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„Wir hatten Sie gefragt, wo Sie waren, erinnern Sie sich?“ Cunninghams Totenschädel. Er war auch am nächsten Morgen nicht hübscher geworden. Im Gegenteil: Sarah hatte den Eindruck, dem Detective ansehen zu können, dass er praktisch nicht geschlafen hatte. Wie ein Bluthund auf der Spur. Mendez stand einen Schritt hinter ihm, als sollte sie aufpassen, dass der ausgemergelte Kollege sich nicht auf sein Opfer stürzte und es in Stücke riss.
Sarahs Blick kehrte zu Cunningham zurück. Lou und sie waren am Abend zuvor todmüde ins Bett gefallen – um acht Uhr früh hatten die Detectives geklingelt.
„Passen Sie auf, Ms Armstrong“, fuhr Cunningham fort, als sie nicht antwortete. „Wir haben keinen Durchsuchungsbefehl, Sie keinen Anwalt, richtig?“
Sie sah zu Lou, der schräg gegenüber von den beiden Polizisten auf einem Sessel Platz genommen hatte. Seine Augen wirkten glasig, als hätte er Mühe, mit den Entwicklungen Schritt zu halten.
„Fest steht, dass wir an der Leiche eine ganze Menge Spuren gefunden haben, Ms Armstrong.“ Cunninghams New-York-Akzent klang so schnarrend, es tat ihr fast weh in den Ohren. „DNA, die nicht von Kenneth Halberstam stammt. Faserspuren, die nicht zu seiner Kleidung gehören. Aber wir haben noch nicht alles ausgewertet, das kostet Zeit. Und Zeit ist etwas, das wir in einer Mordermittlung nicht haben. Deshalb mein Vorschlag, Ms Armstrong.“
Sie schaute zu Mendez, die sich offensichtlich entschieden hatte, Cunningham das Sprechen zu überlassen.
„Welcher Vorschlag?“
„Sie sagen uns, wo Sie zur Tatzeit waren, und Sie lassen zu, dass wir uns ein bisschen in Ihrem Haus hier umsehen. Je schneller wir weiterkommen, desto schneller haben wir den Täter. Und desto schneller sind Sie vom Haken.“
Sarah versuchte das, was er sagte, richtig einzuschätzen.
„Denn es ist doch so“, sprach er weiter, „wenn Sie jetzt nicht kooperieren, und wir aufgrund der Spuren feststellen, dass Sie uns angelogen haben … wie, meinen Sie, sieht das nachher für den Richter aus?“
Für einen Moment hatte sie das Gefühl, seine knochigen Finger würden sich um ihre Kehle legen.
„Ms Armstrong“, schaltete sich jetzt Mendez ein, „wir haben mit einer Reihe von Nachbarn gesprochen. Wir wissen, dass Sie in den Tagen vor dem Mord einige Treffen mit Kenneth Halberstam hatten. Seine Leiche ist auf dem Dach des Hauses neben Ihrem gefunden worden. Und wir haben mit Ms Halberstam gesprochen.“ Ihr Blick schwenkte zu Lou. „Ms Halberstam hat ausgesagt, dass sie mit Ihnen , Mr Armstrong … am Tag Ihrer Dienstreise nach Chicago … ja?“ Sie nickte ihm zu, als hätte Lou Anstalten gemacht, etwas zu sagen.
Sie wissen es.
„ … Sex – Sie hatten Sex, Mr Armstrong. Sie und Cybill Halberstam“, ergriff Cunningham nochmal das Wort. „Ich weiß ja nicht, was genau zwischen Ihnen und Halberstams gelaufen ist“, seine Pupillen waren wie zwei Strecknadeln auf Sarah gerichtet, „aber ich weiß, dass es Zeit ist, zu sagen, was Sie wissen.“
„Ich war bei ihm – bei Mr Halberstam auf dem Dach.“ Sarah hatte den Eindruck, ihre Stimme wäre vollkommen tonlos geworden.
Cunningham nickte. „Also nicht hier in der Wohnung.“
„Wir haben … miteinander geschlafen. Danach bin ich hierher zurückgekommen.“ Sie sah, wie Cunningham Mendez einen Blick zuwarf.
„Okay, gut“, sagte er, „haben Sie Kenneth Halberstam getötet, Ms Armstrong?“
Sie sah ihn an, hatte Schwierigkeiten, die Frage zu verarbeiten. Glaubte er das? Dass sie es gewesen war?
„Sie haben zur Tatzeit kein Alibi, Ms Armstrong, und wenn ich es richtig verstehe, hatten Sie den Eindruck, zu den … wie soll ich sagen? Zu den Vertraulichkeiten oben auf dem Dach mehr oder weniger gezwungen zu sein? Cybill Halberstam hat ausgesagt, dass sie Ihnen im Spaß den Vorschlag gemacht habe, sie würde mit Ihrem Mann schlafen – oder es versuchen – Sie hingegen mit Mr Halberstam. Ms Halberstam meinte, Sie hätten das offensichtlich falsch verstanden und sich unter Druck gesetzt gefühlt.“
„Weil sie Lou verführt hat!“
Cunningham hob die Hand. „Ich sage ja, ich weiß nicht, was für … abartiges Zeug hier bei Ihnen gelaufen ist. Was ich weiß, ist: Sie haben ein Motiv. Sie glaubten, Kenneth Halberstam zur Verfügung stehen zu müssen – “
„Cybill hat Lou im Krankenhaus vergiftet, oder sie hat jemanden dort bestochen, damit derjenige, ein Pfleger … ein Putzmann – was weiß ich! Jeder kann es gewesen sein. Damit jemand dort mit einer Bewegung ein paar K.-o.-Tropfen in Lous Kräutertee kippt. Das geht doch ganz einfach. Und mit einem Mal hat sich Lous Zustand rasend verschlechtert. Nachdem Cybill schon dafür gesorgt hatte, dass es zu dem Unfall mit dem Lastenbike gekommen ist!“
Ich habe damit nichts zu tun, Lou. Ich weiß doch, was ich getan habe!
Sarahs Blick flackert zu Lou, aber der hatte sich weggedreht, als ertrüge er es nicht ihr zuzusehen.
„Ms Armstrong, das sind eine Menge sehr schwerwiegende Anschuldigungen, die zu überprüfen nicht einfach sein wird. Aber wir gehen dem nach.“ Cunningham sah zu Lou. „Sind Sie auch davon überzeugt, dass man Sie im Krankenhaus vergiftet hat?“
Sarah sah, wie Lou Luft holte. „Der Arzt meinte, das sei nicht ungewöhnlich bei einer Gehirnerschütterung, dass sich der Zustand innerhalb der ersten Stunden nochmal verschlechtert.“
„Haben Sie denn gesehen, wer Sie vor das Lastenbike gestoßen hat, Mr Armstrong? Oder sind Sie gestolpert?“
Lous Blick zuckte zu Sarah und sie konnte sehen, wie er sich regelrecht zwang, zurück zu Cunningham zu schauen. „Da waren eine Menge Menschen an der Kreuzung in dem Moment. Jemand ist gegen mich gestoßen – ob das Absicht war, weiß ich nicht. Jedenfalls verspürte ich einen kurzen Stoß im Rücken und im gleichen Moment war plötzlich dieses Lastenbike dicht an der Bürgersteigkante und hat mich erwischt.“
„Detective Cunningham?“ Ein Beamter in Uniform erschien in der Wohnzimmertür und der Detective sah auf.
„Was?“
„Also sind Sie einverstanden, dass wir uns im Haus umsehen?“ Mendez hatte sich an Sarah gewandt, bevor der Beamte etwas sagen konnte.
Sie nickte. Ich habe Kenneth nicht getötet.
„Gut.“ Cunningham stand auf. „Dann mache ich Sie darauf aufmerksam, dass wir aufgrund Ihrer Zustimmung zu der Durchsuchung keinen Durchsuchungsbefehl jetzt vorlegen müssen, um möglicherweise beschlagnahmte Gegenstände im Falle eines Prozesses als Beweise verwenden können.“ Er sah zu dem Beamten. „Haben Sie etwas?“
„Bettzeug, Sir. Ein Laken. In der Waschmaschine.“
„Ach ja?“
„Haben Sie denn schon angefangen?“ Sarah sah überrascht zu Mendez.
„Das hat mein Kollege doch gerade versucht, Ihnen zu erklären“, sagte die Beamtin. „Das ist alles eine Frage des Zeitfaktors jetzt.“
„Vorgestern Abend auf dem Dach, als Sie mit Kenneth Halberstam dort zusammen waren, Ms Armstrong“, Cunningham sah zu ihr herunter, „was hatten Sie da an?“
„Mein weißes Top und die Jeans.“
„Ebenfalls in der Wäsche?“
Sie nickte.
Kenneth‘ DNA – war sie ausgewaschen worden? Aber sie hatte ja ohnehin zugegeben, dass sie mit ihm oben zusammen gewesen war. Was war mit dem Laken? Das Blut an dem Messer war bereits getrocknet gewesen. Sie hatte sich das Laken genau angesehen an dem Abend, an dem sie das Messer hatte verschwinden lassen. Das Laken war sauber gewesen, aber sie hatte es zur Sicherheit trotzdem noch in die Maschine gesteckt.
Cunningham schaute zu dem Beamten. „Habt ihr die Sachen?“
Der Mann nickte.
„Und?“, schnarrte Cunningham.
„Auf den ersten Blick sauber, Sir.“
Lou schien vollkommen in seinem Sessel versunken zu sein.
Cunningham sah Sarah nachdenklich an. „Oben ist ziemlich viel Blut geflossen. Sie könnten uns natürlich anlügen – haben vielleicht etwas anderes getragen. Aber wir checken das. Wenn das die Sachen waren, die Sie anhatten, müssten Faserspuren von Halberstams Sachen daran sein. Hatten Sie das Top und die Jeans an, Ms Armstrong – sind Sie sich sicher?“
„Ja.“ Sie riss sich zusammen, ihre Antwort war so leise gewesen, dass fast nicht zu hören gewesen war. „Ja!“
„Wir untersuchen das Laken. Wenn es Blut ist, was sie dort versucht haben, auszuwaschen – wie erklären Sie das?“
Die Tatwaffe. Ich habe die Tatwaffe verschwinden lassen. „Ich will einen Anwalt“, hauchte sie. „Jetzt.“