Nach einer Auswertung aus dem Jahr 2019 tritt Einsamkeit bei der jungen Altersklasse besonders häufig auf. Die Studie beruht auf Daten, die zwischen 2013 und 2017 gewonnen wurden, basierend auf den jüngsten verfügbaren Erhebungen dieser Art. Ermittelt hat sie das Sozio-ökonomische Panel (SOED), eine unabhängige Forschungsstelle des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (DIW) in Köln, das regelmäßige Telefonbefragungen in Deutschland durchführt.
Tatsächlich hat das subjektive Einsamkeitsempfinden ausgerechnet in den jungen Altersgruppen demnach am stärksten zugenommen. In der Auswertung geben etwa 9 Prozent aller Befragten zwischen 20 und 29 Jahren an, sich »sehr oft« oder »oft« einsam zu fühlen. Tendenz zunehmend: Denn 29 Prozent sagten, sie seien einsamer als noch bei der letzten Befragung. Die Autorinnen der Studie sind die beiden Ökonominnen Theresa Eyerund und Anja Katrin Orth. Und sie fragten sich nach der Studie auch, worauf diese Zahlen zurückzuführen seien.
Eyerund und Orth gehen davon aus, dass besonders die Umbrüche in der jungen Lebensphase schuld daran sind, dass sich junge Leute einsam fühlen. Ein von Transitivität, Wechseln, Anpassung geprägtes Lebensalter also. Die beiden erklären das so: »Viele ziehen von zu Hause weg, um zu arbeiten oder zu studieren. Das heißt, alte Freundeskreise brechen weg, Kontakte verschwinden – die jungen Leute müssen sich erst wieder ein neues soziales Umfeld aufbauen. Am schwierigsten ist das laut unserer Untersuchung übrigens für Azubis und Lehrlinge, obwohl sie ja Kolleginnen und Kollegen um sich herum haben.«
Auch Zahlen von 2019 bestätigen, dass es um die Jugend eher einsamer wird. Laut einer Befragung von Statista im Januar 2019 fühlen sich 36 Prozent der 18- bis 29-Jährigen »manchmal« einsam. 23 Prozent gaben sogar an, »häufig« einsam zu sein. Insgesamt bestätigten die Ergebnisse, was zunächst wohl niemand erwartet hätte: Keine andere untersuchte Altersgruppe fühlt sich demnach so einsam wie jene späten Teenager, die aus den gewohnten Bahnen der Schule entlassen werden und sich in den nächsten zehn Jahren auf dem offenen Ausbildungs- und Berufsmarkt zurechtfinden müssen.
Entsprechend werden jene Mädchen und Jungen gern beschrieben, die nun zu Frauen und Männern reifen sollen und früher oder später flügge werden. Der Mitteldeutsche Rundfunk brachte ein Feature mit dem Titel: »Generation allein: Warum junge Menschen einsam sind« Die Stuttgarter Zeitung schrieb: »Eine ziemlich einsame Generation.« Und Deutschlandfunk Nova resümierte: »Twentysomethings: Gemeinsam einsam.«
Nein, die jungen digitalen Generationen haben es wahrlich nicht leicht. Viele werfen ihnen von vornherein vor, sich nicht kritisch mit den Medien auseinanderzusetzen, statt zum Buch lieber zur Fernbedienung zu greifen oder gleich am Smartphone kleben zu bleiben. Und nun kommt es noch dicker für die gebeutelten Altersgruppen: Umfragen allerorten, die angeblich belegen, dass sich die Jahrgänge 1981 bis 1996 einsamer als alle anderen fühlen.
So auch laut des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Hier gaben sogar 30 Prozent der Millennials in einer Umfrage an, sie würden sich »häufig« oder sogar »immer« einsam fühlen. Zum Vergleich: Bei der Generation X (1964 bis 1980) waren es nur 20 Prozent und bei den Baby-Boomern (1946 bis 1964) nur 15 Prozent. Ferner hat YouGov herausgefunden, dass sich besonders viele junge Digital Natives in den USA einsam fühlen – und dass nur wenige von ihnen wahre Freunde haben. Genauer: 30 Prozent gaben an, keinen besten Freund zu haben; 22 Prozent sagten, dass sie keine Freunde hätten; 25 Prozent beteuerten, sogar gar keine Bekanntschaften zu haben.
Zugegeben: Diese Ergebnisse zu den Millennials können erst mal nur überraschen. Denn gerade den Digital Natives der Generation Y wird nachgesagt, perfekt vernetzt zu sein. Doch obwohl die Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten, heute nahezu grenzenlos sind, fühlen sich viele gerade dieser jungen Menschen offenbar allein. Enge Freunde und Freundinnen? Bei fast einem Drittel könnte man inzwischen sagen: Fehlanzeige.
YouGov befragte insgesamt 1254 US-Amerikanerinnen und Amerikaner über 18 Jahren gezielt zu ihrem Freundschaftsverhalten. Wieder war es die Gruppe der Millennials, in der die meisten auch hier angaben, keine Freunde zu haben: 25 Prozent. Leider lässt die Studie offen, weshalb es den Millennials so geht. Lediglich auf alle Altersgruppen bezogen kam man zu möglichen Erklärungen. Schüchternheit gehört demnach mit 53 Prozent zum häufigsten Grund für die Einsamkeit. 27 Prozent hingegen erklärten, dass sie keine neuen Bekanntschaften benötigten. Und für 20 Prozent der Befragten würden Freundschaften zu viel Arbeit bedeuten.
Versteckt hinter diesen Antworten vermuten die Wissenschaftler jedoch noch andere Ursachen. Auch aufgrund älterer Studien kommen sie zu dem Schluss, dass soziale Medien und das Internet einen großen Einfluss auf das Empfinden haben. Die Psychologin Melissa G. Hunt etwa stellte anhand einer Studie an der University of Pennsylvania fest: »Soziale Medien weniger als normalerweise zu nutzen, führt zu einem signifikanten Rückgang von Depressionen und Einsamkeit.« Der Grund? Möglicherweise sei es das Vorleben perfekter Welten auf Instagram und Facebook, das die selbst empfundene Einsamkeit und Isolation verstärkt. Auch eine allgemeine Reizüberflutung sowie die grenzenlosen Möglichkeiten der sozialen Kontakte machten es am Ende womöglich nur umso schwerer, enge Freunde zu finden. Hinzu kommt, dass die Millennials jene Generation bilden, die sich am vehementesten selbst verwirklichen will. Ihre typischen Vertreter stecken ihre Zeit und Energie mit Vorliebe in die Karriere, sie sind ständig unterwegs, ziehen gern ins Ausland und surfen nahezu unentwegt durch die heutigen Ozeane der Optionen – und auch diese Faktoren könnten sich laut den Experten durchaus auf das persönliche Empfinden von Einsamkeit auswirken.
Die Studien mögen im Detail zu verschiedenen Ergebnissen kommen, sie verwenden verschiedene Methoden und befragen verschiedene Gruppen. Insgesamt jedoch, untermalt von den Projektionen der Popkultur, zeichnet sich hier ein mehr als nur in Umrissen erkennbares Bild ab. Die jungen Generationen scheinen von einer großen, seltsamen Entwurzelung erfasst zu sein. Die jungen Generationen, ausgerechnet, mehr als alle anderen. Woran mag das liegen?
Womöglich sind sie die Ersten, die gerade aus einem Paradies vertrieben werden, das gerade zerfällt. Womöglich sind sie die ersten Astronauten, die es jetzt wirklich mit Scheinwelten zu tun haben. Ihre Raumkapseln haben sich vom Mutterschiff bereits gelöst. So treiben sie jetzt im Orbit, der Heimatplanet schwindet unter ihnen; über ihnen und um sie herum der offene Raum, ausreichend Platz für Angst und Ohnmacht. Denn sie wissen nicht mehr, was sie sehen. Wissen nicht mehr, was sie sehen wollen. Und wissen auch nicht mehr, was sie sehen sollen.
Sie sahen – nur ein Beispiel –, wie vier Jahre lang der mächtigste Mann der Welt die ganze Welt belog. Sie sehen heute die Welt, die langsam Feuer fängt. Sie sehen die Fake News, lesen die Shitstorms, schauen Erwachsenen zu, deren eigene Verwirrung in einer womöglich auch noch gefährlichen Groteske namens QAnon gipfelt. Eine Studie von Ende 2019 weist nach: 76 Prozent der 14- bis 24-Jährigen werden mindestens einmal pro Woche mit Falschnachrichten konfrontiert, ein Anstieg von 50 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Gleichzeitig fühlt sich ein Drittel (34 Prozent) nicht kompetent im Umgang mit Fake News und Verschwörungserzählungen. »Das Coronavirus gibt es nicht« oder »Bill Gates hat es erfunden«: Die allermeisten jungen Menschen haben bereits gängige Falschaussagen und Verschwörungserzählungen in Zusammenhang mit der Pandemie wahrgenommen. 64 Prozent der jungen Menschen geben an, dass es ihnen bei Corona-Nachrichten noch einmal schwererfällt als bei anderen Themen, glaubwürdige von unglaubwürdigen Informationen zu unterscheiden. Und tatsächlich: Auch mein viele Jahre jüngerer Cousin meldete sich in diesem Jahr zum ersten Mal seit unserer gemeinsam verbrachten Kindheit wieder. In seiner Instagram-Message die Frage: »Du Diana, sorry, dass ich nerve. Aber: Wie siehst Du das mit Corona eigentlich?«
In diesem ganzen Gemenge ist es nicht mehr ganz einfach, zu wissen, was man glauben soll. Und so wissen sie ebenfalls nicht mehr, was sie tun sollen. Sie wissen nur, dass sie sehr viel werden arbeiten müssen. Wissen, dass sie sehr viel Kraft werden aufbringen müssen, um irgendwo hinzukommen.
Vielleicht fühlt es sich im Inneren so an.
Derweil loten die Jungen die neuen Koordinaten aus, zappeln losgelöst durch die Gegend und werden dabei auch noch munter der Last der Lastlosigkeit bezichtigt. Das analoge Pleistozän kennen sie nur noch aus verstaubten Geschichten, derweil vor ihnen das digitale Anthropozän glitzert. Sie kennen das Wort noch nicht so richtig, aber es stülpt sich so langsam über sie. Gern würden sie jemanden nach dem Weg fragen. Aber in dem Raum, in dem sie jetzt sind, ist niemand mehr außer ihnen. Die Alten, Erwachsenen und Eltern, ihre Stimmen können sie noch leise hören. Ihre Ratschläge aber erreichen sie im Gesamtgefüge wie sinnloses Flüstern. Denn die Ratschläge wirken zunehmend dumpf, fragwürdig und hilflos. Und nun verhallen sie allmählich.
Ja, vielleicht fühlt es sich ein ganz kleines bisschen so an.