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Den Nachmittag verbrachte Sarah an Lous Bett. Die Symptome klangen ab. Sie hatte überlegt, ob sie die Polizei einschalten sollte. Ein betont beiläufiges Gespräch mit den Ärzten, bei dem sie versucht hatte, herauszubekommen, ob es denkbar wäre, Lou auf Vergiftungserscheinungen hin zu untersuchen, war äußerst frostig vom Klinikpersonal beendet worden. Es hatte keinen Sinn, wenn sie jetzt denjenigen gegenüber, die für Lous Gesundheit sorgen mussten, als überspanntes Nervenwrack auftrat, das mit jeder Menge verrückter Theorien den normalen Trott des Klinikalltags störte. Nein, wenn sie ihrem Verdacht, Lou könnte vergiftet worden sein - oder zumindest könnte eine Art Anschlag hinter der plötzlichen Verschlechterung seines Zustands stecken - wenn sie diesem Verdacht nachgehen wollte, gab es nur einen Weg: Sie musste sich an das NYPD wenden und die ganze Sache von Anfang an erzählen. Dass Cybill Halberstam ihr gegenüber etwas vorgeschlagen hätte … und bereits bei diesem ersten Schritt verließ Sarah der Mut. Wer war sie denn, sich mit Cybill anzulegen? Die Polizisten waren mit Sicherheit bestens mit dem New Yorker Society-Paar Halberstam bekannt, wohingegen ihnen Sarah Armstrong gänzlich neu und fremd sein dürfte. Würde es nicht auf eine Art Aussage gegen Aussage hinauslaufen? Und was würde sie zu erwarten haben, wenn Cybill erst einmal mitbekommen hatte, dass Sarah bereit war, die Polizei einzuschalten?
Andererseits … vielleicht war es ja wirklich das Beste, sich an das Kommissariat zu wenden, weil Cybill dann erkennen musste, dass sie Sarah nicht nach Belieben herumschubsen konnte? Aber hatte sie, Sarah, denn etwas Konkretes in der Hand, mit dem sie den Cops kommen konnte?
Als es Abend geworden war, wurde ihr vom Klinikpersonal nahegelegt, nach Hause zu gehen. Die erste Nacht habe man sie ausnahmsweise bei ihrem Mann sitzen lassen – eine zweite Nacht lang käme das nicht in Frage. Allein schon wegen der anderen beiden Patienten im Zimmer.
Also hatte sie sich wenig später auf den Weg zurück in das Haus an der MacDougal Street gemacht.
Und wenn ich weg bin und Lou noch einmal was ins Essen gemixt wird? Oder in den Tropf gegossen wird?
Als sie gerade die Haustür aufschloss, klingelte ihr Handy. Sie sah aufs Display, aber die Nummer kannte sie nicht. Sarah nahm den Anruf an.
„Sarah? Ken hier. Wie geht es Lou?“
Einen Moment lang war sie zu verdutzt, um zu antworten. Geistesabwesend ließ sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
„Es geht ihm gut … besser“, antwortete sie zögerlich. „Er ist noch schwach, aber es geht in die richtige Richtung. Ken, hören Sie, es war ein langer Tag – “
„Ja, bitte entschuldigen Sie, dass ich noch anrufe“, sie hörte, wie er versuchte, die richtigen Worte zu finden, „aber ich bin wirklich froh, dass es Ihrem Mann wieder besser geht. Ich bin nur kurz hier hochgekommen, aufs Dach des Nachbarhauses, wissen Sie? Das Haus neben Ihrem? Es ist wirklich schön hier. Der Himmel über Manhattan ist einfach herrlich heute Nacht. Und … “
Sie wartete. Und?
„Und ich habe mit Cybill geredet. Habe ihr von unserem Gespräch erzählt. Ich glaube, ich weiß jetzt, was Sie meinen.“
Sarahs Nacken kribbelte. Es war spät. Sie wollte schlafen. Aber sie war auch davon überzeugt, dass sie nicht einfach so weitermachen konnte, wie bisher. Sie musste die Dinge endlich in die Hand nehmen. Ken war womöglich der Schlüssel dazu. Es war ganz deutlich zu spüren: Sie konnte mit ihm reden. Wenn es jemanden gab, über den sie Einfluss auf Cybill ausüben konnte, dann war es Kenneth.
„Was hat sie gesagt? Cybill, meine ich.“
„Naja, sie hat zugegeben, dass sie Ihnen gegenüber wohl ziemlich weit gegangen ist. Wollen Sie nicht kurz raufkommen? Dann können wir das besprechen. Ich weiß nicht, ob das Telefon dafür so gut ist.“