen?
Oder bin ich einfach nur dabei, vollkommen den Verstand zu verlieren?
„Kommen Sie, Sarah. Wenn Sie nichts anderes jetzt gleich vorhaben, zeig ich Ihnen Giuseppes Espressobar. Wenn ich Cybi nachher erzähle, dass wir dort waren, hab ich bei meiner Frau was gut.“