HILFLOS
Ich sehe ihn an, versuche, mir meine innere Unruhe, meine unbändige Wut und vor allem meine Hilflosigkeit nicht anmerken zu lassen. Kim sieht so schrecklich zerbrechlich aus, dass mein Herz sich in kleinen Scherben irgendwo unter mir am Boden sammelt.
Er zittert noch immer und ich ziehe ihm die nasse Hose aus, bevor ich die Brause nehme und das mittlerweile besser temperierte Wasser über seinen schmalen Körper rinnen lasse. Sobald sein Erbrochenes im Abfluss verschwunden ist, drehe ich den Knopf, der ihn verschließt, und lasse über den Schwallwasserhahn innerhalb kurzer Zeit die Wanne so volllaufen, dass Kim bis zum Kinn darinsitzt.
„Möchtest du Badeschaum?“
Er nickt und klappert mit den Zähnen. Wieder klirrt es in meiner Brust, ein ganz feiner, harmloser Ton, aber das ändert nichts an der verheerenden Wirkung. Ich gieße Schaumbad ins Wasser und stelle die Flasche wieder auf das Regal in der Ecke.
Ich würde ihm gern Gesellschaft leisten, mich zu ihm setzen und ihn festhalten. Vorher sollte ich allerdings das Bett abziehen und selbst schnell duschen gehen. Mit einem Seufzen erhebe ich mich und streichle noch einmal seine Wange.
„Ich bin gleich wieder zurück“, sage ich und hauche einen Kuss auf seine Wange.
Im Schlafzimmer werfe ich alle Decken und Kissen vom Bett, sammle die verschmutzte Wäsche auf einem Haufen und bringe sie ins Badezimmer, um sie sofort in die Waschmaschine zu stopfen. Ich stelle sie an und seufze erleichtert auf, weil der stechende Gallegeruch meinen nüchternen Magen doch so langsam aber sicher auf die Palme gebracht hat. Schnell husche ich unter die Dusche und wasche mir die Reste von Kims Schwächeanfall von der Haut, dann hocke ich mich wieder neben die Wanne und streiche ihm über den Kopf.
„Hey, Baby. Soll ich zu dir kommen?“
Ganz kurz, vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, zögert er und sein Körper wird starr. Sofort schelte ich mich selbst einen Trottel, doch als er nickt und ein Lächeln versucht, ist es um meine Beherrschung geschehen und ich gleite zu ihm in das heiße Nass.
Sofort ziehe ich ihn in meine Arme und spüre, wie er sich an mich lehnt. Er muss Schwierigkeiten gehabt haben, sich überhaupt aufrecht zu halten …
„Ich bin ja hier, Kim, hab keine Angst mehr, ja? Alles wird wieder gut.“
Er antwortet nicht, kriecht aber mit fahrigen, schmerzhaft kraftlosen Bewegungen dichter an mich, als wolle er einfach in mich hinein, um nie wieder rauszukommen.
„Mein Fels“, murmelt er irgendwann und schaudert erneut. Seine Lippen legen sich an meinen Hals, drücken sich sanft dagegen. Ich schließe durchatmend die Augen und ziehe ihn auf meinen Schoß.
Natürlich bin ich nicht erregt! Wie könnte irgendein Mensch aus Fleisch und Blut beim Anblick von Kims Leiden an Sex oder Ähnliches denken?! Ich jedenfalls kann es nicht und ich bin mir sicher, dass genau dieser Umstand es ihm überhaupt ermöglicht, so ruhig auf meinen Oberschenkeln zu sitzen.
Meine Hand gleitet über seinen Rücken hinab zwischen seine Beine. „Hab keine Angst, ich werde dir nichts tun“, flüsterte ich an seinem Ohr und er nickt schwach. Wie schon einmal vor einer guten Woche lege ich meine Hand einfach über seinen Eingang, damit er spürt, dass nichts und niemand an mir vorbeikommen wird.
Verlogen fühlt es sich an, das muss ich zugeben. Immerhin habe ich schlimmer versagt, als man überhaupt nur versagen kann.
Was mir an dieser gesamten Situation an schwierigsten fällt, ist, nicht nachzufragen, was mein Mann damit gemeint hat, dass Ludwig eigentlich Justin weh tun wollte.
Soll ich fragen? Lieber warten, bis Kim von sich aus darüber spricht? Ich fühle mich so hilflos!
Zu genau weiß ich, wie es sich anfühlt, missbraucht zu werden, denn nichts anderes hat Sean ja monatelang mit mir getan, aber ich wollte es damals, ich wollte lieber benutzt als verlassen werden!
Aber Kim? Ich weiß, er hat jahrelang den Hintern hingehalten, trotzdem war das doch was anderes, er hatte einen Deal! Eine geschäftliche Vereinbarung und vor allem hat er nie etwas davon gespürt!
Und nun? Nun hat er – vermutlich wegen mir! – endlich wieder Gefühl in seinem Hintern und muss das alles über sich ergehen lassen … Er ist nicht der Typ dafür. Wirklich nicht. Weil Kim einfach nicht rücksichtslos genug ist …
Es hat ’ne Weile gedauert, bis ich das begriffen habe, das muss ich zugeben, aber ich habe es kapiert und ich spüre sein Unwohlsein als wäre es mein eigenes. Nicht den körperlichen Teil, aber ich weiß zu genau, wie sehr einen ein solcher Missbrauch aus der Bahn wirft. Kims Seele ist viel zu weich für so was, viel zu zart besaitet! Ich habe solche Angst um ihn, doch weiß ich genau, dass ich mir das nicht anmerken lassen darf. Niemals!
Ich muss stark sein, auch wenn ich mich gerade viel lieber heulend in eine Ecke hocken würde. Stark für Kim, der es nicht mehr sein kann.
Weder körperlich noch seelisch.
Instinktiv drücke ich ihn noch dichter an mich, spüre, wie er sich an mich klammert, und lege meinen Kopf an seinen, als er sich an meine Schulter lehnt.
„Danke“, murmelt er. „Für alles.“
Ich zwinge mich zu einem Lächeln und fluche ungehemmt auf, als ich das wilde Klopfen an der Haustür höre. Das Klingeln ebenso, jemand hat seinen Daumen unüberhörbar auf dem Klingelknopf platziert.
Ich schiebe Kim von meinem Schoß und küsse seine Stirn. „Ich bin gleich wieder hier“, sage ich leise und steige aus der Wanne, um mir hastig ein Handtuch um die Hüften zu schlingen und so tropfnass, wie ich bin, eine Spur aus Fußabdrücken bis zur Haustür zu legen. Ich reiße die Tür auf und sehe genervt hinaus.
Tom steht mit noch erhobener Hand dort und öffnet den Mund, um ihn wortlos wieder zuzuklappen.
Ich greife mir an die Nasewurzel, drücke sie kurz und sage: „Kim und ich sind zusammen. Was gibt’s?“
„Ich …“, beginnt er nach einem Nicken und deutet zum Stall hinab, „habe mich gewundert, wo ihr bleibt. Ist … alles okay?“
„Nein, ist es nicht, Tom. Auch wenn es grad so aussieht, als würden wir uns nett amüsieren …“ Wieder greife ich mir an die Nasenwurzel. Der Druck hinter meiner Stirn wächst ins Unermessliche. Was soll ich denn verdammt noch mal sagen?! „… Kim … Wir waren gestern noch unterwegs und Kim ist überfallen worden. Ich muss ihn gleich erst zum Arzt bringen.“
„Verstehe“, erwidert Tom und ich glaube es ihm. „Sag ihm gute Besserung von uns und ich hoffe, ihr erstattet Anzeige oder so. Niemand darf unseren Boss überfallen!“
Ich muss mich nicht einmal zu dem Lächeln zwingen, das sich auf meine Züge legt. „Danke, Tom, ich verspreche, ich mache das wieder gut, ja? Vielleicht kann Kim sich um einen neuen Dienstplan kümmern, wenn wir zurück sind.“
Tom wendet sich nach einem weiteren Nicken um, dreht dann noch einmal den Kopf. „Hey Maik.“
„Ja?“
„Danke, dass du dich um ihn kümmerst.“ Er geht in Richtung Stall davon und ich blicke ihm noch einige Atemzüge lang nach. Wissen die Jungs etwa Bescheid, also, auch ohne das, was ich eben eingangs gesagt habe? Ich wende mich ab und kehre zu Kim zurück, der mitten im Badezimmer auf dem runden Läufer steht, und sich abtrocknet, als ich hereinkomme.
„Hey. Soll ich dir helfen?“, frage ich sofort und nehme ihm das Handtuch ab, um ihn vorsichtig zu frottieren. Er lehnt sich dankbar an mich und ich muss kurz die Augen schließen, um mir meinen Schmerz nicht anmerken zu lassen.
Er tut mir so unendlich leid!
Mein armer Kim … Wieso habe ich auf ihn gehört und bin nicht gleich hinterher?!
Mordgedanken oder zumindest sehr ähnliche wallen in mir auf. Ludwig, dieses Arschloch! Und dann mein Vater! Was hat der damit zu tun?
Sobald ich Kim vom Arzt wieder mitgebracht habe, werde ich mir erst mal diesen Dreckskerl van Keppelen schnappen!
Aber vorher muss ich sicher sein, dass niemand an Kim herankommen kann. Gott, das wird ab jetzt sehr schwierig alles.
Ich werde ihn definitiv nicht mehr aus den Augen lassen, es sei denn, ich habe ihn vorher irgendwo in Sicherheit gebracht.
Albern? Wohl kaum! Übervorsichtig ja auch nicht, wenn ich mit einem Schauder bedenke, was gestern Abend passiert ist.
Ich wickele ihn in ein weiteres sehr großes Handtuch und ziehe ihn an mich. „Es tut mir alles so leid, Kim. Wenn ich könnte, würde ich es ungeschehen machen …“
Er streckt sich etwas und sieht mich an. „Das brauchst du nicht. Du bist jetzt hier, das ist alles, was zählt.“
Liebe erfüllt mich mit einem heißen Guss, als seine Worte in meinem Kopf und wenig später in meinem Herzen ankommen. Es klirrt wieder leise, aber diesmal habe ich das Gefühl, dass ein paar der Risse durch Wärme wieder zusammengeschmolzen werden.
Ich glaube, das schafft nur Kim. Der süße, unschuldige … Na ja, okay, unschuldig wohl nicht, aber …
Doch!
Für mich ist er das. Unschuldig und angegriffen. Sein Schmerz lässt mein Herz splittern und seine Worte und zarten Berührungen kitten es wieder, nahtlos.
Genau DAS schafft nur Kim.
Mein Kim.
„Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich liebe“, nuschele ich an seine Lippen, traue mich aber nicht, ihn zu küssen.
Er traut sich schon, weshalb ich seine weichen Lippen wie den Hauch eines Luftzugs an meinen spüre und dahinschmelzen möchte.
Eine große Lache Maik Dexter am Boden dieses Badezimmers.
Ich umarme ihn und sehe in seine Augen. Rauchgrau sind sie und so voller Sorge. Gekräuselte Augenbrauen dicht darüber. Ich schlucke hart.
„Das spüre ich doch.“ Er atmet tief durch und setzt hinzu: „Glaubst du mir, dass ich es nicht wollte?“
Ich blinzle. Ganz sicher, ich hab mich verhört!
„W-w-w-was?“
„Dass ich nicht wollte, was er getan hat?“
Ich ziehe ihn dichter an mich und halte ihn einfach fest. „Ich glaube das nicht nur, ich weiß es. Komm, wir müssen dich jetzt anziehen und dann zum Arzt.“
Er kichert leise. „Ach? Nur mich? Willst du nur mit deinem improvisierten Lendenschurz neben mir sitzen?“
Ganz leicht zupft er an meinem Handtuch und reizt mich damit zu einem gespielt strengen Blick. „Na, na!“ Ich schiebe ihn vor mir her ins Schlafzimmer und er bleibt neben dem Bett stehen.
Während ich aus seinem Schrank alles herausnehme, um ihm beim Anziehen zu helfen, sehe ich aus dem Augenwinkel, dass er sich auf den Ellenbogen abgestützt auf die Matratzenecke lehnt.
„Tut es sehr weh?“, frage ich vorsichtig, bevor ich alles neben ihn lege und ihn in den Stand ziehe. Keine Ahnung, woher ich weiß, wie man einen anderen Erwachsenen anzieht, aber irgendwie klappt es.
„Es geht, aber ich muss gleich im Auto sitzen, deshalb will ich es jetzt gar nicht mehr versuchen.“
„Leg deine Hände auf meine Schultern und stütz dich auf, ja?“ Er macht es und ich halte ihm die Pants hin, um bequem einsteigen zu können. Weite, halblange Shorts raffe ich zusammen und lasse ihn ebenso hineinsteigen, dann erst richte ich mich wieder auf und er sieht mich mit leicht geröteten Wangen an. Da brennen Tränen in seinen Augen und ich ziehe ihn zunächst wieder an mich.
„Ich bin hier, mein Kleiner. Tut mir leid, wenn das zu weh tat, du hast es fast geschafft!“, mache ich ihm Mut und hauche einen Kuss auf seine Lippen, bevor ich das Shirt für ihn ergreife und ihm über den Kopf ziehe.
„Ohne dich will ich nicht mehr atmen“, flüstert er und ich spüre, wie sich alles in mir verkrampft.
„Scht“, erwidere ich und streichle durch sein nasses Haar. „Bitte sag so was nicht, ja? Ich habe sonst noch mehr Angst um dich.“
Ich hätte lieber etwas Beruhigenderes gesagt, aber hier hat einfach mein Herz gesprochen – vielleicht auch meine Sorge.
Er drückt sich an mich und zupft noch einmal an meinem Lendenschurzersatz, diesmal, bis er herabfällt.
Schnell mache ich mich von ihm los und trete einen Schritt zurück, wende mich ab und suche mir Wäsche aus dem Schrank.
„Tut mir leid“, murmelt er und ich steige in meine Trunks, bevor ich mich wieder zu ihm umwende.
„Was denn?“, frage ich sanft und sehe, wie er sich nervös über die Lippen leckt.
Er sieht zu Boden. „Ich … na ja, dich so zu sehen … das ist … nicht weniger anregend als … vorher …“
Wird er gerade wirklich rot? So richtig? Ich gehe wieder zu ihm. „Baby, ich liebe dich, aber solange du so leidest und ich nicht sicher sein kann, dass alles wieder in Ordnung kommt, wird sich in meiner Hose absolut nichts regen.“
„Ich weiß“, seufzt er. „Du bist dazu viel zu … gut.“
Ich lache leise auf. „Zu gut? Kim, wenn ich könnte, wenn ich auch nur die leiseste Chance sähe, dass ich dir den Schrecken, den Schmerz und die Wunden wegstreicheln könnte, würde ich es tun!“ Ich lege meine Hände um sein Gesicht und hebe seinen Kopf an, bis er in meine Augen sieht. „Aber das hat rein gar nichts mit Sex zu tun, verstehst du?“
Ich wende mich wieder zum Schrank um und schlüpfe in eine abgeschnittene Jeans, die an den Knien leicht ausgefranst ist.
„Ich versteh das, ich würde mich auch nicht mehr ficken wollen“, flüstert er und klingt tränenerstickt dabei.
Mein Herz will stehenbleiben, nicht einfach nur ein Paar Schläge lang aussetzen. Ich erstarre und muss tief Luft holen. Das war kein Vorwurf, ich muss mir das nur immer wieder sagen! Er wollte mich damit nicht verletzen, mir nichts unterstellen.
„Scheiße, Kim!“, fluche ich dann und fahre zu ihm herum. Er zuckt zusammen und meidet meinen Blick. „Ich werde nie wieder, nicht in diesem Leben und auch in keinem, das da vielleicht noch kommen mag, jemals wieder mit jemand anderem als dir schlafen, okay? Du bist das Nonplusultra! Meine Zwölf! Hast du das vergessen? Du bist Sex auf zwei Beinen für mich, reines Dynamit! Ich könnte schon abspritzen, wenn ich nur sehe, wie du im Sattel sitzt und leichttrabst! Denkst du wirklich, es besteht auch nur die leiseste Chance, dass irgendein Mann auf diesem Planeten mich mehr anmachen könnte als du?!“
Er zuckt noch einmal zusammen, doch immerhin hört er mir zu. Verdammt, vielleicht hätte ich das alles dezenter ausdrücken sollen, aber … Es ist doch die Wahrheit!
Mein Schwanz steht nicht für andere, nur für ihn – also, wenn er es tut.
„Hey“, sage ich leiser und nehme ihn wieder in den Arm. „Es gibt viele, viele andere Dinge, die ich gern mit dir tun möchte, okay?“
Hm, vielleicht ist meine momentane Nichterregtheit auch genau das Gegenteil von dem, was er braucht, aber ich kann mir ja schlecht einen Ständer zaubern! Schon gar nicht, wenn ich daran denke, wie es in ihm aussehen muss!
„Dann … bist du nicht angeekelt?“ Seine Stimme kippelt und bricht.
„Wieso sollte ich denn? Weil dir jemand Gewalt angetan hat?“, frage ich.
Er nickt schwach und hebt gleichzeitig die Schultern. Eine hilflose, unsichere Geste, die mich einmal mehr vollkommen für ihn einnimmt.
„Du bist so stark Kim, wann immer ich dich stark brauche. Viel stärker als ich! Aber jetzt darfst du schwach sein, hörst du? Man hat dir etwas Schreckliches angetan … Und ich werde den Teufel tun, mich deshalb von dir abzuwenden.“
Seine Arme schlingen sich schmerzhaft fest um meinen Oberkörper und seine Stirn stößt durch seine plötzliche Bewegung gegen mein Kinn. Ich keuche dumpf.
„Sorry!“, bringt er hervor.
„Alles gut, Kim. Alles gut.“ Ich mache mich von ihm los und schnappe mir ein kurzärmeliges Hemd. Bevor ich es zuknöpfen kann, steht Kim vor mir und ich sehe, wie er mit seinen schlanken Fingern nach Knopf- und Knopflochleiste greift.
„Du hast mich angezogen, aber das hier kann ich!“
Seine Worte entlocken mir ein Lächeln, und auch wenn er wegen seiner Zittrigkeit sehr lange braucht, bis mein Hemd endlich so weit geschlossen ist, wie sich das gehört, lasse ich ihm die Zeit.
~*~
Ich nehme mir den Schlüssel von Kims Geländewagen und verfrachte ihn auf die Rückbank, damit er nicht sitzen muss. Mir seine Verletzungen anzusehen, dazu fehlt mir einerseits der Mut, andererseits will ich ihm diese Privatsphäre gern lassen. Ich glaube, ich fände es auch nicht besonders schön, wenn er bei mir nachsehen müsste …
Auch wenn es zig andere Gelegenheiten gegeben hat, in denen mir das nichts ausgemacht hat.
Ich sehe in den Rückspiegel und mache mich auf den Weg.
Die Ärztin ist nett und erlaubt, dass ich Kim begleite, als dieser den Wunsch äußert. Mir ist trotz allem nicht ganz wohl dabei, aber ich halte Kims zittrige Hand, als die Medizinerin ihn untersucht und anschließend natürlich endlose Fragen stellt, wie das passiert ist.
Jedenfalls sind wir alle erleichtert, dass Kim nur leichte Hautverletzungen davongetragen hat und er nicht genäht werden muss.
Die erste Frage der Medizinerin ist natürlich, ob das bei zu heftigem Sex zwischen uns passiert ist, was Kim sofort verneint und stockend aufklärt, was sich zugetragen hat. So höre auch ich das Ganze zum ersten Mal. Er berichtet auch, dass Ludwig ihm sehr weggetreten vorkam und ihn für jemand anderen gehalten hat, was die Ärztin mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue quittiert.
Außerdem verlangt sie, dass Kim wenigstens über eine Anzeige nachdenkt. Er zögert sichtlich und wirft mir immer wieder nervöse Blicke zu. Ich weiß auch nicht, wie sinnvoll es wäre, van Keppelen anzuzeigen. Ich meine, klar, ich will ihm ans Leder flicken, heftig sogar, aber momentan ist mir meine Rache doch scheißegal!
Nur Kim zählt.
Ich bin versucht, mich in das Gespräch einzuschalten, aber vorerst begnüge ich mich damit, Kim beruhigend an mich zu ziehen und zu umarmen, als er mich hilfesuchend ansieht.
„Ich gebe Ihnen eine Salbe und Schmerzmittel mit und dann ist mindestens zwei Wochen lang Pause angesagt“, verkündet sie mit einem strengen Blick auf uns beide. Wir nicken.
Als wir die Praxis verlassen, hat Kim bereits die erste Salbenportion verabreicht bekommen und zusätzlich halte ich ein kleines Päckchen mit Schmerzmitteln in der Hand, während ich ihn mit langsamen Schritten zum Auto führe. Wieder bugsiere ich ihn nach hinten auf die Rückbank und sorge dafür, dass er bequem liegt.
„Ich denke, wir sollten dir wirklich noch diesen Sitzring organisieren.“
Er murrt vor sich hin, aber schließlich halte ich vor einem Sanitätshaus und gehe allein hinein. Ich erzähle was von Hämorrhoiden und bekomme das Gewünschte: Einen Ring aus kunstlederbezogenem Schaumstoff von etwa 40 Zentimeter Durchmesser, auf den man sich setzen kann, wenn man jeglichen Druck vom Anus abhalten will. Ich bin froh, dass ich mich mit diesem Ding wenigstens nicht mehr bei jedem Mal, wo ich Kim sitzen sehe, fragen muss, ob er vor Schmerzen noch klar denken kann oder nicht.
BESCHÜTZT
Kann man Liebe messen? Ich meine, so in Kilos oder Tonnen? Blöde Frage, ich weiß, aber irgendwie …
Ich habe langsam den Eindruck, dass ich gar nicht mehr beschreiben oder auch nur umreißen kann, wie viel Maik mir tatsächlich bedeutet.
Allein die Tatsache, dass er mir jetzt, wo ich mich fühlen will wie der letzte Dreck, so offen und zeitgleich zurückhaltend begegnet, dass ich gar nicht anders kann, als mich sehenden Auges und mit verdammt viel Liebe im Herzen an ihn zu lehnen, versetzt mich in … Freude.
Nein, viel mehr als das!
Ich liege auf der Rückbank meines Rovers und lasse mich von ihm nach Hause fahren. Meine Hand gleitet nach vorn, zwischen den Sitzen hindurch und an seine Seite. Er sieht sich erschrocken um, immerhin schaffe ich ein beruhigendes Lächeln und sage: „Schon gut, ich wollte dich bloß spüren. Ist irgendwie nicht so selbstverständlich, dass es jemanden wie dich geben kann, weißt du?“
Maik sieht sich in alle Richtungen um und fährt den Wagen an irgendeinen Straßenrand, glaube ich, jedenfalls stellt er den Motor ab, löst seinen Gurt und dreht sich zu mir um.
„Ich bin hier, ganz wirklich.“ Er beugt sich zu mir und ich komme ihm entgegen, stemme mich auf die Hände und erreiche ihn tatsächlich, um ihn zu küssen.
Davon werde ich nie genug kriegen, auch wenn ich vorhin solche Angst hatte, dass er mich jetzt, nachdem Lu mich … Na ja … dass Maik sich vor mir ekelt eben …
Wäre doch nur verständlich, oder? Aber mit einem Lächeln auf den Lippen sinke ich zurück auf die Sitzfläche und denke an das, was er mir daraufhin gesagt hat.
Ich bin seine Zwölf, Sex auf zwei Beinen … Ehrlich, bei niemand anderem würde ich mir so viel darauf einbilden. Ihm kann ich es einfach so glauben!
Ein tolles Gefühl, jemandem, der so viel mehr und was Besseres als mich haben könnte, so gut zu gefallen.
Ich weiß, dass ich verdammt gut aussehe, aber ansonsten? Ich bin charakterlich wohl nicht ganz das, was man unter einem Traummann verstehen will.
Zumindest würde ich mich selbst nicht haben wollen …
Ich höre, wie er sich wieder anschnallt, lausche dem Motorengeräusch und weiß, er wird mich sicher nach Hause bringen.
~*~
Ich muss eingenickt sein, denn erst seine sanfte Hand an meiner Wange holt mich zurück in die Gegenwart. Ich hebe den Kopf und es ist mir trotz allem ein wenig peinlich, dass er mir aus dem Wagen helfen muss.
Dabei fände ich es beinahe himmlisch, wenn er mich noch einmal tragen würde, so wie gestern Abend oder heute Morgen …
Hm, mein Traummann ist gar kein Traummann, er ist vollkommen real, atmet, lebt … Das macht meine Realität zu einer Art Traum – und ich genieße das sehr!
Ich stehle mir einen flüchtigen Kuss, als er mich an sich zieht und zum Haus bringt. Ich weiß eigentlich gar nicht, wieso ich so wackelig auf den Beinen bin. Ich meine, immerhin hat Lu mich nicht verprügelt oder so, ich hab auch keine megamäßige Grippe, sondern nur … na ja, einen ziemlich wunden Arsch …
Damit sollte ich doch eigentlich in der Lage sein …?
Maik hält mich fest, als ich es fertigbringe, über meine eigenen Füße zu stolpern und ich sehe ihm an, dass er tatsächlich darüber nachdenkt, mich wieder zu tragen.
Müsste mir doch eigentlich voll peinlich sein, so wie das Kotzen heute Morgen. Aber irgendwie gibt es seitdem oder vielmehr, seitdem er mich in der Wanne gewaschen hat, einfach nichts mehr, was mir noch peinlich sein müsste, glaube ich.
Er bringt mich wieder zum Bett und verlangt, dass ich mich hinlege, dann verschwindet er in der Küche, macht mir Tee und ein paar Brote. Es ist mittlerweile nach vierzehn Uhr, wie mein Wecker mir mitteilt.
Doch wenn ich dachte, er würde sich danach zu mir legen und mich festhalten, habe ich mich geirrt.
Er kommt zu mir und krabbelt halb aufs Bett, küsst mich und sagt: „Ich bin in zehn Minuten wieder hier, okay? Bitte bleib genau hier und stell dich schlafend, falls jemand anruft oder klingelt.“
Ich nicke fast schon mechanisch. Es käme mir gar nicht in den Sinn, ihm zu widersprechen. Klar sehe ich seine Sorge und seine Angst um mich. Auch wenn er fast die ganze Zeit versucht, beides zu überspielen.
Er hat doch hoffentlich nicht vergessen, dass ich genau weiß, wie viel Stärke er manchmal braucht?
Umso mehr bewundere ich ihn nämlich dafür, jetzt so eisern auf meine Belange zu achten, meine Wünsche und Nöte zu erkennen.
Nach genau zehn Minuten steht er wieder bei mir am Bett und lächelt traurig auf mich herab.
Ich strecke meine Hand nach seiner aus und ziehe ihn zu mir. „Komm her, bitte, ich will dich anfassen, damit ich weiß, dass du nicht einfach verschwindest …“
„Wieso sollte ich das denn tun?“ Er klettert tatsächlich wieder zu mir aufs Bett, legt sich oberhalb meiner Bettdecke hin und zieht mich an sich.
„Weil niemand so sein kann wie du bist, also in echt, meine ich.“
„Aber ich bin echt. Und ich bin nur wegen dir so, nur für dich.“ Er flüstert das, seine Stimme bricht sogar ein wenig, was mich mit Wärme erfüllt und lächeln lässt, als ich meinen Kopf auf seine Brust lege.
„Danke.“ Später fällt mir ein, dass ich doch noch wissen muss, was er den anderen gesagt hat, was er in der kurzen Abwesenheit getan hat.
„Ich war im Stall und habe Timeon angerufen. Er wird den Rest der Woche deine Pferde übernehmen. Und ich habe Lukas, Tom und Ferdinand gebeten, die Reitstunden so zu organisieren, dass alle Pferde genügend Training bekommen, falls ich nicht im Stall helfen kann.“
„Du bist ein richtiger Schatz, weißt du das?“
„Wenn du es sagst …“ Er klingt nicht zweifelnd, eher belustigt. „Du solltest die Schmerzmittel nehmen, Kim.“
Ich seufze. Wo hab ich die eigentlich gelassen? Die Salbe hab ich in die Tüte mit dem Sitzring gestopft …
„Wo sind die hin?“
„Ich hab sie in der Tasche. Hier, zwei hat sie gesagt. Ich hole dir Wasser.“
„Geht auch Cola?“, frage ich treuherzig und ernte ein kleines Kichern. Es tut gut, wenn die Sorgenfalten, die sich immer wieder in seine Stirn schleichen, von einem Lächeln abgelöst werden, welches sein gesamtes Gesicht leuchten lässt.
„Klar geht das.“
„Maik?“
„Ja?
„Ich werde dir erzählen, was er genau gesagt hat. Ich sehe dir an, dass du darüber nachdenkst …“
Er wird ernster und nickt zögernd. „Die ganze Nacht habe ich versucht, mir einen Reim darauf zu machen, aber seitdem du wach bist nicht mehr.“
Maik holt mir ein Glas Cola und reicht es mir, ich schlucke die Pillen und lehne mich seufzend wieder in die Kissen. Meinen Hintern zu entlasten ist gar nicht so einfach, aber wenn ich ein winziges bisschen auf der Seite liege, geht es.
Als er sich wieder neben mich legt, nehme ich zum ersten Mal heute wahr, dass er gähnt. Er versucht, es zu verstecken, aber dazu ist es zu spät.
„Bist du so lieb und schließt die Haustür ab?“, frage ich.
„Hab ich schon, vorhin, als ich wieder rein bin.“
„Gut, dann wirst du jetzt endlich schlafen, ja?“
Er will protestieren, aber ich kuschle mich einfach auf seine Brust. „Ich kann am besten liegen, wenn ich mich halb auf dich drauflege“, beginne ich erklärend, auch wenn das nur eine kleine Ausrede ist, damit er seinen Schlaf vor sich selbst rechtfertigen kann. „Ich bleibe hier und versuche auch noch mal zu schlafen, okay?“
Er zieht mich vorsichtig weiter an sich und küsst meine Stirn.
Voll schräg, bislang ist mir nie aufgefallen, wie unsagbar intensiv so ein Stirnkuss sein kann! So voller Liebe und Zärtlichkeit …
Ich schließe die Augen und gähne demonstrativ. „Schlaf schön, Löwenherz.“
Da ist er, der Name, den ich seit Wochen suche. Ein Name, den ich nur ihm geben konnte und wollte. Mein Löwenherz. Der Mann, der mich trägt, wenn ich zu schwach bin. Der Mann, der mir erlaubt, für ihn da zu sein, wenn er den Mut verliert.
DONNERSTAG, 25. JULI
SCHMERZHAFTE FAKTEN
Ich liege da, halte ihn im Arm und höre, was er sagt …
Also, das glaube ich zumindest, denn da schwingt ein Ton mit, der mich zittern lässt. Löwenherz, hat er gesagt …
Reflexartig drücke ich ihm einen Kuss auf die Stirn und schließe die Augen. Mein Kim, mein gar nicht so kleiner Kleiner, für den ich gern so viel mehr täte, als ich derzeit kann.
„Löwenherz“, brabbele ich selig und spüre, wie noch einmal Bewegung in ihn kommt.
„Ja!“, sagt er fest. „Mein Löwenherz. Groß und stark und gut, wie das von dem Löwen aus der Welt hinterm Schrank …“
Ah, ich verstehe. Mein Lächeln wird breiter. Ich würde ihn jetzt gern ansehen, in seinen schönen Augen abtauchen und ertrinken, aber die Müdigkeit hat mich zu fest im Griff. Ich bin seit fast 36 Stunden wach, mein Körper fordert sein Recht und ignoriert meine romantischen Wünsche einfach.
~*~
Sanftes Streicheln und leises Murmeln holen mich irgendwann zurück. Sofort wabert dieses Wort wieder durch meinen Kopf, ach was, durch meine Brust!
Löwenherz … Ich schlucke, räuspere mich und öffne die Augen, nur um direkt in seine zu sehen. Er liegt bäuchlings auf mir, nicht mehr an meiner Seite. Meine Arme gleiten sofort um ihn und ich wundere mich ernsthaft, wie ich so gerade auf dem Rücken habe schlafen können. Normalerweise ziehe ich ihn, auch wenn er auf meine Brust gelehnt einschläft, irgendwann auf die Seite, während ich mich drehe. Löffelchenstellung oder wie auch immer man das nennen mag. Aber diesmal nicht.
Ob ich unbewusst gespürt habe, dass er dadurch möglicherweise Schmerzen haben könnte? Also, wenn ich ihn herumdrehe und an mich drücke?
„Hallo, Kleiner. Wie geht es dir?“, bringe ich hervor und er lächelt mich an.
„So gut, wie es mir gehen kann, wenn ich so dicht bei dir sein darf, während du friedlich schläfst und dich erholst.“
Ich nicke verstehend. „Hast du die ganze Zeit hier auf mir gelegen und mich beobachtet?“
„Nein, ich hab geschlafen, bin doch echt k. o. gewesen.“ Ein Schatten huscht über sein Gesicht. „Aber jetzt hätte ich Hunger und dein Magen hat voll die fiesen Grollgeräusche von sich gegeben …“ Er kichert.
„Fiese Grollgeräusche?“
„Ja! Du hast offenkundig auch Hunger. Aber ich hab versprochen, hier bei dir zu bleiben …“ Er schnieft kurz. „Hätte aber auch nicht weggekonnt, um uns was zu machen, immer wenn ich aufstehen wollte, hast du mich an dich gezogen, als wärest du wach und ein wenig genervt von meinen Fluchtplänen.“
Ich blinzle ihn erstaunt an. „Echt? Ich hab tief und fest geschlafen, da bin ich mir sicher!“
Mein Magen grollt erneut, entlockt ihm ein weiteres Kichern. „Siehst du, dein Magen versucht, deinem Löwenherz Konkurrenz zu machen!“
Ich lache kopf- und kimschüttelnd auf, bevor ich ihn beiseiteschiebe, ganz vorsichtig natürlich, und mich aufrichte. „Na dann sollte ich wohl mal damit anfangen, die anwesenden Raubtiere und Koalabärchen zu füttern, was?“
Er streckt sich und küsst mich, dann nickt er. „Wenn du nicht willst, dass ich den Hungertod erleide, ja!“
Ergeben stehe ich auf und mache mich auf den Weg ins Bad. Unterwegs frage ich: „Wie spät ist es eigentlich?“
„Mitten in der Nacht! Kurz nach drei!“
Ich stocke und sehe ihn an. Die Kerzenscheinbeleuchtung taucht ihn und seine goldene Haut in ein wunderbares Licht. „Echt?!“
Er nickt. „Ich wollte, dass du ausschläfst.“
Meine Blase zwingt mich nun doch erst mal ins Bad und ich erledige alles, mache mich ein wenig frisch und gehe danach in die Küche hinüber. Alle Rollläden sind noch oben. Klar, die konnte ich nachmittags nicht runtermachen, das hätte echt zu blöd ausgesehen. Deshalb hole ich das jetzt seufzend nach und mache zunächst einmal Kaffee für uns.
Kim ist mir gefolgt und schlingt seine Arme von hinten um mich, während ich die Tassen unter dem Automaten wechsle. Er lehnt sich an meinen Rücken und diese Nähe durchrieselt mich sofort mit einem kleinen, warmen Schauer.
„Und dann erzähle ich dir alles“, sagt er leise. Ich mache mich kurz steif. Ich weiß, dass ich es hören muss, verstehen und begreifen muss, aber es macht mir auch große Angst.
Vor allem wohl, weil er sich in diese schreckliche Situation zurückversetzen muss, wenn er mir verrät, was dieses miese Schwein gesagt hat. Voll fies von mir, Schweine würden so etwas wohl kaum tun … Egal!
Ich reiche ihm seinen Kaffee und er nimmt Abstand, geht mit kleinen Schritten zum Tisch herüber und macht Anstalten, sich zu setzen.
„Stopp! Das Sitzdings!“, verlange ich und eile zur Theke, auf welcher Salbe und Kissen in einer Tüte liegen. Ich nehme beides mit zum Tisch. Das Kissen landet auf seinem Stuhl, aber ich halte Kim die Salbe hin, bevor er sich setzen kann. „Hier, bitte crem dich noch mal ein, ja? Ich möchte, dass du ganz schnell wieder heil bist.“
Seine Augen werden groß und er grinst ganz kurz und sehr dreckig.
Perplex starre ich ihn an. „Was?“
„Du … willst mich wirklich irgendwann wieder ficken?“, fragt er und sein Grinsen wird breiter.
„Äh? Zwei Wochen, mindestens“, erinnere ich ihn. „Außerdem ist das nicht der Grund, wieso ich möchte, dass du wieder gesund bist.“
Seine Schultern sinken herab, sein Blick fällt auf die Salbentube und er nickt. „Verstehe schon …“
Das will ich stark bezweifeln! Zumindest, wenn ich seine Enttäuschung höre. Ich umfasse seine Oberarme. „Hey, ich hab dir doch was dazu gesagt, mein kleiner Zwölf! Natürlich möchte ich irgendwann – wann immer das sein mag in T minus x plus 14 Tagen – wieder mit dir schlafen. Aber du könntest uns beiden jetzt den Gefallen tun, unsere Liebe und unsere Beziehung nicht auf eine Bettgeschichte zu reduzieren, okay?“
Er nickt. „Sorry, ich … schon gut.“
Nichts ist ‚schon gut‘, das sehe ich genau, aber ich lasse zu, dass er sich von mir losmacht und in Richtung Schlafzimmer davonhampelt. Immerhin fällt er jetzt nicht mehr über seine eigenen Füße. Frage mich, ob das gestern eher an seiner Verletzung oder an seinem Seelenleid gelegen hat. Ich weiß, dass eine solche Gewalttat einen im wahrsten Wortsinne aus dem Tritt bringen kann und schaudere, als ich daran denke, wie ich damals das erste Mal von Sean aus zurück in meine Studentenbude gekrochen bin. Tatsächlich gekrochen.
War mir egal, damals jedenfalls. Aus heutiger Sicht jedoch steigt unbändiger Würgereiz in meine Kehle. Ich unterdrücke ihn mit hektischem, aber tiefem Ein- und Ausatmen und versuche, wieder klarzuwerden.
Nicht an diese unsägliche Zeit denken! Jetzt und hier zählt nur Kim!
Hm, ob ich gleich, wenn ich mein Koalaraubtier abgefüttert habe, mal ins Gutshaus gehe? Sofort ballen sich meine Hände zu harten Fäusten. Scheiße, ich würde van Keppelen im Schlaf erdrosseln!
~*~
Kim schiebt seinen Teller von sich und stöhnt laut. Offensichtlich hatte er wirklich Kohldampf, denn er hat ganze drei Teller leergegessen. Spaghetti mit Rahmspinat habe ich gemacht, das geht halbwegs schnell und auch im gedanklichen Chaos versunken noch. Auch wenn ich mir im Stillen immer wieder dazu gratuliere, den tiefgefrorenen Spinat nicht anbrennen lassen zu haben.
Mein Kopf ist so voll mit allem Möglichen! Kim, das Geschehene, meine Angst um ihn … natürlich auch meine ziemlich gewalttriefenden Gedanken an van Keppelen.
„Er hat mir zuerst gesagt, dass ich ihn angelogen habe“, beginnt Kim und erzählt mir – offenbar Wort für Wort – was im Wohnzimmer des Gutshauses passiert ist. An einer Stelle strauchelt er, das merke ich, ansonsten berichtet er mir unter Ersparung der körperlichen Details, die ich ja beim Arzt schon gehört habe.
Van Keppelen hat meinen Vater also geliebt, wollte ihn haben … Diese Erkenntnis hinterlässt gerade nicht viel in mir. Ich fokussiere mich ganz auf Kim, um den Faden nicht zu verlieren.
Ich lasse ihn reden, unterbreche ihn nicht, sage auch nichts, wenn er mal ein wenig pausiert, und genieße das warme Gefühl seiner Hand auf meiner. Er sucht Halt und ich bin nur zu bereit, ihm diesen auch zu geben. Kim ist nicht allein, das muss er begreifen!
Er endet und mustert mich schweigend. Ich kann das Schlucken sehen. Er wartet auf meine Reaktion.
Mein Räuspern klingt fremd in meinen Ohren. „Kim ich … mir fehlen gerade ein wenig die Worte, um ehrlich zu sein.“ Das stimmt leider so allumfassend, dass ich nach Luft schnappe. Van Keppelen hat meinen Vater geliebt!
Ich meine, hallo?!
„Mein Vater kann doch nicht schwul sein! Ich bin schließlich sein Sohn! Schwule zeugen keine Kinder mit Frauen und vor allem besuchen diese Frauen die Schwulen dann nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit!“
„Er ist wohl wirklich bi, Maik“, antwortet Kim leise und drückt meine Hand erneut. Das gibt gerade mir Halt, nicht ihm!
Ich nicke, zumindest wackelt mein Blickfeld auf und ab. Blut rauscht durch meine Ohren.
„Du hast einmal gestockt, ich habe das Gefühl, dass du mir eine Sache verschweigst.“ Woher der Satz nun kommt, also abgesehen davon, dass meine Zunge und meine Lippen die Worte modulieren, weiß ich nicht.
Er senkt den Blick ganz kurz, dann nickt er. „Er hat gesagt, ‚Du wirst mich nicht noch mal für Maik verlassen‘. Ich … ich wollte nicht, dass du dir Vorwürfe machst, deshalb.“
Die Worte kommen augenblicklich an, werden verarbeitet und … sind unlogisch!
Ich schüttle den Kopf und denke laut: „Weil er mich damit meint? Denkst du das? Das … kann nicht sein! Er wusste bis zu meiner Bewerbung nicht, dass es mich gibt …“
„Aber wieso sagte er das dann so?“
„Weil … Es noch einen Maik im Leben meines Vaters gibt …“ Ich seufze. „Der ehemalige Rennstallbesitzer, zu dem mein Vater gewechselt ist, als er hier weg ist … Der Stall, wo meine Mutter ihre Ausbildung gemacht hat …“
Kims Kinnlade fällt herab, er fängt sich aber schneller als erwartet und zieht offensichtlich die gleichen Schlüsse wie ich.
„Aber wenn dieser andere Maik der Grund war, wieso dein Vater hier weg ist, wieso … gibt es dich dann?“
Ich hebe die Schultern und sehe ihn hilflos an. Kim erhebt sich und kommt zu mir, setzt sich vorsichtig auf meinen Schoß, nachdem ich etwas zurückgerückt bin, und schlingt seine Arme um meinen Hals. „Weißt du, ehrlich gesagt, ist mir scheißegal, wieso sie dich bekommen haben, ich bin nur sehr glücklich, dass die es getan haben!“
Wieder schmelzen seine Worte die klirrenden Überreste meines Herzens zusammen, verschließen Nähte und Risse. Ich umarme ihn und presse mein Gesicht in seine Halsbeuge.
„Ich fürchte, da lauert noch viel mehr unter der Oberfläche als nur Rennbetrüge und Schwarzgelder, Maik.“
Ja, das fürchte ich auch. Sehr sogar. Mit jedem Detail, das ans Licht kommt, wird meine Existenz mehr und mehr zu einer Lüge, einer Farce. Wieso lebe ich? Bin ich vielleicht doch adoptiert oder so? Ist Helen nur eine Leihmutter? Sind Justin und Maik der Grund, aus dem van Keppelen meinen geliebten Kim vergewaltigt hat?
„Ich möchte nicht, dass du dir die Schuld gibst, hörst du?“
„Wenn …“, beginne ich, als mir endlich vollumfänglich klarwird, was das alles nur bedeuten kann, „ich mich nicht beworben hätte, wäre dir nichts passiert! Erst dadurch ist Ludwig auf den Trichter gekommen! Da bin ich sicher!“
„Scht! Weißt du, was du da sagst?“, murmelt er. „Wenn du dich nicht beworben hättest, wäre ich immer noch ein nichtgläubiges, die Liebe verfluchendes Stück Fickfleisch für ihn und hätte keine Ahnung, dass es mein wunderbares, tapferes Löwenherz überhaupt gibt!“
Ist wahr. Aber macht das irgendwas besser? Ich meine, ja, klar, ich habe mich in Kim verliebt, er sich in mich … Ohne diese Sache … wäre auch das niemals passiert. Aber …!
„Kim! Du leidest deshalb! Findest du das so erstrebenswert?!“
Er legt seine Hände um mein Gesicht und zwingt mich sacht, ihn anzusehen. „Ja, halte ich. Ich wüsste nicht, wer oder was mir wichtiger wäre als du, Maik! Ich liebe dich und du bist … alles!“
Ich schluchze auf und schließe die Augen. Das ist zu viel, alles viel zu viel für mich!
Vorsichtig schiebe ich ihn von meinem Schoß und springe auf. „Ich muss hier raus!“, bringe ich noch hervor und haste zur Tür, auf den Hof, zum Gutshaus.
Ich bin so unsagbar wütend, so vollkommen neben mir! Scheiß doch auf Pazifismus und Gewaltlosigkeit im Alltag! Ich werde van Keppelen umbringen! Windelweich prügeln und zwingen, sich selbst anzuzeigen! Alles gleichzeitig oder wenigstens kurz nacheinander!
Meine Schritte hallen laut und hart von dem Holzfußboden des oberen Flures wider und ich reiße ohne zu Zögern die Schlafzimmertür des Mistkerls auf. Dunkel, natürlich, ist ja mitten in der Nacht.
„Steh auf du mieses Stück Scheiße!“, brülle ich ungehalten und taste nach dem Lichtschalter neben der Tür.
Blinzelnd sehe ich mich um, als die Deckenlampe aufflammt. Kein van Keppelen da.
Das Bettzeug liegt unberührt und mir wird klar, dass auch sein Wagen nicht auf dem Hof stand. Schon gestern nicht mehr …
Ist er abgehauen, nachdem er mich geholt hat?
„Feiges Arschloch!“, brülle ich wie von Sinnen und schlage gegen die Tür. Zwei schnelle Schritte, dann trete ich gegen den Bettrahmen, kann einfach nicht aufhören, meinem Zorn und meiner wütenden Ohnmacht Ausdruck zu verleihen. Ich tobe und reiße die Decken vom Bett, zerre den Nachtschrank auf, trete die Laden wieder zu, nachdem ich gesehen habe, dass weder das blöde Buch noch das kleine Album darin liegen.
Was auf den Möbeln steht, eine Blumenvase, ein Schmuckdöschen aus etwas, das aussieht wie Elfenbein, die Nachttischlampen, ich fege alles herab und schlage und trete mich durch den Raum, bis mein Radau durch zwei Hände unterbrochen wird.
Der rotglänzende Schleier vor meinen Augen vergeht sofort. Diese Berührung an meinen Handgelenken ist so warm, sanft und weich, dabei so erschreckend unnachgiebig, dass ich Kim nur noch erstarrt und stumm ansehen kann. Mein Atem geht rasselnd, ich habe anscheinend auch weiter herumgebrüllt …
Kim sieht mich nur an. Kein Wort des Vorwurfs, nicht einmal in seinen Augen liegt einer.
„Ich kann ihn nicht mal schlagen für das, was er dir angetan hat!“, schluchze ich und breche ohne Vorwarnung in die Knie.
WILDES LÖWENHERZ
Uff! Maik aufzufangen ist schier unmöglich, wenn man ihn wie ich gerade nur leicht an den Handgelenken umfasst. Er geht zu Boden und ich irgendwie mit ihm. Der Schmerz in meinem Hintern ist nichts im Vergleich zu dem in meiner Brust.
Ich will ihn nicht so sehen, so selbstzerstörerisch und hilflos!
Na klar, irgendwie ist schon deutlicher besser für uns alle, dass Lu offensichtlich nicht mehr auf dem Feuerried weilt, zumindest, wenn es Maik eine Anzeige wegen Körperverletzung ersparen kann …
Ich keuche auf, weil im Sturz auf noch mein Kinn auf seinem Hinterkopf landet. Er ist auf alle viere gefallen und ich hatte schlichtweg keine Chance mehr, ihm auszuweichen.
Mein dumpfer Schmerzenslaut weckt ihn dann doch aus seiner Kraftlosigkeit und er macht sich sanft von mir los, um sich aufzurichten und mich an sich zu ziehen wie eine Puppe.
Mann, ich bin nur zehn Zentimeter kleiner als er, auch nicht wesentlich leichter, aber irgendwie schafft er das immer so mühelos, dass ich mich leicht und klein fühle.
„Alles gut“, sage ich und lege meine Hand an seine Wange. „Bitte lass uns wieder hier weggehen, ja? Ich … will hier nicht sein!“
Mein Ton wird jammernd, als ich mit einer körperweiten Gänsehaut begreife, dass ich in Lus Wohnung bin. Da, wo er mir vor gar nicht so langer Zeit so schrecklich weh getan hat.
„Es tut mir so leid!“, stößt Maik hervor und ich weiß einfach nicht, wie ich ihn trösten soll. Dass er nicht den unfreiwilligen Kinnhaken meint, weiß ich dagegen genau.
„Schon gut, bitte lass uns gehen!“, jammere ich weiter und diesmal hört er mich.
Mit einer jeder Physik trotzenden Bewegung hebt er mich auf seine Arme und geht zur Tür.
Ich sehe auf meine baumelnden Füße und blinzle zweimal. „Stopp!“ Ich deute auf etwas am Boden. „Da! Was ist das?“
Maik bleibt stehen und setzt mich nur widerwillig ab, das sehe ich an seinem Gesichtsausdruck. Er bückt sich und hebt das rechteckige Paket mit der schwarzen Schleife vom Boden auf. Es ist Papier, ziemlich viel Papier sogar. Ein ganzes Bündel Briefe. Er reicht es mir mit einem Stirnrunzeln und hebt mich wortlos wieder hoch.
Ich halte das Päckchen fest und wir verlassen den Raum. Also, eigentlich verlässt Maik ihn, ich werde ja einmal mehr durch die Gegend getragen.
„Sag mal … Hältst du mich für deine Handtasche oder so?“, frage ich und hoffe, dass er sich von meinem blöden Spruch ablenken lässt. Verwundert mustert er mich.
„Handtasche?“
„Na ja, ich habe Beine, sogar zwei! … auf denen ich selbst gehen kann … Das heißt, wenn du mich lässt …“ Ich lächle ihn treuherzig an und er bleibt stehen, um mich noch einmal fest an sich zu drücken und dann meine Füße wieder auf dem Boden abzusetzen.
„Tut mir leid, entschuldige … Ich … sollte dich nicht klein machen. Das wollte ich auch nicht.“ Er sieht mich betreten an.
„Hey, ich mag es! Aber da ich weiß, dass ich über 70 Kilo wiege, ist das wohl eher ungewolltes Bodybuilding und ziemlich kräfteraubend, wenn du mich trägst. Und … du dürftest deine Energie da drinnen gerade doch ein wenig verpulvert haben …“
Er sieht mich noch immer ganz traurig an. „Ich bin nur froh, dass ich dich nicht aus Versehen auch noch geschlagen habe …“
Ich trete auf ihn zu und ziehe ihn an mich. „Ich vertraue dir.“
Maik kichert kurz, aber es klingt irgendwie irre. So sarkastisch. „Scheiße, Kim! Was, wenn mein Vater wirklich was mit Ludwig hatte?!“
Seine Frage sticht mir ins Herz. Ich habe das alles längst durchdacht, habe versucht, zu ergründen, wie alles zusammenhängt. Ich bin mir mittlerweile sicher, dass Justin und Lu ein Paar waren. Es ist logisch. Alles.
Sein Verhalten, nachdem Justin hier aufgetaucht ist, seine Worte, während er mich … Ich schlucke hart.
Eben alles passt!
„Hey“, mache ich gedehnt. „Selbst wenn, ändert es doch nichts daran, wer du bist. Ich liebe doch dich und nicht … die Umstände deiner Herkunft …!“
Er tut mir so verdammt leid!
Keine Reaktion, er steht einfach da und lacht in diesem irren Ton weiter. Seine Hände sind geballt, er ist angespannt und zittert. Ich presse ihn dichter an mich, versuche wirklich, ihn zu beruhigen. Dann fallen mir die Briefe wieder ein, weil sie in meiner Hand auf seinem Rücken rascheln.
„Aber vielleicht können die hier ein weiteres Geheimnis lüften?“ Ich halte die Briefe hoch, löse mich von ihm und ergreife seine Hand. „Komm, wir machen es uns gemütlich und lesen ein bisschen.“
Ich muss ihn die ersten paar Schritte mit mir ziehen, was durch die Anspannung meines Körpers zu leichten Schmerzschüben führt, doch schließlich wischt er sich mit der freien Hand die Augen und geht neben mir her die Treppen zum Hof hinab.
Auf dem Vorplatz sehe ich nach links, nein, tatsächlich. Lus Wagen ist weg. Ich atme erleichtert auf, auch wenn ich mich natürlich frage, wohin er geflohen sein mag.
Ich kann ja schlecht selbst nach einem Nachfolger für mich suchen! Erstens bin ich dafür nicht zuständig, zweitens muss ich jetzt erst mal kapieren, was eigentlich passiert ist.
Vielleicht ist es ja auch total dumm, darüber noch nachzudenken. Ich würde am liebsten meine Sachen packen, Maik schnappen und abhauen! Aber ich kann das Gestüt, die vielen Mitarbeiter und Tiere doch nicht einfach alle sich selbst überlassen. Ich habe Verantwortung und ich gedenke nicht, mich davor zu drücken.
Zu meiner Dachterrasse hoch schaffe ich es trotz Schmerzmitteln und Salbe nicht und auch Maik schüttelt den Kopf, bevor er durch die offenstehende Schlafzimmertür auf mein Bett deutet.
„Leg dich hin, bitte. Ich hole uns was zu trinken, dann können wir lesen.“
Ich füge mich, auch wenn mir nicht ganz passt, dass er nach seinem Toben in Lus Schlafzimmer so krampfhaft darum bemüht ist, sich seine Sorgen und seinen Schmerz nicht anmerken zu lassen. Sein Blick ist beinahe leer, kein Glanz in den Jadeaugen, aber auch keine Tränen mehr. Stattdessen ein mir schon fast körperlich wehtuender harter Zug um seinen schönen Mund. Verkniffen, viel zu unnachgiebig, sieht er aus.
Ich werfe den Briefstapel aufs Bett und ziehe mich mit fahrigen Bewegungen aus, bevor ich mich unter die Decke kuschle und die Schleife aus schwarzem Samtband löse. Ich lege es auf das Kopfteil des Bettes und drehe die sachte Beleuchtung etwas heller. Bisher habe ich den Dimmer nur selten verwendet. Wenn ich im Bett lese, brauche ich bei meinem E-Reader kein Extralicht und etwas anderes lese ich hier nie.
Maik kommt nach ewig erscheinenden Minuten mit einem Tablett zu mir und stellt es, sich über das Fußende aufs Bett kniend ab.
Neben den vollen Kaffeetassen steht darauf auch ein großer Teller mit Keksen, die wir bei einem der letzten Supermarktbesuche mitgebracht haben. Spritzgebäckringe, die liebe ich!
Er lächelt, als ich mich aufrichte und die Decke von mir hinabrutscht.
„Du hast dich ausgezogen?“, fragt er und ich habe prompt ein schlechtes Gewissen.
„Äh … ja, ich dachte, dass wir ein bisschen kuscheln könnten …“, erwidere ich kleinlaut und ziehe in einem bescheuerten Reflex die Decke vor meiner Brust hoch wie eine schüchterne Jungfrau. Ich weiß nicht, ob es diese Geste ist, jedenfalls wird Maiks Lächeln deutlich breiter und erreicht endlich, für ganz kurz, auch seine Augen.
„Du bist unglaublich süß, wenn du so rot wirst, Kim. Mir war gar nicht klar, dass ich dich mit so einer einfachen Frage in Verlegenheit bringen kann.“ Er klettert wieder vom Bett und zieht sich ebenfalls aus. Bis auf seine Pants zumindest. Danach schlüpft er auf seiner Seite des Bettes, von mir aus gesehen ist es die rechte, unter die Decke, setzt sich im Schneidersitz hin und zieht das Tablett zwischen uns.
Ich nehme meinen Kaffee und schnappe mir den ersten der Briefe, den Rest schiebe ich Maik hin.
„Soll ich vorlesen?“, frage ich, nachdem ich vom Kaffee genippt und ihn beiseitegestellt habe.
Er nimmt sich einen Keks und beißt hinein, schüttelt dann den Kopf. „Nein, bitte, ich glaube, ich will das nicht wissen. Nicht jetzt, zumindest.“
„Aber ich dachte, du willst auch wissen, was das ganze Theater zu bedeuten hat?“
„Hm-hm, aber … weißt du denn nicht, was für eine Sorte Briefe man so gesammelt hat?“
Ich sehe stirnrunzelnd auf das Papier vor mir, falte es auseinander und überfliege den Anfang. „Du meinst … Liebesbriefe?!“
Maik nickt. „Ganz sicher sogar. Handgeschrieben, auf Briefpapier, das sind hundert Pro Liebesbriefe.“
Er nimmt seinen Kaffee und den Keksteller, stellt alles auf die Fläche hinter unseren Köpfen und schubst das leere Tablett übers Fußende hinab. Danach wandert der restliche Packen Briefe auch auf das Kopfteil und er rutscht dichter zu mir. Er legt seinen Kopf auf meine Armbeuge – natürlich habe ich mich zu ihm gewandt auf die Seite gelegt vorhin.
„Ich weiß nicht, ob ich es ertrage, Liebesgeflüster an und von Ludwig zu hören, Kim.“ Er flüstert das nur, ich spüre seinen Atem auf meiner nackten Haut.
Meine Hand schiebt sich in sein Haar. „Hey, Vogel-Strauß-Taktik nützt bei Menschen nicht viel … Du willst doch herausfinden, was hier vor 25 Jahren passiert ist, oder nicht?“
Er nickt schwach und seufzt hörbar. „Im Prinzip schon, aber ich bin bislang nicht davon ausgegangen, dass es hier um eine kaputte Beziehung ging, sondern einfach um einen Rufmord und sehr viel Schwarzgeld!“, jammert er.
Ich kann ihn ja verstehen. Das Ganze ist mehr als verrückt! Trotzdem nehme ich den Brief wieder hoch, und beginne vorzulesen.
Es ist, wie ich durch die Anrede schon weiß, ein Brief an Lu. Vermutlich sind das alles Briefe an Lu, denn wie sollte er an von ihm verfasste und abgeschickte Briefe gekommen sein, um sie zu sammeln? Das Datum des Briefes zeigt, dass er vor fast dreißig Jahren geschrieben wurde.
Die Handschrift ist schmal und leicht nach links gestellt, trotzdem kann ich sie recht gut lesen. Vermutlich auch, weil man sich doch bei so etwas Wichtigem wie einem Liebesbrief ganz sicher viel Mühe gibt, ordentlich zu schreiben, oder nicht? Erscheint mir zumindest logisch, auch wenn ich bekennen muss, dass ich noch nie im Leben auch nur eine E-Mail oder SMS mit vergleichbar schmalzigem Inhalt erstellt habe.
Denn das ist der Text: abgrundtief schmalzig. Ich glaube, wenn wir den ganzen Stapel durchlesen, brauchen wir ’ne Ladung Insulin, um nicht an Überzuckerung zu krepieren!
Maik liegt neben mir und gedankenverloren streicht er unter meiner Decke über meine angewinkelten Beine. Ganz sacht, auf keinen Fall fordernd oder aufreizend. Ich weiß nicht, wie er das macht, denn diese sanften Berührungen müssten mich und meinen Körper in absolute Erregung versetzen. Tun sie aber nicht, oder doch, schon. Die warmen Wellen, die mich durchlaufen, haben aber nichts mit sexueller Erregung zu tun. Es fühlt sich einfach nur toll an, liebevoll, wie er mich berührt. Ich beuge mich zu ihm und küsse seine Schläfe.
Maik schnieft leise und mir wird klar, dass er weint.
Was ich vorgelesen habe ich auch nichts Einfaches für ihn.
Liebesschwüre, eine gemeinsam erdachte Zukunft, Luftschlösser und Träume stehen darin, teils angedeutet, teils recht ausführlich beschrieben. Und bei der Unterschrift auf der letzten Seite des letzten Zettels stocke ich kurz. Dabei ist uns beiden doch längst klar, wessen Handschrift ich hier lese.
„Sag es, Kim, bitte.“
„In Liebe Just“, sage ich und es klingt er wie ein ergebenes Seufzen. Ich falte den Brief zusammen und lege ihn auf meinen Nachttisch. Dabei fällt mein Blick auf den Wecker. Es ist beinahe vier Uhr.
„Kim?“
„Ja?“
„Glaubst du, mein Vater hat Ludwig wirklich geliebt?“
Ich küsse erneut seine Schläfe und ziehe ihn dichter an mich, schiebe vorsichtig eines meiner Beine zwischen seine, um die Nähe zu vergrößern.
„Es sieht ganz so aus. Hm … Ich frage mich noch immer, was er zu Lu gesagt haben mag, dass er so durchdrehen konnte.“
Maik zittert in zwei oder drei kleinen Schüben und ich streichele ihn, um ihn zu trösten.
„Ich mich auch. Aber damit ist jetzt wohl klar, dass Ludwig seine Vollmacke meinem Vater verdankt.“
Dieser Schluss erstaunt mich. „Wieso denkst du das?“
„Na ja, weil …! Hör mal, wenn mir jemand solche Dinge geschrieben hätte, als ich grade mal 17 war, hätte ich doch geglaubt, das Paradies gefunden zu haben in demjenigen, der’s geschrieben hat!“
Ich unterdrücke ein Kichern. Gefällt ihm so ein Schmalz etwa? „Du … findest so was schön?“, erkundige ich mich vorsichtig und hoffe, dass er mir meine Überraschung nicht anhört.
Er hebt den Kopf und sieht mich an. „Ludwig war damals 17, hatte ein knappes Jahr vorher seine Familie verloren, durfte hier noch nichts allein entscheiden und fühlte sich vermutlich ungefähr so, wie ich mich jetzt grade fühle … also fast … ich habe ja dich … Und er hatte dann wohl … meinen Vater“, sagt er leise. „Er war doch bestimmt total einsam! Da fallen solche Kitschattacken mit hundertprozentiger Sicherheit auf fruchtbarsten Boden!“
Abrupt richtet Maik sich auf und schiebt vorsichtig mein Bein beiseite. Ich sehe nur noch seinen breiten, nackten Rücken, seine vorgebeugte Haltung. „Ich kann nicht fassen, dass mein Vater das so eiskalt ausgenutzt hat!“, faucht er und verbirgt sein Gesicht, obwohl ich es sowieso nicht sehen kann, in seinen Händen. „Was für ein Arschloch!“
„Ziehst du da nicht ein paar Schlüsse zu viel?“, wage ich zu fragen. Ich mühe mich etwas ab, bis ich auf der rechten Arschbacke sitze und mich aufrichten kann. Meine Hand legt sich auf seine Schulter. „Maiky, wir wissen doch von den Fotos, dass dein Vater wohl auch verliebt war … ich meine, dieses Bild, wo er auf dem Zaun sitzt und lacht, das ist doch eindeutig! Das hab selbst ich Beziehungskrüppel als den Ausdruck von Verliebtheit erkannt!“
Er wendet den Kopf zu mir, nachdem er die Hände sinken lässt. „Meinst du? Werden wir hier also gerade die unfreiwilligen Zeugen einer echten Liebesgeschichte? Justin und Ludwig? So lange, bis Maik und oder meine Mutter dazwischenkamen?“
Ich hebe die Schultern und versuche, mich anders hinzusetzen, näher an ihn heranzukommen. Eine unbedachte, hastige Bewegung lässt mich schmerzerfüllt zischen. Eine halbe Sekunde später ist er bei mir, lässt sich auf den Rücken sinken und hebt mich – wie auch immer er das schafft – einfach so auf seinen Körper. Ich spüre seine weiche, warme Haut an meiner, glatt und ebenso haarlos wie meine. Ich lege meine Lippen auf sein Schlüsselbein und mustere ihn danach lange schweigend.
Irgendwann jedoch sage ich: „Danke.“
Er lächelt. „Wofür?“
„Dafür, dass du immer weißt, was mir gerade am meisten hilft.“
„Das war höchst egoistisch, ich brauche das nämlich auch, jetzt, sofort, ohne Pause, bis mein Kopf aufhört zu rotieren. Das kann er nur, wenn du mir so nah bist.“
Oh, tja, das ist … echt total lieb von ihm. Besonders, weil ich es genauso genießen kann, aber … im Gegensatz zu ihm werde ich bei dem Gefühl, mit dem mein Schwanz über den Stoff seiner Pants streicht und sich an sein Glied presst, leider verdammt schnell hart. Er muss es merken, da besteht kein Zweifel.
„Tut mir leid“, murmle ich und mache Anstalten, mich seitlich neben ihn rutschen zu lassen.
Zu meinem Erstaunen hält er mich fest, erlaubt mir keine Flucht.
„Es tut dir leid, dass du einen Ständer kriegst, wenn du so auf mir liegst?“, hakt er nach, bleibt dabei aber völlig ernst. Da ist kein amüsiertes Funkeln in seinen Augen, kein zuckender Mundwinkel.
Ich nicke. Ist ja schließlich so! Vierzehn Tage warten wird echt nicht die tollste aller Erfahrungen, vor allem nicht, weil ich gar nicht weiß, wie lange er noch hier bleiben wird. Ich meine, es würde mich nicht wundern, wenn er schnellstmöglich abhauen will, um seine Mutter zu fragen, was es mit diesen Briefen, mit ihrer Beziehung zu Justin auf sich hat. Das will er garantiert nicht am Telefon tun.
Seine Hand gleitet über meine Seite, hoch an meine Wange und sein Daumen streicht darüber. Ich schließe mit einem kleinen Seufzer die Augen und versuche noch einmal, von ihm weg zu kommen.
Zwecklos, er hält mich auch mit einer Hand genau da, wo ich liege. Meine Erektion noch immer dicht an seinem – komplett uneregierten – Schwanz.
„Schämst du dich deshalb?“, will er leise wissen.
Noch ein Nicken, was anderes geht gerade nicht.
„Aber wieso?“
Stirnrunzeln. Meint er das ernst? „Weil … wir vierzehn Tage lang nicht vögeln dürfen. Es ist nicht richtig, so kurz nach … nachdem ich …“ Ich breche mit einem schweren Schlucken ab und setze neu an: „Ich weiß, dass dich an mir derzeit nichts erregt! Ich spüre das doch! Wie soll ich da was anderes tun, als mich zu schämen?“
Er verschwimmt vor meinen Augen. Scheiße, was hab ich eigentlich für miserable Nerven, seitdem ich verliebt bin? Dieses Geheule geht mir dermaßen auf den Keks!
„Scht“, macht er nur und streicht mit dem passenderweise schon dort liegenden Daumen die heranrollenden Tränen von meiner Wange. „Du hast keine Ahnung, wie begehrenswert du bist, kann das sein? Es gibt nur einen Grund, wieso mein Schwanz nicht steht, Kim. Du wurdest vor nicht einmal 48 Stunden vergewaltigt. Das habe ich im Kopf, das blockiert alles. Ich kann doch nicht hart werden, wenn ich weiß, wie weh dir jede Penetration täte! Auch wenn die Ärztin es nicht verboten hätte!“
Er sagt das wieder ganz ruhig, aber jetzt liegt etwas Liebevolles in seinen Augen. Sanftheit und die ernsthafte Bemühung, mir glaubhaft zu machen, wieso er nicht geil wird, während mein Schwanz unbefriedigt vor sich hin pocht.
„Ich weiß, deshalb ist es mir ja peinlich …“, bringe ich heraus.
„Das muss es nicht. Wenn ich wüsste, dass dir die ruckartigen Bewegungen und ein Orgasmus nicht sehr weh täten, dann würde ich mich umdrehen und mich von dir nehmen lassen, Kim. Das weißt du doch, oder? Ich denke nur, dass wir auch damit ein wenig warten sollten.“
„Und diese Gedanken blockieren wirklich dein Blut?“ Das ist schon krass oder? Ich meine, wenn seine Gedanken seine Geilheit so im Zaum halten können, wieso konnte er das dann nicht ganz am Anfang, als er hier ankam und wir uns ungewollt gegenseitig immer wieder vorgeführt haben, wie sehr wir aufeinander abfahren?
„Im Moment schon. Aber nur weil ich weiß, dass dir jede Form von Sex weh täte. Und ich werde kaum erlauben, dass du mir einen Orgasmus verschaffst und selbst leer ausgehst.“ Er lächelt jetzt. „Ich verspreche dir etwas: Sobald du wieder heil bist, schmerzfrei, werde ich dich verwöhnen und für jede Minute Wartezeit entschädigen.“
Toll, dass diese gehauchte, sehr raue ‚Androhung‘ von endlosen Orgasmen momentan nicht dazu führt, dass meine nach Erlösung schreiende Erektion abschwillt, dürfte wohl auch dem letzten Trottel des Planeten klar sein – also mir.
Ich seufze ergeben. „Du bist ein Luder, Maik. Luder-Löwenherz!“, zische ich und klinge doch eher belustigt als vorwurfsvoll.
„Klar bin ich das“, erwidert er mit einem überdeutlichen Nicken und einem so räuberischen Grinsen, dass mir heiß und kalt wird.
Ich jaule auf, weil er mich noch immer auf sich festhält. „Mann, Maik, ich komme gleich, wenn du nicht aufhörst!“
„Aufhören? Womit?“
„Tze! Damit, mich mit deiner rauchigen Sex-Stimme und diesem abartig wölfischen Grinsen noch geiler zu machen!“, jammere ich hilflos.
Seine Augen werden groß und er küsst mich sanft. „Soll ich dich unter eine kalte Dusche stellen, Baby?“
„Ich hab’s! Ich nehme jetzt Schmerzmittel und dann darfst du, sobald sie wirken, vollenden, was du hier angerichtet hast!“
Er lacht und schiebt mich von sich, peinlichst darauf bedacht, mich auf meiner rechten Körperhälfte abzulegen. „Netter Versuch, Kim. Aber keine Chance.“
KOALARAUBTIER
Kims unwilliges Knurren ist pures Dynamit, nein Nitroglycerin, das in wilden Wellen durch meine Adern peitscht.
Scheiße, er hat ja keine Ahnung, wie sehr ich mit mir kämpfe, um mich zurückzuhalten! Natürlich würde ich ihm sehr gern Erleichterung verschaffen, aber da ich nun mal sehr genau weiß, wie sich ein Orgasmus bei einem Mann auf den Anus auswirkt, ist das schlichtweg keine Option, solange er auch nur ein Fünkchen Schmerz empfindet!
Seitdem ich ihn auf mich gehoben habe, krallen sich meine Fingernägel mit barer Gewalt in meine Handflächen und ich denke permanent an das, was Sean mit mir getan hat, an meinen Zustand, nachdem Jeremy mich von ihm weggeholt hat.
Mein Keuchen ob seines gutturalen Knurrlautes kann ich nur schwer unterdrücken, ich schnappe nach Luft und sehe, wie sein Kopf zu mir hochruckt, weit aufgerissene, wissende Augen.
„Du … bist genauso geil wie ich!“, wirft er mir vor, und da ich beschlossen habe, ihn nicht mehr anzulügen, nickt mein Kopf, bevor ich es verhindern kann.
„Natürlich! Ich koche. Bin längst gut durch, würde ich sagen. Willst du mir das vorwerfen, wenn ein echtes Koalaraubtier auf meiner Brust liegt und seinen harten Schwanz gegen meine Kronjuwelen drückt?“
Oh, oh, es fehlt nicht mehr viel, dann klebt er mir eine, das sehe ich genau. Aber die Wut wird ihm vielleicht helfen, sich an anderer Stelle zu entspannen …
Ich bin ja so ein Held!
„Koalaraubtier?“, echot er atemlos und blinzelt.
„Ja, was denn sonst?“, gebe ich ungerührt zurück.
Eine Sekunde später verfluche ich mich für den Leichtsinn, ihn dermaßen provoziert zu haben. Er ist auf den Knien, bevor ich es richtig mitbekomme, schiebt seine Hand in meine Pants und umfasst mich, dass ich augenblicklich den Verstand verlieren will.
„Hölle!“, entfährt es mir und kein Gedanke der Welt schafft es jetzt noch, mein Blut davon abzuhalten, meine Lenden zu fluten.
Sein zufriedenes Knurren vernebelt mir endgültig die Sinne, und als sein Mund sich um meine Eichel schließt, bin ich nichts weiter als ein willenloses, williges Stück Fleisch.
Willenlos und willig zugleich? Geht das?
Keine Ahnung, aber so fühlt es sich an. Flammen überall, leckend, zuckend, heiß und kalt.
„Kim!“, brülle ich und schaffe es nicht, mein Becken stillzuhalten. Es schiebt sich hoch, versenkt meinen pochenden Schwanz tief in seinem Mund und lässt ihn aufkeuchen.
Es dauert keine zwei Minuten mehr, dann hat er mich genau da, wo er mich haben will. Ich spritze unter Schreien und ausgesprochen derben, abgehackten Worten in die heiße, feuchte Höhle, die meine Erektion so gründlich und fordernd bearbeitet.
Verdammt!
Na, Maik, du Superheld? Wer hat hier jetzt wen gelinkt, hm?
Ich kann nicht denken, will es auch gar nicht, aber nachdem der freie Fall des Höhepunktes abgeklungen ist, überfällt mich das schlechteste Gewissen, das ich jemals gehabt habe.
Ich bin erlöst, aber was ist mit Kim?
„Es tut mir leid“, bringe ich zustande und versuche mit fahrigen Griffen, ihn an mich zu ziehen.
Entgeistert sieht er mich an, leckt sich immer wieder genüsslich über die Lippen und gewährt mir einen tiefen Blick in seine dunklen, lustverhangenen Augen. „Leid?!“
Ich seufze geschafft. „Ja, ich bin nun erlöst, du aber nicht …“, versuche ich zu erklären, doch er unterbricht mich mit einem tiefen Kuss, der mir noch eine Kostprobe meines eigenen Geschmacks bietet.
Danach sieht er mich lächelnd an und flüstert: „Ich hatte Angst, dass mein Zustand dich impotent gemacht hat, das konnte ich ja schlecht so stehenlassen.“
Ja, toll, aber ich muss ihm jetzt was stehenlassen … ist doch zum Kotzen! Nun ist es an mir, unwillig zu knurren.
„Hey, ich will nicht, dass du es bereust, Löwenherz!“ Er sieht mich so traurig an!
Das will ich auch nicht, aber irgendwie habe ich darüber keine Kontrolle. Ich seufze erneut.
„Ich würde dir so gern Erleichterung verschaffen.“
„Dann tu es, Maik.“
„Aber …!“
Er lacht leise und streckt sich neben mir aus. „Denkst du wirklich, dass ich Schmerzen haben könnte, wenn du mir einen Orgasmus schenkst? Du weißt sehr genau, dass Erregung alles andere ausblendet.“
Stimmt, aber gilt das auch für Kims Verletzung?
Ich lasse meinen Blick über seinen nackten Leib gleiten und zögere noch immer. Darf ich? Soll ich?
Ein hilfloses Lachen rollt durch meine Kehle und ungefragt hinaus. Wenn ich Pech habe, wertet Kim, der so hinreißend und sexy aussieht, wie er neben mir liegt und mich anblickt, das als Ablehnung?
Meine Verräteraugen huschen wieder zu seiner Erektion, ich schlucke.
Hallo? Ist ja nicht grad so, als müsste ich mich irgendwie dazu überwinden, ausgerechnet Kim anzufassen!
Aber, eben doch!
Gequält seufze ich auf, klingt echt unglaublich männlich. Ein Knurren kugelt direkt danach über meine Stimmbänder und eine halbe Sekunde später knie ich neben Kim und mein Mund macht sich selbständig.
Schuld daran sind die kleinen Tropfen, die im Licht funkelnd aus seiner Eichel quellen. Klar und – wie ich nur zu genau weiß – unbeschreiblich lecker!
Ich höre sein Keuchen, als ich ihn ablecke, meine Lippen um seine Erektion lege und sacht sauge.
Verdammt, ist das geil! Trotzdem hebe ich den Kopf und sehe ihn vorsichtig an. Ein wenig misstrauisch bin ich noch. Ich ahne, dass es Kim nicht nur um die Befriedigung seiner Lust geht. Diese Aktion von mir bedeutet viel mehr für ihn.
Bestätigung. Genau diese Warnleuchte kreiselt gerade durch mein Bewusstsein. Ich darf überhaupt nicht aufhören, darf mich nicht weigern. Das würde Kim einen Dämpfer versetzen, den ich ihm weder jetzt noch sonst wann geben will.
Meine Lippen küssen sich über seinen Bauch, seine Brust, seine Kehle, bis sie seinen Mund in Besitz nehmen und meine Zunge mit seiner zu spielen beginnt. Meine Hand legt sich auf seinen Schenkel, streicht innen daran entlang nach oben, bis meine Finger die weiche Haut um seine Hoden ertasten und umfassen. Mein sanftes Kneten entlockt ihm kleine, kehlige Laute.
Er bewegt sich meiner Hand entgegen, doch ich löse den Griff und drücke ihn wieder hinab. „Bleib ruhig liegen, sonst höre ich sofort auf“, spreche ich so dicht an seinem Mund, dass ich beinahe hineinrede.
Er nickt ergeben und seine Hände umfassen mein Gesicht. „Ist … okay!“, bringt er mühsam hervor und ich lächle ihn selig an.
Meine Hand umschließt seinen Schwanz, er keucht in meinen Mund und ich habe Mühe, mich noch auf irgendwas zu konzentrieren, um mich zurückzuhalten und ihn nicht mit zu heftigen Bewegungen zu noch heftigeren – eventuell doch schmerzhaften – Bewegungen zu reizen.
„Ich will dich ficken“, flüstert er und ich kann die Gänsehaut über meinen Körper rasen fühlen.
Vielleicht ist es besser, wenn er das tut? Dann kann er selbst bestimmen, wie und wann?
Ich streichle seine heiße Haut, spüre den leichten Schweißfilm darauf und lehne mich zurück. „Wenn du versprichst, dir selbst gegenüber nicht zu rücksichtslos zu werden“, bitte ich.
Er nickt abgehackt und ich ziehe ihn mit mir, während ich mich auf den Rücken rolle.
Natürlich werde ich gerade wieder hart. Scheiße, verdammte!
Kim kniet sich zwischen meine Beine, winkelt sie an und klaut mit innerhalb weniger Handgriffe meine Pants, dann ist er über mir und seine feuchtgeleckten Finger suchen meinen Eingang.
Scheiße, ist das geil! Kim ist … ein wenig unbeherrscht, aber keineswegs brutal. Es macht mich vollkommen an, wie er sich nimmt, was ich ihm angeboten habe und es dauert nicht lange, bis er nach Kondom und Gleitmittel kramt und seine latexverhüllte Eichel gegen mich drückt.
Ich schreie auf, glaube ich. So ganz weiß ich das nicht mehr, denn alles versinkt in reinem Gefühl. In Lust und Hingabe.
Einmal mehr innerhalb der vergangenen Stunde bin ich ein willenloses, äußerst williges Stück Mensch und genieße seine Bewegungen in mir, als müsste ich davon für den Rest meines Lebens zehren.
Kaum ist er richtig in mir, legt er sich auf meine Brust, stützt sich auf mir ab und küsst mich tief und genauso fordernd, wie er mich erobert hat.
Ja, verdammt, ich gehöre ihm, daran wird sich nichts ändern und ehrlich gesagt, genieße ich das.
Ich weiß nicht, wie lange er mich mit seinem Küssen und Stößen, seinen kleinen Lustschreien vorwärtstreibt, immer höher, doch ich bin es, der zuerst kommt und ihn mitreißt.
Keuchend und vollkommen k. o. bricht Kim über mir zusammen und braucht genau wie ich auch eine Weile, bevor er wieder genug Luft und Energie hat, um mich anzusehen.
„Das war …!“, bringt er heraus und ich umschlinge ihn fester.
„Geht es dir gut?“ Da ist sie wieder, meine Besorgnis. Mein schlechtes Gewissen prügelt sie in den Vordergrund meines Bewusstseins und ich zittere ein wenig.
„Alles gut. Keine Angst!“ Sprechen ist grad nicht das Mittel der Wahl, vielleicht auch deshalb schafft er es, sich aus mir zurückzuziehen, das Gummi loszuwerden und sich wieder an mich zu schmiegen.
„Ich liebe dich“, haucht er und ich kann es ihm nur zurückgeben.
HORMONFRÜHSTÜCK
Es gibt nichts Besseres, als so dicht bei Maik zu sein, daran wird sich auch nichts ändern. Seltsam, oder?
Ich meine, er hat ja recht, es ist keine zwei Tage her, dass Lu mich missbraucht hat, mich als Ersatz für Justin vergewaltigt hat …
Dennoch kann und will ich mit Maik schlafen, ganz ohne Angst und Misstrauen. Ich weiß einfach, dass er mir niemals auf diese Art weh tun würde. Mit Worten, ja, vielleicht, ist schließlich schon ein paarmal passiert, aber nicht auf erniedrigende, körperliche Art.
Ich glaube, dazu wäre er auch nicht fähig.
Mit einem glücklichen Lächeln hebe ich den Kopf von seiner Brust und sehe ihn an.
„Na? Wieder anwesend?“, frag er leise und erwidert mein Lächeln.
Ich nicke. „Ja, das war … Wahnsinn.“
Er schnaubt leise und schüttelt mich damit ein wenig durch. „Allerdings! Ich hoffe, du kommst nicht noch mal auf die Idee, sonst schlafen wir demnächst getrennt, bis die Schonfrist rum ist!“
„Das ist ja wohl nicht dein Ernst!“, entfährt es mir und ich spüre, wie meine Augen größer werden. „Mir geht es super! Ich … hab keine Ahnung, wieso ich das so trennen kann, aber ich kann es! Ich habe keine Angst vor dir.“
Wäre ja auch noch schöner! Immerhin ist er der Einzige, den ich habe. Meine Fantasie reicht nicht weit genug, um mir vorstellen zu können, dass ich jemals jemandem so vertrauen könnte wie Maik.
„Das ist schön, Baby. Es wäre schrecklich für mich, wenn ich dir Angst machen könnte.“ Er hebt den Kopf und küsst mich.
„Was machen wir heute? Wieder in den Stall?“, frage ich später.
„Nein, wir haben frei, du sowieso und ich … na ja, Timeon hat mir versprochen, die Springer, die Tom und Lukas nicht trainieren können, zu longieren. Er wird Eric mitbringen.“
Ich muss grinsen und spiele gedankenverloren mit einer von Maiks Brustwarzen, bis er meine Hand blitzschnell ergreift und wegzieht.
„Er ist echt verliebt, das ist irgendwie voll cool! Der Kleine ist so unglaublich niedlich!“
Maik kichert. „Nicht so niedlich wie mein Koalabärchen“, verkündet er im Brustton der Überzeugung und küsst meine Fingerspitzen eine nach der anderen.
Ein sachter Schauer durchrieselt mich. Natürlich spürt er das und saugt noch ein bisschen länger an meinem Ringfinger. Ich seufze leise.
„Wollen wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“, frage ich mehr im Scherz, ernte dafür trotzdem einen echt strafenden Blick.
„Auf gar keinen Fall, Kim!“, sagt er. „Du kannst doch meine Selbstbeherrschung nicht so gnadenlos auf die Probe stellen!“
„Schon gut!“, murmele ich beschwichtigend. „War nur ein Scherz. Ich … sollte noch mal Tabletten nehmen …“
„Mach das und dann eincremen und anziehen. Wir haben heute was vor!“
Aha? Was denn?
Mein fragender Blick reicht für eine Antwort. Ich rolle mich von ihm und schnappe mir die Tabletten und den mittlerweile kalten Kaffee.
„Wir machen einen Ausflug.“
„Wohin?“, erkundige ich mich und schlucke die blöden Pillen, von denen sich eine lieber an meiner Zunge festhält, als durch den Hals zu rutschen. Ich kippe Kaffee nach, während er sich zu mir rollt und grinst.
„Das siehst du dann. Ich brauche jedenfalls Öffentlichkeit, Sonne, frische Luft und dich.“
Klingt ganz gut, trotzdem bin ich mir nicht sicher. „Was, wenn ich wieder anfange, über meine Füße zu stolpern?“ Wäre mir echt peinlich, so in der Öffentlichkeit!
„Keine Sorge, dann fange ich dich auf und halte dich fest. Aber ich glaube, ganz so schlecht geht es dir heute gar nicht mehr.“
Ich nicke zögerlich. „Okay. Aber ich werde nicht wieder auf der Rückbank liegen während der Fahrt.“
„Brauchst du auch nicht, du darfst dein Donut-Kissen mitnehmen!“ Er grinst fies. Offenbar ist ihm längst aufgefallen, wie abgrundtief dämlich ich es finde, auf diesem Lochkissen zu sitzen, das tatsächlich aussieht, wie ein zu groß geratener Donut.
„Na toll …“, murre ich.
„Keine Widerrede!“
Ich füge mich und stehe auf. Tatsächlich geht es meinem Hintern deutlich besser. Vielleicht sind die kleinen Risse schneller verheilt, als die Ärztin erwartet hat. Ich meine, noch sind sie da, sie brennen ein bisschen und ich habe die Tabletten eher genommen, weil ich gleich irgendwann mal … na ja, ich muss halt mal. Ein wenig graust mir davor, aber da muss ich nun wohl einfach durch. Dann duschen und eincremen.
„Weißt du eigentlich, wie unsagbar geil es ist, wenn du so unter mir dahin schmilzt, Maiky?“ Ja, verdammt, ich kann es mir nicht verkneifen. Auch nicht, für diese Frage meine Schlafzimmerstimme herauszukramen.
Er knurrt auf und packt mich, bevor ich das Badezimmer erreiche. Obwohl es mich ein bisschen erschrecken müsste, tut es das nicht. Ich lehne mich einfach in seine Arme und schließe die Augen.
„Ich will nur, dass es dir gutgeht. Leider schaffst du es damit aber auch, deinen Willen durchzusetzen wie vorhin …“, murmelt er an mein Ohr und drückt mich kurz an sich. „Ich mache Frühstück, bis nachher.“
Oh, ob er ahnt, dass ich nicht einfach zum Duschen ins Bad will? Ich tapse vorwärts und erledige, was zu erledigen ist.
Die Salbe kühlt und ist nicht so unangenehm, wie man meinen sollte. Allerdings werde ich in den nächsten Tagen ganz sicher darauf verzichten müssen, mich zu enthaaren … widerlich!
Ehrlich, das mit dem haarlosen Unterleib und der ebenso glatten Brust ist eine Macke von mir. Früher, zu Zeiten von Steffen, war das irgendwie alles noch nicht wichtig. Immerhin wuchs da erst so langsam alles. Aber nachdem der Wechsel vom pubertierenden Jungen zum Mann abgeschlossen war, habe ich damit begonnen, mich all dieser dämlichen Haare immer mit totaler Akribie zu entledigen.
Liegt vielleicht daran, dass ich mich nur dann wirklich sauber fühle. Wer weiß das schon so genau bei einer Macke?
Brust und unten vorn sind kein Problem, aber hinten, das lasse ich lieber. Egal, mache ich beides erst morgen oder später heute Abend.
Ich denke, Maik würde es nicht mal stören, wenn ich es die nächsten Wochen ganz seinlasse, aber das kriege ich mit mir selbst nicht in die Tüte.
Ein Ausflug also … Na, da bin ich aber gespannt, wohin er mich entführen wird. Gleichzeitig hoffe ich, dass ich das blöde Kissen nicht auch noch in der Öffentlichkeit benutzen muss …
Frisch geduscht und eingecremt, sogar schon komplett angezogen trete ich einige Zeit später in die Küche und mein Blick fällt als Erstes auf den nur mit Pants bekleideten Maik.
Gott, wie kann ein Mann so einen perfekt definierten Rücken haben? Er steht an der Kaffeemaschine und bemerkt mich noch nicht.
So schnell ich kann bin ich hinter ihm, lasse meine Fingerspitzen über die schönen Muskeln gleiten. Er zuckt kurz zusammen, seufzt aber nur, anstatt sich umzudrehen.
Hey, das gefällt ihm! Na gut, mir ja auch, sehr sogar. Maiks Rückansicht ist trotz der kleinen blassen Narben einfach wunderschön – und damit meine ich nicht vordergründig seinen wahnsinnig geilen Arsch. Ich hätte nie gedacht, dass ich so auf Rücken stehe. Komisch, oder?
Ich meine, ich hab im Cri aigu doch nun wirklich genug Kerle vor mir gehabt … da gab’s immer nur die Heckansicht, bin ja schließlich fast immer aktiv gewesen! Aber das hier?
Nein, Maik spottet echt jeder Beschreibung! Er ist … einfach geil.
Schrecklich, kann ich eigentlich an gar nichts anderes mehr denken? Er ist doch so viel mehr als das. Mit einem beschämten Seufzen lasse ich meine Hände sinken und wende mich ab. Ich glaube, meine Wangen werden warm. Ich bin echt ein hoffnungsloser Fall!
Bevor ich zum Tisch gehen und mich auf das mich schon so hämisch anlachende Ringkissen setzen kann, fühle ich mich fest gepackt und herumgedreht. Eine halbe Sekunde später lehne ich perplex an Maiks nackter Brust und alles, woran mein hormonkrankes Hirn denken kann, ist sein Duft. Warm und angenehm, beinahe betörend steigt er in meine Nase und schaltet den letzten Rest dessen aus, was ich gern mal als gesunden Menschenverstand bezeichnet habe.
Futsch, einfach weg.
Danke auch.
„Was ist los?“, fragt er und legt seine Hand unter mein Kinn. Meine Wangen werden noch heißer und ich versuche, eine seiner in die Stirn hängenden Haarsträhnen zu fixieren, damit ich nicht in seine Jadeaugen sehen muss. Er würde doch garantiert sofort schnallen, dass ich schon wieder nur an Sex denken kann!
„Nichts“, wage ich zu sagen und ernte prompt ein ungläubiges Schnauben.
„Kim?“, fragt er gedehnt.
„Ja?!“
„Du bist knallrot im Gesicht, so hab ich dich noch nie gesehen. Irgendwas ist also, das mit ‚nichts‘ so viel zu tun hat wie ein ein fundamentalistischer Muslim mit Schwulensaunen.“
Volltreffer. Warte, ich hol dir schnell den Salzstreuer!
Aber das ist ja das Gemeine daran, er hat nun mal recht und ich benehme mich … na ja, wie ein brünstiger Elch, oder so?
Dabei will ich das doch gar nicht!
Maiks Räuspern reißt mich aus meinen peinlichen Gedanken und ich kapiere erst, was ihn stört, als er meine Handgelenke umfasst und meine fest in seinen Hintern verkrallten Hände löst.
Oh mein Gott, was ist denn los mit mir?!
„T-t-tut mir leid!“, stottere ich und trete hastig ein paar Schritte von ihm zurück, um gegen die Rückenlehne meines Stuhls zu latschen. Erschrocken bleibe ich stehen und starre ihn an.
„Hey, hab ich dich so erschreckt?“, fragt er betroffen und kommt langsam näher.
Ich schlucke und will im Erdboden versinken, stattdessen gleitet mein Blick über seinen Wahnsinnskörper und mein eigener verrät mich gnadenlos.
Ich grinse anzüglich, eine Augenbraue schiebt sich passend zu meinem Mundwinkel nach oben und in meiner Hose regt sich jemand, der gefälligst schlafen soll!
„Schon gut, ich glaube, ich drehe nur grad ein bisschen durch“, sage ich leise und setze mich so schnell es eben geht, auf den ausgesprochen unerotischen Donut. Das lenkt mich ab, bitte, das muss mich einfach ablenken!
„Ich … bin dann jetzt mal im Bad“, erwidert Maik und wendet sich ab. Natürlich kann ich mir einen weiteren ausgedehnten Blick auf seinen Rücken nicht verkneifen, als er seinen Worten Taten folgen lässt.
Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Okay, tief durchatmen. Den Kaffee hat er mir schon hingestellt, erst mal frühstücken und nicht nachdenken. Volle Konzentration, Nahrungsaufnahme. Ich verschlucke mich fast am letzten Bissen meines ersten Brötchens, als Maik wieder auftaucht.
Hölle, der sieht in Klamotten ja noch geiler aus als halbnackt!
Tja, es ist amtlich, ich bin irre.
Mein Blick wandert ungeniert – ha ha, meine Wangen fangen schon wieder an zu glühen – über seine große, breitschultrige Gestalt und er stockt kurz im Schritt, bevor er sich an den Tisch setzt.
„Brauchst du ein Lätzchen?“, fragt er und schnappt sich ein Brötchen. Ich blinzle ein paarmal und versuche zu antworten, ist aber gar nicht so leicht. Ich reiße meinen Blick von ihm los.
Dabei sitzt dieses leicht auf Figur geschnittene Kurzarmhemd einfach nur wie angegossen um seinen Oberkörper. Und von den hellblauen Jeans sprechen wir besser gar nicht.
Lätzchen? Er hat was von einem Lätzchen gesagt … „Äh, danke, nein. Ich sabbere gern, wenn du dich so in Schale wirfst.“
„Wie bitte? Kim, ich hab ganz normale Sachen an!“ Sein forschender Blick ruht auf mir, das weiß ich genau, aber ich kann jetzt nicht zu ihm sehen. Zu peinlich, das hier.
„Verrätst du mir jetzt, wohin wir fahren?“, lenke ich ab und klammere mich an jeden unerotischen Gedanken, der sich in meinem hormonüberfluteten Hirn finden lässt.
Leider entgleiten mir die Bilder im Kopf immer wieder, aus dem Tattergreis in einer wegen des Hängebauchs nicht mehr sichtbaren Badehose wird ein gestählter, nackter Maik in der geheimen Badebucht. Aus einer widerlich glitschigen Nacktschnecke wird … tja, was wohl? Maiks wunderschöner Schwanz – natürlich in Habachtstellung. Zum Kotzen!
Obwohl … eigentlich ja nicht.
„Nein, verrate ich nicht. Aber ich gebe dir einen Tipp: Es ist grün und schön dort.“
Ah ja, na, wenn das so ist!
„Wahnsinn, da kann ich mir jetzt echt viel drunter vorstellen“, brummele ich und merke selbst, dass ich schlechte Laune kriege. Echt mal, jetzt reicht’s aber! „Tut mir leid, ich … Grün und schön, das klingt nach Natur. Ich bin gespannt!“
TAPETENWECHSEL
Der Wildpark, in den ich Kim für heute geschleppt habe, verfügt über viele viele Parkbänke, ein Restaurant, etliche einheimische Tiere in weitläufigen Gehegen und vor allem jede Menge schön angelegter Wege, über die wir mit Pausen zum Beobachten der Tiere wandern.
Natürlich habe ich etwas zu trinken und Kims Kissen in einem Rucksack bei mir. Jetzt gerade gehen wir Hand in Hand am riesigen Auslauf des Wolfsgeheges vorbei. Man versucht, sie hier zu züchten und auszuwildern. Ob das gelingen wird, keine Ahnung. Die meisten Menschen fürchten Wölfe, ich halte sie für wunderschöne Tiere.
Vielleicht sollte ich aber mit Kim auch mal in einen Zoo gehen? Ihm mein Lieblingstier zeigen? Es sind nicht Pferde, so viel ist mal klar.
Kims Finger sind mit meinen verschränkt, er wirkt seltsam angespannt, drückt meine Hand immer wieder, als hätte er Angst, dass ich mich in Luft auslösen könnte.
„Hey, willst du mir nicht sagen, wovor du solche Angst hast?“, frage ich, während ich ihn an mich ziehe. Mir ist vollkommen egal, wie uns die Leute ansehen, die vorbeiflanieren. Es wird sich eh keiner trauen, laut gegen unsere Nähe zu wettern.
„Ich hab keine Angst. Wovor auch?“
„Hm, vielleicht davor, dass Ludwig wieder auftaucht?“, schieße ich ins Blaue und spüre, wie er sich in meinen Armen versteift.
„Das wird er doch sowieso. Glaubst du, da habe ich Einfluss drauf?“
„Wieso bleibst du? Nur, weil du denkst, ohne dich geht’s dem Feuerried an den Kragen?“
„Nicht nur. Ich … weiß doch auch noch gar nicht, wohin ich gehen soll.“ Er sieht an mir vorbei, während er das sagt. Ob er weiß, wie weh mir diese Aussage tut?
„Hey, du bist mir immer willkommen.“ Wieso sage ich so was Schwachsinniges? Bin ich auf der Flucht? Nein! Ich will doch in seiner Nähe bleiben, bis er weiß, was er tun will!
Mir läuft schließlich nichts weg, sehe ich von den bereits gebuchten Seminaren ab, die ich halten muss. Aber wenn’s hart auf hart kommt, werde ich die einfach absagen. Das ist mir Kim allemal wert.
Die Frage ist nur, ob er das überhaupt will …
Ich küsse ihn und beschließe, keine weiteren Fragen zu stellen, die er sowieso nicht beantworten kann oder will.
Im Moment braucht er vor allem Ablenkung.
Die Sache mit dem Sex heute am frühesten Morgen war meiner Meinung nach nicht die allerbeste Idee. So kurz nach einem Missbrauch kann so was doch nicht gut sein!
Und dabei geht es mir jetzt gar nicht primär um die körperlichen Verletzungen, sondern um seine Psyche. Kim ist stark, charakterlich fit und so weiter, aber was Ludwig mit ihm getan hat … das war garantiert ein heftiger Schock!
Noch dazu, weil mein Vater der Grund dafür war!
„Maik?“, quietscht Kim in meinen Armen und stemmt seine Hände gegen meine Brust, während er mich schockiert anstarrt. Ich lockere den Griff und merke erst jetzt, dass meine Gedanken, wütend und voller Unverständnis, dafür gesorgt haben, ihn enger an mich zu pressen.
„Tut mir leid!“
„Schon gut.“ Er lächelt und lehnt sich gegen mich. So schön, seine Augen, seine Lippen, alles an ihm. Meine Fingerspitzen streichen über die Reste des Schnittes, den er mir zu verdanken hat. Nun ist nur noch eine feine, rosafarbene Linie zu sehen. Sie fällt in seinem gebräunten Gesicht durchaus auf, aber ich kann keine Erhebung ertasten. Glatte, weiche Kimhaut …
Ich küsse darauf und blicke wieder in seine Augen. Fragen liegen darin, Unsicherheit und immer noch jede Menge Angst.
„Du bist so unfassbar schön, Kim“, sage ich leise und muss mich räuspern. Sein Zittern ist spürbar, auch wenn mir nicht ganz klarwird, woher es kommt.
„Dann gucken die uns also alle deshalb so schräg an!“, gibt er zurück und grinst breit. „Die sind neidisch!“
Ich lache auf und nicke. „Oh ja, mich kann man ja auch nur beneiden. Komm, lass uns zum Restaurant gehen, ich habe Hunger.“
~*~
Der Rückweg ist ebenso entspannt wie der gesamte Tag. Kein böses Wort, ein ruhiger Kim, meistens auf Tuchfühlung mit mir, herrlich.
Da er sich dazu in der Lage fühlt, gehen wir doch noch auf die Dachterrasse und liegen Arm in Arm auf dem Sofa, während wir uns gegenseitig etwas vorschweigen.
Kann es etwas Schöneres geben, als Zeit in solcher Ruhe und Eintracht zu verbringen? Ich denke nicht.
Wieder im Schlafzimmer habe ich alle Mühe, mir Kim auf eine nicht verletzende Art vom Leib zu halten. Es ist ja wirklich nicht so, als würde ich gern auf den Sex mit ihm verzichten, aber ich halte das einfach nicht für gut.
Kim reagiert nicht so gelassen, wie ich es mir wünschen würde und schließlich gebe ich nach, weil ich einfach nicht will, dass er enttäuscht von mir ist oder denkt, ich fände ihn plötzlich abstoßend.
Es ist eine seltsame Gratwanderung, die wir hier vollführen. Ich meine, ich bin bei ihm eindeutig vielseitig im Bett, ganz sicher nicht festgelegt auf meine Stellung als Top oder Bottom.
Momentan bin ich klar passiv. Ich glaube, mein Schwanz würde sich zur ewigen Ruhe legen, bevor er versuchen könnte, Kim jetzt zu erobern. Ist einfach nicht drin. Sperre im Kopf, im Herzen, im Bauch. Bin ich deshalb ein Softie?
Möglich, aber egal.
Mir ist nur wichtig, dass es Kim gutgeht. Und wenn das bedeutet, dass er mich vögeln will, dann ist das schon in Ordnung.
Tze, tierische Untertreibung, es ist genial! Aber nach wie vor erscheint es mir zeitlich betrachtet falsch. Zu frisch ist das, was er erlebt hat – anscheinend aber nur für mich.
Verstehen kann ich das nicht.
Trotzdem schlafe ich erlöst und befriedigt ein, während Kim wieder wie ein festgeklammertes Koalabärenbaby auf meinem Rücken hängt.
Ich liebe das, ehrlich. Genauso sehr wie ich es liebe, ihn einfach dicht an meine Brust zu pressen, bevor wir einschlafen.
FREITAG, 26. JULI
NEUE NORMALITÄT
Das Frühstück bei Theodora gönnen wir uns heute ausnahmsweise mal wieder. Vermutlich nur, weil ich Maik davon überzeugen konnte, dass ich wieder einigermaßen heil bin und keine Lust mehr habe, mir die Decke auf den Kopf fallenzulassen.
Ich habe schon Entzugserscheinungen wegen der Pferde, der Teammitglieder, ach, mir fehlt einfach alles!
Ich lasse mich morgens schon von Tom auf den neuesten Stand bringen und erfahre bei der Gelegenheit aus zwei Nebensätzen, dass die Jungs aus dem Turnierstall längst geahnt haben, dass Maik und ich was miteinander haben.
Es entlockt mir ein Lächeln und ich bestätige es extra noch einmal, um wirklich alle Spekulationen in Fakten zu verwandeln.
Die Katze ist aus dem Sack, seitdem Lu uns gefilmt hat. Wieso also nicht einfach alles sagen und ganz entspannt auch mal näher an Maik herantreten, wenn andere dabei sind?
Dass ich schwul bin, wussten sie sowieso alle, dass Maik es ebenfalls ist, haben sie sicher längst geblickt.
Ich reite natürlich noch nicht wieder, das übernimmt auch heute Timeon für mich, der ohne Eric angekommen ist und eine Mordslaune am Leib hat. Ich frage vorsichtshalber in einer sehr stillen Minute im Quarantänestall erst nach dem Grund dafür.
„Kleiner, magst du mir sagen, was eigentlich los ist?“
Timeon sieht mich stirnrunzelnd an und hört auf, seine Stute Zaphira’s Dream zu striegeln. „Was meinst du?“
„Na ja, du hast echt miese Laune und ranzt jeden an. Ich bin ja schon froh, dass du noch keines der Pferde mit deiner Wut angesteckt hast …“ Ich lächle nachsichtig und hoffe, dass er nun nicht ausgerechnet mir böse ist.
„Sorry, ehrlich. Ich …“ Er hebt die Schultern. „Ist grad alles nicht so einfach …“
„Aha? Was ist denn passiert? Ärger mit Eric?“, schieße ich ins Blaue. Vielleicht ist das auch nur eine logische Schlussfolgerung, weil er allein hergekommen ist.
„Hm-hm“, macht der Blondschopf und presst die Lippen aufeinander. „Aber ich bin nicht sauer auf Eric, sondern auf jemand anderen.“
„Du willst also lieber nicht drüber reden?“ Irgendwie will ich ihm nicht alles aus der Nase ziehen, auch wenn die Grübelei über seine offenbaren Probleme mich sehr gut von meinen eigenen ablenkt.
Was für ein egoistischer Gedanke!
„Na ja, doch, schon, aber … du wirst es Maik erzählen und … ich glaub, das wäre nicht gut.“
„Du fürchtest also, mich in eine Zwickmühle zu treiben?“
Er nickt und putzt seine Stute weiter. „Es geht um Jeremy. Der Blödmann hat mir Karten zu einem Turnier geschickt und Eric will gern hin. Ich aber nicht.“
Oh … Also das hätte ich ja nun nicht gedacht. Wieso schickt Jeremy …? Blöde Frage! Ich weiß doch genauso gut wie Maik, dass Jeremy voll auf den Kleinen abfährt und sich nur beherrscht, weil er Eric so nett findet!
„Und wieso willst du nicht? Ich finde das doch … äh … ziemlich nett, wenn er euch beide einlädt.“ Ist es doch auch, böse wäre es gewesen, nur ein Ticket zu schicken!
Timeon schnaubt. „Mann, Kim! Dir mag das ja nicht aufgefallen sein, aber ich glaube, Eric findet diesen dämlichen Mistkerl anscheinend total toll! Voll beeindruckt ist er!“
Ich kann mein Kichern nur sehr schwer unterdrücken. „Warte mal, du willst da nicht hin, weil du denkst, dass Eric scharf auf Jeremy ist?!“
Ein Nicken, abgehackt und genervt.
„Ehrlich, spinnst du?! Eric dürfte durchaus aufgefallen sein, dass du und Jeremy exakt der gleiche Typ Mann seid! Man könnte euch für Brüder halten! Er weiß doch, was er an dir hat, da ist das ganz schön fies von dir, ihm so was zu unterstellen!“
Timeons Schultern sinken herab und er seufzt. „Tu ich doch eigentlich gar nicht. Eric lässt sich nur so beeindrucken von ihm! Der weltgewandte, tolle, smarte, perfekte Jeremy Tinnard!“
Die Aufzählung spuckt der Kleine förmlich aus. In seinen Worten schwingt so viel Verachtung mit, dass ich mich frage, was Jeremy so Schreckliches getan haben kann. Nur an der Einladung und Erics angeblichem Interesse kann es doch nicht liegen!
„Und du und Eric, ihr habt gestritten, weil er hinwill und du nicht?“ Meine Vermutung scheint den Nagel auf den Kopf zu treffen, denn Timeon zuckt ertappt zusammen.
Zögerlich nickt er. „Ja, hab ihn abgebrüllt, wenn er da hinwill, soll er doch ohne mich fahren. Vielleicht hat der Herr Halbgott des Reitens ja ’ne private Stunde lang Zeit für ihn.“
Mir klappt der Kiefer runter. „Mann, Timeon! Damit hast du Eric ja echt das Schlimmste unterstellt!“
„Na und?!“, brüllt er nun und starrt mich an, während seine blauen Augen sich mit Tränen füllen. Er wirft die Kardätsche von sich gegen eine Boxenwand weiter hinten und zittert am ganze Körper.
Es kostet mich erstaunlicherweise keine Überwindung, die zwei Schritte auf ihn zu zu machen und ihn zu umarmen. „Hey, Kleiner … Du hast ja Angst, dass er dich verlässt!“
Timeon klammert sich an mich und weint hemmungslos. Ich hoffe nur, dass jetzt niemand hier reingelatscht kommt …
„Scht, Timmy. Ich glaube, deine Gefühle spielen dir grade einen bösen Streich … und Eifersucht ist nie gut, weißt du?“ Ich spreche leise, streiche durch sein Haar und über seinen Rücken. Er tut mir gerade wahnsinnig leid. Ich weiß zwar nicht viel über Gefühle, aber Eifersucht kann wirklich schlimme Ausmaße annehmen.
„Das sagst du so! Du bist glücklich mit Maik, dass man denkt, die scheint die Sonne aus dem Arsch!“, jammert er und ich zucke zusammen. Das ja nun nicht gerade …
„Wenn du die Wahrheit wüsstest, würdest du das nicht sagen …“
Timeons Kopf ruckt hoch. „Was meinst du?“
Ich seufze. „Schon gut. Also mit Maik ist alles in Ordnung, aber … Na ja, egal. Jetzt solltest du aber erst mal dein Handy schnappen und Eric anrufen.“
„Nein, geht nicht, ich …!“
„Keine Widerrede! Wenn du ihn liebst, musst du in den sauren Apfel beißen, Kleiner.“
Er atmet tief durch und macht sich von mir los, schließlich nickt er.
„Ich lasse dich dann mal allein. Du sammelst dann das Putzzeug ein und siehst zu, dass du deine Süße auf den Springplatz kriegst. Maik wartet sicher schon auf dich, oder?“
Ich verlasse den Quarantänestall, mache einen Abstecher zum Außenspringplatz und gehe danach ins Büro. Die vielen Nachrichten und Postsachen für mich nehmen langsam überhand. Ich fürchte, selbst wenn ich das Feuerried nicht verließe, bräuchte ich auf Dauer wohl endlich einen Vertreter …
Zum Mittagessen habe ich nicht die Hälfte von dem erledigt, was anliegt, aber ich kann mich auch nicht mehr konzentrieren. Das Sitzkissen habe ich sogar kreuzbrav mit hierher genommen, damit Maik nicht meckert.
Ich strecke mich und gähne, als Maik zu mir ins Büro kommt und mich anstrahlt.
„Na? Alles soweit okay bei dir?“ Er sieht so erleichtert aus, als hätte mir hier in meinem Büro etwas pass… Mein Gedanke bricht ab, immerhin war er ganz zu Anfang einmal unfreiwilliger Zeuge davon, wie mir hier wirklich etwas ‚passiert‘ ist …
„Ja, alles prima. Nur scheißeviel zu tun“, seufze ich und stehe auf, als er neben mir ankommt.
Seine Arme gleiten um meine Mitte und ich bin froh, mich einfach so an ihn lehnen zu dürfen.
Ich frage mich, ob das, was ich erlebt habe, ihn irgendwie an das erinnert, was er mit diesem Sean hatte … Sieht er Parallelen?
„Maik?“
„Ja?“
„Du hast keine Schuld an dem, was passiert ist.“
Sein Griff wird fester und ich höre sein tiefes Durchatmen. „Ich mag nicht der letzte Tropfen gewesen sein, der das Fass überlaufen ließ, aber mein Auftauchen hier hat ganz sicher einige alte Wunden bei Ludwig aufgerissen …“
„Denkst du nicht, dass eher dein Vater diese Wunden aufgerissen hat? Er ist es, den Lu offensichtlich geliebt hat, all die Jahre. Ich bin nur ein Ersatz gewesen, ein optisch hinnehmbarer Ausgleich für das, was er eigentlich wollte.“ Es so deutlich und klar zu sagen, beruhigt mich irgendwie. Das Bild wird dadurch geradegerückt und logisch. Das tut mir gut und ich hoffe inständig, dass Maik das für sich auch so annehmen kann.
„Wenn ich wüsste, dass ich dich hier gefahrlos allein lassen könnte, wäre ich schon auf der Suche nach meinem Herrn Erzeuger, das kannst du mir glauben!“
Das macht mir Angst, ob ich will oder nicht. „Nein! Du kannst …! Du darfst das doch nicht tun! Was zwischen denen war und sein mag, hat mit uns nichts zu tun!“
Er schnaubt, glaube ich, doch das Geräusch geht in ein bösartiges Lachen über. Hart und kalt.
„Mein Vater ist schuld daran, dass Ludwig dich vergewaltigt hat, Kim! Wo, bitteschön, betrifft uns das denn nicht?!“, blafft er mich an und ich zucke erschrocken zusammen, weil sich sein Griff zeitgleich verstärkt.
„Maik!“, quietsche ich und versuche, mich von ihm zu lösen. „Du tust mir weh!“
Hastig lässt er mich los und ich sehe mit einem schmerzhaften Stich, wie sein Körper sich immer weiter verspannt, geballte Fäuste, zittriger Leib. Verdammt, wieso kann er das alles nicht trennen?
Wieso ist das für ihn wichtig?
Kann er nicht einfach vergessen, was passiert ist, mich lieben und gut?
„Du machst dir keine Vorstellung davon, wie sehr ich mich schäme für das, was mein Vater dir angetan hat.“
Er wendet sich ruckartig ab und geht mit großen, harten Schritten hinaus.
Ich stehe da wie ein begossener Pudel, nur ohne die Hängeohren.
HITZE DES AUGENBLICKS
Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Ich will gar nicht weglaufen, will Kim viel lieber umarmen, festhalten, beschützen, aber ich habe ja eben gesehen, welche Angst in seinen Augen gelegen hat. Wie weh ich ihm mit meiner viel zu harten Umarmung getan habe.
Mit langen, wütenden Schritten gehe ich über den Platz und schlage den Weg zu der Weide ein, auf der Möhrchen steht. Ich brauche Ruhe, ganz viel Gelassenheit, und Möhrchen war bisher immer in der Lage, mir beides zu vermitteln.
Ich renne schließlich und bin außer Atem, mein Blut rauscht laut durch meine Ohren, als ich bei ihr ankomme.
Ihre großen, klugen Augen sehen mich an, als wüsste sie tatsächlich, wie es in mir aussieht. Ich stütze meine Hände auf die Knie und bleibe vorgebeugt stehen, bis mein rasselnder Atem endlich etwas ruhiger wird.
Mir ist schwindelig. Es ist zu heiß, um ausgerechnet in der Mittagszeit einen solchen Sprint hinzulegen. Durst brennt in meiner Kehle und ich lasse mich einfach neben meiner Stute auf die Weide fallen.
Jetzt hätte ich gern was zu trinken, aber das Leben ist, wie ich ja in den letzten Wochen echt deutlich zu spüren bekommen habe, kein Wunschkonzert. Auch kein Ponyhof, wo wir schon dabei sind.
Stattdessen habe ich das Gefühl, mitten in einem gigantischen Strudel aus Problemen, Geheimnissen und Ängsten festzustecken, die mir langsam aber sicher aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft über den Kopf zu schwappen drohen … Na ja, vielleicht ziehen sie mich auch einfach hinab in den Strudel, zermahlen mich und alles ist vorbei?
Keine schöne Vorstellung.
Vor allem, weil sie mich von Kim trennen würde und das ist das Letzte, was ich will!
Trotzdem musste ich gerade vor ihm flüchten. Ich habe mich nicht im Griff, sobald die Sprache auf meinen Vater kommt. Wieso hat er mir all die Jahre verschwiegen, was der Grund für den Rufmord war?!
Ich meine, es muss doch mit dem Ende der Beziehung zu tun haben, oder?
Wir haben weitere Liebesbriefe gelesen und daraus geht klar hervor, dass mein Vater und Lu mehrere Jahre lang ein Paar waren! Es werden nicht viele auf dem Gestüt gewusst haben, aber ich denke, Theodora auf jeden Fall.
Mein Gehirn ist ja nicht plötzlich in Urlaub gegangen … Logisch betrachtet muss sie mich genau davor gewarnt haben.
Oh Mann, das Ganze wird mein Hirn noch zum Kochen bringen!
Möhrchen hat sich abgewandt, offenbar ist mein sinnloses Herumliegen nicht interessant genug für sie. Dafür kommt Galadriel heran und verwechselt mein Haar mit besonders saftigem Gras. Ich schiebe sie lachend von mir und richte mich wieder auf. Ist vielleicht gesünder, wenn ich nicht plötzlich pferdebedingten Haarausfall haben will.
Sphinx galoppiert plötzlich auf mich zu und mit wehendem Schweif und erhobenem Kopf an mir vorbei in Richtung Zaun. Da ich selbst mitten auf der Weide hocke, hat sie noch ein gutes Stück Weg vor sich, bis sie dort ankommt, und ich sehe auch irgendwann, weshalb die alte Dame so in Aufruhr geraten ist: Eine schmale, hochgewachsene und für mich wahnsinnig begehrenswerte Gestalt nähert sich gemächlichen Schrittes über den Feldweg dem Gatter, auf das Sphinx noch immer zustürmt.
Ich seufze trotzdem auf.
Na klar freue ich mich immer, ihn zu sehen, aber ich bin doch nicht hierher geflohen, um jetzt schon wieder keine Ruhe zu haben?
Er lächelt, als er durch das Gatter steigt und Sphinx streichelt, ihr auf den Hals klopft und ihr sogar erlaubt, an seiner Weste zu knabbern, danach wendet er sich an ihr vorbei zu mir um und kommt auf mich zu. Er hat eine Wasserflasche in der Hand, aber das bekomme ich nur ganz am Rand mit, denn sein Lächeln, das eben noch so strahlend auf seiner alten Stute geruht hat, ist verschwunden.
Ich versuche, auf seinen Gang zu achten, seine langen Beine im Auge zu behalten, um nicht diesen finsteren Gesichtsausdruck sehen zu müssen.
Direkt vor meinen angewinkelten Beinen bleibt er stehen und sieht auf mich herab.
„Fühlst du dich jetzt besser?“, will er wissen und klingt nicht so, als wäre irgendeine meiner möglichen Antworten wirklich das, was er hören will.
Ich hebe die Schultern und schweige. Mein Blick gleitet sehnsüchtig auf die Flasche in seiner Hand, von der das Kondenswasser herabperlt, und ich schlucke trocken und sehr mühsam.
Ohne ein weiteres Wort reicht er mir das Wasser und setzt sich neben mich. Einen Moment lang warte ich darauf, dass sich sein schönes Gesicht schmerzerfüllt verzieht, aber nichts dergleichen geschieht.
Mein verblüfftes Gesicht reizt ihn nun wohl doch zu einem kleinen Grinsen, aber ich bin mir nicht sicher, weil es so schnell wieder verblasst.
„Was hast du?“, wage ich zu fragen, nachdem ich die Flasche angesetzt und halb ausgetrunken habe.
„Das fragst du noch? Du bist einfach abgehauen!“ Natürlich, ein Vorwurf. Macht er mir den zu Recht? Ich fürchte ja.
Mein Kopf hat beschlossen, schon mal vorab zu nicken. „Tut mir leid, aber … das wird mir alles zu viel.“
„Was wird dir zu viel?“
Ich schnaufe hilflos, weil ich es einfach nicht erklären kann. „Alles, irgendwie.“
„Hm, das ist ’ne Menge. Und du denkst, du kannst auch mit mir nicht darüber reden?“ Klingt er jetzt traurig? Enttäuscht? Es fällt mir so wahnsinnig schwer, das einzuordnen!
„Du hast doch erlebt, wie ich reagiere. Ich will dir nicht weh tun! Erst recht nicht, wenn ich dich umarme!“, entfährt es mir und ich merke selbst, dass ich viel zu laut werde.
„Ja, habe ich. Aber ich weiß auch, dass du mir niemals absichtlich weh tun würdest.“
„Dein Vertrauen in allen Ehren, aber … das teile ich nicht. Ich kann mich derzeit einfach nicht konzentrieren.“
„Ich denke, du solltest mit deiner Mutter sprechen.“
Wieder nickt mein Kopf ohne mein Zutun. „Ja, sollte ich.“
„Dann werden wir morgen früh also Eric und Timeon einsacken und zu Jers fahren.“
Oh? Werden wir? Ich sehe ihn perplex an. „Ich habe kein frei!“, wende ich ein.
„Doch, hast du. Alles schon geplant, Hotelzimmer gebucht und so weiter.“
Meine Finger machen sich selbständig, stellen die Flasche ab und ich knie mich dicht vor ihn, um seine Hände zu ergreifen. „Zwei Tage mit den anderen und Jers?“
Er nickt und lächelt endlich. „Zwei Tage, Löwenherz.“
„Ich liebe dich, auch wenn ich manchmal so widerlich bin.“
Seine Rechte löst sich aus meiner Hand und gleitet über meinen Arm hinauf an mein Gesicht. „Das weiß ich. Und du bist nicht widerlich. Nur hilflos. Ich würde dir wirklich gern helfen, aber du musst es mir erlauben!“
Sein eindringlicher Ton und sein ehrlicher Blick lassen mich hart schlucken. Scheiße, ich verdiene ihn einfach nicht!
„Würdest du mit mir weggehen, Kim? Ich meine, würdest du wirklich alles hinter dir lassen, um mir zu folgen?“ Super, wo kommt das denn jetzt her?
„Sobald ich weiß, dass das Feuerried nicht den Bach runtergehen kann, ja.“ Seine Antwort kommt so schnell, dass sie trotz dieser Einschränkung eine geradezu verheerende Wirkung auf mein Inneres hat. Ohne nachzudenken, werfe ich mich gegen ihn und wir rollen über die Weide, bis er auf mir liegt und mich lächelnd ansieht.
„Mein verrückter Kerl“, murmelt er zärtlich und küsst mich voller Leidenschaft.
Er fasziniert mich mit dieser Art, ich kann nicht genau sagen, warum. Ich meine, ja, ich kenne ihn als liebevollen Mann, aber … Nach dem, was ihm passiert ist, müsste er doch irgendwie … zurückhaltender sein, oder nicht?
Seine Hände und vor allem seine fordernde Zunge beweisen mir das Gegenteil. Zurückhaltung liegt darin ganz sicher nicht und spätestens, als seine Finger tastend ihren Weg unter mein Hemd finden, habe ich meine Zweifel daran, dass es bei ein wenig Geknutsche bleiben wird.
„Kim?“
„Ja?“
„Willst du schon wieder …?“ Ich spreche es nicht aus, es erscheint mir nicht richtig, ihn so darauf zu stoßen, aber andererseits spüre ich seine Erregung hart gegen meine Lenden pressen.
„Was?“, haucht er in meinen Mund und ich bringe es ob seines unsicheren Tons nicht mehr fertig, meinen Satz zu beenden.
Trotzdem muss ich das hier beenden! Es geht einfach nicht, dass wir schon wieder vögeln!
Ich rolle mich herum und liege wieder auf ihm, nehme dann aber sofort Abstand und gleite neben ihm ins Gras.
Bevor er etwas einwenden kann – das versucht er, hat den Mund schon geöffnet und die Augen weit aufgerissen – küsse ich ihn heftig und so verlangend, dass ihm hoffentlich Hören und Sehen vergehen.
Sex kriege ich jetzt einfach nicht hin. Ich bin zu durcheinander, zu wirr im Kopf. Ob er das versteht, wenn ich es sage?
Ich lasse es besser nicht drauf ankommen, drehe mich neben ihm auf den Rücken und sehe in den von kleinen, schneeweißen Wolken verzierten Himmel.
„Ich will dich“, raunt er und beugt sich schneller über mich, als ich reagieren kann.
Tja, was nun? Laut seufzen und es drauf ankommen lassen?
„D-d-du hast ein Gummi bei?“, bringe ich heraus – natürlich in der vagen Hoffnung, dass er keines bei sich hat.
„Brauchen wir eins?“, fragt er dagegen und ich erkenne meinen Fehler. Er hat ja recht, wir haben schon ohne miteinander geschlafen, am See, vor so unendlich weit entfernt erscheinenden Tagen. Was antworte ich denn jetzt?
„Wir sollten nichts riskieren“, bringt meine Vernunft ein wenig atemlos hervor. „Immerhin könnte man uns hier sehen, zwischen den Pferden ist es auch nicht so schlau …“, schiebe ich schnell nach und schicke ein Stoßgebet an alle mir bekannten und unbekannten Götter.
Er hebt den Kopf und starrt mich an. Ich habe keine Ahnung, was da in seinen Augen liegt, hinter dem rauchgrauen Schleier von Lust.
Er will mich wirklich und ich weiß selbst, wie schwer ein hormongefülltes Gehirn für Logik zugänglich ist.
Ich blinzle zweimal, weil er nahtlos aufsteht, die Flasche einsammelt und sichtbar erregt wieder neben mich tritt. Kim streckt mir die Hand hin und ich ergreife sie. Natürlich ziehe ich ihn erst einmal an mich, halte ihn fest und versuche herauszufinden, was hinter seiner Stirn vor sich gehen mag.
Er leckt sich über die Lippen, seine Zunge hinterlässt einen feuchten Film darauf, der im Licht der Mittagssonne verführerisch glänzt und mich geradezu anbrüllt, ihn zu küssen.
„Lass uns in meine Wohnung gehen“, spricht er gegen meine Lippen und zieht mich mit sich.
Scheiße, das meint er doch jetzt nicht ernst?
„Gute Idee, ich hab Hunger!“, verkünde ich und er sieht mich mit einem schon lüsternen Grinsen an.
„Ich auch!“
Na, bravo!
Kann ich es wirklich bringen, ihn abzulehnen? Mache ich seinen so starken Wunsch nach Sex damit noch schlimmer?
Ich bin einfach unsicher, wie ich reagieren kann und muss. Vielleicht sollte ich es einfach hinnehmen und ihm die Möglichkeit bieten, sich mit und an mir auszutoben. Ist ja nicht so, als würde er mir damit etwas nehmen oder mir gar weh tun. Im Gegenteil! Ich genieße es ja, von ihm erobert zu werden!
SAMSTAG, 27. JULI
HUNGER
Ich drehe mich in Maiks Umarmung und strecke mich langsam und vorsichtig, um ihn nicht zu wecken. Meine Hand gleitet über meinen Hintern und nach einem prüfenden Griff bin ich mir sicher, dass das meiste sehr gut verheilt ist. Kein blödes Kissen mehr, kein Verzicht mehr …
Wobei … Verzicht?
Ich sehe in Maiks schlafendes Gesicht und muss grinsen.
So viel Sex hatten wir lange nicht und ich habe jede Sekunde davon genossen.
Vielleicht war es nicht besonders schlau, nach der Rückkehr in meine Wohnung gleich hier zu bleiben …
Ach was, sicher war das schlau! Wir hatten Sex, jede Menge davon!
Ich grinse noch breiter, strecke das Kinn, um ihn zu küssen und rolle mich danach eilig vom Bett. Ficken macht hungrig.
Ich will mir Trunks anziehen, aber als ich an mir herabsehe und meine Hand prüfend über meinen Bauch fährt, entscheide ich mich spontan um. Nicht, dass es mich stören würde, Maiks zwischen uns getrocknetes Sperma an mir zu haben, aber wenn ich Frühstück machen will, ist das schon ein wenig … unorthodox.
Also schnell ins Bad, Dusche an und danach mit einem Handtuchlendenschurz in die Küche tapsen. Wow, klasse, ich merke auch beim Gehen nichts mehr von den Verletzungen!
Hm, nach dem gestrigen Tag sind Rühreier das mindeste, was ich brauchen werde, um Maik wieder aufzupäppeln … Scheiße, sogar bei diesem simplen, im Grunde schon besorgten Gedanken an Maik sammelt sich mein Blut unterhalb des Lendenschurzes.
Okay, also Bacon, Rührei, frisch aufgebackene Brötchen und jede Menge Belag. Alles wandert nach und nach mitsamt den Gedecken auf meinen Küchentisch und ich mache mir den zweiten Kaffee, als ich das Klappern der Badezimmertür höre.
Gut, er ist aufgewacht. Seinen Kaffeebecher stelle ich ihm hin, dann werfe ich feierlich das dämliche Ringkissen in eine Ecke und setze mich demonstrativ an den Tisch.
Ein Kichern entkommt meiner Kehle. Es ist eine Sache, halbnackt das Frühstück zu bereiten, aber auch so zu essen?
Nun ja, egal. Immerhin ergibt sich so vielleicht gleich die nächste Runde?
Ein paar Minuten später kommt der feuchte Traum meiner wachen und schlafenden Stunden mit einem Gähnen in die Küche und ich muss zweimal blinzeln, als ich sehe, dass er exakt so ‚gekleidet‘ ist wie ich.
Wahnsinn!
Ich lecke mir über die Lippen und sage: „Guten Morgen, Löwenherz!“
Er mustert mich und lächelt. „Guten Morgen, Koalaraubtier.“
Maik sinkt über Eck an den Tisch und seufzt, bevor er sich zu mir beugt und mich kurz küsst. „Hast du gut geschlafen?“
Ich nicke. Klar hab ich! Müde gevögelt und entspannt!
„Wie könnte ich in deinen Armen denn schlecht schlafen?“, frage ich mit unschuldigem Augenaufschlag.
„Hm, das ist wahr, zumal du uns ja … äh … ziemlich gefordert hast, gestern.“
Ich forsche in seinem Gesichtsausdruck nach Unwillen oder Reue, aber da ist nichts. Gut! Ich meine, er soll doch wissen und begreifen, wie affengeil er mich macht und dass ich es liebe, ihn zu ficken, oder nicht?
„War’s zu doll?“, frage ich trotzdem und hoffe einfach, dass er verneint.
Statt einer Antwort ergreift er meine Hand und zieht mich zu sich, um mich tief zu küssen. Hm, er schmeckt nach Kaffee, Zahnpasta und Maik. Perfekt.
Ich lasse ein kleines Knurren hören und an seinem scharfen Einatmen erkenne ich, wie aufreizend es auf ihn wirkt. Fantastisch, dieses Aufblitzen in seinen Jadeaugen! Sieht ganz so aus, als könnten wir gleich da weitermachen, wo wir heute Nacht vollkommen verschwitzt und erledigt aufgehört haben.
„Ich glaube, ich will gleich Nachtisch“, verkünde ich und Maik verschluckt sich fast an seinem Kaffee.
„Darf ich erst essen?“, erkundigt er sich mit einem süffisanten Grinsen, das mein Blut schlagartig in meinen Schwanz pumpt.
~*~
Ich breche über ihm zusammen und habe keine Lust, mich aus ihm zurückzuziehen. Bald muss ich es, aber noch nicht. Schwer atmend bleibe ich liegen, lasse mich umfangen und festhalten.
Maiks heiße Lippen finden meine Stirn, meine Schläfen, meine Wangen, schließlich meinen Mund.
„Woher nimmst du plötzlich diese Energie?“, flüstert er, nachdem auch er wieder zu Atem gekommen ist, und drückt mich fester an sich.
„Von dir. Gibt eben nichts Besseres, als dich zu ficken.“
Klare Frage – klare Antwort.
Er lächelt, küsst mich erneut und ich ziehe mich aus ihm zurück, um das Gummi zu entsorgen.
„Gibt auch nur wenig Vergleichbares, als von dir gefickt zu werden“, murmelt er und ist mit einem beinahe animalischen Knurren über mir. Ich biege den Kopf nach hinten gegen die Matratze und genieße seine hungrigen Küsse an meinem Hals.
„Wir müssen gleich los, Timeon und Eric abholen …“, sage ich, obwohl ich gerade nichts lieber tun würde, als hier mit ihm weiterzumachen. Natürlich wird es ein wenig dauern, bis ich ihn wieder erobern kann, aber nicht ewig! Ich habe keine Ahnung, woher dieser andauernde Hunger nach seinem schönen Körper kommt, aber wieso sollte ich das hinterfragen?
Ich hatte Angst, dass ich nie wieder Sex haben würde, als Lu mich allein gelassen hat. Drei Tage ist das jetzt her, und ich glaube, in diesen knapp 72 Stunden habe ich mehr gevögelt als sonst in einem Monat. Also aktiv, natürlich!
Diese Zusammenkünfte mit Lu während des Deals zählen ja sowieso nicht.
Ich schüttle unwillig den Kopf und umfasse sein Gesicht. „Maik?“
„Ja?“
„Wir müssen duschen und uns fertigmachen, du willst zu Jers!“
Er nickt und lässt mit einem bedauernden Seufzen und einem langen, anzüglichen Blick über meinen nackten Leib von mir ab.
Oh ja, er ist genauso hungrig wie ich. Hoffentlich ändert sich das nicht!
Die Dusche spült nicht nur die Reste unserer heißen Begegnung von unserer Haut, sondern auch den verwirrenden, absolut unwiderstehlichen Geruch von Sex. Ich genieße seine Hände auf mir, als er mich einschäumt, gebe ihm diese Aufmerksamkeit nur zu gern zurück und wir schaffen es zwischen zahlreichen Küssen und Neckereien nur knapp, passend zum Klingeln an der Tür fertig zu werden.
WAHRHEITEN
An der Tür steht ein wutschnaubender Timeon, der mich keines Blickes würdigt – Eric übrigens auch nicht, obwohl dieser neben ihm steht – und auf Kim zustürzt.
„Mann! Du hast gesagt, ihr holt uns ab. Pünktlichkeit wäre eine Tugend, die auch du dir mal leisten könntest!“, fährt er meinen Freund an und ich blinzle ein paarmal.
„Hey, beruhig dich mal!“, verlange ich deshalb sofort. „Kann ja wohl nicht sein, dass du hier mit mieser Laune auftauchst, wenn wir grade losfahren wollen! Du bist zu früh dran!“
Timeon blinzelt und hebt die Schultern. Schuldbewusst sieht er aus. Offenbar brauchte er bloß einen Grund zum Meckern. Immerhin ist es noch früh genug, so dass wir auf jeden Fall rechtzeitig bei ihm zu Hause aufgetaucht wären. Er scheint aber ungeduldig oder einfach verpeilt zu sein und dafür lasse ich weder mich noch Kim ankeifen.
„Echt?“ Er starrt zu mir, dann zu Eric, der noch immer in der Tür steht.
„Ja, echt“, stellt Kim klar. „Na los, zum Rover, Sachen rein und ab die Post.“
Alle nicken, Eric holt die Übernachtungstaschen von Timeon und sich aus seinem Wagen, dann geht es los.
Ich setze mich gewohnheitsmäßig ans Steuer, Kim neben mir und das Schweigen im Walde auf der Rückbank. Timeon hat sich also wohl noch nicht ganz beruhigt …
Vier Stunden später sind wir angekommen und checken im Hotel ein, bevor wir uns auf den Weg zum Turniergelände machen.
Ein wenig graust mir davor, meine Mutter zu treffen. Ich meine, klar, ich will wissen, was sie weiß, will sie mit Fragen löchern und endlich alles erfahren, aber jede Antwort von ihr wird mir auch deutlicher zeigen, wie sehr sie mich in den ganzen Jahren belogen hat.
Selbst wenn sie vorgehabt hätten, mir zu meinem achtzehnten Geburtstag erst alles zu sagen, haben sie diesen Termin um glatte acht Jahre verpennt!
Wie auch beim letzten Mal holen wir uns am Meldebüro Zugangskarten für das Reiterlager und die Stallungen, suchen dort nach Jeremy und finden ihn in Begleitung eines noch ziemlich frischen Bekannten, der vor ein paar Tagen noch auf dem Feuerried war: Salih.
„Hallo! Wie geht es?“, erkundige ich mich und ernte ein Grinsen. Der Bruder des Scheichs wirft einen kleinen Seitenblick auf meinen besten Freund und grinst noch breiter.
Aha, also haben die beiden tatsächlich innerhalb so kurzer Zeit was angefangen? Das lässt mich beinahe aufatmen, weil sich so wenigstens diese unsäglich schlechte Laune von Timeon beruhigen dürfte. Ich umarme Jeremy und spüre, dass sein Körper angespannt ist.
„Deine Mutter ist hier.“
Ich weiß, mir war doch klar, dass ich ihr hier über den Weg laufen würde. „Ja, klar. Und wo?“
„Sie sitzt dort hinten unter den Bäumen auf einer Bank. Musste ein bisschen telefonieren. Am besten, du gehst gleich zu ihr, dann hast du das hinter dir.“
Ich zögere. Will ich das?
Nachdem ich von Jeremy zurückgetreten bin und auch Kim ihn begrüßt hat, spüre ich Kims Hand in meiner, die meine Finger sacht aber aufmunternd drückt. Ich sehe ihn an, er nickt.
„Na gut, dann sind wir erst mal weg. Timeon, Eric? Ihr kommt zurecht, oder?“
„Klar!“, verkündet Eric und ich sehe, wie er sich an Jeremy wendet. Alles klar, auf den jetzt vermutlich innerhalb von Sekunden startenden Krach zwischen Timeon und Eric habe ich keine Lust. Schnell mache ich mich mit Kim an der Hand auf den Weg zu der Sitzgelegenheit, auf der ich nach wenigen Schritten meine Mutter sehe. Sie telefoniert tatsächlich noch und, das ist gerade mein Vorteil, sie dreht uns den Rücken zu.
Die Jacke ihres hellgrauen Kostüms hat sie neben sich auf die Sitzfläche gelegt. Deshalb wird ihr schmaler Rücken nur von einer altrosafarbenen Bluse verdeckt.
Im Näherkommen höre ich, was sie bespricht, und ahne, mit wem sie es tut. Mein Blut gerät innerhalb von Sekunden außer Kontrolle und ich spüre deutlich, dass Kim fester zudrückt und mich davon abhält, auf meine Mutter zuzustürmen.
Ich sehe ihn an.
„Maik, langsam. Es wird nicht besser, wenn du hier den Hof zusammenbrüllst.“
Ja, er hat recht, aber kann ich das? Ruhig bleiben?
Meine Mutter legt mit dem Satz: „… du dir vielleicht früher überlegen sollen!“ auf.
Tja, wenn das wirklich mein Vater war, da am anderen Ende der Leitung, hat sie ihn regelrecht abgekanzelt. Krass. So kenne ich meine Mutter nicht.
Andererseits … Meine Lippen pressen sich fest aufeinander und meine freie Hand ballt sich zu einer Faust.
Kenne ich meine Mutter denn überhaupt?!
„Hi Mom“, sage ich schließlich, als ich direkt hinter ihr stehenbleibe.
Sie fährt herum und starrt zu mir rauf, dann zu Kim. Der Schreck in ihren Augen weicht Zorn, als sie meinen Freund sieht.
Stirnrunzelnd ziehe ich Kim dichter an mich. Eine beschützende Geste, ganz sicher. Sie soll es bloß nicht wagen, abfällig oder feindselig zu werden!
„Maik!“ Sie steht auf und klettert von der Picknickbank.
Als sie versucht, mich zu umarmen, entwinde ich mich ihr und versuche erst gar nicht, die Begrüßung auf diese Art zu erwidern.
„Ich habe Fragen.“
Sie öffnet den Mund, schließt ihn wieder und nickt. „Ich verstehe.“
„Da bin ich mir nicht so sicher, aber das sollten wir woanders klären.“
Sie nimmt ihr Kostümjackett auf und deutet nach rechts. Ich folge der Geste mit den Augen und sehe, dass dort ein Wohnwagen steht. Anscheinend hat sie diesmal eine Art Büro bei. Vielleicht ist es normalerweise auch der Aufenthaltsraum der immer mit Jeremy mitreisenden Pferdepfleger.
Egal, jedenfalls betreten wir den großen Anhänger und sie deutet auf das eingebaute Sofa. Zögernd lasse ich mich nieder und bin heilfroh, dass Kim bei mir ist.
„Wieso war Dad auf dem Feuerried?“ Die wichtigste Frage, die alles andere bedingt. Immerhin hatte ich einen Deal mit ihr.
Sie sieht erst mich an, dann Kim. „Als ich deinen Kim gesehen habe, wusste ich, in was du da hineingeraten warst … Ich habe trotzdem noch eine gute Woche mit mir gehadert, bevor ich es für unabdingbar hielt, deinen Vater zu informieren, wo du dich herumtreibst.“
„Dann erklär mir mal, wieso?“
Sie seufzt und setzt sich uns gegenüber hin, springt wieder auf und fragt: „Möchtet ihr etwas trinken?“
„Wasser“, bittet Kim und ich ahne, dass er überhaupt keinen Durst hat, aber gern Zeit schinden will.
Meine Mutter geht in den kleinen Küchenbereich und holt Gläser hervor, dann Mineralwasser aus dem Kühlschrank. Wenig später stellt sie vor jedem von uns eines der gefüllten Gefäße ab und setzt sich wieder.
„Ich habe Angst um dich, Maik, deshalb habe ich Justin angerufen. Ich sah Kim und …“ Sie bricht ab und sieht Kim wieder an, diesmal traurig, vielleicht mitleidig. „Ich kann mir lebhaft vorstellen, wieso Ludwig dich auf dem Feuerried wollte, Kim. Du bist zwar ein gutes Stück größer als er, aber ansonsten hast du die beiden wichtigstens äußerlichen Merkmale, die auch Maiks Vater besitzt. Graue Augen und pechschwarzes Haar.“
„Er und Ludwig waren ein Paar, nicht wahr? Mein Vater ist schwul und keiner hat’s mir gesagt! Scheiße, Mom, ich werde in ein paar Wochen 26! Denkst du nicht, ich hätte spätestens mit 18 erfahren sollen, dass du und mein Vater nie ein Paar wart? Dass ich … keine Ahnung was … bin?!“
Sie zuckt zusammen, als hätte ich sie geschlagen.
„Du bist unser Kind, Maik. Und wir wollten dich. Aber du hast recht, es gibt eine Sache an der Vergangenheit, die … wir dir vielleicht doch hätten sagen müssen …“
„Nur eine? Mir würden spontan ein paar mehr einfallen! Aber momentan interessiert mich nur, wieso mein angeblicher Herr Vater bei uns auf den Feuerried aufgetaucht ist und wieso Ludwig am gleichen Abend so durchgedreht ist, dass er Kim vergewaltigt hat!“ Mir ist scheißegal, ob man mich auch außerhalb des Wohnwagens hören kann. Das hier macht mich einfach krank!
Meine Mutter starrt mich erschrocken an, ihre Pupillen sind so groß, dass man vom Grün ihrer Augen nichts mehr sieht, ihr Mund öffnet sich hilflos und klappt immer wieder zu.
„Das …!“ Ist das Einzige, was sie herausbringt.
„Nun tu nicht so betroffen! Ihr wusstet deutlich mehr als ihr mir gesagt habt, und damit dürfte euch auch klargewesen sein, wie durchgeknallt Ludwig wirklich ist!“, fahre ich sie ohne jede Gnade an.
Sie schluckt hart und nickt andeutungsweise. „Ludwig ist wohl noch immer nicht darüber hinweg, dass Justin damals zu Maik gegangen ist … Dort war auch ich und wir drei … Ach, Junge, das ist auch für mich nicht einfach, verstehst du das? Wir haben eine Beziehung zu dritt, seit 27 Jahren!“
Ich sinke gegen die schmale Rückenlehne und blinzle. Nein, das … hat sie nicht gesagt! Ich bin nicht das Produkt einer Dreierbeziehung! Ich bin … tja, was denn?
„Wenn du so willst, habe ich zwei sehr liebevolle Männer und du zwei ebenso liebevolle Väter!“
Das schlägt dem Fass den Boden aus. Bevor ich nachdenken kann, springe ich auf und brülle sie an: „Du kannst ja tausendmal deine Beine für die zwei breitgemacht haben, aber ICH hatte deshalb niemals zwei liebevolle Väter, klar?! Falls du dich erinnern magst, habe ich weder den einen noch den anderen in den letzten Jahren gesehen!“
Sie holt aus und verpasst mir eine Ohrfeige, doch ihre schlagende Hand landet direkt danach auf ihrem erschrocken geöffneten Mund. „Es tut mir leid!“, bringt sie hervor und zittert. Kims Hände gleiten um meine Handgelenke und er hält mich davon ab, noch wütender zu werden.
„Maik, setz dich. Du bist hier, um die Wahrheit zu erfahren, dann höre sie dir jetzt auch an!“ Ich sehe zu ihm und lasse mich wirklich wieder auf den Sitz ziehen.
„Ich will wissen, was Justin zu Ludwig gesagt hat. Die beiden haben stundenlang gesprochen.“
„Das hat er mir nicht gesagt … Nur, dass er dort war und sie gestritten haben. Justin hat Ludwig geliebt, verstehst du das, Maik? Die zwei waren einige Jahre zusammen und er hat lange gebraucht, um sich gegen Ludwig und für Maik und mich zu entscheiden!“
Ich schnaube auf. Als wenn das noch eine Rolle spielt. Ludwig ist verrückt geworden!
„Es tut mir sehr leid, dass er dir deshalb etwas angetan hat, Kim.“
Mein Freund zuckt zusammen, schüttelt dann aber den Kopf. „Was immer er getan hat, er nannte mich kontinuierlich ‚Justin‘.“
„Das macht es aber nicht besser und schuld daran ist mein Herr Vater! Versucht erst gar nicht, mir das ausreden zu wollen!“, zische ich, dann sehe ich Kim an. „Und du hör gefälligst endlich auf, diese verschissenen Mistkerle in Schutz zu nehmen!“
Kim schreckt nicht zurück, wie ich erwartet hätte, stattdessen sieht er mich ernst an. „Du schreibst mir ebenso wenig vor, was ich zu tun habe, wie jeder andere Mensch auf dieser Welt, klar?“
Na toll, stellt sich jetzt auch noch mein Freund gegen mich? Das … kann er doch nicht tun!
Mechanisch nicke ich. „Tut mir leid, Kim. So habe ich das nicht gemeint.“
Er nickt und drückt meine Hand. „Das weiß ich, sonst hättest du dir von mir auch noch eine gefangen.“
„Ich will das alles nicht!“ Ich sehe meine Mutter an, die still dasitzt und heult. Seltsamerweise lässt mich das völlig kalt. Ich bin wie betäubt. „Ich will nichts mehr!“
„Dadurch wird sich aber nichts ändern“, sagt Kim und er klingt nicht so unerbittlich wie der Sinn seiner Worte.
Ich schlucke erneut hart. Ich habe das Gefühl, dass alles an mir vorbeigeht, so als sähe ich einen Film. Einen wirklich schlechten, übrigens.
„Alle hacken auf Kim herum, nur weil er meinen Erzeuger so ähnlich ist. Aber mir ist scheißegal, ob ihr ihn mögt oder nicht! Ich werde mir weder von eurer beschissenen Vergangenheit noch von eurer Antipathie etwas versauen lassen“, verkünde ich und stehe wieder auf. „Ich möchte gehen, Kim.“
Er nickt und folgt mir mit einem tiefen Durchatmen. Ich stehe schon draußen, aber Kim wendet sich noch einmal an meine Mutter: „Maik ist der einzige Mensch auf der Welt, der mir wichtig ist.“
Was oder ob sie noch etwas erwidert weiß ich nicht, aber als er die Tür leise hinter sich schließt, atme ich seltsam befreit auf.
Als wenn sich irgendetwas ändern würde, nur weil meine Mutter mir diese Ungeheuerlichkeit gesagt hat und ich sie jetzt nicht mehr ansehen muss.
26 Jahre Lügen. Eiskalt aufrechterhalten. Und wozu? Um mir im passenden Augenblick das Genick mit den Wahrheiten zu brechen?
Mir ist schlecht. „Können wir zum Hotel fahren?“, bitte ich ihn und ziehe ihn an mich. Ich will ihn spüren und sicher sein, dass wenigstens er keine Lüge, keine Illusion ist.
Sonst falle ich auf der Stelle tot um!
SELBSTHASS
Ich nicke und umarme ihn, dann trete ich einen Schritt zurück. „Ich sage den anderen kurz Bescheid, dann können wir gehen, in Ordnung?“
Meinem Löwenherz geht es schrecklich und mir fällt momentan auch nichts ein, wie ich an seiner Stimmung etwas ändern könnte.
Jeremy kommt mir entgegen, Salih, Timeon und Eric gehen in eine andere Richtung, offenbar will der Bruder des Scheichs ihnen etwas zeigen. Es ist mir gerade vollkommen egal.
„Wir gehen ins Hotel. Das, was Helen ihm gerade eröffnet hat, ist zu viel für ihn“, sage ich sofort.
Jeremy sieht kurz an mir vorbei und ich folge seinem Blick. Maiks breite Schultern sind herabgesunken, er starrt irgendwo vor sich auf das Kopfsteinpflaster. Der Anblick versetzt mir einen heftigen Stich. Ich will Maik so nicht sehen!
„Ist in Ordnung. Pass gut auf ihn auf, ja? Maik ist … nicht so stark, wie man ihm von außen immer unterstellen will.“
Ich nicke schwach, lege Jeremy die Hand auf die Schulter, drücke kurz zu und gehe. Er wird das verstehen, hoffe ich.
Meine Schritte auf Maiks zusammengesunkene Gestalt zu sind hastig und hart. Ich will ihn berühren, festhalten, ihm nah sein.
Seine Welt ist da in diesem Wohnwagen vor ein paar Minuten dermaßen aus den Fugen geraten, dass ich noch nicht sicher bin, ob meine Nähe überhaupt ausreichen kann und wird.
Ich seufze leise und ergreife Maiks Arm. „Komm, Liebling. Lass uns hier verschwinden.“
Sein Kopf ruckt zu mir hoch und er nickt, dann machen wir uns auf den Weg.
Im Hotel angekommen verschwinden wir sofort auf unserem Zimmer, und als ich die Tür mit einem hörbaren Ausatmen hinter mir schließe, drängt sich Maik ohne Vorwarnung an mich.
„Kim! Ich kann das nicht! Ich will das vergessen! Mein Leben ist eine einzige Lüge!“, bringt er hervor und ich ziehe ihn dicht an mich.
Ein Kuss als Antwort, ich streichle seinen Rücken, halte ihn einfach.
Maik vertieft den Kuss beinahe augenblicklich. Auf eine so hungrige und wilde Art, dass ich erschrocken in seinen Mund keuche und ins Schwanken gerate.
„Maik!“, bringe ich atemlos hervor, als er an meinem Hemd zu zerren beginnt.
Sex? Er will jetzt Sex?
Innerhalb von Minuten liegen wir nackt auf unserem Bett, und bevor ich es richtig kapiere, dreht Maik sich auf den Bauch.
„Fick mich, Kim, bitte! Ich muss dich spüren, jetzt!“
Verdammt, wenn ich nicht so heiß auf ihn wäre, würde ich jetzt ablehnen und ihn einfach fest an mich pressen, aber …
Seine Gesten, seine Bitte und seine Körperhaltung machen es mir wahnsinnig schwer, nicht sofort in ihn einzudringen.
Ich will wieder aufstehen, um Kondom und Gleitgel zu holen, doch als ich mich von ihm wegbewege, umfasst er mein Handgelenk so hart, dass ich ein schmerzerfülltes Keuchen nicht mehr ganz unterdrücken kann.
„Jetzt, Kim, sofort!“
Ich starre ihn an. Seine Augen sind riesig und voller Trauer, irgendwo darin ist sicher auch Lust, gemessen an seinem körperlichen Zustand, aber …
Ich zögere, dann nicke ich.
Maik kommt auf die Knie und ich umfasse seine Hüften, lasse meine Finger in seinen Spalt gleiten, während er sich gegen mich drängt.
„Tu es!“, zischt er. „Ich will dich spüren!“
Noch ein Zögern, dann platziere ich meine Eichel an seinem Eingang und seine hastige Bewegung in meine Richtung lässt mich tief eindringen. Erschrocken schnappe ich nach Luft.
Das muss ihm weh tun, das kann nicht gut sein!
Er stöhnt laut und der Schalter in meinem Kopf, der das Letzte bisschen Verstand beieinander gehalten hat, legt sich um.
Ich bin in Maik, dem Mann, den ich liebe. Bin ihm nah, so nah, wie es geht, wenn ich aktiv bin. Endlich finde ich den Rhythmus, schaffe es sogar, ihn ruhiger zu halten.
Das hier ist … nicht einfach bloß Sex, das hier ist ein rücksichtsloser, schmerzhaft-geiler Fick.
Für uns beide, da bin ich sicher. Meine Finger graben sich in seine Haut, er schreit und stöhnt, feuert mich an, ihn noch wilder und härter zu nehmen.
Ich habe jedes Zeitgefühl verloren, als ich keuchend in ihm komme und auf Maiks Rücken zusammenbreche. Wir sinken zur Seite und ich ziehe mich zurück, ich zittere. Maik ebenso.
Sofort ziehe ich ihn an mich. Das hier war … ausgesprochen geil, aber …
Ich küsse Maiks Wange, drehe ihn auf den Rücken und erstarre, als ich sehe, wie sein Gesicht aussieht.
Tränenüberströmt, voller Trauer, schlimmer noch als vorher. Das versetzt mir einen heftigen Schlag in den Magen.
„Maik!“, hauche ich. „Maik, ich bin hier, ich bin hier!“
Er blinzelt und wischt sich über die Wangen, dann sieht er mich an und lächelt. „Ich weiß … Danke.“
Er zieht mich an sich, auf sich. Dieses Bedürfnis nach Nähe ist bei uns beiden nicht abgeklungen. Ich küsse ihn, sanft, vorsichtig und diesmal erwidert er ebenso sanft.
„Was … war das?“, frage ich irgendwann und ernte einen verwirrten Blick.
„Das, was ich brauchte.“
Ich lasse mich wieder neben ihn rutschen und meine Hand gleitet über seine Seite. Scheiße, habe ich ihn so festgehalten? Ich streiche vorsichtig über die blutenden Striemen, die meine Fingernägel hinterlassen haben und mir wird schlecht.
Ich kann das Würgen nicht unterdrücken und rolle mich hastig vom Bett, stürze mit langen Wackelpuddingschritten ins Bad des Hotelzimmers, um vor der Kloschüssel in die Knie zu brechen und alles von mir zu geben, was ich in den letzten Stunden zu mir genommen habe.
Es fühlt sich eher so an, als gäbe ich alles ab, was ich seit Wochen gegessen habe!
In einer kurzen Atempause höre ich, dass ich Blödmann vergessen habe, die Tür zu schließen. Maik steht hinter mir, ich höre die Schritte seiner nackten Füße auf dem Fliesenboden.
Dann den Wasserhahn und einen Augenblick später spüre ich, wie er dicht hinter mich tritt und mir mit einem nassen Handtuch über die Stirn und den Mund wischt.
Ich schiebe seine Hand weg, das Würgen ist noch nicht vorbei. Nach der nächsten Ladung spüle ich, versuche, die Tränen und die Erschöpfung abzuschütteln, irgendwelche Worte zu finden, aber mein Kopf ist wie leergefegt.
„Scht, alles gut“, murmelt Maik hinter mir und wieder legt sich eine kühlende Ecke des Handtuchs auf meine Stirn. Seine Worte bringen meine Zunge wieder in Betrieb.
„Alles gut?!“, zische ich, ohne ihn anzusehen. Meine Schultern verkrampfen sich, meine Finger, die die Kloschüssel umkrallen ebenso. Ich zittere wie Laub im Wind. „Ich habe grade etwas getan, was …!“
Ich würge wieder, weil der Gedanke an meine Taten mich schon dazu reizt, auch ohne dass ich seinen Wunden sehe.
„Geh … weg!“, bringe ich hervor und wische mir mit dem Handrücken über den Mund. Galle stinkt widerwärtig! Wieder drücke ich den Spülknopf und wünsche mir, ich könnte mit dem Wasser verschwinden. Aus den Augen, aus dem Sinn.
„Du hast nichts falsch gemacht“, wagt er zu sagen und diesmal drehe ich ruckartig den Kopf, um ihn anzustarren.
„Sieh dich an und wiederhol das, Maik!“
Er tut es und hat die Stirn, die Schultern zu heben. „Und?“
„Ich habe dich verletzt. Während ich dich brutal gefickt habe. Jetzt lass mich endlich allein!“, brülle ich, dass es in meinen Ohren weh tut. Die gekachelten Wände werfen meine Stimme laut zurück. Der nächste Würgereiz, ich wende mich ab.
„Ich werde dich niemals allein lassen. Nicht, solange ich noch atme.“
Jedes Wort, ach was, jeder einzelne Buchstabe sticht wie eine glühend heiße Ahle in mein Herz. Blut rauscht laut durch meine Ohren, ich bin schlichtweg fassungslos von seiner Reaktion, von seinem ganzen Verhalten.
„Geh weg!“, fauche ich und weiß nicht, wie ich es schaffe, mich zu erheben und gleichzeitig zu ihm umzudrehen. Schwanken, alles dreht sich, meine Knie geben nach.
Bevor ich mir die Knie an den Fliesen aufschlagen kann, greift Maik nach mir und erwischt mich unter den Achseln. Er zieht mich an sich und für eine Sekunde begehe ich den Fehler, in sein Gesicht zu sehen.
Tränenspuren, dunkle Augen, traurig. Ein verbittert zusammengepresster Mund.
Heiß wallt Hass auf mich selbst in mir auf. Hass auf meine Schwäche, meine Unfähigkeit, ihn abzuschütteln und endlich aus dem Badezimmer zu vertreiben.
Ich will allein sein! Er soll nicht sehen, wie es mir geht, soll kein Mitleid mit einem Scheißkerl wie mir haben!
„Scht“, macht er erneut und streicht mit der Hand über mein Haar, während er mich mit dem anderen Arm umschlingt und an sich presst.
„Geh weg“, wispere ich atemlos. „Geh weg!“
„Das kann ich nicht, Kim. Du fühlst dich schlecht, weil du etwas getan hast, um das ich dich gebeten habe. Wie könnte ich denn da einfach gehen?“
„Waschbecken“, bringe ich hervor und er hilft mir dorthin. Ich muss meinen Mund auswaschen, den bitteren Geschmack der Galle loswerden. Kaum habe ich das getan, sehe ich ihn wieder an. Ich muss das … nein, so etwas kann ich nicht wiedergutmachen.
Aber ich kann …
Bevor ich weiter darüber nachdenke, schiebe ich ihn vor mir und gegen den marmorierten Waschtisch. Ich nehme ein anderes kleines Handtuch und befeuchte es, um mich um seine Wunden zu kümmern. Sie haben nur ganz kurz geblutet, nirgendwo ist etwas herabgelaufen, aber die zahllosen Striemen, die ich vorsichtig abtupfe, hinterlassen eine Taubheit in meinem Kopf, die jeder Beschreibung spottet.
Wie konnte ich ihn nur so misshandeln?
Das hat ja nicht mal Lu bei mir getan, obwohl er mich vergewaltigt hat!
„Es tut mir so leid, Maik!“, wispere ich hektisch und finde immer nur wieder die gleichen Worte, vielleicht zwischendurch ein wenig abgewandelt, aber letztlich bringe ich nichts anderes als eine Endlosschleife an Bitten um Verzeihung hervor.
Ich weiß nicht, wie lange ich so an ihm herumtupfe, aber irgendwann zieht er mich an sich und zwingt sich dazu, ihn anzusehen.
„Ich liebe dich, Kim. Du hast nichts falsch gemacht und ich kann keine Entschuldigung annehmen für etwas, das dieser nicht bedarf.“
Ich starre ihn einfach nur an. Vernünftige, zusammenhängende Sätze kann mein verwirrtes, in Schuld ertränktes Gehirn nicht liefern.
ANKER
In meinem Kopf rauscht alles. Wie der Sendersuchlauf in einem uralten Radio, das mit viel Glück noch einen klaren Sender empfangen kann. Hm, genau so geht es mir ja auch gerade.
Ich bin wie dieses Radio.
Ein Kanal kommt rein, ohne dass ich schreien, kreischen oder heulen will. Kim.
Tja, den Kanal habe ich heute extrem strapaziert und an den Rand seiner Leistungsfähigkeit gebracht. Ich bin ein unfaires, mieses Arschloch.
Wie soll er, der in den letzten Wochen einen Scheiß nach dem anderen erlebt hat, ausgerechnet jetzt die Kraft aufbringen, mich ein weiteres Mal aufzufangen?
Ich halte ihn im Arm, seitdem ich ihn aus dem Badezimmer ins Bett verfrachtet habe.
Es tut mir so leid, ihn um einen Tag auf einem Turnier gebracht zu haben, ihn von Lachen, Freunden und Spaß in diese Hölle geschickt zu haben. Aber ich kann nicht aus meiner Haut!
Er ist eingeschlafen. Vermutlich total erschöpft von der Kotzerei.
Ein Schniefen schallt viel zu laut durch den Raum. Ich streiche mit den Fingern durch sein schönes, schwarzes Haar und versuche, nicht zu sehr zu zittern.
Ihn jetzt aufzuwecken, wäre echt schlimm. Ich muss erst das Rauschen in meinem Kopf herunterregeln – wenn das überhaupt möglich ist, nach dem, was ich heute erfahren habe.
Zwei Väter … meine angeblich so fürsorglichen Eltern haben eine Dreierbeziehung mit einem anderen Mann … Einfach so!
Ich meine, ich bin wirklich nicht der Typ, der über fremde Beziehungen urteilt oder sie gar verteufelt, aber dass sie mich seit so vielen Jahren anlügen, lässt eine Sicherung in meinem Kopf durchbrennen.
Jedes Mal, wenn ich versuche, sie wieder umzulegen. Meine Synapsen brennen einfach durch. Mit einem Lichtblitz.
Ich glaube, ich wäre vorhin fast auf meine eigene Mutter losgegangen … meine Mutter … Ein verächtliches Schnauben kommt ohne Vorwarnung aus meiner Kehle.
Sie hat mich belogen. Mir nicht einfach nur etwas vorenthalten oder vor mir verborgen, nein, mein ganzes vergangenes Leben ist wie ein Minenfeld, über dem mich jemand in einem gigantischen Hamsterball abgeworfen hat.
Peng. Einfach so.
Immer wenn ich mich bewegen will, explodiert wieder etwas …
Ein lautes Schluchzen. Oh, das bin ich!
Wie konnte sie mir das antun? Wieso hat sie sich auf den Kompromiss eingelassen, dass ich acht Wochen bekomme, um zum Feuerried gehe, bevor sie meinen Vater – ha, einen von beiden, wohl eher! – informiert.
Wieso hat sie das getan? Wieso hat sie mir diesen angeblichen Freiraum gewährt, wenn sie gewusst hat, was ich über kurz oder lang herausfinden würde?
Ich versuche mir einzureden, dass das alles gar nichts so schlimm ist. Dass es eben Fakten sind, die weit in der Vergangenheit, zum Teil vor meiner Geburt liegen, aber dann bewegt sich Kim in meinem Arm und ich will einfach nur noch schreien, toben, meine Eltern mit bloßen Händen erwürgen weil sie – niemand sonst! – meinem Kim das alles angetan haben.
Anstatt klare Fronten zu schaffen, haben sie sich damals einfach verpisst und Ludwig allein gelassen.
Wie alt war er da? 25? Ist doch egal, oder?
Mitleid sucht mich heim, für einen Mann, der Kim so schreckliche Dinge angetan hat.
Müsste mich das nicht noch wütender machen?
Oh ja, das tut es auch! Aber ich habe begriffen, wer wirklich die Schuld an dem trägt, was auf dem Feuerried in den vergangenen Jahren abgegangen ist.
Wieso Kim, der schöne, zarte und so sensible Kim, sich in diesen Strudel von Intrigen, Gewalt und psychischem Druck hat ziehen lassen können.
Meine Eltern – das sind dann wohl drei Personen – haben das zu verantworten.
Nicht meine Mutter allein. Sie war immerhin konstant bei mir, hat sich gekümmert und mich aufgezogen. Hat mir ermöglicht, Tierarzt zu werden, ohne mir auch nur einmal vorzuwerfen, dass ich die Zucht meines Großvaters mit seinem Gestüt und allem nicht übernehmen will.
Ein schmerzhaftes Lächeln verzerrt mein Gesicht. Es tut wirklich weh, treibt Tränen in meine Augen.
Meine Wangen sind angespannt und fühlen sich fremd an, nicht zu mir gehörig. Wer bin ich?
Mein Name ist Maik Dexter. Mein Leben ist eine Lüge.
Ich bin Tierarzt. Mein Leben ist eine Lüge.
Ich bin 26 Jahre alt. Mein Leben ist eine Lüge.
Mein Vater ist Justin Fallner, meine Mutter ist Helen Dexter. Mein Leben ist eine Lüge.
Mein ‚zweiter Vater‘ ist Maik Christensen. Mein Leben ist eine Lüge.
Wieder regt sich Kim an mir. Ich spüre seine vom Schlaf warme Haut an meiner. Er ist echt. So schmerzhaft echt, dass mein Blick verschwimmt und mir endgültig die Tränen in die Augen treibt.
Er liebt mich und tut alles für mich. Sogar, wenn es ihn hinterher kotzend über die Kloschüssel zwingt.
Er tut alles für mich, selbst wenn ich ihm mit meinen Worten und Handlungen weh tue.
Ich ziehe ihn dichter an mich und halte ihn so fest ich kann. Niemals werde ich ihn loslassen. Nichts auf der Welt kann mich jetzt noch schockieren oder von ihm wegtreiben.
Wird er gehen?
Irgendwann? Werde ich das überleben, wenn ihm eines Tages klarwird, was für ein erbärmliches Wrack ich bin, weil meine eigenen Eltern mich dazu gemacht haben?
Ich schlucke hart und meine Tränen rinnen über seine nackte Schulter.
Hoffentlich wecke ich ihn nicht. Er braucht die Ruhe und ich brauche seine Wärme.
Der Druck in meinem Magen wird übermächtig, treibt weitere Tränen aus meinen Augen. Die Vorstellung, ihn zu verlieren, lässt mich kläglich winseln. Es klingt fremd und ich schließe hastig meinen Mund.
Nicht aufwecken. Ich darf ihn nich aufwecken!
Er soll nicht sehen, wie dicht ich vor dem Wahnsinn stehe.
In meinem Kopf, in meinem Herzen, in jeder einzelnen Faser meines Körpers ist Schmerz.
Ich verstehe einfach nicht, was ich ihnen angetan habe, dass sie mir dafür das hier antun.
Schniefend versuche ich, die Tränen unter Kontrolle zu bringen, blinzele und begreife erst Ewigkeiten später, dass ich in graue, wunderschöne Augen blicke.
Er ist wach. Mein Kim ist wach. Er sagt kein Wort, sieht mich einfach nur an und wartet.
Versinken will ich in diesen Augen, für immer. Nie wieder herauskommen. Wie ein heulendes Kleinkind will ich mich in ihm verstecken, sicher sein, in Sicherheit.
„Ich liebe dich“, flüstert er. Mehr nicht. Mehr ist nicht nötig.
Ich dränge mich an ihn und starre weiter sehnsüchtig in seine Augen.
Stunden vergehen, nichts ist, wie es war, und doch bleibt ein Aspekt meines Lebens echt und wahr.
Kim.
Nur er. Nur das, was mich mit ihm verbindet.
Er hält mich im Hier und Jetzt. Mit einem einzigen, atemlos machenden Blick.
Ich kuschle mich an ihn und hoffe, dass er niemals merken wird, wie krank mich alles um mich herum macht. Wie sehr er zu meiner Medizin, meinem letzten Anker in dieser Welt geworden ist.
Die Verantwortung will ich ihm gar nicht geben, aber er hat sie, einfach, weil er der Mann ist, den ich liebe.
STARK ODER SCHWACH?
Es ist bereits nach 19 Uhr, als ich es schaffe, Maik dazu zu überreden, etwas mit mir essen zu gehen. Nicht nur ich habe Hunger, das weiß ich genau.
Schließlich sind wir frisch geduscht und ziehen uns an. Mein Blick fällt dabei wieder auf die Striemen an Maiks Hüften und ich kann nur inständig hoffen, dass weder seine Pants noch die Jeans daran scheuern.
Die Übelkeit ist noch nicht ganz weg, aber der Hunger überwiegt einfach. Eine halbe Stunde später sitzen wir in meinem Wagen und fahren zu einem kleinen, gemütlich wirkenden Restaurant in der Innenstadt. Maik wirkt noch immer nicht entspannt, aber das wundert mich auch nicht. Ich ergreife seine Hand und lasse sie nicht los, solange es irgendwie geht.
Viel zu bereden gibt es nicht, ich habe eher den Eindruck, dass meine Nähe, meine bloße Anwesenheit, ihm besser hilft, als alle Worte des Trostes es könnten.
„Danke“, murmelt er irgendwann, nachdem wir unsere Nudelgerichte aufgegessen haben und er nach seinem Glas greift.
Ich lächle einfach. „Möchtest du Jers nicht anrufen, um ihm zu sagen, wo du bist?“
Maik schüttelt den Kopf. „Nein, er ist mit den anderen irgendwo unterwegs. Hat Timeon und Eric mitgeschleift. Vorhin kam eine SMS von ihm, dass wir uns keine Sorgen machen sollen … Als wenn ich das momentan könnte …“
Seine Stimme erstirbt und er wirkt so … klein.
Schwer zu ertragen für mich, ehrlich. Er ist doch mein Fels und mein Löwenherz, da hat es schon eine extreme Wirkung auf mich, ihn so zerbrechen zu sehen. Als könnte ich ihn zusammenhalten, umarme ich ihn, kaum dass wir das Lokal verlassen haben, und lehne mich einfach an ihn.
Vielleicht ist die einzige Chance, ihn aus diesem Loch zu holen, der Versuch, seine Stärke einzufordern. Ich bin unsicher, aber ich weiß von mir selbst, dass ich immer dann zur Höchstform auflaufe, wenn ich gebraucht werde.
„Ich brauche dich, Maik. Bitte vergiss das nicht, ja?“
Er sieht mich groß an. „Du mich?“ Ein ganz zaghaftes Lächeln huscht über seine Lippen, dann strecke ich mich und küsse ihn.
„Ja, ich dich. Es gibt keinen wichtigeren Menschen für mich. Es … bitte verzeih, dass ich mich heute Morgen so eingemischt habe, aber ich war und bin mir einfach sicher, dass du Helen nicht schlagen wolltest. Deshalb musste ich dich einfach davon abhalten. Sie alle haben kein Recht dazu, dir ein schlechtes Gefühl zu geben. Keiner von den dreien. Ich fürchte fast, sie alle haben einfach nicht einkalkuliert, was für Kreise ihr Verhalten vor deiner Geburt noch nach sich ziehen könnte.“ Ich spreche hastig und kaum artikuliert. Die Gedanken wollen alle zeitgleich aus mir heraus.
„Ich weiß“, seufzt er. „Aber das macht es nicht besser, verstehst du?“
Ich nicke. Nichts wird das hier besser machen. Was passiert ist, entbehrt nicht nur jeglicher Rechtfertigung, es war im Nachhinein wohl auch total sinnlos.
Hätten die drei Lu damals reinen Wein eingeschenkt, wäre nichts so schrecklich eskaliert, oder?
Ist das eine vage Hoffnung meinerseits oder eine Tatsache?
Ich weiß es nicht. „Was ist dir wichtig in deinem Leben? Also im Jetzt. Ohne Vergangenheit und Zukunft.“
„Du“, sagt er fest. „Nur du.“
Ich schließe kurz die Augen, weil mich schlichtweg übermannt, wie viel Liebe und Kraft in diesen wenigen Worten liegt.
„Du auch für mich. Da bist nur du, Maik. Mehr brauche ich nicht. Mehr will ich nicht.“
Er drückt mich an sich und zum ersten Mal, seitdem wir das Gespräch mit Helen hinter uns haben, erscheint mir diese Berührung stark und echt, nicht von Verzweiflung, sondern von Liebe erfüllt.
Mein Maik ist da, jetzt, ganz nah.
Trotzdem ist das hier ganz sicher nicht die Lösung aller Probleme. Eine Flucht wäre das ebenso wenig.
Dabei hätte ich nichts dagegen, unsere Pferde einzusammeln und abzuhauen, irgendwo neu anzufangen, einfach so.
Meine Logik stellt diesem Gedanken allerdings sofort ein Bein.
Was wir beide in Wahrheit brauchen werden, ist eine Therapie, um die letzten Wochen zu verdauen. Das Auf und Ab, die verrückten neuen Erkenntnisse, meine Sucht nach seiner Nähe …
Ich schlucke hart. Oh ja, die zuerst! Ich will ihm niemals wieder weh tun beim Sex. Niemals!
„Können wir ins Hotel zurückgehen?“, bittet er mich und ich nicke spontan.
„Ja, machen wir. Komm!“ Ich ergreife seine Hand, verschränke meine Finger mit seinen und setze mich in Bewegung.
~*~
Es gibt sie, diese Nächte, in denen man mit einem Schrecken hochfährt und sich doch nicht traut, durch die Dunkelheit zu blicken, aus Angst, die Schatten des Alptraumes hätten einen in die wache Welt verfolgt.
Mit hart pochendem Herzen sitze ich kerzengerade da und versuche, meine Angst und meinen hektischen Atem gleichermaßen in den Griff zu bekommen.
Zwecklos. Meine Rechte tastet neben mich. Da ist es warm und … Maik!
„Maik!“, wispere ich in höchsten Tönen. „Maik!“
„Was hast du?“, nuschelt er und ich höre das Rascheln der Bettdecke, spüre seine Hand an meiner Schulter und seinen Atem, der sanft und heiß über mein Gesicht streicht.
In der Dunkelheit aber bringt mich all das nur zum Zittern.
„Alptraum“, bringe ich heraus und eine halbe Sekunde später hält er mich. So sanft, so weich, dabei gibt er mir dennoch das Gefühl, dass mir nichts und niemand mehr etwas anhaben kann.
„Soll ich das Licht anmachen?“, schlägt er vor.
„Nein, ich … Halt mich einfach fest, ja?“ Das Zittern lässt nicht nach und trotzdem ärgere ich mich, dass ich ihm das jetzt abverlange, wo ich doch eigentlich für ihn da sein will und muss. Immerhin hat er sicher noch sehr lange an dem zu knabbern, was Helen ihm gesagt hat …
„Ich habe Angst um dich, Kim. Solche Angst!“, murmelt er und drückt mich an sich. „Irgendwie habe ich das Gefühl, jeden Augenblick durchzudrehen und … na ja, du bist bei mir … ich will dir nicht weh tun!“
Meine Arme schlingen sich um ihn. „Ich habe dir schon weh getan …“
„Hast du nicht. Du bist hier, bei mir. Alles wird wieder gut, okay?“
Ja, super! Ich meine, klar! Ich will ja auch, dass alles wieder gut wird, aber … kann es das überhaupt?
„Wenn du mich nicht allein lässt, kann es das, ja.“
Ich fühle mich geborgen und beschützt in seinen Armen. Und doch weiß ich, dass all seine Muskeln ihn und mich nicht vor dem bewahren werden, was in den nächsten Wochen noch auf uns zukommen kann und wird.
Ich mache mir keine Illusionen. Das verbietet die Logik.
Liebe wird nicht alles retten können, das uns in den Abgrund zu ziehen droht.
SONNTAG, 28. JULI
EINLADUNG
Das Frühstück mit Kim, Timeon, Eric und Jeremy ist angenehm albern. Ich lasse mich gern davon ablenken, dass meine Welt, oder besser meine Vergangenheit, absolut in Trümmern liegt.
Meine Gegenwart nicht. Also, ein Teil davon nicht. Kim.
Ich sehe ihn an und greife unter dem Tisch nach seinem Oberschenkel, spüre sofort, wie er seine Hand auf meine legt und leicht drückt, während er mich anlächelt.
Ja, das hier ist echt und wahr. Kim und ich.
So ungleich wir auch sein mögen, eine Sache verbindet uns stärker als irgendetwas anderes es könnte.
Schmalzige, kitschige, herrlich warme, wohltuende Liebe.
Ich lächle dankbar zurück und beuge mich zu ihm, um ihn zu küssen.
„Mann, euer Geturtel ist echt … grenzwertig, Jungs!“, teilt Timeon uns mit genervtem Ton mit.
„Klappe zu, Kleiner. Wenn Erwachsene sich küssen, hast du zu schweigen und andächtig zuzusehen!“, bescheidet Kim ihm und alle lachen. Ich auch. Es tut gut.
Das Jetzt und Hier ist so angenehm und leicht. Wird das so bleiben, wenn ich nachher meiner Mutter wieder begegne?
Das ist unvermeidlich. Immerhin ist sie auch heute auf dem Turnier und sie ist Jeremys Boss.
Ich hoffe nur, sie versucht nicht, noch einmal mit mir zu sprechen. Ich habe wirklich Angst, dann auszuflippen, ohne dass Kim mich zurückhalten kann.
Denn da hat er vollkommen recht, ich war kurz davor, meiner eigenen Mutter an die Gurgel zu gehen, nur weil sie mir endlich die Wahrheit gesagt hat.
Schon bitter. Wahrheit kann eben doch weh tun. Sogar sehr.
Aber die Wahrheit, die hier gerade meine Hand hält, schmerzt nicht. Nicht mehr. Zu froh bin ich, dass er mir Halt gibt und mich trägt, wann immer ich nicht mehr aus eigener Kraft laufen kann.
Kim, mein Kim. Für den ich alles tun würde – und werde!
„Bist du fertig?“, erkundigt sich Jeremy und nickt auf meinen leeren Teller.
Ich trinke meinen Kaffee aus und nicke. „Ja, satt und zufrieden.“
Er lächelt. Mein bester Freund macht sich Sorgen um uns. Nicht nur um mich, das weiß ich einfach.
„Wer fährt bei wem mit?“, fragt Jeremy in die Runde, als er aufsteht.
„Ist doch egal, wir müssen eigentlich nicht mal mit zwei Wagen fahren“, sagt Kim und grinst. Das ist wahr. Jeremy fährt einen ebenso großen Geländewagen wie Kim. In jeden davon passen wir zu fünft ganz locker hinein.
„Ich will Salih noch einsammeln. Der ist doch in einem anderen Hotel diesmal. Sein Bruder ist zu Besuch.“
Ah, das erklärt die Fragerei.
„Dann fahren wir bei dir mit, Kim“, beschließt Timeon mit einem erstaunlich harten Ton.
Ich ignoriere das trotzdem. Mir fehlt der Nerv, um mich um anderer Leute Probleme oder Befindlichkeiten zu sorgen. Für mich zählt derzeit nur Kim.
Natürlich weiß ich, dass das nicht fair Jeremy gegenüber ist, aber ich hoffe einfach, dass er es verstehen wird, wenn ich es ihm irgendwann erkläre.
~*~
An den Boxen von Jeremys Pferden ist meine Mutter jedenfalls nicht, als wir dort ankommen. Gut so.
Ich schäme mich ein wenig, weil ich so erleichtert durchatme und mir die Beine von Jam ansehe. Er hat laut Jeremy gestern einen Schlag vor das Sprunggelenk bekommen, als ihm eine der Hindernisstangen hinterhergefallen ist.
Es fühlt sich gut an, der Wickel, den ihm die Pfleger gemacht haben, scheint gewirkt zu haben, und der Hengst lahmt auch nicht mehr. Bei Portos, der dieses Wochenende sein zehntes Turnier in Folge geht, ist auch alles in Ordnung und ich richte mich zufrieden wieder auf.
„Herr Dexter?“ Ein geschäftig aussehender Mitarbeiter des Ausrichters läuft an den Boxen vorbei zu Kim, als ich wieder hinaustrete.
„Hier. Ich bin Maik Dexter.“
Der Mann macht kehrt und sieht mich an. „Ah, das ist gut! Ich bin zwar eigentlich kein Bote, aber der Mann im Meldebüro war so nett, dass ich ihm seinen Wunsch nicht abschlagen konnte!“, sagt er und wedelt mit einem Umschlag herum. „Das hier ist für Sie.“
Ich nehme ihm das Kuvert ab und drehe es in den Händen. Als Adressat stehe ich darauf, als Absender stehen nur die Initialen M. C. oben links in der Ecke.
„Ist …? Ist der Mann noch im Meldebüro?“, frage ich.
„Nein, tut mir leid, er sagte, er müsse gleich wieder los. Wir wollten ihm erst den Weg hierher beschreiben. Aber er war wirklich nett! Stimmt ...? Ich meine … Ist etwas nicht in Ordnung mit dem Brief?“
Gute Frage, woher soll ich das denn wissen? Ich werfe einen hilfesuchenden Blick zu Kim, der mit Jeremy und einem Pfleger spricht und trotzdem sofort bemerkt, dass ich ihn brauche. Wie macht er das? Ein sechster Sinn?
Egal!
„Nein … Danke. Haben Sie vielen Dank!“, erwidere ich und der junge Mann wendet sich zum Gehen.
„Dafür nicht, Herr Dexter. Haben Sie einen schönen Tag!“ Er hebt noch einmal die Hand zum Gruß und geht davon. Ich sehe die Stallgasse hinab hinter ihm her und Kim taucht neben mir auf.
„Was ist das für ein Brief?“
„Ich habe keine Ahnung, aber mir fällt spontan nur eine Person ein, die als Initialen M. C. trägt“, gebe ich mit düsterem Ton zurück und reiche Kim den Umschlag. „Ich will das nicht lesen! Bitte wirf es weg oder verbrenn es, mir egal.“
„Maik! Wie willst du vor etwas flüchten, das immer wieder auftauchen wird, weil es deine eigene Vergangenheit ist?“, fragt er so treffsicher, dass ich ihn blinzelnd ansehe.
„Woher weißt du …? Ich meine … weißt du, wer M. C. ist?“
Er nickt. „Dein Namensgeber. Maik Christensen. Dein … zweiter Vater, wenn man so will.“
„Ich will aber nicht!“, fauche ich ihn an und er weicht tatsächlich einen Schritt zurück. Sofort tut es mir leid. „Sorry, Kim. Bitte, das … überfordert mich!“
Bevor er etwas sagt, nimmt er mich in die Arme und drückt mich einfach an sich. „Ich bin hier und ich werde dich begleiten, wo auch immer du hingehen willst. Ein Weg, okay? Wir haben einen gemeinsamen Weg, Maik. Niemand wird das verhindern, wenn wir beide es nicht tun.“
Wenn wir beide es nicht tun? Nein, ich kann mir nicht einmal vorstellen, einen anderen Weg einzuschlagen. Einen ohne Kim. Undenkbar.
Ich nicke. „Danke!“
„Bedank dich, wenn wir diese ganze Scheiße hinter uns haben und endlich wieder Luft zum Durchatmen finden, Löwenherz“, murmelt er an meinem Hals und ich drücke ihn ebenso fest an mich, wie er mich an sich.
„Ich liebe dich!“, raune ich zurück. Der Umschlag knistert, als er mich auf Abstand bringt. Kim hält ihn mir wieder hin.
„Du musst das selbst tun, Maik. Egal was drin steht, ich stehe hier neben dir, okay?“
Ich nicke. Verdammt, ich bin 26 und nicht 15! Da sollte ich wohl in der Lage sein, mich so weit zusammenzureißen, oder?
Mit einem Ruck drehe ich das Kuvert und schiebe meinen Daumen in die Lasche, um es aufzureißen.
Die Papiere darin sind eine feste Klappkarte und ein gefaltetes Din-A4-Blatt.
Ich schlucke hart und ziehe beides ganz heraus. Kim nimmt mir den leeren Umschlag ab und ich klappe zuerst die Karte auf.
In geschwungener Handschrift, groß und leicht schräg gestellt, steht dort, dass Kim und ich heute Mittag zum Lunch in ein Restaurant hier in der Stadt eingeladen sind. Ich schnaube hart und reiche Kim die Einladung.
„Will da nicht hin“, brumme ich sofort, doch Kim sieht mich lächelnd an.
„Lies erst das andere, dann kannst du entscheiden und ich werde jede Wahl mittragen. Versprochen“, ermutigt er mich auf seine unnachahmliche Art.
Ich sehe ihn glaube ich ziemlich verliebt an für diesen Ausspruch. Ein Nicken, dann falte ich das Blatt auseinander und lese.
Die gleiche Handschrift. Gut leserlich und irgendwie sympathisch, also, gesetzt den Fall, eine Schrift kann sympathisch sein …
Lieber Maik,
Mir ist durchaus bewusst, dass Du die Einladung am liebsten rundweg ablehnen würdest, aber ich bitte Dich, lies zuerst diese Nachricht von mir, bevor Du entscheidest.
Ich lasse das Blatt sinken und starre Kim an.
„Was ist?“, fragt er und tritt dicht neben mich, nachdem in auffordernd auf das Papier genickt habe. „Oh. Na also, er sieht das genauso wie ich.“
Gemeinsam lesen wir weiter.
Ich möchte Dir erklären, wieso Du den gleichen Vornamen hast wie ich, und auch, was vor Deiner Geburt geschehen ist. Letzteres nicht in diesem Brief, da ich es für besser halte, es Dir in einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht zu sagen.
Als wir uns zu dritt dazu entschlossen, Dich zu bekommen, fiel es uns nicht leicht, zu entscheiden, ob Du nun Justins oder mein Sohn sein würdest. Wir wollten Dich auf natürlichem Wege zeugen, denn in unseren Augen verdientest du genau das. In einem Akt der Liebe entstanden zu sein.
Das mag für Dich jetzt vollkommen verrückt klingen, aber so geschah es schließlich auch.
Helen wurde schwanger und Du warst ab jenem Zeitpunkt, nein, eigentlich schon seit unserem Entschluss, der Mittelpunkt unseres Lebens. Ein Kind, welches aus der Liebe dreier Menschen entstanden ist.
Letztlich entschied die Natur, wessen Samen Dich entstehen ließ und ein Gentest ergab nach Deiner Geburt, dass Du, biologisch betrachtet, das leibliche Kind von Justin Fallner und Helen Dexter bist.
Wir wussten vorher, dass nur einer von uns wirklich Dein Vater sein konnte, und Justin war der Glückliche. Deshalb bekamst Du meinen Vornamen. Als Zeichen, dass Du ebenso mein Sohn bist.
Du kannst Dir vielleicht nicht vorstellen, wie schwierig unsere Situation schon damals war. Eine Dreierbeziehung bestehend aus einer Frau und zwei Männern, die sich alle gegenseitig liebten und nichts weiter wollten, als glückliche Eltern zu sein.
Wir waren es nie.
Helen nicht, weil sie mit Dir allein in England blieb, Justin und ich nicht, weil wir nicht bei Dir sein konnten.
Ich erwarte nicht, dass Du Mitleid mit einem von uns entwickelst, ich bitte Dich nur darum, uns nicht zu verurteilen für den Wunsch, Dich haben zu wollen. Zu dritt.
Wir alle lieben Dich. Im Hintergrund haben wir immer beobachtet und aufgepasst, aber öffentlich zusammen sein konnten wir nie. Nicht mit Helen, nicht mit Dir.
Unser Wunsch war es, dass Du unbedarft und behütet aufwächst, dass Du Dich niemals für die verrückte Beziehung Deiner drei Eltern zu schämen brauchst, dass Du Deinen Weg gehen kannst, ohne Hänseleien, Verfolgung durch Reporter oder Neugierige.
Was soll ich sagen? Wir haben zu lange geschwiegen.
Du verdienst die volle Wahrheit, nicht erst jetzt, wo Du einiges schon ohne unsere Hilfe herausgefunden hast. Aber die volle Wahrheit wirst Du nur von uns erhalten können.
Deinen drei Eltern.
Ich flehe Dich deshalb an, komm zu diesem einen Termin, um den wir Dich bitten.
Maik Christensen
P. S.: Ich würde Deinen Freund Kim sehr gern kennenlernen. Nicht nur, weil wir ihn um Verzeihung bitten müssen.
Ich schnaube erneut auf und lasse das Papier sinken. Der Nachsatz ist die pure Frechheit!
„Auf keinen Fall!“, zische ich.
Kim sieht mich an. „Auf keinen Fall was?“
„Werde ich erlauben, dass sie versuchen, sich bei dir mit einer simplen Bitte um Verzeihung aus der Verantwortung zu stehlen!“, erkläre ich und spüre selbst, dass mein Ton viel zu scharf ist.
„Das hatte ich auch nicht erwartet“, erklingt eine Stimme hinter uns und ich fahre herum.
Der Mann, der dort steht, ist Maik Christensen. Hochgewachsen, schlank, blond und noch immer gutaussehend. Ich kenne ihn seit so vielen Jahren und doch ist es, als sähe ich ihn zum ersten Mal.
Er trägt Jeans, Karohemd und eine Wildlederjacke. In deren Taschen hat er seine Hände geschoben.
Ich bin wie gelähmt. Das da ist … mein zweiter Dad, ob ich das nun will oder nicht. Und mir wird bewusst, dass ich gegen ihn nicht den gleichen Groll hege wie gegen Justin und Helen. Wieso nicht?
Stirnrunzelnd mustere ich ihn. Er steht noch immer gute fünf Schritte von uns entfernt und macht keine Anstalten näher zu kommen.
„Was hattest du denn erwartet?“, zische ich und mir ist furchtbar egal, ob uns noch jemand hört. Kims Hand findet meine und umfasst sie.
„Dass du wütend bist und unversöhnlich. Dass du uns die Schuld gibst an den Dingen, die auf dem Feuerried geschehen sind.“ Er spricht so ruhig – und lustigerweise mit einem Akzent!
Witzig ist das sicher nicht, weder seine Aussprache noch das, was er sagt.
„Wem sonst?“, frage ich nur.
„Ich hätte euch das gern erspart.“
„Ach?“ Ich lache hart auf. „Wieso hast du dann zugelassen, dass mein Erzeuger dort auftaucht und Ludwig so wahnsinnig macht? Wieso hast du das nicht verhindert?! Du kannst mir nicht sagen, dass du nicht zumindest befürchtet hast, dass so etwas geschieht, nachdem du wusstest, wie Kim aussieht! Nachdem du wusstest, wie sehr Ludwig noch immer unter der Trennung von Justin leidet!“
„Ich war nicht in der Nähe, Maik.“
So einfach ist das? Ein ‚ich war nicht da, deshalb konnte ich nichts tun‘ soll rechtfertigen, dass mein Erzeuger die Vergewaltigung an Kim geradezu herausgefordert hat?
„Komm, Kim. Ich will kein Wort mehr hören.“
„Bitte, Maik! Niemand hat gewollt, dass Kim zum Leidtragenden wird.“
„Operation gelungen – Patient tot, würde ich sagen!“, fahre ich ihn an und wende mich ab. Das hier ist nicht mein Leben. Das war es nie und das wird es nicht mehr werden.
Drei Eltern, die mich belogen, mir die wichtigsten Details meiner Entstehung, meiner Familie verschwiegen haben.
„Maik!“
Ich stocke. Ich weiß, wenn ich jetzt gehe, werde ich keinen von ihnen jemals wiedersehen. Mein Kopf dreht sich noch einmal zu ihm.
„Wir haben Fehler gemacht, weil wir dich beschützen wollten. Nicht, weil wir dich oder deine Gegenwart so verletzen wollten.“ Er seufzt tief und bewegt sich noch immer nicht. Sein Kopf sinkt etwas nach vorn. Er wirkt plötzlich so müde, wie ich mich fühle.
„Es gibt unverzeihliche Fehler … Dad . Einen davon habt ihr begangen. Mindestens“, werfe ich ihm hin. Tja, seitdem ich Kim kenne und ihm ständig weh tue mit meinen Worten, scheine ich ein echter Profi auf dem Gebiet geworden zu sein. Wer immer am Boden liegt, kriegt von mir noch ein paar verbale Tritte.
Nein, so will ich nicht sein!
Schweigen, dann frage ich leise: „Hast du gewusst, dass Justin zu Ludwig gehen würde?“
Er schüttelt den Kopf und sieht mich wieder an. Nein, falsch, er sieht Kim an, der kerzengerade neben mir steht. Wie ein Standbild. Einmal mehr wirkt er wie ein selbstbewusster Dressman oder einfach wie ein Mann, der …
Ich schlucke. „Du bist der schönste Mann der Welt, Kim“, brabbele ich und blinzle ein paarmal. Wie er da steht, strahlt er Perfektion und Eleganz aus, die sich in ihrer selbstbewussten Wirkung auch auf mich überträgt. Er bietet mir gerade enormen Halt – als würde er sonst etwas anderes tun!
Ein feines, beinahe arrogantes Lächeln kräuselt Kims Mundwinkel für eine oder zwei Sekunden. „Das bin ich nicht, aber vielen Dank. Es wäre trotzdem schön, wenn du dich wieder auf das Wesentliche konzentrieren könntest.“
Oh, ja. Da war was. Wesentlich. Ich blinzle noch ein paarmal und sehe wieder nach vorn.
„Es tut mir leid, Kim. Nichts kann das Geschehene rückgängig machen, und ich habe kein Recht, dich um Verzeihung zu bitten. Dennoch möchte ich es versuchen.“
Kim nickt. „Niemand hätte das verhindern können. Nicht nach dem, was mit Lu an jenem Tag passiert ist.“
„Darum geht es also? Ist so einfach, sein schlechtes Gewissen loszuwerden, was? Man heuchelt eine kleine Entschuldigung und schwallert von Unabdingbarkeiten und schon ist alles wieder gut?!“, fauchte ich. „Vergiss es, Maik! Selbst wenn Kim in seiner Freundlichkeit verzeihen kann, ich kann es nicht! Du hast ja keine Ahnung, wie es ist! Wie es war, ihn so vorzufinden!“
Ich kann nicht mehr. Plötzlich sind meine Akkus leer, mein Kopf ebenso. Aus mir sprechen nur noch Schmerz und meine Gefühle. Nichts von dem, was ich sage, habe ich gedacht.
„Ihr verdient es nicht, Maik. Keiner von euch. Nicht Kims Verzeihung, nicht meine. Es gibt sie nicht. Nicht für das, was ihr getan habt!“
„Das weiß ich. Dennoch wollte und musste ich meinem Wunsch danach Ausdruck verleihen.“
Wie kann er so ruhig bleiben, wenn ich ihn anbrülle und meine Zähne verbal in sein Fleisch hacke, als wollte ich Stücke davon herausreißen?
„Werden Helen und Justin auch dort sein?“, frage ich und hebe die Hand mit der Einladung.
Maik presst die Lippen aufeinander und nickt. „Wir alle. Das … wenn ihr kommt, werden wir in einer Suite des Hotels essen, in welchem das Restaurant sich befindet. Wir wollten, dass ihr sagen könnt, was immer ihr wollt, ohne euch beherrschen zu müssen.“
Ich sehe auf die Einladung. „Ich wäre nicht gekommen.“
Er nickt wieder. „Ich weiß. Deshalb bin ich hier.“
„Woher kennst du mich so gut?“
Jetzt lächelt er ganz leicht. „Ich lebe seit über 26 Jahren mit deinem Vater zusammen, zwischenzeitlich auch mit deiner Mutter. Auch wenn du das sicher nicht gern hörst, du bist ihnen sehr ähnlich.“
IN DER HÖHLE DER LÖWEN
Ein ganz gewöhnlicher Sonntag wäre mir wirklich lieber gewesen als dieser hier. Maik wirkt nervös bis zu einem Grad körperlicher Anspannung, der mir Angst machen will.
Er umklammert den Haltegriff an der Beifahrertür so fest, dass seine gesamte Hand schneeweiß wirkt, sein Kiefer ist starr, er sieht nach vorn aus dem Wagen und reagiert nicht, wenn ich ihn anspreche, während wir durch die Straßen zu jenem Hotel fahren, in welchem wir in wenigen Minuten zunächst Maik Christensen, dann auch Justin Fallner und Helen Dexter wiedersehen werden.
Ich atme tief durch und parke hinter dem Hotel ein, schnalle mich ab und sehe Maik einfach nur an.
Meinen Maik, mein Löwenherz, für das ich momentan so viel Mitgefühl und Liebe in mir spüre, dass ich platzen könnte.
„Es ist Zeit“, sage ich leise und doch zuckt er erschrocken zusammen und wendet den Kopf zu mir.
„Ja.“
Trotz seiner Bestätigung macht er keinerlei Anstalten, auch nur den Gurt zu öffnen. Ich seufze, steige aus und gehe zu seiner Tür. Öffne sie und beuge mich zu ihm.
Zuerst ein Kuss, während ich sein Gesicht umfasse, dann ein Lächeln, hoffentlich aufmunternd genug, anschließend löse ich seinen Gurt und ergreife seine Hände, um ihn sanft, aber bestimmt, aus dem Rover zu bekommen.
Es wäre gelogen zu sagen, dass ich nicht ebenfalls nervös bin. Immerhin habe ich noch nie mit den … drei Eltern von Maik gleichzeitig gesprochen.
Aber so extrem, wie seine Gefühle ihn verwirren müssen, kann es bei mir nicht werden. Daran halte ich fest, ohne auch nur zu versuchen, mich weiter in seine Lage zu versetzen. Ich weiß einfach, wenn ich das täte, fehlte mir die Kraft, um ihn aufzufangen.
Und ich werde ihn auffangen müssen. Nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus Liebe.
„Komm, lass uns hineingehen. Maik wartet sicher schon im Foyer auf uns.“
Er nickt und ich löse eine meiner Hände, um die Beifahrertür zuzuwerfen, dann drücke ich seine andere Hand in meiner und ziehe ihn sanft mit mir.
Vielleicht ist das falsch. Vielleicht müsste ich hinter ihm hergehen, ihm die Entscheidungen überlassen, aber das kann ich jetzt gar nicht.
Dass er kalte Füße hat, sehe ich ihm an, weiß aber auch, dass er vorhin auf dem Turnier ganz klar seinen Willen zu diesem Gespräch demonstriert hat. Nach dem Gespräch mit dem anderen Maik.
Durch einen Seiteneingang betreten wir das Erdgeschoss des Hotels und landen in einer mit dunkelgrünem Teppich ausgelegten Halle. Die Rezeption ist gut ausgeleuchtet und von vorn vollkommen verspiegelt, was den Raum noch größer wirken lässt.
In einer der Sitzgruppen aus schwarzem Leder sehe ich den zweiten Vater von Maik und steuere ihn an. Mittlerweile geht mein Liebster neben mir und wirkt auch nicht mehr ganz so verkrampft.
Ich hoffe wirklich, dass sich diese Anspannung nicht in blanke Wut wandelt, sobald er Justin trifft.
Dem könnte ich selbst auch gut und gern einen Fausthieb auf die Zwölf geben, aber ich weiß auch, dass ich das nie tun würde.
Gewalt war nie etwas, das ich anderen angetan hätte. Wenn ich so darüber nachdenke, bin es wohl eher ich gewesen, dem man sie immer wieder angetan hat.
Nun ja, ich habe es ja auch mit mir machen lassen.
Maik Christensen erhebt sich, als er uns bemerkt, kommt uns aber nicht entgegen.
Keine Ahnung, wieso, aber ich habe den Eindruck, dass er sehr genau weiß, wie es seinem Nicht-ganz-Sohn gehen muss. Vielleicht besitzt er einen Instinkt, der ihn zurückhält?
Was immer es sein mag, es beruhigt meinen Maik weiter. Als wir schließlich vor dem blonden Mann stehen, lächelt er sogar ganz kurz.
„Hey.“
Unser Gegenüber erwidert das Lächeln. „Hey. Wollen wir nach oben gehen?“
Maik nickt und sieht sich beinahe sofort nach den Aufzügen um.
„Folgt mir, da entlang.“
Durch eine große Glastür geht es in einen breiten Flur und dort sehen wir auch die zwei Aufzüge, von denen der rechte uns binnen weniger Augenblicke nach oben bringt. In den vierten Stock.
Auch hier liegt der allgegenwärtige, dunkelgrüne Teppich und ich frage mich absurderweise, wie viele Staubsauger es in diesem Hotel geben mag.
Vor einer rotbraunen Tür mit einem Goldschildchen bleiben wir stehen.
Von drinnen ist nichts zu hören, und anstatt zu klopfen, zieht Christensen eine Schlüsselkarte heraus und führt sie in das Schloss ein.
Mit einem leisen Klicken weicht die Tür nach innen und wir folgen ihm hinein. Ein Flur, eine offen stehende Tür. Nun auch Stimmen.
Natürlich, Helen und Justin werden sich kaum abwartend anschweigen …
„Herrgott, Helen! Wir haben Fehler gemacht, aber denkst du wirklich, dass er uns deshalb nicht mehr sehen will?!“ Unverkennbar Justins tiefe Stimme.
„Du hast ja nicht vor ihm gesessen wie ein hypnotisiertes Kaninchen, als er sich auf dich stürzen wollte!“, erwidert Helen mit hörbarer Panik in der Stimme.
Maiks Hand schlingt sich fester um meine Finger und er bleibt stehen, um mir einen Blick zuzuwerfen. Er hat ein schlechtes Gewissen, das kann ich gut erkennen.
Aufmunternd lächle ich. „Du hast ihr nichts getan, beruhige dich. Egal was hier jetzt passiert, nachher fahren wir zusammen von hier fort und leben unser Leben, okay?“
Er nickt und bevor ich es richtig kapiere, zieht er mich zu einem hungrigen, ja beinahe hilfesuchenden Kuss an sich, umfängt mich und gibt meinen Mund erst wieder frei, als Christensen sich leise räuspert.
Wir sehen ihn an und trennen uns voneinander, allerdings ist es diesmal Maik, der sofort nach meiner Hand greift und unsere Finger miteinander verschränkt.
Eine so liebevolle Geste, die gleichzeitig Zusammengehörigkeit, Untrennbarkeit und Halt vermittelt. Je nachdem, ob man von außen guckt oder es fühlen darf wie ich gerade.
„Ich liebe dich!“, flüstere ich und wir betreten hinter Christensen den hellen, sehr großen Raum, der links eine Wohnlandschaft und rechts eine große Essecke mit sechs Stühlen beherbergt.
„Wir sind da“, verkündet Christensen überflüssigerweise und erwirkt damit doch einen gewissen Effekt, denn Justin und Helen fahren zu uns herum und schweigen abrupt.
Das fällt mir nur auf, weil Stille einkehrt. Was sie davor noch gesagt haben mögen, ich habe es nicht mitbekommen.
VERHÄRTETE FRONTEN
Ich hätte wirklich erwartet, dass Maik sich neben Justin und Helen stellt, zu einer Dreierfront uns gegenüber wird, aber das tut er nicht.
Stattdessen zieht er seine Jacke aus, nimmt uns unsere ab und bringt sie in den Flur zurück, während meine Eltern, also die zwei, von denen ich ja immer schon wusste, uns nach wie vor schweigend mustern.
Helen fasst sich zuerst und kommt ein wenig zaghaft auf uns zu. „Schön, dass ihr da seid. Ich hatte große Angst, dass wir uns gestern zum letzten Mal gesehen hätten.“
Das klingt wirklich traurig. Glaubt sie echt, mich dermaßen schlecht erzogen zu haben?
Nein, vermutlich kennt sie mich einfach nur gut genug. Sie weiß, dass ich ein solches Verhalten mir gegenüber niemals gutheißen kann.
„Vielleicht ist dieses hier das letzte Mal“, erwidere ich und sehe, wie sie zusammenzuckt.
„Reiß dich gefälligst zusammen, Junge! Du bist 26 und solltest durchaus in der Lage sein, dich erwachsen zu benehmen.“ Das wagt Justin zu sagen. Einfach so.
Meine Hand verkrampft sich in Kims, und wenn ich nicht genau wüsste, dass er mich festhalten wird, müsste ich den Raum jetzt verlassen.
„Du sprichst gefälligst nicht in diesem Ton mit mir!“, fahre ich ihn an und sehe, dass Helen noch einmal zusammenzuckt. „Wenn ich nur daran denke, dass ich den Rufmord an dir aufklären wollte, dass ich Beweise für deine Unschuld finden wollte, wird mir speiübel!“
„Was wühlst du auch in der Vergangenheit herum?“, fragt er provokativ und ich habe nun wirklich Mühe, ruhig zu bleiben. Wirft er mir gerade vor, dass ich mich für ihn einsetzen wollte?! Das ist so eine bodenlose Frechheit!
„Ja, gute Frage. Was ich herausfinden musste, spottet aber tatsächlich jeder Beschreibung und immerhin weiß ich jetzt, was für ein verlogener, hinterhältiger Bastard du bist“, spucke ich ihm hin und er macht ein paar wütende Schritte auf mich zu.
„Wagen Sie es nicht, ihm näher zu kommen“, zischt es plötzlich neben mir. Kim spricht nur durch geschlossene Zahnreihen, aber tatsächlich bremst Justin abrupt ab und blinzelt meinen Freund perplex an.
„Justin, bitte!“, beginnt Helen. „Deine aufbrausende Art hilft uns hier gerade nicht weiter, so liebenswert sie auch sonst sein mag.“
„Liebenswert?!“, echoe ich perplex. „Frag mal Kim, wie wahnsinnig liebenswert sie sich das letzte Mal auf Ludwig ausgewirkt hat! Frag ihn!“
Auffordernd aber schweigend sieht Helen meinen Freund an. Der seufzt und lässt kurz den Kopf sinken. Dann sieht er Justin genau in die Augen und spricht.
Ich muss mich während seiner kalten, harten Worte an ihm festklammern, um nicht den Boden unter den Füßen erneut zu verlieren. Ich kann nicht fassen, dass ich dem wahren Schuldigen gegenüberstehe und ihn nicht einfach mit bloßen Händen erwürgen darf für das, was er getan hat.
„Er hat an jenem Abend nach Ihrem Besuch nicht mich, sondern Sie vergewaltigt. Das dachte er zumindest. Nichts was Sie sagen oder machen, wird das wieder einrenken. Sie haben Ludwigs letztes bisschen Verstand auf dem Gewissen.“
Justin öffnet den Mund und schließt ihn wieder, ohne etwas zu erwidern. Was auch? Käme ja doch nur Scheiße bei heraus, oder nicht?
„Tu nicht so, als wäre das eine Neuigkeit“, verlange ich. „Du wusstest, dass du Ludwig endgültig erledigt hattest. Der arme Mann kam heulend zu mir und bat mich, nach Kim zu sehen. Er hat mittendrin kapiert, was er getan hat, im Gegensatz zu dir, Vater !“
„Das habe ich nicht gewollt.“
„Und das macht es besser?! Du hattest Kim gesehen, du wusstest, wieso er dort war! Du hast sogar die Frechheit besessen, es Kim ins Gesicht zu sagen!“, sage ich und bemühe mich noch immer um Ruhe. Woher ich sie nehmen kann, verstehe ich selbst nicht ganz. Vielleicht sauge ich sie einfach rücksichtslos über unsere Berührung aus Kim heraus?
„Wir sollten in Ruhe reden.“ Ich drehe nicht einmal den Kopf in Maiks Richtung, als er diesen Vorschlag macht. Ich weiß, er steht irgendwo seitlich von uns.
„Mit keinem von euch will ich in Ruhe reden. Ihr könnt nichts wiedergutmachen. Was passiert ist, ist passiert, und ich habe beschlossen, keine weiteren Einzelheiten hören zu wollen.“ Ich bewege mich in Richtung Ausgang und Kim folgt mir ohne Kommentar. Im Flur bleibe ich noch kurz stehen, vielleicht, weil Maik mich noch einmal zurückruft.
„Bitte, Maik, tu uns das nicht an!“
„Ich euch? Tut mir leid, Maik, vielleicht bist du der Einzige von euch dreien, dem ich jetzt unrecht tue, aber ihr verdient es nicht, dass ich mir eure Erklärungen anhöre, eure rührseligen Erinnerungen an eine Zeit, die für mich nur aus Lügen und Verrat besteht. Heult euch beieinander aus, macht, was ihr wollt. Ihr werdet es ohne mich machen.“ Ich atme tief durch und gehe den Flur hinab zur Tür, öffnen, rausgehen, Kim schließt sie und zieht mich augenblicklich an sich. Erst jetzt sehe ich, dass er unsere Jacken festhält.
„Scht, ganz ruhig“, murmelt er an meinem Ohr und ich umklammere ihn, meinen Anker.
„Ich will hier weg.“
~*~
An den Rückweg kann ich mich kaum erinnern. Alles, was ich noch weiß, ist, dass Kim bei mir war, noch immer ist.
Jetzt sitzen wir neben Timeon und Eric auf der Tribüne und unten auf dem Springplatz reiten einige der besten Reiter der Welt über den Parcours. Kim wollte nicht mehr hierher kommen, aber ich brauche die dumpfe Ablenkung. Bescheuert, denn hier werde ich nicht abgelenkt, hier sind meine pferdenärrischen Eltern überall.
Eltern … Habe ich so etwas? Ich meine, hatte ich sie je?
Ich hatte eine gestresste, alleinerziehende und ständig traurige Mutter, ja. Einen ständig abwesenden Vater. Nun ja, so ganz stimmt das nicht, aber … macht das noch einen Unterschied? Denn ich habe noch einen weiteren Vater …
Einen offenbar ruhigen, sehr ausgeglichenen Mann, der sich ganz sicher auch alles anders gewünscht hätte, als es gekommen ist.
Aber wer soll das noch ändern und wie? Vergangenes ist vorbei, in Stein gemeißelt und schwerwiegend. Immer.
Erklärungen hätten nichts geändert. Da bin ich mir ganz sicher.
Was hätten sie auch sagen sollen? Der Brief von Maik hat doch schon alles gesagt, was irgendwie wichtig war, oder nicht?
Ist es noch von Interesse, wieso Justin sich von Ludwig getrennt hat oder auf welche Art? Er hat es getan und dabei eine Seele zerstört, vielleicht einen Verstand.
Ja, natürlich weiß ich, dass Justin nichts dafürkann, dass Ludwig so labil war oder ist. Das ist eben Ludwigs Natur, aber irgendwie weiß ich einfach, dass Justin den jüngeren frischen Waisen Ludwig van Keppelen damals in eine Abhängigkeit gebracht hat. Absichtlich oder nicht, das spielt für das Ergebnis keine Rolle mehr.
Er mag ihn geliebt haben, die ganze Zeit nur seinem Herzen gefolgt sein, aber ich erinnere mich zu genau an das, was Sean mir angetan hat. Vielleicht ist es Ludwig ähnlich ergangen?
Das vermag ich nicht zu beurteilen, aber es spielt doch auch gar keine Rolle mehr!
Schlimmer als das bereits Geschehene kann nichts mehr kommen.
Kimm missbraucht, jahrelang, schließlich stellvertretend für meinen Erzeuger vergewaltigt …
Hastig umarme ich Kim und ziehe ihn an mich. Mir ist scheißegal, ob sich die Umsitzenden darüber aufregen, niemand hat das Recht, mir meine Liebe zu missgönnen!
Mein Koalaraubtier. Der Gedanke lässt mich lächeln. Liebevoll und warm. Gleichzeitig steigen all die positiven Gefühle für Kim in mir auf, blubbern aus meinem Herzen durch meinen Leib und erfüllen mich mit Ruhe, die mir so schmerzlich gefehlt hat.
„Wollen wir runtergehen zu den Boxen?“, frage ich leise, als er mich auf den Hals küsst und meine Umarmung erwidert.
„Wenn die beiden mitkommen wollen, können wir danach auch fahren.“
Können wir. Immerhin liegt unser Übernachtungsgepäck bereits im Kofferraum des Rovers.
Kim löst sich halbwegs von mir und spricht mit Timeon und Eric. Beide nicken und erheben sich. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu den Boxen, wo wir Jeremy finden. Salih sitzt gerade auf, um zum Abreiteplatz zu gelangen. Wir verabschieden uns noch schnell von ihm, dann sprechen wir mit meinem besten Freund.
„Es ist nicht so gut gelaufen, das sehe ich dir an. Wenn du Hilfe brauchst, ruf mich jederzeit an, Tag und Nacht, okay?“
Ich nicke. „Danke. Ich werde dran denken. Kommst du uns in den nächsten Tagen besuchen? Noch sind wir ja auf dem Feuerried.“
„Ja, mache ich. Ihr habt mir offensichtlich eine ganze Menge zu erzählen …“
„Ja, haben wir. Viel Glück in den letzten Durchgängen, Jers.“