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Schwipp … schwapp.
Sarah blinzelte, praktisch noch schlafend. Ihr Hirn kam ihr vor wie ein Eigelb, das nur noch von einem hauchdünnen Häutchen umschlossen in seiner Schale hin- und herschwappte und jeden Moment drohte auseinanderzufließen. Dann stach der Kopfschmerz senkrecht durch die Fontanelle und ihre Augen gingen auf, als hätte jemand einen Hebel umgelegt. Sie bäumte sich auf. Ein trockener Husten, der in ein hartes Fauchen überging, schüttelte sie. Sie hörte sich leise keuchen und hatte für einen Moment Angst zu sterben.
Sekunden vergingen. Ihre Hände hatten sich ineinandergekrallt. Jeder Atemzug echote als grellrote Schmerzwelle zwischen den Augen.
Das war kein einfaches Marihuana gewesen. Es hatte so gerochen und so geschmeckt, aber es musste mit etwas vermischt gewesen sein.
Ölige Schlieren anstelle von Erinnerungen. Hatte sie Ken ermutigt? Der Rausch hatte eingesetzt wie ein Hieb. Die Droge sich wie ein Pilzgewächs vom Zentrum ihres Hirns aus entfaltet. In dem Moment, in dem sich die Dinge entwickelt hatten, war ihr das nicht klar gewesen. Jetzt aber, als sie daran zurückdachte, sah sie es mit erschütternder Deutlichkeit: Die Zersplitterung ihrer Wahrnehmung. Die Gefühle gedehnt. Die Laute verschwommen. Hatte sich Ken gewaltsam ihrer bemächtigt? Aber nein, so unklar sie sich über ihre Erinnerungen und Wahrnehmungen war, so deutlich wusste sie doch auch, dass sie für ihn bereit gewesen war und es gewollt hatte. Aber war das nicht ein Effekt der Droge gewesen?
Wie konnte er es wagen, etwas ins Gras zu mischen und ihr davon anzubieten! Als sie davon benommen war, ist sie nicht mehr Herr über ihre Gefühle gewesen. Eine giftige Desorientiertheit hatte sie ergriffen, und das war mit Sicherheit nicht ihre Absicht gewesen.
Begleitet von einem brennenden Ziehen, das von ihrem Nacken ausging und in ihre Schultern ausstrahlte, drehte sie den Kopf und sah zu der Uhr auf dem Nachttisch. Kurz nach neun Uhr früh.
Lou.
Ein Stöhnen entrang sich ihrer Brust.
Lou und Cybill.
Sie selbst und Ken.
„Habt ihr bekommen, was ihr wolltet? Lasst ihr uns jetzt in Ruhe?!“ Sie schrie es – so laut sie konnte. Die Fenster waren geschlossen. Sie musste es aus sich herausbrüllen, es endlich loswerden. „Reicht es jetzt – war‘s das?“
Zur Polizei – jetzt doch - und Ken anzeigen. Er hatte sie unter Drogen gesetzt und Sex mit ihr gehabt. Der Klassiker!
Sie zog sich in ihren Stuhl, schlingerte zur Tür und ins Bad. Drehte die Dusche auf und merkte erst dann, dass sie noch immer die Jeans und das T-Shirt trug, die sie angehabt hatte, als sie gestern spät noch zu Kenneth aufs Dach gerollt war.
Wie bin ich danach wieder nach Hause gekommen?
Irgendwann waren die ineinander verschlungenen Farben, zu denen sich alle Wahrnehmungen aufgelöst hatten, dunkler geworden. Ein Filmriss – oder wie auch immer man es nennen wollte. Sie wusste es nicht mehr. Hatte Ken sie zurück in ihre Wohnung gebracht? Sie versuchte sich zu erinnern, aber es kam ihr so vor, als habe auch Ken nicht mehr ganz frisch gewirkt, sondern zunehmend fahrig, verwirrt und konfus. Ja, sie hatten miteinander geschlafen, aber so weit sie sich erinnern konnte, hatte er die Sache nicht zu Ende gebracht. Dunkel glaubte sie noch zu wissen, dass sie sich selbst zurück in ihren Stuhl gehievt und zum Fahrstuhl gerollt hatte.
Das Wasser war heiß und Sarah zog sich die Kleidung vom Leib. Glitt unter den Strahl. Goss reichlich Duschgel in die Hände und begann sich gründlich zu waschen. Kam aus der ebenerdigen Dusche noch einmal heraus und suchte so lange im Badezimmerschrank, bis sie eine Bürste fand, mit der sie sich wütend und aufgewühlt abschrubbte.
Cybill hat bekommen, was sie wollte. Der Spuk war vorbei. „Und wenn er das nicht ist “, schrie sie – am ganzen Leib zitternd, „bring ich dich um, Cybill, glaub mir!
Sie musste sich an der Wand abstützen, um nicht aus dem Stuhl zu fallen. Heiß strömte das klare Wasser über ihren Kopf. Ihre Haut brannte, so rücksichtslos hatte sie sich bearbeitet. Aber der Schleier, der sich auf sie gelegt hatte, als sie an dem verfluchten Joint gezogen hatte, war noch nicht verflogen. Als wäre ihr gesamtes Seelenleben durcheinandergeraten. Als wäre sie von einem unterschwelligen Angst- und Unwohlseinsgefühl ausgehöhlt. So sollte sie Lou entgegentreten – und was? Ihn auf das, was zwischen ihm und Cybill passiert war, ansprechen?