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„Du warst es, du hast Ken ermordet!“ Es kam gepresst heraus, leise, fast unverständlich. Sarah war ganz nah an Cybill herangekommen und konnte das Parfüm riechen, mit dem sich die ältere Frau eingestäubt hatte.
Trägt sie einen Draht, ein Mikrophon? , kreuzte es durch Sarahs Gedanken. Ist auch das Teil ihres Plans? Dass ich offen rede, und dann heißt es von Seiten der Detectives: ‚Das ist ja interessant, Ms Armstrong.‘
Der Einfall bremste sie etwas aus. Zugleich aber glaubte sie, in Cybills Augen einen sowohl gehetzten als auch lauernden Blick zu sehen, und das stachelte sie nur noch mehr an. „Das war der Grund, weshalb du wolltest, dass ich mit Ken schlafe, und du mit Lou, Cybill. Du wolltest, dass ich Sex mit Ken habe, um ihn töten zu können, und dann den Verdacht auf mich lenken.“
Die Worte flogen ihr leise, aber klar und scharf über die Lippen.
Warum antwortet sie nicht! Was hat sie? Sie ist doch sonst nicht so zögerlich.
Ihr fiel auf, wie schwer Cybill atmete und es war nicht zu übersehen, wie sehr sich die Frau in den wenigen Stunden, die seit dem Tod ihres Mannes vergangen waren, verändert hatte.
„Ich lass mich von dir nicht reinlegen, Cybill!“, zischte Sarah. „Ich gehe jetzt zu den Detectives und erzähle alles, was ich weiß.“
„Sarah … hören Sie“, Cybill rang nach Luft und Sarah fühlte, wie sie sich auf sie stützte, „ich … wir alle sind von dem … von Kens Tod wie vor den Kopf gestoßen.“
„Mach mir doch nichts vor! Du hast das Messer in meinem Bett platziert!“ Das Mikro, und wenn sie ein Mikro trägt? „Trägst du ein Mikrophon am Leib!“, entfuhr es Sarah und sie sah, wie sich die dunkelgrün glühenden Augen Cybills weiteten.
„Was?“
„Ob du ein verdammtes Mikro trägst!“ Das hatte Cybill vor ein paar Tagen doch auch ihr gegenüber geargwöhnt! Wahrscheinlich weil sie selbst mit solchen Tricks arbeitete.
„Hören Sie, Sarah, ich muss nachher noch meinen Arzt sehen, es ist alles zu viel auf einmal. Ich … “, und dann entrang sich ihr ein Laut, der klang wie ein Hund, den man aus Versehen getreten hat. „Mein Ken ist ermordet worden, Sarah.“ Cybills ausgemergelter Arm hakte sich fest bei Sarah ein, und sie konnte die faltige Haut der Frau fühlen. „Mein lieber Ken, können Sie sich das vorstellen?“
So hatte sie Cybill noch nie erlebt. So hatte sie überhaupt niemanden jemals erlebt.
Sie trauert! Sie bringt ihn um und trauert wirklich! Sie braucht es nicht einmal zu spielen.
„Zwanzig Jahre lang, über zwanzig, sind wir verheiratet gewesen.“ Cybills Augen sahen Sarah von oben herab an. „Er war auf dem Dach des Hauses neben eurem.“ Und dann beugte sie sich ganz nah an Sarah heran und Sarah konnte den Körpergeruch der Frau unter dem künstlichen Duft des Parfüms erahnen. „Haben Sie es mit ihm gemacht? Das, was wir gesagt haben?“
‚Lass mich!‘ , wollte Sarah ihr entgegenschleudern. Aber sie standen mitten auf dem Rasen und sie hatte das Gefühl, als würden sie durch mehrere Fenster gleichzeitig beobachtet. Dabei spiegelte sich das Tageslicht in den Scheiben, so dass sie nicht sehen konnte, wer sich alles dahinter verbarg.
„Hast du?“ Cybills Augen waren nass und der Lidschatten verschmiert jetzt.
Stumm schüttelte Sarah den Kopf. Nein! Ich lass mich von dir nicht verstricken in deine Machenschaften.
„Hören Sie, Sarah“, jetzt hatte auch Cybill die Stimme gesenkt, „es tut mir leid, dass Sie da mit hineingezogen wurden. Ich hätte Sie niemals darum bitten dürfen, es war ein Fehler. Wirklich. Es tut mir leid.“
Es war wie ein kalter Eisregen, der durch Sarah hindurchging. Es tut dir leid?
„Ich verstehe, wenn Sie mir nicht sagen wollen, was auf dem Dach geschehen ist. Aber wir müssen mit den Detectives offen reden, Sarah, verstehen Sie?“
Sarahs Kopf ging herum und sie schaute zu ihrem Haus. War das Lous Umriss, der dort hinter der Scheibe im Erdgeschoss stand und zu ihnen nach draußen schaute?
„Wir haben nichts falsch gemacht, wir müssen mit dem NYPD sprechen, wir müssen ihnen helfen, denjenigen zu finden, der Ken … “ Cybills Stimme versagte und sie drängte sich so dicht an Sarah, dass Sarah fast fürchtete, sie könnte sie mit sich zu Boden ziehen. „ … ermordet hat. Versprechen Sie mir das? Versprechen Sie mir, dass Sie uns helfen, Sarah?“
„Cybill!“ Der Ruf traf sie von der Seite.
Sarah riss sich los.
Es war Bradley, der über den Rasen auf sie zukam, aber er schien nur Augen für Cybill zu haben.
„Da sind Sie ja.“ Er streckte die Hand aus und Sarah konnte sehen, wie Cybills Blick sich auf ihn richtete. „Mein Gott – das ist ja nicht auszudenken.“
„Brad.“ Cybill richtete sich wieder auf. „Ich habe Sarah gerade gesagt, dass wir jetzt alle zusammenhalten müssen. Sie kennen sich? Sarah – Brad?“
„Aber ja doch.“ Sarah sah, wie er zu ihr schaute. „Ich habe Sarah neulich mit Ken auf der Sixth Avenue gesehen. Im Café? Wann war das? Ein paar Tage her.“
Für einen Moment wusste Sarah nicht, was sie antworten sollte, aber das schien Brad nicht einmal zu bemerken.
„Kommen Sie, Cybill.“ Er hatte sich wieder an Cybill gewandt. „Die Detectives sind bei uns jetzt fertig und haben mich geschickt, um Sie zu holen. Sie wollen sich mit Ihnen noch einmal unterhalten. Sie hatten denen gesagt, dass Ihnen bei einem der Nachbarn etwas aufgefallen sei? Doch nicht bei den Armstrongs, oder?“ Er zog die Augenbrauen hoch. Scheinbar traurig und zugleich doch, wie Sarah fand, irgendwie hinterhältig.